Читать книгу Ein Liebestraum. Napoleon I. Gräfin von Walewska - Robert Heymann - Страница 7
3.
ОглавлениеBonaparte ging in grösster Unruhe auf und nieder. Es war zehn Uhr. Duroc, sein Vertrauter, war vor einer halben Stunde in einem verschlossenen Wagen fortgefahren, der Maria in die Arme des Kaisers führen sollte.
Es wurde halb elf, Maria kam nicht, Duroc meldete sich nicht.
Der Kaiser wurde unruhig.
Vielleicht war ihnen etwas zugestossen. Er durchsah die Pläne der Polen nicht ganz. Auch mit der Eifersucht des Gatten rechnete er.
Aber dieser Gatte ahnte alles und schwieg.
Er war vom ältesten Adel. Vom Stamme derer, die jedes Fleckchen auf ihrer Ehre mit Blut abwaschen.
Aber er war ein Pole. Und man schrieb das Jahr 1807.
Warschau lag im Schnee. Es war Januar. Vor dem Schloss dehnten sich weithin die verschneiten Gärten. Hier hatte Siegmund III. gestanden, als er geschlagen aus Schweden zurückgekehrt war, später als Sieger über Russland. Hier hatte der unglückliche Stanislaus Poniatowski Abschied von seinem zerstückelten Königreich genommen, das er nie wiedersehen sollte.
Napoleon dachte an all dies nicht. Sein Blick suchte nach einem dunklen Wagen, der über die Wege des Gartens kommen sollte. Er trat verdrossen zurück, ging schnellen Schrittes durch die hohen Säle mit den herrlichen Gemälden und Skulpturen und verweilte einige Zeit in der Bibliothek.
Hier sah er über Warschau: Die mächtige, dreihundertfünfzigjährige Annenkirche, die alten Palais, unter denen das der Zamojski hervorragte. Sein Blick streifte bis zum Parke von Lazienki — der einsame Kaiser ahnte nicht, dass hier der achtzehnte Ludwig mit dem Drei-Lilien-Wappen einmal seinen Sturz abwarten würde, um sich auf den Thron zu setzen, den der Sohn der grossen Revolution den Bourbonen geraubt hatte.
Wieder kehrte der Kaiser zu seinem Beobachtungsposten zurück.
Da sah er einen Wagen, den zwei dampfende Pferde die terrassenförmig aufgebaute Strasse emporzogen.
Die Chaise hielt vor dem Portal. Eine dicht verschleierte Dame stieg aus. Ihr folgte der Marschall.
Selbst der Mantel liess die zarte Zeichnung ihrer Figur erkennen. Sie stützte sich schwer auf Durocs Arm.
Als sie aber an seiner Seite die grosse Halle des Schlosses betrat, verliessen sie die Kräfte. Von Angst, Scham und Reue betäubt, sank sie zu Boden.
Duroc fing sie in seine Arme auf. Nun er schon die Beute bis hierher gebracht, hatte er nicht Lust, sie sich entgleiten zu lassen. Maria Walewska äusserte auch keinen solchen Wunsch.
Duroc nahm sie in seine Arme und trug sie rasch entschlossen die Marmortreppe hinauf bis zu den kaiserlichen Gemächern.
Dort liess er sie niedergleiten.
Maria brach in Tränen aus. Der Marschall öffnete die grosse Flügeltüre in das Gemach, wo der Kaiser stand, und meldete: „Die Frau Gräfin Walewska.“
Da trat sie wie im Traume ein.
Duroc schloss hinter ihr die Türe.
Maria sah auf. Vor ihr stand der Kaiser und blickte sie an. Da verdoppelte sich ihre Erregung, und sie schluchzte so heftig, dass Napoleon sie schnell zu einem Sessel geleitete und dort sorglich hingleiten liess.
Aber sie wurde nicht ruhiger. Sie weinte in einem fort.
Napoleon war erst ein wenig verwirrt über diesen Zustand.
Noch war keine Frau mit Tränen zu ihm gekommen. Er suchte sich daher Marias Vertrauen zu erringen. Er dachte nicht daran, sie etwa ärgerlich zu behandeln. Sie war keine Frau vom Schlage jener, die durch eine Entehrung sich in ihrer Eitelkeit geschmeichelt fühlen, weil der Mann, der sich um sie bemühte, der Kaiser war.
Napoleon begriff, dass diese Frau sich nicht dem Kaiser, sondern dem Manne ergeben würde.
Darum wappnete er sich mit Geduld. Er empfand Mitleid mit ihrer Schwäche, zog einen Stuhl heran, nahm ihre Hand in die seine und zog sie an seine Lippen.
Erst stammelte er etwas von Dank. Aber dann wurde er ganz ruhig.
„Warum weinen Sie, Maria?“ fragte er. „Haben Sie Furcht vor mir?“
Sie nickte.
„Warum fürchten Sie mich?“ fragte er leise und suchte die Hand von ihrem tränenüberströmten Antlitz zu entfernen. Nie erschien sie ihm rührender als in dieser Hilflosigkeit. Er wiederholte: „Warum fürchten Sie mich? Hat man Ihnen erzählt, dass ich ein Barbar bin?“
Sie schwieg. Aber allmählich wurde sie zutraulicher. Sie hatte sich ihn anders gedacht, und anders hatte man ihn ihr geschildert. Sie wagte, ihm in die Augen zu sehen.
„Sire, man hat mir gesagt ..“
„Was hat man Ihnen vorgeplaudert, meine Kleine?“
„Dass Sie brutal seien .. und ich hatte gefürchtet ...“
„Sie sollen aufhören, sich zu fürchten, Maria. Das ist das Erste und zunächst Einzige, worum ich Sie bitte. Wollen Sie dem Kaiser der Franzosen diesen bescheidenen Wunsch erfüllen?“
Der Klang seiner Stimme war zärtlich. Ganz anders als sonst. Maria hatte ihn nur auf dem Paradefeld und im Ballsaal sprechen gehört.
Und es war ihr, als seien das drei ganz verschiedene Napoleons.
Sie gewann Vertrauen.
Und sie fand den Mut, unter Tränen zu lächeln, als er wie zu einem Kinde sprach.
„Sire, ich hätte nie den Mut gefunden, zu Ihnen zu kommen, wenn nicht ...“
„Wenn nicht?“ Napoleon erwartete, ein Wort der Liebe zu hören.
„Wenn nicht die Befreiung Polens mir so sehr am Herzen läge. Ich bin bereit, mein Leben für mein Vaterland zu opfern.“
Ueber Napoleons Züge huschte ein Schatten.
Er begnügte sich zu sagen:
„Sie sollen nicht umsonst gekommen sein.“
„Sagt dies der Kaiser?“
„Dies sagt der Kaiser. Aber Bonaparte, der Mann, fragt, ob es nie möglich sein wird, dass ihn Maria Walewska ein wenig lieb gewinnt.“
Bezaubert von seiner Zurückhaltung, seinem Takt und seiner Liebenswürdigkeit sah die Gräfin mit strahlenden Augen zu ihm auf.
„Nun?“ fragte der Korse.
„Ich weiss es nicht,“ entgegnete Maria mit einem leisen Anflug von Koketterie, in der sich zum erstenmal an diesem Abend das Weib zeigte.
Napoleon, der die Galanterie des Despoten nie verleugnete, selbst jetzt nicht, sagte:
„Sie sind wie eine Jungfrau, Gräfin,“ worauf Maria purpurrot wurde und zu Boden sah.
Er nahm ihre beiden Hände.
„Wie konnte diese Blume an einen Mann verheiratet werden, der fast viermal so alt ist?“
„Sire, dies ist eine einfache und doch traurige Geschichte. Man gestattete mir nicht, den Mann zu heiraten, den ich liebte.“
„Ah,“ machte Napoleon, während eine Wolke auf seiner Stirne erschien, „Sie haben bereits geliebt, Madame?“
„Mädchenträume, Sire.“
„Sie sind verflogen?“
„Ja, Sire.“
„Sie lieben diesen Mann nicht mehr?“
Maria lächelte über den Eifer dieser Fragen, aus denen unverhohlen genug die Eifersucht sprach, und schüttelte den Kopf. „Unser Adel ist uralt und gehört zu der eingesessenen Aristokratie Polens. Aber die Familie ist verarmt und wir waren sechs Geschwister.“
„Ihr Vater hat eine hohe Stellung in Polen bekleidet?“
„Sire, das war in dieser Zeit der allgemeinen Wirren nicht möglich. Auch starb mein Vater, als ich noch ganz klein war. Ich habe ihn eigentlich nie gekannt und nur die Erinnerung an unsere gute Mutter behalten, die ihr ganzes Leben lang gekämpft hat, um unser altes Erbgut zu retten. Sie sandte uns Mädchen in Warschauer Pensionen, damit wir etwas lernten, und man lehrte uns französisch, deutsch, unterrichtete uns in Musik und auch im Tanz.
So war meine Bildung nicht eben abgeschlossen, als ich aus der Pension nach Hause zurückkehrte, und es blieb mir überlassen, mich weiter auszubilden.“
„Das haben Sie getan.“
„Sire, ich habe von Jugend auf ein grosses Interesse für die schönen Künste und die Wissenschaften gehabt. Denen wandte ich mich zu, und ich war bemüht, mich mit allen grossen Männern der polnischen Kunst und Literatur vertraut zu machen.“
„Und Sie vernachlässigten unsere grossen Franzosen.“
„Nein, Sire. Aber ich war auch in der Kunst Patriotin.“
„Und wie kam es, dass der Graf ...“
„Sire, ich habe in der glücklichen Zeit, von der ich eben sprach, nur zwei heilige Dinge gekannt: Die Liebe zu Gott und mein Vaterland. Mehr verstand ich nicht, und die Liebe war mir ein siebenfach verschlossenes Tor.“
„Wie auch jetzt noch,“ warf Napoleon lächelnd ein.
Maria errötete und zauderte einen Moment, fortzufahren. Aber der Kaiser ermutigte sie durch eine Handbewegung.
„Ich hätte nie einen Russen oder Preussen heiraten wollen, denn beide waren Feinde unseres Landes. Trotzdem wollte es das Unglück, dass ich mich in einen Russen verliebte ..“
„Ah...“ machte der Kaiser wieder.
„Er war ein liebenswürdiger und, wie ich glaube, auch guter Mensch,“ wandte Maria wie zu ihrer Entschuldigung ein.
„Er war jung?“
„Nicht eben, Sire.“
„Und hiess?“
„Iwanowitsch Platow.“
Der Kaiser prägte sich sogleich mit der ihm eigenen Sicherheit diesen Namen unauslöschlich in sein Gedächtnis ein. Er kannte diesen Russen wohl. Vor 25 Jahren schon hatte Platow unter Suwarow an der Krim mit Auszeichnung gefochten. Seit sechs Jahren war er Hetman des donischen Heeres, Oberkommandierender aller russischen Kosaken, ein gefährlicher Feind des Kaisers, der auch jetzt gegen ihn im Felde stand.
Aber er liess sich nichts von seinen Empfindungen merken. Maria fuhr fort:
„Ich konnte seine Frau nicht werden, denn er war Russe, auch nicht vom Adel. Seine Tapferkeit allerdings war ein Freibrief auf eine ruhmvolle Laufbahn — aber er war Russe. Ich musste ihn vergessen.“
„Es fiel Ihnen nicht leicht, Madame?“
„Nein,“ erwiderte Maria ehrlich. Das Gesicht des Kaisers verfinsterte sich. Aber die junge Frau bemerkte es nicht.
„Mein zweiter Freier war der Graf Anastasius Colonna von Walewice Walewski. Er war bereits das zweite Mal Witwer. Sein ältester Enkel war um meun Jahre älter als ich, aber — er war reich.“
„Und Maria Lascinski hat sich — verkauft?“
Maria wurde bleich und sah den Kaiser erschrocken an, der plötzlich — nur für einen Augenblick — die Maske fallen liess und den rücksichtslosen Cäsar zeigte.
„Sire,“ stammelte sie kaum hörbar, „dort, wo unser Stammschloss stand, war er der höchste Herr. Wir kamen oft an seine Mittagstafel. Er war gegen uns ein Fürst. Bei dem verstorbenen König hat er als Kammerherr Dienst getan. Er trug das blaue Band des weissen Adlerordens. Er ist der Senior eines der ältesten Geschlechter Polens. Sein Stammbaum reicht bis zu den römischen Colonnas, und seine Ahnherren waren jene Männer Stefano und Sciarra, die nach abenteuerlichen Schicksalen und erbitterten Kämpfen um Roms willen ihr Leben liessen. Das Blut jenes Prospero fliesst in seinen Adern, der den Franzosen Italien in blutigen Siegen entriss, und dem sein Vaterland den Beinamen gab: Paganorum defensor et italicae gentis pater.“
„Darum heirateten Sie ihn, den Siebzigjährigen?“
„Sire, ich achtete und ehrte ihn. Aber meine Familie wurde nicht müde, mir zuzureden, ihn zu lieben. Er warb um mich, aber der Gedanke, seine Frau zu werden, warf mich aufs Krankenlager, und ich schwebte vier Monate lang zwischen Leben und Tod.“
„Und dann liess man noch immer nicht von Ihnen ab?“
„Genesen, führte man mich zum Altar. Ich war nicht viel älter als fünfzehn Jahre, und von da an lebte ich in Zurückgezogenheit und einsam auf Schloss Walewice.“
„Arme Frau!“
„Sagen Sie das nicht, Sire! Ich war reich in meinem Glauben an Gott und in den Träumen, mein Vaterland wieder gross und stark zu sehen. Als die Kunde von Ihren Siegen zu mir drang, da setzte ich alle meine Hoffnung auf Ew. Majestät.“
„Man hat Ihnen von mir erzählt?“
„Sire, das war nicht nötig. Ich kenne die Geschichte all Ihrer Schlachten.“
„Und Sie schwärmten nicht ein klein wenig von mir?“
„Es gibt keinen guten Polen, der nicht alles von Ew. Majestät erwartet. Ja, ich gestehe, dass ich auf die Kunde, Ew. Majestät nähere sich Warschau, Ihnen nach Pulstuck entgegeneilte und unter den Leuten stand, die Ihren Reisewagen in dem kleinen Städtchen Bronie umstanden. Nur, um Sie zu sehen.“
Maria wurde immer eifriger und zutraulicher. Sie ging aus sich heraus, stand Rede und Antwort, weihte den Kaiser wie einen guten Freund in die Geheimnisse ihres Hauses ein, führte ihn durch ihre Mädchenjahre, zeigte ihm die leuchtenden Bilder ihrer ersten Jugend und brachte ihn durch kleine, sonderbare Mädcheneinfälle zum Lachen. — Sie weckte sein Interesse für alle die vielen Nebensächlichkeiten, die das Herz und den Kopf einer jungen Frau von achtzehn Jahren füllen.
So sassen sie Hand in Hand.
Napoleon musste schliesslich von seinen Feldzügen berichten. Er tat es mit dem Feuer, das ihm in solchen Augenblicken beim Sprechen eigen war und das seltsam von seiner Haltung während des Erlebnisses selbst abstach. Denn in den Schlachten bewahrte er in allen Phasen eine eiserne Ruhe. —
Durch die hohen Fenster stahl sich der Morgen.
Maria erhob sich schnell.
„Sire, es wird Tag.“
Napoleon lächelte über ihren Schrecken.
„Sie sind also einer grossen Gefahr entronnen, Maria.“
Sie lächelte ihn schelmisch an.
„Ich glaube nicht.“
„Warum jetzt nicht mehr?“
„Ich habe aufgehört, den Kaiser zu fürchten.“
„Und werden lernen, ihn zu lieben?“
„Der Kaiser begehrt nur den Leib der Frauen, auf die sein Auge fällt.“
„Sie täuschen sich, Maria,“ entgegnete Napoleon mit Wärme. „Die Frauen, die Napoleon lieben könnte, wissen ihm nicht mehr zu bieten. Die Gräfin Walewska aber bittet Bonaparte um ihr Herz.“
„Was könnte ich Ihnen sein?“ fragte Maria nicht ohne den Wunsch, das Gespräch auf Polen zu lenken.
„Coer-Dame. Ist das zu wenig?“
„Es ist mehr, als ich vielleicht ertragen könnte, zu fassen vermöchte,“ entgegnete sie hastig.
Denn in diesem Augenblick fühlte sie, dass sie den kleinen Mann, der den schönsten Kopf Europas hatte, Liebte.
„Und Sie versprechen mir, wieder zu kommen?“
„Ich verspreche es Ihnen.“
„Morgen?“
„So schnell es mir möglich ist.“
„Und so bald Sie der Wunsch treibt, Polen durch mich zu befreien,“ ergänzte Napoleon bitter.
Sie schüttelte den Kopf. Aber sie blieb stumm. Napoleon selber hüllte sie in Mantel und Schleier.
Der getreue Duroc wartete. Er geleitete sie zum Wagen. Sie schlüpfte hinein. Noch einen schnellen, verstohlenen Gruss warf sie zu dem Fenster empor, hinter dem Napoleon stand.
Dann rollte der Wagen fort.
In dieser Nacht hätte Napoleon Bonaparte eine der reizendsten und liebenswertesten Frauen der Erde besitzen können. Er hatte darauf verzichtet und für das versäumte Vergnügen das Höchste eingetauscht, was einem Manne, und wäre er der Herr der Welt, geschehen kann:
Er wurde geliebt.