Читать книгу Ein Liebestraum. Napoleon I. Gräfin von Walewska - Robert Heymann - Страница 6

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Am nächsten Morgen war Napoleon in einem Zustande sieberhafter Erregung. Er schellte, noch im Bette liegend, nach seinem Sekretär Meneval. Dieser, zuverlässiger als sein Vorgänger Bourienne, trat sofort ein. Er war gewohnt, bei Tag zu jeder Minute erscheinen zu müssen und bei Nacht aus dem Schlafe geholt zu werden.

Napoleon diktierte Briefe. An Souveräne, Minister, Finanzmänner. Er verfügte über die Gelder des Hauses Hope in Amsterdam, damals neben Lasitte und Séguin das gewaltigste Bankhaus des Kontinents, als ob es seine eigenen gewesen wären. Diese grossen Häuser lebten in beständiger Angst und Sorge vor dem Kaiser, denn er duldete niemals, dass sich ein Finanzmann auf unrechtmässige Weise bereicherte. Geschah es, so traf plötzlich der Befehl ein, etliche Millionen an die Staatskasse abzuführen.

Damals hatte der unfähige Maret noch nicht den Herzog von Cadore im Ministerium des Aeussern ersetzt. Maret war Chef im Kabinett und erschien, nachdem Meneval gegangen war. Mit ihm konferierte Napoleon eine Stunde. Er sagte niemals nein und führte, in seinem Privatleben ein ziemlich unzuverlässiger Mensch, Napoleons Befehle mit einer Gewissenhaftigkeit aus, die sich nur auf seine aufrichtige Zuneigung zu dem Kaiser zurückführen liess.

Nun trat Constant, der langjährige Kammerdiener, ein. Die Pendule auf dem Kamin schlug acht. Dies war die Zeit, wo Napoleon aufzustehen pflegte. Sein zweiter Sekretär begleitete ihn ins Bad, und während der Kaiser da etwa zehn Minuten verblieb, las der Sekretär die wichtigsten Tageszeitungen vor.

Aber Napoleon schien kaum hinzuhören. Er war wie geistesabwesend, sprang endlich auf und überliess sich nun Constant, der ihn von Kopf bis zu Füssen anzukleiden pflegte.

Der Kaiser blieb keine Sekunde ruhig. Er ging im Zimmer auf und ab, warf Zeitungen und Briefe durcheinander und verriet eine Unruhe, die selbst den Kammerdiener in Erstaunen versetze. Erst frottierte er seinen Herrn. Aber Napoleon war mit der Kraftaufwendung Constants nicht zufrieden.

„Derber, etwas stärker!“ rief er ihm zu und setzte gutgelaunt hinzu: „Nur nicht zimperlich, Constant. Reibe, als ob Du einen alten Esel unter den Händen hättest!“

Der Kammerdiener verneigte sich schweigend und rieb weiter. Dann nahm er eine Flasche Eau de Cologne und goss sie dem Kaiser über den Körper. Hierauf folgte die Ankleidung. Napoleon trug auch hier in Warschau die grüne Jägeruniform, die er allen anderen vorzog. Täglich erhielt der Kaiser eine neue weisse Hose. Dies war nicht nur eine Formsache, denn er pflegte seine Schreibfedern an den Beinkleidern abzuwischen....

Zum Frühstück wurde Duroc befohlen.

Der getreue Freund und Ratgeber traf den Kaiser in einer unbeschreiblichen Aufregung.

Napoleon nahm schnell eine Tasse Schokolade, dann rief er dem Herzog von Friaul zu:

„Sie müssen Rat schaffen, lieber Marschall. Ich halte es nicht aus. Ich habe gestern während des Balles keine Minute Ruhe gehabt. Haben Sie sie gesehen?“

Duroc, der auch den verflossenen Abend in der Umgebung des Kaisers gewesen war und seinen Gebieter sehr gut kannte, erwiderte, ohne eine Miene zu verziehen, mit der Haltung eines vollkommenen Gentlemans:

„„Die Gräfin Walewska, Sire?“ “

„Dieselbe. Hat man uns beobachtet, Duroc?“

„Vielleicht, Majestät.“

„Sollen sie. Was gehen sie mich an? Nur um die Frau dreht es sich jetzt. Gehen Sie zu ihr, Duroc. Als Oberhofmeister sind Sie der richtige Sendbote. Sie werden verstehen, ihr näher zu kommen. Ueberbringen Sie ihr einen Brief. Warten Sie!“

Duroc verneigte sich ein wenig. Er war ein ruhiger, schöner, nicht mehr ganz junger, aber durchaus achtungswürdiger Mann. Er kannte den Menschen in Napoleon, aber verriet ihn niemals.

Der Kaiser warf in fieberhafter Eile einige Zeilen aufs Papier.....

„Ich habe nur Sie gesehen, Sie bewundert, nur Sie begehrt, schönste Frau! Ich befinde mich in einem Zustande der Exaltation, der durch nichts beendet werden kann. Sie halten mein Schicksal in Ihren Händen. Geben Sie mir schnell eine Antwort, anbetungswürdige Frau, die das Feuer zu beruhigen vermag, das mich verzehrt.“

Duroc begab sich gemäss den Weisungen des Kaisers in den Palast, den Maria Walewska mit ihrem Gatten bewohnte.

Sein Auftrag enthielt nicht eben etwas Ungewöhnliches. Napoleon wies das Glück niemals von sich, in welcher Gestalt es sich ihm auch immer bot. Er nahm die Frauen, wie er alle Situationen und Dinge nahm: Ohne lange Ueberlegung, ohne romantische Erwägungen. Dieser Mann, welcher ein ungeheuerliches Arbeitspensum bewältigte, der oft Wochen hindurch von seinem Reisewagen aus Europa regierte und Tage lang nicht aus dem Sattel kam, hatte nicht Zeit, sich den Praeliminarien der Liebe zu widmen.

Duroc kannte diese Art Liebesspiele und nahm sie so gleichmütig wie irgend ein nebensächliches Tagesereignis. Seine Stellung als Palastmarschall war schwierig, denn in Paris stand er zwischen den Launen des Kaisers und der Eifersucht der Kaiserin, stand zwischen den Intriguen der weitverzweigten kaiserlichen Familie und aller Grosswürdenträger des Reiches.

Aber er vertrat einzig und allein die Interessen des Kaisers, den er schon als Adjutant in den italienischen Feldzug begleitet und an dessen Seite er seit den Tagen von Aegypten ununterbrochen gekämpft hatte.

Duroc erlebte eine grosse Ueberraschung.

Als er sein Schreiben dem Hofmeister der Gräfin übergeben hatte, wurde er alsbald in einen einfachen Empfangsraum geführt — nicht in jenen, der für solch hohe Abgesandte vorgesehen war — und sah sich alsbald der Gräfin selbst gegenüber.

„Mein Herr,“ sagte die schöne junge Frau, die in diesem Augenblick nichts von der Verwirrung an sich hatte, die ihr so reizend stand, „ich hielt es zwar für meine Pflicht, einen Mann von Ihren Verdiensten persönlich zu empfangen. Aber ich halte es unter meiner Würde, den Brief Ihres Kaisers zu beantworten.“

„Frau Gräfin“ stammelte Duroc, dem diese Antwort ganz unbegreiflich war, „Frau Gräfin, ich bitte Sie, zu bedenken, dass es der Kaiser ist, der mich mit dieser Mission beauftragt hat...“

„Sehr wohl. Antworten Sie dem Kaiser, die Gräfin Walewska habe keine Ursache, mit Bonaparte zu korrespondieren. Aber Napoleon lasse sie ihre tiefste Ergebenheit und aufrichtige Zuneigung übermitteln.“

Damit war dieser merkwürdigste aller Empfänge, die der Herzog von Friaul erlebt hatte, zu Ende.

Duroc war kein Emporkömmling. Er entstammte selbst einem alten französischen Adelsgeschlecht und empfand daher diese schroffe Ablehnung sehr bitter.

Sie war die erste in ihrer Art. Denn bisher hatten Frauen, die Napoleon auszeichnete, keinen Augenblick gezögert, für kurze Zeit, und war es auch nur auf eine schwache Stunde, in jene Sphären emporzusteigen, die ebenso rätselhaft, geheimnisvoll wie glänzend waren.

Hier nun kam es anders, und es blieb Duroc nichts weiter übrig, als den Kaiser von seiner angebeteten Dame zu grüssen und Bonaparte seinen Korb zu bringen.

Napoleon war schon mitten in der Arbeit. Um ihn herum standen Generäle und Diplomaten, Ingenieuroffiziere und Kurriere, die jeden Augenblick mit wichtigen Meldungen nach Paris abgehen mussten.

Napoleon hatte damals den schnellsten Estaffettendienst, und seine Kurriere jagten mit einer Schnelligkeit zwischen den östlichen Reichen und Paris hin und her, die Staunen und abergläubische Verwunderung erregte.

Eine grosse Idee beschäftigte den Kaiser. Er prüfte eben die Pläne, die aus Paris eingetroffen waren. Er wollte einen Bau aufstellen, mitten in Paris, der alle Stürme der folgenden Jahrhunderte überdauern und als ein gewaltiges und trotziges Monument seiner Zeit der Nachwelt die Taten der „grande armée“ verkünden sollte.

Dieser Bau sollte die Inschrift tragen: „Den Soldaten der grossen Armee Napoleons.“ Auf einer Tafel aus weissem Marmor sollten die Namen seiner Helden aus allen Feldzügen verewigt sein. Die aber, welche auf den Schlachtfeldern gefallen waren, sollten auf einer Tafel aus Gold unsterblich werden.

Der Kaiser selber entwarf die Umrisse und die Gestalt des Baues: Einen antiken Tempel römischer Physiognomie, bekränzt von 54 umlaufenden korinthischen Säulen, darüber eine gewaltige Kuppel... An diesem Bauwerk wurde 36 Jahre gearbeitet, und längst war Napoleon nicht mehr, als es vollendet wurde. Es ist die heutige Madeleine.

Aber noch ein viel grösserer, gewaltigerer Plan beschäftigte den Kaiser, ein Gedanke, der in seiner Art einzig dastand und von ungeheurer Kühnheit, von unglaublicher Originalität war. Schon am 21. November hatte der Kaiser von Berlin aus ein Dekret erlassen, nach dem die britischen Inseln in Blockadezustand erklärt wurden. Allen Ländern, die die Hegemonie Frankreichs anerkannten, war verboten, mit England Handel zu treiben, ja sogar mit Engländern in Verkehr oder auch nur in Korrespondenz zu treten. Alles Eigentum der Engländer, alle ihre Schiffe waren vogelfrei und Prise.

Darauf hatte England vor wenigen Tagen geantwortet, indem es allen neutralen Schiffen das Anlaufen eines französischen Hafens, oder eines solchen, der unter französischem Einfluss stand, verbot.

Nun unterzeichnete Napoleon ein schon vorbereitetes Dekret, das die Konfiskation aller Waren aussprach, die in den Hansastädten mit Beschlag belegt waren.

„Ich will,“ sagte der Kaiser, „die Bahn des Handels wie die der Industrie ändern. Ich werde in Frankreich Zucker uud Indigo naturalisieren. Ich werde die Baumwolle und noch viele andere Dinge einheimisch machen, und man wird sehen, dass ich die Kolonieen überflüssig mache, wenn man hartnäckig dabei beharrt, mir einen Teil derselben zu verweigern.“

Nach dem letzten Federstrich erhob sich Napoleon und winkte Duroc.

Der Marschall erstattete Bericht. Er fürchtete einen der gewohnten Zornesausbrüche des Kaisers. Aber Napoleon hörte ihn ruhig an.

Er trat ans Fenster und blickte auf Warschau hinab.

Duroc hörte ihn murmeln: „Sie ist eine reizende Frau. Sie ist ein Engel.“

Er drehte sich zu dem Marschall um:

„Duroc, die Seele dieser Frau ist ebenso schön wie ihr Gesicht.“

Der Marschall verneigte sich. Aber er war nicht wenig verwundert, seinen Herrn so sprechen zu hören. Das war nicht die Art, wie er die Vorleserin der Kaiserin, Carlotta Gazzani, genommen, wie er sich Eleonore Dénuelle genähert hatte. Aber Napoleon hatte Recht. Maria Walewska war nicht von dem Schlage der Frauen, wie sie Murat und seine schöne Gattin Karoline dem Kaiser gelegentlich zuführten.

Da Duroc nicht nur der erste Diener des Kaisers, sondern auch sein Vertrauter und Freund war — obgleich Napoleon stets auf Formen hielt — so warf er mit einem diskreten Lächeln ein:

„Die erste Niederlage, die Ew. Majestät erleiden.“

Der Kaiser zog die Brauen hoch:

„Ich werde sie in einen Sieg verwandeln.“

Und er setzte sich hin und schrieb einen zweiten Brief:

.... „Sie haben meinen Marschall schlecht behandelt. Keiner Macht der Erde würde ich dies ungestraft hingehen lassen. Von Ihnen hat es mich nur betrübt, mir nur Schmerz bereitet. Habe ich Ihnen missfallen? Ich hatte das Recht, das Gegenteil zu erwarten. Sie haben tiefer für mich empfunden, als Sie zugestehen wollen, ich weiss es. Sollte dieses Empfinden für mich schwächer geworden sein? Das meine hat sich nur noch gesteigert. Sie rauben mir alle Ruhe! Ach, verschaffen Sie einem armen Herzen, das bereit ist, Sie anzubeten, ein wenig Freude, ein wenig Glück! Ist es denn so schwer, eine Antwort zu geben? Sie sind mir schon zwei schuldig.

Napoleon.

Der Kaiser versiegelte den Brief.

„Besorgen Sie ihn an seine Adresse, Marschall, aber hüten Sie sich, ein zweites Mal einen Korb in Empfang zu nehmen.“

Duroc liess den Brief der Gräfin zugehen, ohne ihr Gelegenheit zu geben, ihm selbst zu antworten. Aber auch dieses Schreiben des mächtigsten Mannes Europas blieb unbeantwortet.

Maria Walewska hatte es empfangen und auch gelesen. Sie hätte keine Frau sein müssen, um nicht durch diese beiden Briefe im Innersten erregt zu werden.

Der, welcher ihr in diesem Tone schrieb, regierte die halbe Welt. Er war der Sieger über die Erbfeinde ihres Vaterlandes. Er war die letzte Hoffnung des geknechteten und zerstückelten Polens.

Sie prüfte ihr Herz. Gewiss hatte sie an jenem Ballabend unter dem Zauber des Korsen gestanden. Und der Eindruck, den er als Mann und Kaiser auf sie gemacht hatte, war unverwischt geblieben.

Aber Liebe?

Nein, daran konnte ihr achtzehnjähriges Herz nicht denken. Sie war Polin. Sie hatte die schrecklichen Niederlagen ihres Landes denkend nicht miterlebt Sie war fünf Jahre alt gewesen, als Praga fiel. Doch seitdem war man nicht müde geworden, den Untergang Polens zu beklagen, und in der Umgebung ihrer Familie fielen fast täglich die Namen der Helden, die Polen hatten retten wollen und dafür in die Verbannung oder gar in Kerkerhaft wandern mussten.

Alle diese angebeteten Kinder Polens, diese Heldensöhne einer grossen Zeit, hatten sich unter die mächtigen Adler des grossen Korsen geflüchtet.

Aber ob er auch die halben Versprechungen, die er Polen gemacht, halten würde? Maria konnte noch nicht vergessen, dass Napoleon die polnische Legion nach Haiti geschickt hatte, wo sie ihre Kräfte in Kämpfen mit barbarischen Negern zersplitterte und ihr kostbares Heldenblut unsinnig vergoss.

Niemand dachte daran, wollte daran denken. Sie aber war keinen Augenblick gewillt, die Ehre des Hauses ihres Gatten preiszugeben. Doch sie fürchtete sich vor Napoleon, und so wandte sie sich in der Not ihres Herzens schliesslich an die Gräfin Potocka, die erfahrene und ältere Freundin.

„Kind!“ rief diese, „der Adler der Welt kommt zu Dir, und Du zauderst, ihn in Deine Gewalt zu bekommen, den Mächtigen zu zähmen?“

„Mein Ehrgeiz steht nicht danach,“ erwiderte Maria in ihrer reizenden Unschuld, der nie die Grösse fehlte, die der Tugend anhaftet.

Aber Frau Anna wollte solche Gründe nicht gelten lassen, auch nicht den Umstand, dass Maria den Kaiser nicht liebte.

„Ich bewundere ihn, ja. Aber Liebe?, nein, die könnte ich ihm niemals schenken.“

„Ach, mein Kind,“ entgegnete Frau Anna, „wie oft täuschen wir Frauen uns über unsere Gefühle. Aber erscheint es Dir wirklich so sehr wichtig, einen Mann zu lieben, dessen Leidenschaft für uns schon eine Schmeichelei bedeutet, die uns niemals mehr im Leben zuteil werden kann?

Darauf die unerschütterliche Maria: „Ich kenne solche Eitelkeit nicht.“

„Und Dein Vaterland?“

Das Wort traf Maria wie ein Blitz. Sie erbleichte und wandte das Antlitz der Freundin zu.

„Was willst Du damit sagen?“

„Du begreifst noch nicht? Der Mann, der uns allen unnahbar ist und auf den niemand Einfluss hat, kommt als Mensch, als Bittender zu Dir. Du hast das Recht, zu fordern, Du allein. Die grössten Helden unseres Vaterlandes sind machtlos über ihn. Aber alle vereint der heisse Wunsch, er möge sich die Krone Polens aufs Haupt setzen. Wie — wenn Du deine Schönheit brauchen würdest, Polen einen neuen König zu schenken?“

Maria Walewska war so verwirrt, dass sie in Tränen ausbrach, ohne die Kraft zu einer Antwort zu finden. Denn der Begriff ihres Vaterlandes war ihr das heiligste, grösste und erhabenste, was sie auf Erden kannte. So hatte man sie gelehrt, so empfand sie als Polin.

Täglich schloss sie ihr Vaterland in ihr Gebet ein, das sie als gläubige und überzeugte Katholikin allabendlich zu Gott emporsandte. Wenn es bisher in ihrem unschuldsvollen jungen Leben eine schwere Sorge gegeben hatte, so war es eben das Bewusstsein, dass ihr Vaterland zerstückelt, seinen Feinden preisgegeben war und dass alle Heldensöhne dieses teuren Bodens darum litten und sich in Gram verzehrten.

Anna Potocka wurde nicht müde, ihr die Macht vorzumalen, die sie über Napoleon gewinnen konnte, ihr zuzureden, Polen zu retten.

Sie verliess die Freundin in einem Zustande unbeschreiblicher Erregung, ohne die letzte Frage, die Maria ihr entgegengehalten: „Und die Ehre meines Gatten?“ zu beantworten. Die Gräfin liess den Brief Napoleons liegen, ohne ihm zu schreiben. Aber das überwältigende Bild dieses Mannes schwand nicht aus ihrer Vorstellung, und sie verbrachte zwei Tage in wachsender Erregung und tiefster Niedergeschlagenheit, die mit Begeisterung und Freude wechselten.

Indessen war die Gräfin Potocka nicht müssig geblieben. Sie erkannte einen Fingerzeig der Vorsehung. Sie sah in Maria das reine Werkzeug des Schicksals.

Kaum hatte ihr Gatte von dem Inhalt der Briefe Napoleons Kenntnis, da setzte er sich mit Poniatowski in Verbindung. Frau von Vauban dachte sogleich an eine Wiederholung der Zeiten Ludwigs XlV., vielleicht gar des XV. Sie sah in Maria Walewska eine jener mächtigen Favoritinnen erwachsen, die das Schicksal Europas in ihren Händen hielt. Sie dachte an eine zweite Pompadour oder Maintenon, ohne einen Moment sich Louise de la Miséricordes zu erinnern, die vor etwa hundert Jahren bei den Karmeliterinnen ihr Leben aushauchte, nachdem sie ihre Jugend dem Sonnenkönig geopfert hatte.

Schnell erfuhr der ganze polnische Hochadel um die Schwäche Napoleons. Man sah die erste und vielleicht einzige Möglichkeit, den Gewaltigen zu sicheren Zugeständnissen zu bewegen. Und sofort waren alle sich einig: Das Opfer musste für Polen gebracht werden, und wenn ein Tropfen polnisches Heldenblut in Maria Walewska floss, so durfte sie sich dem Imperator nicht verweigern, musste sich selber als Opfer auf dem Altare des Vaterlandes darbringen, um damit Polens Wiederaufrichtung zu erringen.

Indessen traf ein dritter Brief Napoleons bei Maria ein — — —

„Es gibt Augenblicke im Leben, wo eine zu hohe Stellung zentnerschwer auf einem lastet. Und dies empfinde ich jetzt bitter. Wie kann ein liebendes Herz das sich Ihnen zu Füssen werfen möchte, aber von’ höheren, lähmenden Umständen in seinen heissesten Wünschen zurückgehalten wird, Befriedigung finden? O! wenn Sie wollten! Nur Sie allein vermögen die Hindernisse zu überwinden, die uns trennen! Mein Freund Duroc wird dazu beitragen, es Ihnen zu erleichtern. O! kommen Sie! kommen Sie! Alle Ihre Wünsche sollen erfüllt werden! Ihr Vaterland wird mir noch teurer sein, wenn Sie Mitleid mit meinem armen Herzen haben!“

N.

Maria las den Brief in grösster Erregung. Da also stand es geschrieben! Er selbst erklärte sich bereit, ihr alle nur erdenklichen Zugeständnisse zu machen, wenn sie nur seinem Rufe folgte. Maria las schon mehr, viel mehr aus den Zeilen, als darin enthalten war. Sie las die Befreiung Polens, sie sah schon die polnische Königskrone auf Napoleons Haupt.

Schon wurde er ihr dadurch, dass er ihr Vaterland erwähnte, teurer. Aber noch zauderte sie. Zauderte, obgleich die Gräfin Potocka im Namen aller Verwandten sprach. Obgleich Poniatowski sie beschwören liess, nachzugeben. Obgleich ihr eigenet Bruder Lascinski sie bestürmte.

Niemand erwähnte ihren Gatten. Er war siebzig Jahre alt. Er war tot für Polen. Welche Rechte also wollte er auf diese Auserwählte geltend machen?

Am Nachmittag erschien die Patriotin Madame Abramowicz bei Maria. Sie las einen Brief vor der die Unterschriften der bedeutendsten Edelleute Polens enthielt und ihr galt.

Ganz Polen beschäftigte sich mit Maria Walewska, ganz Polen drang in sie ein, forderte, zwang sie förmlich durch die Kraft eines gewaltigen, jede andere Erwägung unterdrückenden Patriotismus, nachzugeben.

Es waren Mitglieder der provisorischen Regierung, die Maria Walewska schrieben:

Madame! Geringfügige Dinge bewirken oft Grosses. Die Frauen hatten von jeher einen grossen Einfluss auf die politischen Vorgänge in der Welt. Die Geschichte der entferntesten, gleichwie der allerneuesten Zeit bescheinigt diese Wahrheit. Solange Leidenschaften die Menschen beherrschen, werden diese, hochverehrte Dame, einer der bedeutendsten Faktoren der Macht sein.

Der Mann würde sein Leben hingeben für die gerechte Sache des Vaterlandes, die Frau kann dem Vaterlande nicht mit Waffen in der Hand dienen, ihre Natur widerstrebt dem.

Aber statt dessen gibt es Opfer, die sie bringen kann, ja bringen soll, selbst wenn sie ihr peinlich wären.

Glauben Sie, dass sich Esther dem Ahasver aus Liebe hingegeben hat? War der Schauder, der sie vor seinem Blick erfasste, so, dass sie in Ohnmacht fiel, nicht ein Beweis, dass die Zärtlichkeit keinen Teil an dieser Vereinigung hatte? Sie opferte sich, um ihr Volk zu retten und ihr wurde der Ruhm, es gerettet zu haben!

Möchten wir von Ihrem Ruhme und unserer Wohlfahrt dasselbe sagen können!

Sind Sie nicht Tochter, Mutter, Schwester, Gattin von begeisterten Polen, welche allesamt mit uns jenen nationalen Bund darstellen, welche keine Zahl mehr vergrössern, keine Einigkeit noch festigen kann? Hören Sie auf das, Madame, was ein berühmter Mann, ein Heiliger, ein frommer Diener der Kirche, was Fénélon sagt:

„Die Männer, welche in der Oeffentlichkeit alle Machtvollkommenheit besitzen, können doch durch ihre Beratung nichts wirkungsvoll Gutes schaffen, wenn ihnen die Frauen nicht dabei an die Hand gehen.“

Hören Sie auf diese Stimme, Madame, die sich mit der unsrigen vereint, damit Sie die Freude am Wohlergehen von 20 Millionen Menschen geniessen können! — — —

Da endlich brach der Widerstand der jungen Gräfin. Sie bat Gott um Vergebung für die Sünde, die sie begehen wollte, und empfahl ihren Gatten dem Trost der Patrioten. Sie nahm von ihren Freunden und Verwandten Abschied, als ginge sie dem Tode entgegen — und doch bewies gerade der Aufwand von Energie und Gefühlen, dass ihr Napoleon nicht gleichgiltig war, und dass sie dieses Abenteuer weit mehr fürchtete als etwa verabscheute.

Sie liess also Duroc einige Zeilen überreichen, in denen sie dem Kaiser versprach, Nachts zwischen 10 und 11 Uhr ins Schloss zu kommen.

Gegen Abend liessen sie alle, die ihr zugeredet hatten, allein, und Maria wurde das Opfer der heftigsten Gewissensbisse. Ihre Frauenwürde lehnte sich gegen die Schmach auf, die man ihr zumutete. Sie war nahe daran, dem Kaiser wieder abzuschreiben, aber sie fürchtete sich, nein, sie schämte sich, vor der ganzen Nation, vor sich selber, vor ihm.

Der Brief des polnischen Adels traf nicht das Richtige. Sie war nicht Esther, und Napoleon war nicht Ahasver.

Oder doch?

Sollte er der weichliche, nachgiebige Xerxes sein, der auf Esthers Anstiftung 75000 seiner Untertanen erwürgen liess? Nein, so sollte, so durfte er nicht sein, sonst würde sie nie verwinden können, ihm das höchste geopfert zu haben, worüber sie verfügte: Ihre Tugend.

Ein Liebestraum. Napoleon I. Gräfin von Walewska

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