Читать книгу Ein Liebestraum. Napoleon I. Gräfin von Walewska - Robert Heymann - Страница 9
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ОглавлениеDie Kaiserin wurde ungeduldig. Es war vereinbart worden, dass Napoleon sie nach Warschau kommen lassen würde. So war sie nach Mainz gereist und wartete hier auf weitere Nachrichten. Kurrier um Kurrier traf von ihr in Warschau ein und meldete ihre Ungeduld. Aber Napoleon konnte jetzt Josephine nicht gebrauchen.
Seine Liebe zu ihr war anderer Art als zu Maria. Sie war die Gefährtin seiner Jugend, die Zeugin seiner Erfolge, die Freundin, die er nicht hätte missen können. Aber die Zeiten, wo er als General Bonaparte aus dem italienischen Feldzug schrieb:
„Meine einzige Josephine! Fern von Dir gibt es keine Freude für mich! Fern von Dir ist die Welt eine Wüste, in der ich einsam und verlassen stehe“ — diese Zeiten waren durch Josephinens Schuld vorüber. Die Liebe Bonapartes hatte sich in die echte Freundschaft des Kaisers gewandelt. Aber die heisse, korsikanische Liebe brach immer wieder in Napoleon durch, und nun gehörte sie Maria Walewska, ihr allein.
Er hielt Josephine hin. Die Wege seien zu schlecht, der Kaiserliche Reisewagen würde im Moraste stecken bleiben. Zum Schluss sei sein Aufenthalt in Warschau nur mehr nach Tagen bemessen, denn er erwarte stündlich eine entscheidende Bewegung der russischen Armee.
Talleyrand, Napoleons Minister des Aeussern, war auch in vielen privaten Dingen sein Vertrauter. Der Kaiser, sonst so sicher in der Beurteilung seiner Umgebung, liess sich von diesem Manne täuschen, die erste Zeit vielleicht bewusst, denn er musste den Diplomaten schätzen, der ihm den Staatsstreich erleichtert und die Friedensschlüsse von Lüneville und Amiens durchgesetzt hatte, der das Konkordat in Frankreich begründete und in diplomatischen Fragen stets am klügsten zu raten wusste.
Napoleon bedachte nicht, dass Talleyrand aus jenem Adel war, der dem Emporkömmling aus Korsika ewig die Macht missgönnte. Dass dieser Mann mit dem lahmen Bein erst Priester, dann Politiker, dann Kaufmann und schliesslich Minister gewesen war. Er verzieh ihm die Heirat mit Madame Grant, zu der Papst Pius VII. seinen Segen gegeben, obgleich sie die grösste Dirne Frankreichs war, die nacheinander Tallien, Barras, Ouvrards und noch einem Dutzend anderen Männern angehört hatte. Er war überhaupt sehr nachsichtig gegen diesen geborenen Verräter und Spieler, dem der Spekulant im Blute lag, gleichviel, ob das Objekt ein goldener Einsatz oder eine Kaiserkrone war.
Vielleicht entschuldigte der spöttische Geist und die überlegene Ironie, die der Diplomat besass, ihn in den Augen Napoleons. Jedenfalls war er es, der die pikanten Abenteuer des Kaisers in der Pariser Hofgesellschaft kursieren liess, ohne dass der Imperator darauf gekommen wäre, wer der Schwätzer war.
Talleyrand war längst in die Warschauer Sensation eingeweiht, schneller vielleicht als der Polizeiminister Fouché in Paris. Er machte Napoleon nach dem Diner einige diskrete Vorstellungen wegen der Kaiserin.
Aber Napoleon erwiderte ihm kalt:
„Ich bin nicht ein Mann wie andere, und die Gesetze der Moral und Schicklichkeit können nicht auf mich angewandt werden.“
„Aber auf die Kaiserin,“ entgegnete Talleyrand.
Darauf der Kaiser lächelnd:
„Sie soll und wird mir keine Vorwürfe machen. Ich werde diese Angelegenheit auch nicht vor ihr verheimlichen. Die Untreue eines Mannes hinterlässt für ihn nicht die geringste Spur. Die Frau wird zwar zuerst ärgerlich sein, vergibt jedoch. Manchmal gewinnt sie sogar dabei. Nicht dasselbe ist es mit der Untreue der Frau. Wer bürgt dafür, dass ihr Fehler keine Folgen hinterlassen hat? Das Unheil ist nicht wieder gut zu machen, und deshalb darf und kann sie nicht dasselbe tun wie der Mann. Die Verpflichtung der Frau ist Unterwürfigkeit und Abhängigkeit.“
Talleyrand, der, wie die Aufführung seiner Gattin bewies, nicht die Mannesgabe besass, solche Theorieen in die Tat umzusetzen, erwiderte etwas spöttisch, dass unter solchen Gesichtspunkten die Liebe nicht eben allzureich bedacht würde.
Der Kaiser, der den Stachel fühlte und wohl ahnte, dass der schlaue Fuchs ihn wegen Maria Walewska ausholen wollte, erwiderte gelassen:
„Wissen Sie noch nicht, Fürst, dass die Liebe nicht für mich geschaffen ist? Was ist überhaupt Liebe? Eine Leidenschaft, die alles, die ganze Welt links liegen lässt und nur den angebeteten Gegenstand sieht. Bin ich dazu geschaffen, mich einer solchen Einseitigkeit hinzugeben?“
Ohne die Antwort seines Ministers abzuwarten, erhob sich Napoleon.
Als er sein Kabinett betrat, erwartete ihn eine Botschaft Bernadottes.
Der Kaiser las sie, befahl augenblicklich Rustan, seinem getreuen Mameluken, die nötigsten Effekten bereit zu halten, und reiste am selben Tage ab, ohne Maria Walewska noch einmal gesehen zu haben.
Es war in der Nacht des 31. Januar. Eine der mörderischsten Schlachten, die die Weltgeschichte kennt, sollte geschlagen werden.
Kurz vor seiner Abreise schrieb Napoleon der Geliebten:
„Ich ziehe in den Krieg, Maria. Erwarte in Kürze meine Nachrichten, es soll nichts auf Erden geben, das imstande wäre, uns zu trennen.“
Im Feldlager fand Napoleon noch Zeit, den Kurfürsten von Sachsen zum König zu erheben. Unter den legitimen Fürsten war dieser sein treuester Freund, der einzige jedenfalls, der es mit Versprechungen und Eidschwüren genau nahm. — Die übrigen Souveräne stutzten sich ihre Moral nach Gutdünken zurecht.
Murat erwartete den Kaiser in Willenberg. Bei Passenheim traf Napoleon mit seiner Armee auf die Russen, aber diese gingen sogleich nach Suktdorf zurück.
Die Russen und die letzten Trümmer der preussischen Armee wurden von dem General Bennigsen kommandiert.
Napoleon, der schon der Meinung war, die Moskowiter seien eingeschlossen, warf sich mit der Garde und dem dritten und siebenten Korps auf sie und befahl Soult, die Brücke bei Bergfried zu stürmen, um den linken Flügel des Feindes zu umgehen.
Zwölf russische Bataillone verteidigten die Brücke mit Heldenmut. Aber der Marschall führte im Sturmschritt seine Kolonnen heran und warf den Feind mit unwiderstehlicher Gewalt. Die Russen liessen vier Kanonen und viele Tote zurück.
Nun folgten in kurzen Abständen die Gefechte von Waltersdorf, Deppen, Hoff, in denen die Franzosen siegreich blieben.
Am 6. Februar standen sich Franzosen und Russen mit den verbündeten Preussen auf die Entfernung eines Kanonenschusses bei Preussisch-Eylau gegenüber.
Napoleon verliess in aller Morgenfrühe sein Zelt und bestieg sein weisses Schlachtross, auf dem er nicht nur den eigenen Soldaten, sondern auch dem Feinde weithin sichtbar war. Denn zu jener Zeit waren die kämpfenden Parteien nicht weit getrennt, und die Siege der Napoleonischen Armee beruhten in der Hauptsache auf verwegenen Reiterangriffen und wütenden Bajonettstürmen.
Mit diesen beiden Waffen wusste der Korse unvergleichlich zu operieren.
Der Kaiser sah sofort, dass es diesmal zu einer entscheidenden Schlacht kommen würde. Bennigsen hatte an Artillerie an sich gezogen, was er nur in der Eile hatte erreichen können. Er leitete die Schlacht durch eine fürchterliche Kanonade ein, was Napoleon bewog, gleich zu Beginn des Kampfes umfassende Massregeln zu treffen, um seine Truppen bis zum letzten Mann einsetzen zu können.
Schon im Morgengrauen rasselten die wertvollen Batterieen der Garde hinaus. Das war das Zeichen für die ganze Armee: Der Tag würde heiss werden.
Es herrschte ein wildes Schneegestöber. Ein eisiger Wind pfiff über das Feld und trieb Napoleon die Flocken ins Gesicht, dass er unausgesetzt das Fernglas wieder absetzen und reinigen musste.
Man sah nur sehr verschwommen den Aufmarsch der feindlichen Armee.
In diesem Augenblick trug das eherne Gesicht Napoleons keinen Schimmer einer Erinnerung an gestern. Kein Zug ähnelte mehr mit jenem hinreissenden Lächeln, durch das er Männer und Frauen zu bezaubern verstand.
Es gab vielleicht keinen Menschen auf Erden, der so die Gabe besass wie er, sich zu konzentrieren. So, wie er seine Angriffe stets mit grösster Geschicklichkeit in entscheidenen Momenten auf einen Punkt zu dirigieren wusste, verstand er es, seinen Geist nur auf den einen Tag, auf die einzige Aufgabe, die jetzt vor ihm lag, einzustellen.
Der Kaiser gab Befehl: Der Marschall Augereau sollte mit seinem Armeekorps direkt auf das Feuer der Russen losmarschieren.
In solchen Augenblicken dachte Napoleon an keine Schonung der Soldaten. Augereau war der Mann, im fürchterlichsten Kugelregen wie auf der Parade zu kommandieren. Seit zwei Jahren war er Herzog von Castiglione. Aber er hatte sicher noch nicht die Hoffnung aufgegeben, einst Kaiser von Frankreich zu werden, denn es gab kein Ziel, das seinem Ehrgeiz zu hoch gespannt gewesen wäre. Inzwischen vergoss er sein Blut für Napoleon, der ihm himmelweit überlegen war.
Dieser Sohn eines Pariser Obsthändlers, ehemaliger Deserteur und Fechtmeister, führte also sein Korps durch den dichtesten Kugelregen vorwärts.
Aber der Schnee war gefährlicher als die Gewehrkugeln und Kartätschen. Er bildete einen beweglichen, undurchdringlichen Schleier.
Er verlegte Augereau die Aussicht, und da dieser Marschall nur eines kannte: Vorwärts marschieren — gleichviel wohin, so verlor er die Richtung und befand sich auf einmal mitten im russischen Flügel, zwischen den feindlichen Generälen Tuschukoff und Doctorow.
Die Kolonnen formierten augenblichlich Karrées, aber es war nicht mehr möglich, sich klar zu verständigen. Der Marschall versuchte, aus diesem Labyrinth herauszukommen, aber der Feind hatte seinen Vorteil sogleich bemerkt und trieb die in Unordnung geratenen Bataillone auseinander. Augereau, wie ein Löwe fechtend, versuchte immer von neuem, seine Korps zu sammeln, bis eine Kugel ihn vom Pferde riss. Seine Soldaten schafften ihn aus dem Getümmel.
Aber von dem ganzen Korps war nicht mehr viel übrig.
Starr vor Schrecken sahen die Adjutanten Napoleons, sein ganzer Stab, was geschehen war, als das Schneegestöber ein wenig nachliess. Die ganze französische Armee war in Gefahr, umgangen zu werden. Es war ein kritischer Augenblick, und eigentlich konnte sich niemand denken, wie das schon unvermeidliche Unglück noch aufgehalten werden könnte, denn schon waren die Russen, ermutigt durch die Schlappe Augereaus, auf der ganzen Linie im Vorrücken.
Der Caesar wandte sich kalt und ruhig an seine Ordonnanzen:
„Die Marschälle Murat und Bessières mit siebzig Schwadronen gegen das Zentrum.“
Ein echt napoleonnischer Befehl. 70 Schwadronen gegen eine ungeheure Ueberlegenheit, gegen ein fest geschlossenes siegreiches Ganzes.
Die Ordenanzen jagten fort.
Das Schneegestöber setzte von neuem ein. Die Kälte wurde unerträglich. Pfeifend fegte der Ostwind die Flocken dem Kaiser ins Gesicht.
Man sah kaum mehr etwas.
Nur dies: Ein Gewimmel von Reitern. 14 Regimenter jagten mit verhängten Zügeln in die Schlacht. Voran Murat mit seinen weithin sichtbaren wallenden Federbüschen. Ihm zur Seite der brave Bessières, Napoleons ärmster Marschall, Waffengenosse seit dem Italienischen Feldzug.
Mit einem ungeheuerlichen Anprall stiessen die Schwadronen auf die Kavallerie des feindlichen Zentrums. Die Reiter gerieten ins Wanken, wurden niedergeworfen, zersprengt, und weiter rasten die Muratschen Schwadronen in das feindliche Fussvolk hinein. Augereaus Korps bekam Luft.
Die Reiterei durchbrach die Mauer der russischen Infanterie und sammelte sich in ihrem Rücken. Von da durchrannten die Reiter zum zweitenmal das ganze feindliche Zentrum.
Aber noch stand die Schlacht, denn Bennigsen wusste den General Lestoqu mit preussischen Truppen unterwegs, und bot alles auf, seine Position zu halten.
Schon floss beiderseits das Blut in Strömen. Die weissen Regimenter Napoleons waren nicht mehr erkenntlich. Sie glichen roten Husaren, so waren sie in Blut getaucht in diesem mörderischen Schlachten.
Davoust und Ney waren im Anmarsch. Der Herzog von Auerstädt marschierte dem Feind in den Rücken, Ney brach in die Flanke der Russen. Aber immer noch stand die Schlacht.
Napoleon schleuderte die Garde seiner Kavallerie nach. Bennigsen sah seine Arriéregarde gefährdet und warf seinerseits die russische Garde gegen das Dorf Schlobitten mit dem Befehl, es zu nehmen um jeden Preis.
Der Kaiser sandte seinen Soldaten in Schlobitten den Befehl, sich zu halten, und wenn der letzte Mann fallen müsste.
Sie hielten sich, die französischen Soldaten, obgleich die gefürchteten russischen Grenadiere mit Todesverachtung stürmten. Ja, die Franzosen warfen sie so glänzend zurück, dass die feindliche Garde in Auflösung auf ihr Zentrum flutete.
Wieder durchbrachen die französischen Reiterregimenter die russischen Linien. Aber jetzt standen diese trotzig, wie aus Stahl zusammengeschweisst. Tod und Verderben verbreitete sich rund um Murats Schwadronen. Aber die Russen standen. Ein fürchterliches Gemetzel hub an. Die Russen kämpften bis zum letzten Hauch. Die französischen Reiterregimenter fochten sich mit ungeheuren Verlusten durch — zum drittenmal ...
„Wenn nur Bernadotte käme,“ murmelte Napoleon.
Bernadotte stand in der Nähe. Er hörte den Kanonendonner. Aber dieser eitle Narr regte sich nicht. Sein Untergeneral d’ Hautpoul beschwor ihn, zu marschieren.
Bernadotte verwies eigensinnig auf seine Ordre-Napoleon hatte sie aber ohne Kenntnis der bevorstehenden Schlacht bei Eylau gegeben.
Es war, als ob die französischen Batterien um Hilfe brüllten. Da rasselten d’ Hautpoul und sein Freund Dahlmann, Kommandeur der reitenden Jäger, mit den Kürassieren los: Auf den Kanonendonner.
Im kritischsten Augenblick erschienen sie in der Schlacht und warfen sich auf die halb erschütteret feindliche Infanterie. Mitten durch die ganze russische Armee rasselten die Kürassiere, an der Spitze d’ Hautpoul und Dahlmann.
„Davoust muss eingetroffen sein,“ sagte Napoleon, durch die wilde Bewegung getäuscht. Aber auch Davoust war in dem Schneegestöber vom Wege abgekommen und noch auf dem Marsch. Jetzt erst bemerkte der Kaiser, wer die Braven waren, die sich durch die ganze feindliche Schlachtlinie durchschlugen. Seine Mienen hellten sich auf.
Erst nach Austerlitz hatte d’ Hautpoul das Grosskreuz der Ehrenlegion aus des Kaisers Händen empfangen. Heute verdiente er sich die Marschallswürde.
Aber eine Granate schlug ihm in den Leib, in dem Augenblick, als er seine Kürassiere mitten im feindlichen Geschützfeuer sammelte. Dahlmann führte den Angriff fort. D’ Hautpoul konnte nicht mehr reden. Sein armer Leib war zerfetzt von Kugeln. Nach einer Weile fiel auch Dahlman. Wie die Mücken verschwanden die Offiziere. Die Verluste waren ungeheuerlich.
Es wurde Mittag.
Die Schlacht stand immer noch.
Da geriet plötzlich der linke russische Flügel ersichtlich ins Schwanken.
„Davoust ist da,“ sagte Napoleon. Er ritt vorwärts, der Schlacht entgegen.
Berthier, Marschall und Chef des Generalstabs, des Kaisers persönlicher und aufrichtiger Freund, verstellte ihm den Weg.
„Sire, hier ist nicht Ihr Platz.“
„Mein Platz ist unter der Armee, Marschall.“
„Sie dürfen sich nicht der Gefahr aussetzen, erschossen zu werden.“
Der Kaiser lächelte Berthier an und erwiderte:
„Die Kugel, die mich treffen soll, ist noch nicht gegossen.“
In diesem Augenblick durchbrach ein Schmerzensschrei das Getümmel um Napoleon. Alle hohen Offiziere jagten auseinander, Ross und Reiter stürzten, die Pferde bäumten sich hoch auf in Todesangst.
General Corbineau lag, von einer Kugel getroffen, tot unter seinem Pferde, dicht neben dem Kaiser.
Berthier ergriff den Schimmel Napoleons am Zügel und riss ihn gewaltsam zurück.
Napoleon sah auf den Toten und zuckte die Achseln. Dann setzte er das Fernrohr ab, gab seinem Pferde die Sporen und jagte einen Hügel empor, mitten in das feindliche Kartätschenfeuer.
„Majestät, ich lehne die Verantwortung ab,“ rief Berthier in aufrichtiger Angst — nicht um sich, obgleich eine liebliche Braut, die Prinzessin Maria Elisabeth Amalia von Bayern, auf ihn wartete. Er liebte den Korsen. Er selber war Soldat vom Scheitel bis zur Sohle, ebenso wie sein Bruder Victor Leopold, der zur Zeit dieser Schlacht in Paris im Sterben lag, während der andere Bruder César als Generalstabschef an der holländischen Grenze stand.
Kaum war der Kaiser mit seinem Gefolge auf dem Hügel angekommen, als die Kugeln der feindlichen Artillerie in nächster Nähe einschlugen. Aber weder Berthier noch sonst ein General wagten noch, auf Napoleon einzuwirken, denn schon standen alle unter dem aufreizenden Einfluss des fürchterlichen Blutbades, in das die Schlacht ausartete.
Gegen sechzehn Generäle waren schon zu den französischen Ambulanzen gebracht, davon die meisten tot — und immer noch wütete die Schlacht ungeschwächt fort.
Heudelet hat eine Kugel in den Leib bekommen. — Defrance ist tot. — Desjardins ist eben gefallen. — Die Meldungen überstürzten sich. —
Indessen drängte Davoust den Feind mit gewohnter Energie bis nach Sausgarten zurück. Aber hier stand die Schlacht von neuem. Freund und Feind waren zu Tode erschöpft. Aber man focht mit unverminderter Erbitterung weiter. Endlich wichen die Russen über Auklappen und Kutschitten zurück. Da erschien der preussische General Lestoqu. Wie aus der Erde gewachsen waren die Preussen mit einem Male da. Sie hatten im dichtesten Schneegestöber einen bewundernswerten Eilmarsch gemacht, an dem sie auch Ney nicht hatte hindern können. 5500 Mann frische Truppen warfen sich gegen die Franzosen vor Kutschitten. Die französischen Regimenter wurden aus ihren eroberten Positionen herausgeworfen. Davoust jagte umher und schrie und tobte, dass nur keine allgemeine Verwirrung entstand und der Rückzug in Ordnung vor sich ging.
Es dunkelte.
Die französischen Kolonnen schöpften Atem. Von neuem gingen sie zum Angriff vor. Davoust focht erhaben. Murat jagte wieder mit seinen Reitern los.
Napoleon sagte:
„Wir haben gesiegt, wenn wir nur das Schlachtfeld behaupten.“
Bernadotte kam nicht. Aber mit einem Male jagte der General Dorsenne heran, gefolgt von einem Korps der Garde, das im Laufschritt daherkam.
Unter den hohen Bärenmützen lohten die Augen der tapfersten und begeistertsten Soldaten Napoleons.
Sie schlossen augenblicklich ein Carrée um den Kaiser. Die Offiziere und Marschälle, die ihn umgaben, drängten enger zusammen.
Die Hand des Caesar glitt langsam zum Degen.
Eine Abteilung russischer Kavallerie stürmte über das Blachfeld auf den Hügel los, wo der Kaiser stand.
Sie wollten Napoleon gefangen nehmen.
Aber als sie nahe kamen und die Mauer der kaiserlichen Grenadiere sahen, die felsenfest, wie zusammengeschmiedet, um den Kaiser standen, da schwenkten sie ab.
Napoleon sah Dorsenne eine Sekunde mit einem kalten Lächeln an.
Es wurde finster.
Die Kanonen schwiegen.
Der Kaiser ritt aus der Schlacht. Aber er blieb am Schlachtfeld.
Und im Laufe der Nacht zogen sich die Russen zurück und liessen vierundzwanzig Kanonen auf dem Schlachtfelde. 20000 Mann waren gefallen.
Auf Seite der Franzosen waren die Verluste kaum geringer.
D’ Hautpoul bekam aus vierundzwanzig russischen Kanonen ein Denkmal.
Napoleon war sehr niedergeschlagen. Er schlief einige Stunden.
Trotzdem am Morgen sein Sieg unbestritten war, verfolgte ihn die Vorstellung von den furchtbaren Verlusten, die seine Truppen erlitten hatten. Sechzehn Generäle waren tot, die Zahl der gefallenen Offiziere gar nicht zu ermessen!
Er schrieb einen Brief an Josephine:
„Es gab gestern eine grosse Schlacht. Der Sieg ist mir geblieben, aber ich habe viele Leute verloren. Der Verlust des Feindes ist zwar noch beträchtlicher, vermag mich aber nicht zu trösten. Das Land ist mit Toten und Verwundeten bedeckt. Das ist eben nicht die schöne Seite des Krieges. Ich leide und meine Seele fühlt sich gedrückt, so viele Opfer zu sehen.“
Es waren nicht nur Gewissensbisse, die aus diesen Zeilen sprachen.
Die Gedrücktheit kam auch in dem Bulletin zum Ausdruck, das in Paris Entsetzen erregte.
Es gab Tage, wo den Kaiser der Krieg erschreckte. Wo er die Allmacht der Gerechtigkeit fürchtete, die er in der Geschichte Frankreichs sehen konnte, wenn er nur wollte.
Es gab Stunden, wo er an seiner Mission verzweifelte. Denn das gab ihm die Kraft in allem — die Kraft zu Blutbädern und Todesurteilen —: Dass er berufen war, so zu handeln.
Und dass er den Frieden wollte.
Das war sein ehrlicher Wille. Aber die Wege, die er zu dem ersehnten Frieden einschlug, führten alle zu seinem Thron zurück. Und seine Adler sollten in den Himmel wachsen.