Читать книгу Ein Junge liebt ein Mädel: Annemarie Land - Robert Heymann - Страница 7

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Lieselotte hatte mit schalkhaftem Lächeln gelauscht. Jetzt hob sie das Köpfchen.

„Ein hübsches Lied!“ sagte sie. „Die Melodie kenne ich, aber den Text — —“

„Den hat ein Freund von mir verfasst“, fiel Gerhard lächelnd ein. „Ich hab’ das Lied oft gedankenlos im Kreise meiner Kameraden mitgesungen. Jetzt sind die Worte Wahrheit geworden — ich kann’s immer noch nicht fassen, dass du mich Sausewind liebst!“

Sie erhob sich und strich ihm leicht über das Haar.

„Du wirst dich langsam daran gewöhnen müssen, du lieber Sausewind, du!“ meinte sie lachend. Aber nun komm, wir müssen gehen.“

Arm in Arm gingen sie den Weg zurück, den sie eben gekommen waren. Sie sprachen jetzt kaum von ihrer Liebe — sie war ihnen etwas so Grosses, Schönes, dass sie vielleicht beide fürchteten, durch allzu viele Worte die Empfindungen ihrer Herzen zu stören.

Gerhard sprach von der kurzen Spanne Zeit, die ihn noch vom Abitur trennte.

„Wenn ich das Examen gemacht habe, Lissy, werden wir heiraten.“

Sie schmiegte sich eng an ihn und sagte schelmisch lächelnd:

„Dann bist du ja erst Student . . . dann dauert es noch einmal Jahre, bis du deinen Doktor gemacht hast. Vielleicht trittst du als Student in ein Korps ein — — das wäre ja zu komisch: ein verheirateter Fuchs!“ Sie lachte hell auf.

„So werden wir eben so lange warten, bis ich mir eine Lebensstellung errungen habe“, entgegnete er. „Was tut das, ein paar Jahre früher oder später? Ich habe jetzt ein Ziel im Leben — keine Stunde werde ich in Zukunft verlieren — nur arbeiten, vorwärtsstreben, um dich, mein köstlichstes Gut, sobald als möglich zu gewinnen!“

Hand in Hand gingen Sie die Dorfstrasse entlang.

„Fällt es dir schwer, Gerhard, das alles in dich aufzunehmen? Ich denke mit das schrecklich, tote Bücher zu studieren, all diese lederne Gelehrsamkeit behalten zu müssen!“

Gerhard schüttelte den Kopf.

„So ist das nicht, Lissy. Es kommt nur darauf an, wie man die Dinge ansieht. Sie sind sich ja nie gleich, und allem im Leben, sagt der Vogel, muss man erst aus seinem inneren Reichtum geben, um es schön zu machen.“

Lieselotte lachte.

„Der Vogel? Wer ist das?“

Gerhard erzählte ihr von seinem Ordinarius, Professor Ebers.

„Er ist unvergleichlich! Er lebt eigentlich immer in einer anderen Welt, aber er gibt uns so viel von diesem seinem Leben, dass wir gar nicht wie die andern merken, wie schwer eigentlich diese letzte Zeit des Gymnasiums ist, wo man doch mit aller Kraft nach Freiheit sucht und so gebunden ist.“

Sie standen vor dem Garten des Pastorhauses. Im Studierzimmer des Pastors schimmerte noch Licht.

„Vater wird sich wundern, dass ich so spät heimkomme —“

„Wir wollen ihm morgen sagen, dass wir uns lieben, Lissy —“; doch dann schüttelte er in einem plötzlichen, Entschluss den Kopf: „Nein, Lissy, ich habe es mir überlegt: wir wollen es deinem Vater nicht sagen. Noch nicht! Ich will erst deiner würdig sein, wenn ich vor ihn hintrete und mich zu meiner Liebe bekenne. Ich will erst etwas sein, etwas erreicht haben — —“

„Du hast recht, Gerhard.“ Auch Lieselotte war ernst geworden. ,,Vater würde mich vielleicht nicht ganz begreifen — er ist alt, Gerhard, und er sorgt sich um meine Zukunft — —“

„Deine Zukunft ist klar und hell, Liebste. Ich werde dich auf Händen tragen — ich werde dich verwöhnen und liebhaben — nichts Hässliches soll an dich herankommen, mein Mädel. Und du wirst auf mich warten, nicht wahr?“

„Ja, Gerhard. Ich hab’ dich ja lieb — —“

„Und nun — gute Nacht, Lissy:“ Er küsste sie zart, innig. ,,Träum’ von mir, Liebste — morgen sehen wir uns wieder — jeden Tag, vier Wochen lang!“

„Nur vier Wochen —“ sagte Lieselotte beklommen. „Dann fährst du weg — lässt mich allein — —“

„Wir werden uns schreiben, Lissy — oft, sehr oft. Ich weiss, du wirst tapfer sein, nicht wahr?“

„Ich will es versuchen —“

„Und jetzt haben wir noch vier Wochen des Beisammenseins vor uns — vier lange, wunderbare Wochen!“

Sie nickte zärtlich. „Und nun geh, Liebster. Es ist schon sehr spät. Wirst du dich auch wirklich nicht verirren? Ich mache mir Sorgen —“

„Das brauchst du nicht, Lissy. Gute Nacht, Liebes.“

„Gute Nacht —“

Sie öffnete das Gartentor, das leise in den Angeln knarrte, und eilte durch den Garten in das Haus. Gerhard lehnte am Zaun und sah ihr nach, bis die schmale, zierliche Gestalt hinter der schweren Eichentür des Hauses verschwunden war. Dann trat er den Heimweg an. — — —

Die vier Wochen flossen den beiden Liebenden viel zu schnell dahin. Frau Brausewetter mahnte den Sohn zur Abreise. In vierzehn Tagen würden die Ferien zu Ende sein, und es galt, sich für den letzten Kampf um das Abitur zu rüsten.

Auch Pastor Winkelmann liess Gerhard Brausewetter nur ungern ziehen. Er hatte ihn liebgewonnen in der Zeit, da er fast jeden Tag im Pfarrhause geweilt.

Schliesslich war aber doch der letzte Tag angebrochen. Die Sonne glühte. In weichem Glanz lag ihr Licht über den Höhen und den grünen Wiesen. Es war drückend schwül, kaum Sass von den Höhen ein linder Luftzug wehte, der etwas Kühlung brachte. Die Felder strömten einen heissen Atem aus, der von grellem Sonnenlicht durchflutet war.

Müde schlich der Fluss durch die Wiesen.

Gerhard stieg mit Lieselotte noch einmal hinauf in die Berge.

Die Wälder standen in jenem zarten, lächelnden Grün, das die Seele erheitert und dem Auge wohltut, nur stellenweise von melancholischen Bergschatten durchbrochen. Das Moos glich einem Teppich, der aus tausendfältigem Smaragd von geschäftigen Händen geschaffen schien, und tausend Stimmen, tausend Leben und tausend Liebe surrten, summten und brummten.

Eng aneinandergeschmiegt stiegen sie aufwärts, durch brennende. Ginsterbüsche und kniehohe Blumenfelder, über zackige Felsen und biegsames Strauchwerk.

„Liebster,“ brach Lieselotte das Schweigen, das beide umfing — „nun gehst du wirklich fort von mir — —“

„Aber, Lissy — ich komme wieder!“

„Und — wenn du nicht wiederkommst?“

„Mädel — glaubst du vielleicht, dass ich die Liebe, das grenzenlose Glück, das du mir geschenkt hast, wegwerfe wie eine welke Blume? Deine junge, wunderbare Liebe“

„Und wenn du es tätest — aus Schwäche?“

„Aus Schwäche? Wo ich mein Leben hergeben würde für dich? Das verstehe ich nicht, Lissy.“

„Du verstehst es nicht — jetzt nicht — aber vielleicht — nein, du sollst es nicht verstehen lernen. Du wirst mich also nie, niemals vergessen?“

„Nie, niemals, so wahr ich dich liebe!“

Sie waren auf dem Gipfel eines Hügels angelangt, von dem man Äcker und Wiesen, Wälder und Flüsse bis weit in die Ferne überblicken konnte. Schweigend setzten sie sich auf den schwellenden Moosboden, Gerhards Blick schweifte hinüber zu dem Dörfchen, an dessen Rand in Bäume eingebettet das Pfarrhaus lag.

„Immer wird dieses Fleckchen Erde für mich das schönste auf der Welt bedeuten“, sagte er inbrünstig. „Weil ich dich hier gefunden habe — —“

Lieselotte hatte die Hände um die hochgezogenen Knie gefaltet. „Wenn du nur nicht fortmüsstest,“ stammelte sie — „wenn ich dich nur hierbehalten könnte —“

Gerhard sah sie an. In ihren Augen funkelten Tränen. Sofort war er bei ihr, nahm ihren Kopf zwischen seine Hände. „Lissy — Lieb — sei doch vernünftig — sieh, es geht ja nicht anders —“

„Ich weiss —“ sie schluckte schwer, „und ich ärgere mich über mich selbst, Gerhard. Aber ich habe Angst — —“

„Angst? Wovor, Lissy?“

In einer Bewegung völliger Hilflosigkeit zuckte sie die Achseln. „Ich weiss es selbst nicht. Ich möchte ein fröhliches Gesicht machen, um dir den Abschied nicht zu erschweren — aber es ist eine merkwürdige Angst in mir, wie die Ahnung von etwas sehr Traurigem — ach, Gerhard — du wirst mir oft schreiben, nicht wahr? So oft es deine Zeit erlaubt? Und du wirst mich nicht vergessen?“

Sie schlang die Arme um seinen Hals, sie presste die tränenfeuchte Wange an die seine. Das sonst so stille, zurückhaltende Mädchen war heute von einer fieberhaften Erregtheit, die Gerhard unklar beunruhigte.

Er drückte sie zärtlich an sich, strich ihr immer wieder beruhigend über das heisse Gesicht. „Du kannst mir bedingungslos vertrauen, Liebste — ich habe dich lieb wie nichts sonst auf der Welt. Ich habe keinen andern Gedanken als dich — als unsere gemeinsame Zukunft. Komm, sei tapfer — fühlst du denn nicht, wie schwer es auch mir wird, von dir fortzugehen?“

Sie versuchte, ruhiger zu werden. Aber der Ausdruck von Angst mich nicht aus ihren Augen. ,,Wenn du nun andere Frauen kennen lernst, Gerhard — Frauen, die schöner und Klüger sind als ich — —“

Er verschloss ihr den Mund mit einem Kuss. „Sprich nicht weiter, Lissy — du darfst nicht so Sprechen! Hast du so wenig Vertrauen zu mir? Ach, Lissy, ich glaube, du weisst gar nicht, was du mir bist! Muss ich es immer wieder sagen? Du bist das Schönste, Kostbarste, das Heiligste in meinem Leben. Ich werde dich liebhaben, nur dich, solange ich atme. Genügt dir das?“

,,Schwöre mir, Gerhard, dass du nie eine andere Frau lieben wirst als mich — —“

„Ich schwöre es dir —“

Sie legte seine Hand an ihre Wange.

„Ich möchte lieber sterben, als deine Liebe missen“, sagte sie leise. „Ich möchte lieber Schande, Qual und Tod erdulden, als dich verraten — —“

Wortlos, erschüttert streichelte er ihr schimmerndes Haar.

Als sie hinabstiegen, war es Nacht. Heiliger Friede Tag über den Feldern, und durch die Wälder ging die Einsamkeit. Alles Leben schien aufgegangen zu sein im Schoss des Todes, alle Lautheit schien gestorben vor der Majestät des Traumes.

Die Luft war heiss, als das Tal sie aufnahm. Fern vom Dorf her erklang der letzte Glockenton, der die Menschen zum Gebet gerufen.

Bei den ersten Häusern machten sie halt. Von Pastor Winkelmann hatte sich Gerhard schon verabschiedet, denn sein Zug ging am frühen Morgen.

Nun blickten sie sich noch einmal in die Augen, reichten sich die Hände und nahmen sich wortlos zum letztenmal den Schwur der Treue ab.

„Lebwohl,“ sagte Gerhard, „lebwohl, Lissy — im Mai komme ich wieder — —“

„Im Mai — —“ wiederholte sie, schloss die Augen und liess den Kopf müde nach rückwärts sinken. Da umfasste er sie schnell, presste die Lippen auf die ihren, lange . . . dann riss er sich los und verschwand mit schnellen Schritten in der Nacht.

Sie war stehen geblieben und sah ihm nach. Längst hatte die Dunkelheit ihn aufgenommen, sie konnte ihn nicht mehr sehen, aber sie hörte, dass er vor sich hinsang — vielleicht, um den Schmerz der Trennung gewaltsam zu betäuben. Lauschend hob sie den Kopf, sie erkannte die Melodie: es war das Lied, das er damals gesungen, als er ihr seine Liebe gestanden. Und nun trug der Wind ihr die Worte zu; sie hörte seine Stimme, immer weiter verklingend:

Ein Junge liebt’ ein Mädel,

Ein Mädel, ach, so sehr!

So’n Liebe gibt’s im Städtel

Strassarf, strassab nicht mehr!

Sie geh’n mit stolzen Mienen

Stets Arm in Arm und Tritt an Tritt,

Das hält hübsch warm und schadet nit

Den Köpfen voll Rosinen!

Ein Junge liebt ein Mädel: Annemarie Land

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