Читать книгу Ein Junge liebt ein Mädel: Annemarie Land - Robert Heymann - Страница 6

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Die Sonne stand hoch, in dem weichen Gras lagen die Strahlen wie geschliffene Diamanten. Die Bäume warfen dichte; schwere Schatten.

Gerhard Brausewetter trat in den Garten des Pfarrhauses, um Kühlung zu suchen. Er erging sich eine Weile unter den alten Nussbäumen, als ein leichter Schritt, das Klappern einer Giesskanne seine Aufmerksamkeit nach den Blumenbeeten lenkte.

Lieselotte stand zwischen den Blumen und begoss sie. Sie trug einen grossen breitrandigen Gartenhut, der bei jeder Bewegung über ihrem Kopfe zitterte. Wie sie so halb über die Rosen geneigt stand, ohne ihn zu bemerken, klopfte sein Herz höher beim Anblick ihrer jugendfrischen, liebreizenden Gestalt.

Er verharrte eine Weile schweigend, in Nachdenken und Betrachtung. Dann trat er näher.

Sie hob den Kopf und sah ihm entgegen. Der Schatten, den der Gartenhut über ihre Züge warf, hinderte ihn, die brennende Röte zu bemerken, die ihre Wangen überflutete.

„Sie sind schon hier, Herr Brausewetter?“ fragte sie lächelnd und fuhr fort, die Blumen zu begiessen. „Ich hatte Sie gar nicht bemerkt.“

„Ich sehe Ihnen schon eine Weile zu, Fräulein Winkelmann“, entgegnete er. Ein warmer Ton von Zärtlichkeit klang durch seine Stimme

Sie beugte sich wieder tiefer über die Giesskanne. „Warum nennen Sie mich Fräulein Winkelmann? Sagen Sie doch einfach Fräulein Lieselotte!“

„Das wagte ich nicht . . .“

„Warum nicht? Man nennt mich hier allgemein so.“

„Das mag sein. Aber für mich hat die Anrede doch besondere Bedeutung. Ihr Name besonderen Klang. Ich danke Ihnen, dass Sie mir gestatten, ihn immer auszusprechen, . . . ich möchte ihn immer hören, an nichts anderes denken . . .“

Sie schwieg eine Weile verwirrt, dann schlug sie die Augen, in denen ein Flimmern war, zu ihm auf:

„Ich glaube, mein Vater erwartet Sie, Herr Brausewetter —“, und indem sie rasch dem Hause zuging, schien sie der Unterhaltung ein Ende bereiten zu wollen.

Er folgte ihr.

„Fräulein Lieselotte — habe ich Sie aus dem Garten verjagt! Ist Ihnen meine Gegenwart lästig?“

Erschrocken blieb sie stehen, die braunen Augen sahen ihn vorwurfsvoll an: „Wie können Sie nur so etwas denken!“

„So betrachten Sie mich also nicht als Eindringling? Fräulein Lieselotte — bitte, sagen Sie mir: ich bin für Sie nicht nur ein Fremder, den das Geschick zufällig in das Pfarrhaus von F. verschlagen hat?“

Sie schüttelte hastig den Kopf, nahm die Giesskanne vom Boden auf und trat ins Haus, ohne ihm zu antworten.

Von nun an traf er sie fast täglich im Garten. Es war stillschweigendes Übereinkommen zwischen ihnen, und bald wurde aus den ersten, scheu geführten Gesprächen eine vertrauliche Unterhaltung. Sie fühlten beide, dass sie sich liebten — Gerhard wagte jedoch nicht, dies zu gestehen, noch weniger Lieselokke, es sich anmerken zu lassen.

An einem Abend blieb Gerhard viel länger als sonst im Pastorhause. Die Dunkelheit war bereits eingebrochen, Lieselotte drehte das Licht an. Der Pastor war in ein so angeregtes Gespräch mit seinem Schüler vertieft, dass er erst, als die Kuckucksuhr zehnmal schlug, erstaunt den Kopf hob und darauf aufmerksam wurde, dass er seinen Gast weit über die festgesetzte Zeit hinaus zurückgehalten hatte.

„Nun müssen Sie aber gleich nach Hause“, sagte er. „Ich mache mir wirklich Vorwürfe; Sie so lange aufgehalten zu haben! Werden Sie denn in der Finsternis den Weg ins Städtchen zurückfinden?“

„Warum denn nicht?“ gab Gerhard Brausewetter lächelnd zurück.

„Es ist kein Stern am Himmel, und die Landstrasse ist nicht beleuchtet. Wenn man nicht bestimmte Anhaltspunkte hat, geht man irre und gerät in die Felder oder in einen Graben.“

Da war nun allerdings guter Rat teuer. Zwar kannte Gerhard den Weg sehr gut, er hätte ihn bestimmt auch gefunden. Aber da Lieselotte ihm in den letzten Tagen ausgewichen war, hielt er sich für berechtigt, eine List anzuwenden.

„Ich fürchte allerdings, Herr Pastor, ich verfehle das Feldkreuz, wo die Landstrasse abbiegt. Ich kenne die Gegend doch zu wenig.“

„Nun, wenn Sie denken, kann Sie ja meine Tochter bis zum Kreuz begleiten . . . Lissy!“ rief er in den Gang hinaus.

„Ja, Väterchen!“

„Begleite Herrn Brausewetter bis zu dem Kreuz, wo der Feldweg beginnt, damit er den Weg ins Städtchen findet.“

Sie antwortete nicht.

„Lissy!“

Keine Antwort.

„Lissy! Kind!“

Alles blieb still.

„Sie ist etwas schüchtern“, meinte der Pastor lächelnd. „Sie müssen sie schon entschuldigen.“

„O,“ antwortete Gerhard gekränkt, „ich werde den Weg wohl allein finden; so schlimm ist das nicht, und schliesslich habe ich doch gute Augen.“

Er sagte das möglichst laut, damit Lieselotte, die sich gewiss im dunklen Nebenzimmer aufhielt, ihn hörte.

„Na, dann gute Nacht, Herr Brausewetter.“

„Gute Nacht, Herr Pastor . . .“

Draussen war alles still. Die Berge standen wie eiserne Recken, still und stumm.

Gerhard ging langsam durchs Dorf und liess den kühlen Nachtwind seine Stirne umfächeln.

Das tat gut.

Ihm war heiss vor Erregung, und quälende Mutlosigkeit befiel ihn.

„Habe ich sie gekränkt?“ dachte er, „oder spielt sie mit mir? Aber das sieht ihr so gar nicht ähnlich . . .“

Als er um die Ecke bog, wo als letztes das weisse Häuschen des Krämers lag und die Felder begannen, löste sich eine helle Gestalt aus der Nacht.

Ohne ein Wort ging sie neben ihm her.

„Fräulein Lieselotte!“ stiess er in freudigster Überraschung hervor. „Sie sind doch gekommen? Sie wollen mich begleiten?“

„Muss ich nicht?“ erwiderte sie mit verschleierter Stimme. „Sie werden ja sonst den Weg verfehlen.“

„Den Weg verfehlen — — ja, das wäre wohl möglich. Man ist so allein hier, weit und breit niemand zu sehen — eine solche Einsamkeit, eine solche Stille — — Fräulein Lieselotte — nur Sie und ich — und Sie sind mir nicht böse, nicht wahr? Sie haben mich in den letzten Tagen nicht gemieden, weil ich Sie irgendwie verletzt habe?“ Und als sie wortlos den Kopf schüttelte: „Fräulein Lieselotte — Lissy — ich habe mich so sehr danach gesehnt, Ihnen zu sagen — —“

„Still, still!“ wehrte sie ab. „Sprechen Sie nicht — — ich — —“

Aber für Gerhard gab es kein Halten mehr. „Ich muss sprechen, Lieselotte! Sie haben eben recht gehabt: ich fürchte, den Weg zu verlieren ohne Sie — bisher bin ich allein gegangen, immer geradeaus, ohne links und rechts zu sehen. Aber nun, seit ich Sie kennengelernt habe, Fräulein Lieselotte, erscheint es mir unmöglich, das Ziel, das ich mir gesteckt, allein zu erreichen, ohne die beseligende Kraft des Glaubens und der Liebe . . . und diese Kraft, Lieselotte, können nur Sie mit verleihen . . .“

Lieselotte erwiderte nichts. Sie schritt die dunkle Strasse schweigend neben ihm hin, die Nacht war lind, die Stille nur von dem eintönigen Zirpen der Grillen unterbrochen.

„Lieselotte!“ bat Gerhard, „wollen Sie mir nichts sagen? Haben Sie keine Antwort für mich?“

„Ich muss zurückgehen — Sie können den Weg jetzt nicht mehr verfehlen!“ stiess sie hastig, bebend vor Erregung hervor. Sie blieb stehen, wollte umkehren — aber Gerhard hielt sie fest.

„Nein, Lissy — ich lasse Sie nicht gehen, bevor ich nicht weiss — ach, Lissy, warum machen Sie es mir so schwer? Sollte ich mich so sehr geirrt haben? Empfinden Sie nichts, gar nichts für mich?“

Sie standen mitten auf der finsteren Strasse. Weit und breit Stille, Einsamkeit. Gerhard trat ganz nahe zu ihr. Scheu, mit gesenkten Kopf stand sie vor ihm, er fühlte den Duft ihres Haares, seine Augen umfassten sehnsüchtig und zärtlich ihre zarte, schmiegsame Gestalt.

Behutsam griff er nach ihrer Hand. Sie war kalt, leblos. Aber ihre Finger schlossen sich fest um die seinen, und plötzlich sah er in der Finsternis ihre Augen brennen, sah ihre roten Lippen leuchten — und da zog er sie an sich, mit einer stürmischen, leidenschaftlichen Bewegung und bedeckte ihr Haar, ihre Augen, ihren Mund mit den scheuen Küssen der ersten Liebe.

Wortlos liess sie es geschehen, wortlos lag sie in seinem Arm. Trunken vor Glück fragte er:

„Lissy — sag’ es mir: liebst du mich? Liebst du mich wirklich?“

Da schlang sie beide Arme um seinen Hals und stammelte, während ihre Augen sich im Übermass des Glücks mit Tränen füllten:

„Ja, Gerhard — ich liebe dich.“

„O, Lissy — liebe, süsse Lissy — weisst du, wie masslos glücklich du mich machst? Ich könnte — ach, was könnte ich nicht alles für dich tun! Die Sterne möchte ich dir vom Himmel herunterholen — mein liebes, schönes Mädel — —“

Ihre Augen strahlten ihn in unverhohlener Zärtlichkeit an. „Ich hab’ dich schon lange lieb, Gerhard — eigentlich, seit ich dich zum ersten Male sah — —“

Eine Bank stand am Wege. Gerhard warf Lieselotte einen bittender Blick zu. „Wollen wir uns ein wenig setzen? Ich habe dir so viel zu erzählen, Liebste — —“

„Ich müsste heim, Gerhard — Vater wird besorgt sein — —“

„Nur ein Weilchen, Lissy — ich bringe dich nachher nach Hause — ich lasse dich jetzt in der Nacht nicht allein gehen!“

„Und du, Gerhard? Du kennst ja den Weg nicht, du findest nicht ins Städtchen zurück!“

Gerhard lachte übermütig. „Glaubst du das noch immer, Lissy? Weisst du nicht, dass ich nur eine List gebrauchte, um allein mit dir zu sein? Ich bin den Weg so oft gegangen, dass es unmöglich ist, ihn zu verfehlen.“

Da musste auch Lissy lachen. Sie setzten sich auf die Bank. Gerhard war wie verwandelt, das Glück versetzte ihn in eine geradezu übermütige Stimmung.

„Ich könnte die ganze Welt umarmen, Lissy —“ er schlang den Arm um sie, und sie schmiegte sich zärtlich an ihn. „Weisst du, als ich in F. ankam, hatte ich schon eine Art Vorgefühl, dass mich hier etwas ganz besonders Schönes erwartet. Sag’ es mir noch einmal, Lissy, sonst kann ich es nicht glauben du hast mich wirklich lieb?“

„Über alle Massen lieb, Gerhard — —“ sagte sie leise.

Und wieder küsste er sie, selig, überglücklich.

Schweigend sassen sie dann nebeneinander, Gerhard hatte den Arm um die Schulter der Geliebten gelegt, ihr Kopf ruhte an seiner Brust.

Da fing Gerhard plötzlich an, leise vor sich hinzusingen, nach einer alten Melodie sang er ein Lied, dessen Worte ihm in den letzten Tagen immer wieder in den Sinn gekommen waren:

Ein Junge liebt’ ein Mädel

Ein Junge liebt’ ein Mädel,

Ein Mädel, ach, so sehr!

So’n Mädel ist im Städtel

Strassauf, strassab nicht mehr!

Es geht mit stolzen Mienen,

Die Beinchen schlank, die Waden rund,

Die Augen blank und rot der Mund.

Das Köpfchen voll Rosinen!

Ein Mädel liebť nen Jungen,

So’n rechten Sausewind.

Wenn der kommt angesprungen,

Hab’ acht, mein blondes Kind!

Er kommt mit stolzen Mienen,

Und wie er geht und wie er steht,

Hat er das Köpfchen ihr verdreht,

Das Köpfchen voll Rosinen!

Ein Junge liebt’ ein Mädel,

Ein Mädel, ach, so sehr!

So’n Liebe, gibt’s im Städtel

Strassauf, strassab nicht mehr!

Sie geh’n mit stolzen Mienen

Stets Arm in Arm und Tritt an Tritt,

Das hält hübsch warm und schadet nit

Den Köpfchen voll Rosinen!

Ein Junge liebt ein Mädel: Annemarie Land

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