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Es war eine kampfesreiche, schwere Zeit, die hinter dem Gymnasiasten lag. Sein Vater war Arzt in einem kleinen norddeutschen Landstädtchen gewesen, er hatte sich für seinen Beruf geopfert und war schliesslich fast ebenso arm gestorben wie damals, als er seine Praxis begonnen hatte.

Für seine Witwe, eine immer noch jugendlich schöne Frau, blieb kaum das Nötigste zurück. Das war eine düstere Zeit damals, als Gerhard aus dem Gymnasium nach Hause kam und ahnungslos in das Sterbezimmer seines Vaters geführt wurde. Noch drückender aber wurde das Leid um den Toten, als Frau Brausewetter mit ihrem Sohn die gänzlich veränderten Verhältnisse besprach.

Gerhard Brausewetter hatte Arzt werden wollen wie sein Vater — ein paar Jahre noch, und die Pforten des Gymnasiums hätten sich hinter ihm geschlossen. Das rührende und in seinen Ehrbegriffen fast spartanische Vorbild des Vaters hatte eine unauslöschliche Begeisterung für den ärztlichen Beruf in ihm wachgerufen.

Da, in dieser traurigen Stimmung eines nebeligen Novembertages, zerrann dieser Traum in nichts, da trat zum erstenmal die unbarmherzige Wirklichkeit in den Kreis der Vorstellungen dieses Jünglings, der bisher vor jeder Enttäuschung bewahrt geblieben war.

Die rasche Art des Entschlusses hatte er von dem Vater geerbt. Er sah ein, dass er unmöglich noch zwei Jahre hindurch seiner Mutter die Last finanzieller Opfer für ihn aufbürden konnte. Im Gegenteil: wenn nicht die Sorge den Lebenskreis dieser Frau verdüstern sollte, die er nicht nur als Mutter zärtlich liebte, der er fast eine scheue Verehrung entgegenbrachte, so musste etwas geschehen, um eine Katastrophe zu verhindern.

Nächte hindurch hatte damals Gerhard Brausewetter, in Nachdenken versunken, wach auf seinem Lager gelegen, bis er sich endlich den schweren Entschluss abgerungen hatte: das Gymnasium zu verlassen, mit allen Kräften zu versuchen, eine Lebensstellung zu erringen, die, mochte sie vorläufig noch so gering sein, ihn wenigstens selbständig machte; so dass die Mutter das Wenige, was sie besass, für sich allein aufwenden konnte.

Sie hatte zwar anfangs leidenschaftlichen Widerstand geleistet, aber die Verhältnisse wären stärker — bald, nachdem Dr. Brausewetter der Erde gegeben war, verliess sein Sohn das Gymnasium und trat bei einem angesehenen Kaufmann in Darmstadt, wohin Frau Dr. Brausewetter übersiedelte, in die Lehre.

Der Kaufherr Friedrich Sturm erfuhr bald, wie sich in einer kleinen Stadt eben Ungewöhnliches schnell herumspricht, von dem Schicksal seines Lehrlings, dem er besondere Sympathie entgegenbrachte. Einmal in seinem neuen Wirkungskreis, bot Gerhard Brausewetter alles auf, so schnell wie möglich vorwärts zu kommen, und erwarb sich so neben der Achtung auch das besondere Vertrauen seines Chefs, so dass er schon nach Ablauf eines Jahres in der Lage war, seiner Mutter kleine Beträge als Entgelt für Wohnung und Unterhalt zu geben.

Er schien sich mit seinem neuen Schicksal ausgesöhnt zu haben. In Wirklichkeit aber hatte er die Veränderung durchaus nicht überwunden. Er sah voll Bitterkeit der Zeit entgegen, wo seine ehemaligen Kameraden das Gymnasium verlassen und in ein neues, an Ehren und Würden reiches Leben eintreten würden, dessen Pforten ihm nun verschlossen waren. Der nüchterne Kaufmannsstand sagte ihm nicht zu; seine Ideale liessen sich nicht zügeln, und obwohl Friedrich Sturm alles tat, um sein Interesse für Zahlen und Geschäfte zu heben, hing Gerhard Brausewetters Sehnsucht nach wie vor an dem Verlorenen.

Da trat, nachdem er seit einem Jahr das Gymnasium verlassen, eine unerwartete Wendung ein. Ein entfernter Verwandter Frau Dr. Brausewetters war in Amerika ohne Nachkommen gestorben, und da sich Weitere Verwandte nicht nachweisen liessen, so fiel das beträchtliche Vermögen der Witwe des Arztes zu.

Gerhard Brausewetter war immer von neuem heimlich zu seinen Büchern zurückgekehrt; die plötzliche Veränderung rief wieder den flammenden Wunsch in ihm wach, nachzuholen, was er versäumt, zurückzukehren aufs Gymnasium und, wenn auch etwas später als seine früheren Kameraden, das Abitur zu machen.

Friedrich Sturm bedauerte tief, ihn ziehen lassen zu müssen. Er war jedoch gerecht genug, Brausewetters Entschluss zu billigen. Das grosse Geschäft in Darmstadt war nur eine Zweigniederlage des Hamburger Exporthauses, dem Sturms Bruder vorstand. Der Einfluss der Millionärsfamilie reichte weit; der Fürsprache und der Verwendung seines früheren Chefs hatte Gerhard es zu danken, dass er schneller, als er hoffen durfte, wieder im Gymnasium Aufnahme fand, nachdem er sich einige Monate in rastloser Tätigkeit für die Unterprima vorbereitet hatte.

Er zählte nun allerdings nicht mehr zu den Jungen, war ein grosser, schon stattlicher junger Mann von achtzehn Jahren, dem überdies die einjährige Selbständigkeit ein sicheres, unabhängiges Auftreten verliehen hatte.

Er errang sich ein günstiges Abgangszeugnis aus der Unterprima. Nun zeigten sich aber doch die Folgen der Überanstrengung. Er bedurfte dringend der Erholung, um so mehr, als er sich ja auch gleichzeitig von neuem für die Oberprima vorbereiten musste, wenn sein sehnsüchtiger Wunsch, ohne weiteren Zeitverlust das Abitur zu bestehen, in Erfüllung gehen sollte.

Friedrich Sturm, der Kaufherr, war ihm wieder behilflich. Er hatte sich eines alten Freundes aus der Zeit, da er selbst das Gymnasium besucht, erinnert, des Pastors Winkelmann in F., mit dem er stets in Verbindung geblieben war. Mit diesem hatte er wegen Gerhard Brausewetter mehrere Briefe getauscht. Der Pastor erklärte sich mit Vergnügen bereit, die Vorbereitung des jungen Mannes für die Oberprima zu übernehmen, und da die Gegend, in ihrer Stille und Schönheit vollauf Gelegenheit zur Erholung und Zurückgezogenheit bot, so war Gerhard Brausewetter mit seiner Mutter und dem Kaufherrn übereingekommen, die Ferien dort zu verbringen.

So war er dann bei Pastor Winkelmann gelandet!

Ein Junge liebt ein Mädel: Annemarie Land

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