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2. Kapitel.
ОглавлениеNach amtlicher Bekanntmachung der Admiralität wurde S. M. S. „Emden“ am 9. November früh bei den Cocos Inseln im Indischen Ozean, während eine Landungsabteilung zur Zerstörung der englischen Funken- und Kabelstation ausgeschifft war, von dem australischen Kreuzer „Sidney“ angegriffen. Nach hartnäckigem, verlustreichem Gefecht ist S. M. S. „Emden“ durch die überlegene Artillerie des Gegners in Brand geschossen und von der eigenen Besatzung auf Strand gesetzt worden. (W. T. B.)
Die Emden.
Und soll man es glauben? Millionenschwer
Ist schon der Schaden! Die Kreuz und Quer
Fährt Englands Geschwader im Ozean
Und kommt nicht ran!
‘S ist wie ein böser Geisterwahn!
So was muß die Nation befremden!
Wohin man schaut, da klingt es: „Emden!“
Und wo man liest, da liest aufs Neu
Man irgend eine Kaperei!
Millionenfach ist schon der Schaden, ach!
Millionenfach! —
Eine ganze Flotte flog hinterher
Der Emden nach in das Indische Meer.
Bei jeder Insel, bei jedem Riff
Vermuteten sie das verhexte Schiff.
Von Müller aber, froh und gesund,
Senkt wieder ein Schiffchen in den Grund.
Da ward er gestellt! Da hörte die Welt
Den deutschesten Heldensang,
Der Emden letzter Ruf erklang
Vom Indischen Meer bis zum Belt.
Wild schrie sie auf mit Kanonengebrüll,
In Flammen und Feuer gehüllt,
Und lief auf den Strand — ein dämonisches Bild —
Und sank — und wurde still.
Nun ist es zu Ende, das Heldenlied,
Die Emden ist nicht mehr.
Doch wo ein deutsches Herz noch glüht,
Da tönte es über das Meer
Von Sydney bis Southampton:
„Hurra Emden!“
Der Krieg marschierte hierhin und dorthin. Im fernen Osten wetterleuchtete es. Japan, Sieger über ein Häuflein Helden in Tsingtau, streckte seine Tatzen eroberungsgierig nach China hinüber. Noch gab es keine offenkundige Trübung, aber man fühlte kommende Ereignisse von ungeheurer Tragweite voraus. In der Türkei kam es zu erregten Auseinandersetzungen zwischen den englischen Vertretern und dem türkischen Kriegsminister.
England verlangte, die Türkei solle alle deutschen Matrosen von türkischen Schiffen entfernen. Die Antwort lautete stolz ablehnend.
Wenige Tage später brach der Krieg aus, den man längst erwartet hatte: Die Türkei stellte sich auf die Seite Deutschlands, der Halbmond wehte neben dem Kreuz der Christenheit, die mächtigsten Symbole des Glaubens wandten sich gegen die rohe Gewalt, die für die Finsternis kämpfte.
Ein türkischer Kreuzer bombardierte Feodosia. Odessa wurde beschossen. Und während auf der einen Seite die japanische Fahne nach furchtbaren Verlusten über einem Fleckchen deutscher Erde wehte, während die Emden heldenkühn in die Nacht des Ozeans sank, tot wund durch erdrückende Übermacht, reihten sich die Siege der Verbündeten.
Coronel kam, der englische Kreuzer Hermes fiel im Kanal einem Unterseeboot zum Opfer, deutsche Kriegsschiffe erschienen siegreich vor Yarmouth.
Und im ganzen deutschen Volke sang man noch immer von U 9 und es ging ein Raunen von Mund zu Mund, das in dem einen geheimnisvollen Satze gipfelte: Unsere Unterseeboote.
Jesco schrieb aus Konstantinopel an seine Schwester mit der Bitte, Schritte zu tun, dass Fräulein Anny Niedermeier aus Wien ins Deutsche Rote Kreuz aufgenommen würde.
Elsa von Sandern war noch in Berlin. Sie wollte sich mit ihrem Bräutigam, Hans Scholz, der von schwerer Verwundung kaum genesen war, trauen lassen, um dann mit ihm ins Feld zu ziehen.
Der Rittmeister von Januschek erhielt auch ein Schreiben.
Hier geht alles nach Wunsch, ließ sich Jesco vernehmen. Die Türkei marschiert gegen England, der Suezkanal wird das nächste Ziel der kriegerischen Operationen sein, gleichzeitig wird gegen Russland die Entscheidung im Kaukasus gesucht.
Ich führe wichtige Verhandlungen und hoffe, bald nach Deutschland zurückzukehren. Hoffentlich sehen wir uns auf den Schlachtfeldern Galiziens oder Polens, mein Freund. Schulter an Schulter wollen wir durch gemeinsam vergossenes Blut unsere Freundschaft besiegeln. .
Das war, als der machtvoll gegen Warschau angesetzte Angriff der Verbündeten abgebrochen wurde. Als die erdrückende russische Übermacht Hindenburg zur plötzlichen Änderung seiner Pläne und zur Umgruppierung seiner Streitkräfte zwang.
Als die Riesenfront der deutschen und österreichischen Heere langsam den Rückzug antrat Aus Iwangorod und Nowogeorgiewsk brachen die ungezählten russischen Regimenter hervor, Menschen, Bataillone, die nicht zu zählen waren, denen die viel, viel schwächeren deutschen und österreichischen Truppen nicht gewachsen blieben.
Und da hub ein Schlagen an, von dem man noch singen wird in späten Tagen.
Der schwarze Januschek kam noch nach Czernowitz, wie er es sich gewünscht. Einen Kuss hatte ihm die schöne Anny mit auf den Weg gegeben. Und auf der Fahrt erhielt er die Nachricht, dass die Serben zurückgeschlagen werden, in breiter Front, in wildem Kesseltreiben. Und er sah im Geiste den kleinen Leutnant, der dabei sein durfte, wie diese Horde von Räubern und Mordbrennern in ihre Grenzen zurückgejagt wurden.
Das arme Czernowitz, dachte er auf der Fahrt, das liebe Czernowitz! Seit dem zweiten September hausten die Russen darin! Und nicht möglich war es, das Kronjuwel Galiziens zurückzuholen aus den gierigen Räuberhänden der asiatischen Horden.
Nun rückten die Österreicher wieder ein mit klingendem Spiel. Freilich, viel war es nicht an Truppen, was nun rings um Czernowitz zusammengezogen werden konnte, um dem Andrang der flutenden Übermacht des Feindes Stand zu halten.
Wohl ihm, dem schwarzen Januschek, dass er nicht mehr sah, wie die Russen zum zweiten Male gegen Czernowitz kamen und es den Österreichern — bis zum Aschermittwoch 1915 — von neuem entrissen.
Die Österreicher verteidigten nun im allgemeinen Z6den Teil des Kronlandes, der im Norden vom Pruth, im Westen von Czeremosch begrenzt wird. An dieser Linie standen von nun an die österreichischen Landstürmer und hielten die Wacht an der Bukowina, befehligt von dem unvergleichlichen Gendarmerieobersten Fischer, der mit einer kleinen Truppe und vier alten Geschützen in den folgenden Kämpfen fünf Wochen lang eine 90 Kilometer breite Front gegen fünfzigfache Übermacht hielt.
Fünf Wochen lang — bis zum 26. November!
Doch da war der schwarze Januschek schon weit!
Bei Tuska war er dabei, bei dem heißen Schlagen und Streiten, als er den Befehl erhielt, mit seiner Truppe nach Polen zu reiten.
Januschek kämpfte nun bei Ostrowiece.
Schnee war gefallen, dichter, schwerer Schnee, der das Land einhüllte und oben in den Bergen, weit drüben in den Karpathen, bereits die Schneeschuhtruppen in Tätigkeit treten ließ. Hier am San sah man seltsam gespenstische Kompagnien in weißen Hemden, Schneehemden, dahinmarschieren. Es war bitter kalt geworden.
Irgendwo, wo noch vor Wochen ein schmuckes kleines Dorf gestanden, da sah man eine Reihe von Zigeunerwagen. Sie standen zwischen verkohlten Trümmern, die noch wohnlich gemacht worden waren, so gut es ging. Man sah Pferde in ausgebrannten Zimmern und man sah Menschen in Schweineställen.
Die Ordonnanz wies den schwarzen Rittmeister nach einem Zigeunerwagen:
„Hierhin, Herr Rittmeister.“
Drei Offiziere hatten es sich bereits in dem Quartier bequem gemacht. Januschek stieg die kleinen Holztreppen hinauf. Ein Mann salutierte:
Ein Gefreiter mit blitzenden Augen und scharfgeschnittenem Gesicht, verwildert schon von kurzem, hartem Kampf.
„Den sollte ich doch kennen“, murmelt der Rittmeister. „Gefreiter!“
„Jawohl, Herr Rittmeister, “ sagt Rudi.
„Rudi — Teufelsbrraten — du?“
„Zu Befehl, Herr Rittmeister!“
„Soforrrt, wenn du abgelöst bist, kommst rrrein in den Wagen da, verrrstanden?“
„Zu Befehl, Herr Rittmeister!“
Indessen machte sichs Januschek bequem. Die Kameraden lagen ganz hinten und schliefen schon. Aber vorne, wo Januschek war, da sah es so ganz merkwürdig aus. . .
Komischer Wagen, das, dachte der Rittmeister. Hat wohl eine Dame früher hier gewohnt. . .
Vor ihm ein Toilettentisch . . mit einem Spiegel und in der Eile zurückgelassenen Gegenständen . . . Kamm . . Bürsten . . Nagelfeilen . . alles sehr nobel . . sehrrrr nobel . . und ein Kostüm . . Flitter . . . eine Reitpeitsche . . silberner Griff . . eingraviert: Selma von Waklowski. . .
Himmel, den Rittmeister riss es in die Höhe. . . die Selma. . . die. . .
Er suchte fieberhaft weiter. In einem Koffer, da lag noch ein Kleid. . und ein Federhut . . den kannte er. . das war die Selma. . natürlich . . . die Selma . . .
Er setzte sich wieder. Und dachte nach. Damals, wie er in dem mährischen Nest in Quartier gelegen, zog sie durch. Ein Teufelsweib. Jede Geste war Rasse. Er liebte sie. Sie liebte ihn wieder. Und der Zirkus blieb sechs Wochen.
Ja, die Selma. Beinahe hätte er sich ihretwegen erschossen. Nun saß er vor ihrem Spiegel und sah sich an:
Ja, ja, Herr Rittmeister Januschek, damals saßen Sie auch so vor dem Spiegel, den Revolver in der Hand, und dachten an die Selma, wie sie lachend weitergezogen war. . irgendwohin.
Zigeunerblut.
Das hatte sich auch in Ihnen geregt. Erst wollten Sie gar Kunstreiter werden und der Selma nach. Aber der Kommandeur des Regiments und die Vernunft siegten.
Und dann kam eine reine Liebe. . .
Doch auch diese Liebe hat dem Rittmeister Januschek nur Leid gebracht, Sehnsucht und Leid.
Ach . . die Sehnsucht!
Und die Selma . . ja, die . .
Rudolf trat ein.
„Herr Rittmeister!“
„Brauchst nicht stramm stehen, Rudi. Setz dich her! Hast du den Zigeunerwagen aufgegabelt, Rudi?“
„Der stand schon da. Die Kunstreiterin, die hier herinnen gewohnt hat, ist geflüchtet und soll von den Russen gefangen genommen worden sein. Man weiß nichts Genaues. Eine Patrouille meldete, sie hätten das Weib ermordet und irgendwo in einem Wald, barbarisch zugerichtet, liegen lassen“
„So, so ...“ sagte der Rittmeister und strich sich den Bart, während es in seinen Augen blitzte. „So, so. Wenn wir die russischen Aasgeier kriegen, Rudi, wollen wir es ihnen heimzahlen.“
„Ja, das wollen wir!“
Dann war es lange still. An wen dachte der schwarze Januschek?
Er sagte endlich: „Rudi, morgen wirrd es heiß hergehen. Ich weiß es. Du hast bis jetzt nur Gefechte mitgemacht. Aber morgen gibt es eine Schlacht. Es gibt vielleicht eine Reihe von Schlachten, denn wir dürfen die Russen nicht durchlassen, und die sind in der Überzahl. Deine Schwester hat mir in Wien eine Rose geschenkt. Wenn ich fallen sollte, dann tauchst du die Rose in mein Blut und schickst sie ihr. Rudi, willst es verrsprechen?“
Rudi versprach es. Und dann trennten sie sich.
Der Rittmeister blieb wach. Er musste an den Rudi denken, was für ein prachtvoller Kerl das geworden war.
Und er musste an sich denken, an sein ganzes Leben, und an die dumpfe Ahnung von etwas Unerhörtem, Prachtvoll-Gewaltigem, das ihn bedrückte, das ihn nicht losließ . . . und er trat hinaus und sah über die Felder in die Nacht.
Es war still. Alles schlief nach endlos anstrengenden Märschen. Nur die Wachen hörte man, und die Pferde wieherten.
Langsam ging der Rittmeister wieder in den Wagen der tollen unglücklichen Selma und holte die Rose hervor. Sie war vertrocknet. Aber kein Blatt hatte sie verloren. Er steckte sie sich fest an den Waffenrock. Und dann schrieb der schwarze Januschek auf den Knien seinen Abschied an das Leben.
Indessen saßen der Gefreite Rudi und mehrere Unteroffiziere und Leutnants beisammen. Man konnte nicht schlafen in der Nacht, die erfüllt war von heißen Ahnungen und grauenvollen Möglichkeiten, und vertrieb sich die Zeit mit Erzählen, bis die Wachtfeuer niederbrannten. Rudi berichtete, dass früher sein Traum ein Kloster mit grauen Mauern und dunklen Wandelgängen gewesen war. Dass es wohl nach dem Kriege wieder so sein werde. Aber jetzt . .
„Jetzt muss jeder das Blutzeugnis ablegen, dass er Kulturmensch ist und nicht Barbar. Barbaren sind es, die über uns hergefallen sind! Ich habe sehr viel von Russland gehört! Mein Vater war Kaufmann und hatte viel dort zu tun. Da hatte er natürlich auch Geschäftsfreunde drüben, und so lebte man halb und halb mit, was sich jenseits der Grenzen alles ereignete. Die Judenmassakres, die ungesetzlichen Einkerkerungen, die Schandtaten gegen Studentinnen —“
„Ja, gegen die Aufklärung des Volkes sind sie am meisten“, warf ein Leutnant ein. „Weil eben die Regierung von Russland eine kleine, verbrecherische Minorität ist, und die große Masse einfach geknechtete Hunde sind und bleiben sollen!“
„Und solche Barbaren“, rief Rudi voll Verzweiflung und Hass, „solche Barbaren wollen gegen uns zu Felde ziehen, um die Kultur gegen die Deutschen zu verteidigen! Sie, die ihre Studentinnen zwingen, die gelbe Karte zu nehmen, damit sie studieren dürfen“.
„Die gelbe Karte? Was ist das?“ fragte einer.
„Das ist die Karte, welche jede staatlich angemeldete Prostituierte hat und haben muss. Solche Karten müssen die Studentinnen in Russland lösen. Und die Regierung beauftragt ihre Polizeiorgane, darauf zu achten, dass die Studentin auch zu Recht die gelbe Karte hat . . .“
Ein Schweigen wortloser Empörung folgte.
„Ist das wahr, Rudi?“ fragte ein Leutnant.
„Das ist wahr, so mir Gott helfe. Ich weiß es aus verschiedenen untrüglichen Quellen. Und darum . . darum darf es keinen Unterschied zwischen uns geben, darum ist der Krieg gegen den Osten ein heiliger Krieg, und jeder, jeder muss sein Blutzeugnis ablegen. . jeder!“
Sie schwiegen lange. Sie hörten den Rudi immer gerne reden. Da fühlte sich jeder so groß, so stark, so rein im Glauben, wenn man ihn angehört hatte.
Nach einer Weile sagte ein Leutnant:
„Blutzeugnis. Das ist das rechte Wort. Ob Adel oder Bürger, ob Christ oder Jude — jeder muss sein Blut hergeben, und das ist das Wundervolle an dem Krieg: Alles, was Kaste und Schema hieß, fällt ab. . nur das Reine am Menschen bleibt zurück. Als ich bei der Befreiung von Przemysl dabei war, erlebte ich so etwas. .“
„Erzählen, Herr Leutnant!“ hieß es in der Runde.
Der Leutnant sah auf die Uhr.
„Gegen Morgen muss ich auf Ronde. Solange habe ich Zeit. Ich lag mit einem Konvedleutnant in so einem kleinen galizischen Nest. Wir spielten Billard in dem einzigen Café. Und da erzählte mir der arme Teufel seine Geschichte. Er war nämlich immer so traurig. . und ich fragte ihn aus.
„Ich bin im Zivilberuf Redakteur“, erzählte er mir. „In Böhmen oben leitete ich ein oppositionelles Blatt. Auf einem Balle lernte ich die Komtesse von Szölny kennen. Das Verhängnis wollte, dass wir eine tiefe und aufrichtige Neigung zu einander fassten. . aber der Herr Major von Szölny machte der Idylle ein rasches Ende.
Als ich meine Werbung vorbrachte, erwiderte er:
„Mein Herr, ich achte das Gefühl, das Sie meiner Tochter entgegenbringen; ich bedaure sehr, dass ich Ihnen nicht meinen Segen geben kann, denn ich habe persönlich nichts gegen Sie einzuwenden. Aber Sie wissen, dass unsere Familie zum alten Adel zählt. Sie sind Bürgerlicher, und Sie vertreten sogar eine Partei, die ganz anderen Ansichten huldigt als wir. Meine Tochter würde an Ihrer Seite nicht glücklich werden, denn sie würde alsbald Unterschiede bemerken, die eben einmal im Blute liegen. Unsere Vorfahren waren alle Offiziere, das Blut unserer Familie floss auf vielen Schlachtfeldern für Kaiser und Reich. Sie — schreiben. Nun wohl, das ist eine sehr edle Beschäftigung, aber keine für den zukünftigen Gatten meiner Tochter.“
Damit drückte er mir die Hand. In meiner Verwirrung sagte ich:
„Herr Major, ich wollte, ich könnte mit meinem Blute dafür zeugen, dass ich nicht schlechter bin als die Szölnys“. Der Alte sah mich durchdringend an und erwiderte: „Das wird Ihnen wohl nie gelingen“.
„Nun, fuhr der Leutnant fort“, die kleine Szölny wurde zu entfernten Verwandten geschickt und ist später, wenn ich nicht falsch berichtet wurde, als Krankenpflegerin bei dem Korps, zu dem ihr Vater gehört, eingetreten. „Der Krieg, Herr Kamerad“, schloss mein Freund, „verbietet dem einzelnen, an sein kleines Leid zu denken, und ich bitte um Entschuldigung, dass ich angesichts der großen Stunde, die uns bevorsteht, Sie mit meiner Geschichte gelangweilt habe. . .“
„Aber, lieber guter Freund“, erwiderte ich ihm, gerührt durch die Treuherzigkeit seiner Worte, „wenn ich irgendetwas für Sie tun kann . . . übrigens wo steht denn der Herr Major?“
„Er liegt mit seinen Truppen in Przemysl und wehrt sich wie ein Löwe gegen die Russen.“
„Vielleicht haben wir recht bald das Vergnügen, ihn zu sehen, wenn — holla!“ unterbrach ich mich. „Ist das nicht Alarm?“
Ta—ta—Ta—ta—Ta—tal
Trompetengeschmetter — und dumpfer Trommelton.
Alarm!
Das Städtchen verwandelte sich in Minuten in einen Bienenstock. Auf allen Seiten eilten die Truppen zu den Sammelplätzen, und draußen, wo die Armee im Biwak lag, sammelten sich die Regimenter, um zu marschieren.
Die Toten von Lemberg galt es zu rächen, und den heldenmütigen Verteidigern von Przemysl Luft zu schaffen!
Ein Nachtmarsch!
An Kolonnen und toten Russen, die die Straßengräben füllten, zogen die endlosen Linien der Bataillone vorüber — Deutsche und Österreicher in treuer Waffenbrüderschaft. Vorne an der Straße nach Dymow war schon gekämpft worden. Die Spitze der österreichischen Truppen war hier mit den vorgeschobenen Linien des Feindes handgemein geworden.
Der Tag graute — blutrot stieg die Sonne im Osten auf — da machten die Regimenter Halt, die Spitzenkolonnen aber marschierten weiter, während die Artillerie in Stellung ging . . .
„Ein Bataillon erkundet gegen die nächste Ortschaft!“ lautete der Befehl.
„Schwärmen!“ In aufgelösten Linien ging eine Patrouille längs der Straße vor.
Ein Flieger kam mit knatterndem Motor pfeilschnell über unsere Linien geflogen . . .
Und plötzlich — der Flieger mochte gelandet sein — plötzlich begann hinten unsere schwere Artillerie zu brummen, zu dröhnen — und nun antwortete auch schon der überraschte Gegner wie ein Bullenbeißer — mit kurzem, dröhnenden Bellen . . . das anschwoll — immer mehr — und dann, als die Batterien eingeschossen waren, hörte man nichts mehr als das Donnern des Artillerieduells . . .
Ganz an der Spitze, weit vorne auf der Landstraße, ging der Konvedleutnant mit seinem Zuge. . . da . . . ein Heulen. Und dann: S—s—st! Bumm!
Mitten in den Zug war die Granate gesaust — die Erde trank Blut . . .
Tack — Tack — Tack!
Maschinengewehre . . .
Österreichische Radfahrer und eine Kavalleriepatrouille kamen in wilder Flucht zurück:
„Der Feind steht vor uns in schwer verschanzter Stellung!“
Und dann ein Hagel von Gewehrkugeln. Drüben, jenseits der Äcker, zogen sich die Schützengräben der Russen dahin.
„Deckung!“ schrie der Konvedleutnant seinen paar Leuten zu. Im Augenblick verschwanden sie in der Erde.
Da lagen sie nun und feuerten — jeder Schuss ein Treffer — das rollte mit wildem Siegesjubel über das österreichische Land — und obgleich die kleine Abteilung weit vorgeschoben war, unterhielt sie ein so mörderisches Feuer, dass der Feind dort vorne nicht zu stürmen wagte . . .
Inzwischen entwickelte sich die allgemeine Schlacht.
Eine Ordonnanz kroch von hinten nach vorne:
„Der Schützenzug soll aushalten, bis Hilfe kommt! Der Gegner wird von der Flanke gefasst!“
„Wir halten schon aus“, sagte ruhig der Konvedleutnant. Hinter ihm, neben ihm schoben sich allmählich unsere Schützenketten vor. Aber sein Zug lag doch am weitesten vorne.
Eine neue Ordonnanz:
„Aushalten! Maschinengewehre gehen in Stellung.“
Da — eine Granate!
S—s—st — Alle duckten sich unwillkürlich - Bumm!
Volltreffer im Schützengraben.
Und die Erde trank Blut.
„Ruhig feuern!“ rief der Konvedleutnant, und erhob sich ein wenig nach dem feindlichen Schützengraben zu spähen.
S—s—s—t Bumm!
Hinter ihm krepierte in der Luft ein Schrapnell. Ein mächtiges Loch grub eine Granate in ohnmächtiger Wut in die Erde — und die unsichtbare Hand, die Totenhand der schrecklichen, finsteren Macht drückte den Leutnant tief in den Graben, dass er meinte, er könnte nie mehr aufstehen, schleuderte Erde darüber . . .
„Der Leutnant ist tot!“ riefen einige Soldaten. Und fast gleichzeitig andere:
„Munition verschossen!“
Mit brennenden Augen sahen sich die Leute um. S—s—s—t Bumm!
Da schnellte der Leutnant wieder hoch. Blut lief ihm über das Gesicht.
„Salvenfeuer, Kerls!“
„Munition verschossen!“
Und einige machten Miene, zurück zu kriechen.
Der Leutnant warf einen Blick zurück. Lange konnte die Munition nicht ausbleiben. Die wussten doch, dass er hier mit seinen paar Helden im Feuerkampf lag . . .
„Still liegen“, rief er.
Ein Todesschrei —
Und drei zerrissene Körper . . .
„Mein Bein! Mein Bein!“ schrie unausgesetzt ein Schütze . . .
S—s—s—t Bumm! Die Munition kam nicht. Maschinengewehre wurden in Feuerstellung gebracht, die Tod und Verderben in die Reihen der Russen bringen sollten. . . und da — da sprangen sie drüben auf — graue Wolken. . . zum Sturm.
Die Russen!
Die Soldaten starrten auf ihren Leutnant. Noch einige Sekunden, dann hatte er sie nicht mehr in der Hand — es musste etwas geschehen. . . etwas Außergewöhnliches, dass sie standhielten. . . dass die Russen in das Maschinengewehrfeuer liefen . . .
Sie sollten ja herankommen . . .
S—s—s—t Bumm! Die Schützen sprangen auf. Der blinde Schrecken war unter ihnen.
„Haaalt!“ schrie der Konvedleutnant. „Kerls!“
Stand auf und ging plötzlich vor dem Schützengraben auf und ab, während die Russen, gedeckt durch wütendes Artilleriefeuer, heranstürmten . . .
Die Schützen sahen es — und blieben. . . starr. . . unfähig, sich zu regen . . .
S—s—s—t Bumm!
Der Leutnant winkte. Hinten kam der Munitionskarren in rasender Eile angefegt, Kameraden krochen mit Patronen nach vorne — die Schützen griffen fiebernd danach . . .
„Feuer! Feuer!“ schrie, heulte jubelnd der Konvedleutnant, und dann prasselte es den anstürmenden Russen entgegen . . . und mitten hinein liefen sie in das Verderben, das plötzlich aus einem Dutzend Maschinengewehren sprühte . . .
Der Konvedleutnant winkte noch einmal — dann griff er mit stillem Lächeln an die Brust — und sank. . .
Aber seine Kerls raus aus dem Graben und den schwerverwundeten Offizier nach rückwärts geschleppt — den durften sie wahrlich nicht liegen lassen . . .
Auf der ganzen Linie flohen die Russen . . .
Nur die Bataillone, die den Rückzug decken sollten, stellten sich zum Kampf, und gegen sie fegten nun österreichische Schwadronen heran . . .
Hei, das war ein Schlagen! Das war ein Siegen! Das war ein Tag der Rache für Lemberg! Gloria und Viktoria!
Schmettert Trompeten! Lasst die Trommeln gellen!
Sieg!
Weiter rückten unsere siegreichen österreichischen Regimenter — bei Lancut schlugen sie sieben russische Divisionen . . . östlich von Dymow wurde eine Kosakendivision und eine Infanteriebrigade einfach niedergerannt . . . vorwärts! vorwärts! . . . den Russen auf den Leib!
Und diese, erschreckt, verwirrt, durch den letzten erfolglosen Sturm auf Przemysl entmutigt, verließen fluchtartig die bisherigen Stellungen an der Westfront . . . denn schon nahte österreichische Kavallerie. —
Die Festung war entsetzt, und weiter rückten die Sieger vor . . . Das war am 10. Oktober — Kinder, ich werde es nie vergessen!
In einem Lazarett hinter der Front lag ein schwerverwundeter Konvedleutnant, von dem der amtliche Bericht sagte: „Durch sein unvergleichliches Verhalten hat er mehr geleistet als eine ganze Brigade. . .“
„Wie heißt der Mann?“ fragte mich Oberst Szölny, als er in der Festung eine Formation unserer Reiter begrüßte.
„Wie er heißt, weiß ich nicht mehr genau“ — erwiderte ich. „Er war Redakteur in Böhmen und hat mir eine Geschichte erzählt, die damit endete, dass er das Blutzeugnis ablegte . . .“
Einige Tage später kam der verwundete Konvedleutnant in das Lazarett einer hübschen kleinen galizischen Stadt, und seine Pflege übernahm die Komtesse von Szölny.
Der Major von Szölny kam nur auf eine Stunde durch. Er legte die Hand des Leutnants in die der Pflegerin und sagte:
„Sie haben das Blutzeugnis abgelegt, Herr Leutnant, dass es in dieser Zeit keinen Adel gibt, der mehr wert wäre, als die Ritterschaft der Tapferkeit. Deutsches und österreichisches, Alldeutsches und österreichisches Bürgerblut opfert sich in allen Gauen der deutschen Erde . . . wir sind alle ein Volk von Brüdern!“
„So kam es, dass durch das Blutzeugnis des armen Konvedleutnants und die Befreiung von Przemysl die Liebe zu ihrem Rechte kam.“
Andächtig, als säßen sie in der Kirche, hatten die Kameraden am Wachtfeuer zugehört.
Jeder legte sich die Erzählung auf seine Weise aus.
Indessen war es beinahe Morgen geworden, und ehe noch der erste helle Streifen im Osten heraufzog, wurde es lebendig.
Die Infanterie brach auf.
Erst eine Spitze von Radfahrern, die wegen der schlechten Wege bald von Reitern abgelöst werden musste. Dann kam das Spitzenregiment und dann die Division.
Bald regnete es leise, dann begann es in Strömen zu gießen. Das Wasser wischte den Schnee weg und verwandelte die ohnehin schlecht gepflegten Landstraßen in einen bodenlosen Morast, in dem die Kanonen stecken blieben und nur mit Hilfe von Dutzenden von hilfsbereiten Fäusten und einem großen Vorspann wieder einige Kilometer weit geschleppt werden konnten, bis sie sich von neuem festfuhren. Ebenso erging es dem folgenden Train und den Sanitätskolonnen.
Trostlos reckten in der Nähe der marschierenden Truppen einige kahle Bäume ihre schwarzen Äste, in den grauen Morgenhimmel, über den allmählich eine helle Färbung zog.
Sie brachte den Truppen keine sonderliche Stimmung. Es blieb alles grau in grau. Der Himmel drückte auf die Erde nieder, als sollte der Rest aller Freude und Hoffnung in den Menschenherzen erstickt werden von dem bleiernen Gewicht, und als müsste der Himmel selber immerzu und ohne Ende seine Tränen vergießen über all das Leid und das Elend, das sich über die Erde von einem Ende zum andern verbreitete.
„Das dritte und erste Bataillon geht zum Angriff“, lautete der Befehl, der zur Spitze vorkam. Sogleich wurde Gefechtsformation gebildet. Die Kompagnie, bei der Rudi stand, hatte die Mitte, die anderen bildeten die Flügel. Die Formation war im Marsch.
„Ausschwärmen“, riefen die Hauptleute.
„Aha“, sagte Rudi zu seinem Flügelmann, „da haben wir also schwere Artillerie gegen uns!“
Die Gruppenführer, unter ihnen Rudi, gingen vor. Dann wurden Abstände von fast fünfundzwanzig Metern gehalten. . .
Zum Angriff!
Ein Sturzacker. Noch war nichts zu sehen. Rudis Herz klopfte so laut, dass er manchmal meinte, der Nachbar könnte es hören. Denn der Tag war so still und die Luft so leer. . .
Er dachte an den Vater, der noch vor einigen Monaten in der Kärntnerstraße im Geschäft gestanden war, im tadellosen schwarzen Rock, ein hübscher Mann mit dunklem Vollbart, und der jetzt schon in einem zerfetzten Soldatenkleid in einem Winkel Österreichs zwischen Kameraden und Serben schlief. . .
Huiiiii s—s—s—s—st huiiii —
Himmel, was ist das? Rudi machte unwillkürlich Halt — da schrie sein Leutnant:
„Marsch — Marsch! Laufschritt!“
Sie rannten dahin. Ein Schrapnellregen deckte die Kolonnen ein. Neben Rudi warf sich einer wie übermüdet hin. und weiter vorne biss einer wie wütend mit verzerrtem Gesicht in die feuchte Erde. .
„Niederlegen! Deckung nehmen!“
Sie warfen sich hin. Aufatmend, mit starren Augen nach vorwärts schauend. Sie sanken in den feuchten Acker, in die träge, lehmige Erde, und das Wasser der Pfützen lief quirlend in ihre Taschen.
Nässe — Regen — und Feuer!
Links und rechts schlugen die Schrapnells ein — Himmel. . . ein Loch neben Rudi. . und Blut . . den letzten Schrei hat er kaum noch gehört. . .
Da fasst ihn blinde Wut. Gegen das Unbekannte, Unsagbare. Gegen den Tod, der da vorne lauert und den man nicht sehen kann. . . und da heißt es schon:
„Sprung auf! Marsch! Marsch!“
Sie eilen dahin, feuern, werfen sich nieder, feuern, eilen wieder — Sprung — Sprung — Sprung —
Und nichts zu sehen vom Feind —
„Der erste Zug vorwärts!“ schreit der Hauptmann.
Rudi hört es nur halb. Er ist ganz vorne. Die andern bleiben zurück. Um ihn klatscht es und kracht es, er hört es nicht mehr. Instinktiv wirft er sich hin, wenn der Höllenspektakel losgeht — und eilt weiter, das mit Lehm besudelte Gewehr krampfhaft in der Hand, wenn es wieder stiller wird. . .
Ein Leutnant läuft nach mit acht Mann.
„Eingraben!“
S—s—s—st! Bumm! S—s—s—st! S—s—s!
Die Schrapnells klatschen von allen Seiten in das Häuflein. Es ist zum Verzweifeln. Schnell holt jeder den kleinen Spaten von der Seite.
Und nun wird der Boden ausgeschaufelt, bis man etwas Deckung hat.
Ein Schrei! Kamerad, was ist Dir?
Der windet sich im Schmerz. Ein Splitter im Unterleib. Blut quillt durch die Uniform.
Rudi schneidet sie im Regen der Geschosse auf. Der Unglückliche legt sich bleich zurück. Schnell den Tornister unter den Kopf. In weißen Perlen steht der Schweiß der Not auf der hohen Stirn des Verwundeten.
„Kamerad!“
Sie kennen sich von Wien her. Schon gleitet die Schattenhand des Todes über das Antlitz des Verwundeten.
Da ruft einer rechts:
„Rudi — mein Bein! Ich habe kein Bein mehr!“
Klatsch! Klatsch! S—s—s—s—!
Fürchterlich ist das Feuer.
Der Leutnant wirft den Säbel weg und dreht das Gesicht der Heimat zu.
Dann liegt er still im Lehm.
Rudi will hin.
„Kopfschuss“, ruft einer von hinten. „Bleib liegen! Willst du uns das ganze Feuer anhetzen?“
Sie liegen still und feuern. Nutzt nichts. Der Gegner ist zu weit und übersät das Feld mit Artillerie.
Der Regen rauscht. Rudi hat das Kommando übernommen, denn der Feldwebel liegt schon verblutend in einer Scholle.
Zurück?
Nie!
Das hätte auch die ganze Kolonne das Leben gekostet.
Also ausharren in dem höllischen Feuer!
Hinten nahen dünne Schützenschwärme. Gott sei Dank! Sie kommen vor, halten sich mehr rechts, graben sich ein. Ein Schwann hinter dem andern.
„Nach rechts Fühlung nehmen!“ kommandiert Rudi. Sie springen auf, laufen ran. Wieder bleiben einige liegen. Die anderen feuern mit den Kameraden, die dort mit einem Offizier liegen.
„Auf“, kommandiert der Oberleutnant.
Sie laufen zwischen Baumgruppen hindurch. Weit dort drüben sehen sie den San. Er sieht schmutzig aus, trostlos, wie alles an diesem Tage.
Rudi sieht eine deutsche Abteilung, die rechts gegen das Dorf unten am Flusse vorgeht.
Die Deutschen! Wie ihnen sein Herz entgegenklopft! Beinahe hätte ihn die Granate mitgenommen, die hinter ihm einschlägt, wie er vergessen hat, sich niederzuwerfen. Ein Kamerad zieht ihn unsanft in den Graben.
Da liegen sie nun in einem verlassenen russischen Graben. Aber jetzt haben sie den Feind vor dem Korn. Jetzt hat das Gewehr Sinn und Wert. Nicht mehr gegen eisenhagelnde, unsichtbare Maschinen geht es
Irgendwo setzt die österreichische Artillerie ein.
Alles bebt. Die Russen aber halten sich, obgleich das Dorf an allen Ecken brennt.
Ein österreichischer Mörser ist nachgekommen. Der sendet einen Schuss in die feindliche Stellung. Es gibt einen Krach, als sollte die Erde von dem Himmel gerissen werden, dort, am fernen Horizont, wo beide zusammengeschmiedet scheinen.
Der Boden bebt, das Artillerieduell wird immer heftiger. Die Russen stehen in starker Stellung, und es ist, als hätten sie doppelt so viel Artillerie aufgefahren als die Österreicher.
Die Kompagnien können nicht aus ihren Gräben heraus. Plötzlich bekommen sie sogar Flankenfeuer. Erst war nicht festzustellen, woher das kam. Die Verluste waren entsetzlich. Der Hauptmann war tot. Aber der Oberleutnant war guter Laune. Er zog sich die braunen Lederhandschuhe fester über die Hände. Gerade als säße er im Ballsaal und nicht hier zwischen Tod und Verderben. Rudi sah es von weitem. Aber ganz anders war das Gefühl, das ihn angesichts der Unverfrorenheit des Offiziers ergriff, als er es sich wohl einmal vorgestellt hatte. Um den Hals hätte er dem kaltblütigen Jungen fallen mögen, der so seine Verachtung für den Tod zur Schau trug, mit dem der verdammte Feind die Feldgrauen hier schrecken wollte.
Wenn man nur erst das Flankenfeuer zum Schweigen bringen könnte, dachte Rudi. Aber man kann nicht raus aus dem Graben!
Drüben graben sich auch die Deutschen, die zu Hilfe gekommen sind, ein. Auch sie können bei dem mörderischen Feuer nicht vor und nicht zurück.
Die Österreicher sowohl wie die näher angeschlossenen Deutschen bekommen wieder Feuer aus der Flanke.
„Verdammt!“ ruft der Oberleutnant. „Die sitzen da drüben in der Scheune. Mit einem Maschinengewehr!“
Schreit es und sinkt zurück. Das Maschinengewehr fegt in die dünne Schützenkette. Knapp, dass die Erde, die immer gütige Muttererde, die Jungens vor dem Verderben bewahrt.
Eine Scheune, denkt auch Rudi, der das Fernglas des Oberleutnants an sich genommen hat.
„Für Gott und —“ stammelt der sterbende Offizier.
Rudi horcht.
„ . . . den Kaiser . . .“
Er hört es nicht. Denn er denkt: Wenn man die Scheune . . . natürlich ist Heu darin — wenn man also die Scheune . . .
„Kamerad, hast du Feuer?“
„Ich geb keines her . . . ist köstliches Gut. . .“
„Und wenn es unser Aller Leben gilt?“
Der reicht ihm die Schachtel. Und schon ist Rudi mitten im Feuer draußen aus dem Graben.
Auf dem Bauch gleitet er zu der Scheune hinüber. Immer näher. Die Kameraden verfolgen mit den Augen den auf dem Boden hin rutschenden Lehmklumpen. Nicht anders sieht der Rudi aus, der noch vor etlichen Wochen ein flotter Wiener Gymnasiast war.
Jetzt ist er ran. Ganz dicht.
Und da liegt er, vor sich den Tod, hört die Russen lachen und das Maschinengewehr knattern:
Kreck! Kreck! Kreck!
Auch die deutschen und die österreichischen Maschinengewehre knattern ähnlich. Und doch ist es dem Rudi, als wäre dieses Heulen und Höhnen ganz, ganz anders.
Als schrie jeder dieser verfluchten Vögel, die ihren tödlich wirkenden Mist in die Reihen der Österreicher warfen:
„Hä—häa—hä—hä — — gelbe Karten — hä— hä—hä— müssen die Studentinnen haben — hä— hä—hä— und die Juden — hä—hä—hä— die werden massakriert — ihre Weiber — hä—hä—hä— gespießt — und alles, was nach Freiheit lechzt hä—hä—hä— kommt nach Sibirien — hä—hä— hä—
Rudi zittert vor Erregung. Er liegt da und versucht, das Streichholz zum Aufflammen zu bringen, und es geht nicht — es ist feucht — hä—hä—hä—
Da bittet der Rudi zu Gott mit zusammengepressten Fäusten: Liebster Herrgott — Du, der das Weltall lenkt — da drinnen — da liegen ein paar Dutzend von der Rasse, die die Weiber vergewaltigen und die Kinder spießen und dem Massenmörder in Petersburg dienen, der es zugibt, dass die Studentinnen — Herrgott, lass das Streichholz angehen . . . Herrgott, ich flehe, ich bitte . . .
Und da brannte das Streichholz.
Es schwelte im Regen . . . und dann brannte die Scheune. . . lichterloh. . . die Russen flohen, wurden niedergeschossen, zurückgetrieben, verbrannten. . .
Der Rudi sah es. Sprang auf, machte vier Gefangene, riss sie aus dem Feuer, das ihnen zum Tode wurde. . . zwang sie, vor ihm her zurück zu kriechen, und kam glücklich wieder bei den Seinen an.
Das war der Rudi, der ins Kloster gehen wollte, wenn der Krieg aus war.