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3. Kapitel.
ОглавлениеKein selg‘rer Tod ist auf der Welt,
Als wer vom Feind erschlagen
Auf grüner Heid im freiem Feld,
Darf nicht hör‘n groß Wehklagen
Im engen Bett, da einer allein
Muß an den Todesreihen;
Hier aber findet er Gesellschaft fein,
Fallen wie Kräuter im Maien.
Ich sag‘ ohne Spott:
Kein selg‘rer Tod
Ist in der Welt,
Als so man fällt
Auf grüner Heid‘
Ohn‘ Klag‘ und Leid!
Mit Trommelklang
Und Pfeifensang
Wir man begraben.
Davon tut haben
Unsterblichen Ruhm. — Mancher Held fromm
Hat zugesetzt Leib und Blute
Dem Vaterland zugute.
Jakob Vogel, um 1620.
„Niedermeier“, sagt der Leutnant, der für den Oberleutnant jetzt den Befehl führt. „Sie werden Unteroffizier und bekommen die Medaille. Lassen Sie mich nur machen.“ Der Rudi hört es nicht. Er sitzt im Graben, sieht, wie die Andern feuern, und denkt an die Russen, die in der schwelenden, knisternden, flammenden Scheune verbrennen.
Elend, bei lebendigem Leibe.
Er ist nahe daran, noch einmal hinauszukriechen, um die Kerls zu retten. Die armen Kunde, die gepeitschten, gedemütigten Sklaven des Nikolaj Nikolajewitsch, die doch nicht dafür können, dass das Verbrechen in Russland gegen Osterreich marschiert, die doch eigentlich wieder unschuldig sind.
Eigentlich . . .
Aber die Kameraden lassen den Rudi nicht mehr heraus.
„Es ist genug“, sagt der Leutnant. „Dass du den Tod nicht fürchtest, wissen wir.“
Nein, der Rudi fürchtete den Tod nicht. Aber dieses Stillliegen in dem von Granaten überheulten Graben war entsetzlich.
„Sobald unsere Artillerie die feindliche Stellung sturmreif gemacht hat, gehen wir mit dem Seitengewehr los!“ sagt der Leutnant und blickt sehnsüchtig zu den Deutschen hinüber.
„Achtung — das muss ein Volltreffer unserer Artillerie gewesen sein.“
Sie lauschten. Ein furchtbarer Donner drang von der feindlichen Stellung herüber, dem sogleich ein weithin hörbares Zischen folgte — und dann stieg kerzengrade eine mächtige Feuersäule zum Himmel empor, der grau und melancholisch auf die Schneelandschaft niederdrückte — Sekunden lang stand die Feuersäule, dann brach sie in sich zusammen und ließ nur mehr eine dunkle Wand von Rauch und Qualm zurück.
„Das ist in die Munition gegangen“, lachte der Leutnant. „Unsere Kameraden haben großartig gezielt.“
„Na, wo sich unsere Artillerie erst einmal eingeschossen hat, da ist sie auch wie eine Bulldogge, die gefasst hat. Die Jungens lassen nicht mehr los.“
„Sie sind uns drüben nur momentan an der Zahl der Geschütze überlegen, “ meinte der Leutnant.“
„Dafür haben wir die besseren Mörser“, erwiderte Rudi.
„Wohl. Aber die Verluste empfinden wir stärker. Hast du nicht gelesen, dass die Russen uns unsere Munition schlecht gemacht haben? Dabei sind die Blindgänger, die wir hinüberfeuern, russische Granaten, die wir ihnen abgenommen haben und die doch schließlich auch ihre Verwendung finden müssen.“
Ein fürchterlicher Krach beendete das Gespräch. Das Getöse, welches in unmittelbarer Nähe erfolgte, ließ die Nerven erbeben. Eine Granate war in den Schützengraben gefallen. Drei Mann waren tot, die anderen waren eingegraben in Lehm und Schnee, so dass sie von ihren Kameraden wieder herausgeschaufelt werden mussten. Beinahe wäre ein braver Landwehrmann dabei erstickt.
Der Leutnant hob den Kopf und sah über den Graben.
Da ging es auch schon los: Kreck—Keck—treck— und blitzschnell riss ein Unteroffizier seinen Vorgesetzten nieder.
Der lachte. Aber das Lachen war doch nicht ganz frei und echt. Denn drüben heulten die Maschinengewehre und spritzten einen Hagel von Kugeln herüber. Es war ein Wunder, dass der Offizier noch heil weggekommen war. Der Unteroffizier wies auf einen Mann, der starr in einer Erdmulde lag.
„Hat auch über den Erdkamm gespäht, Herr Leutnant. Bekam auf der Stelle Kopfschuss. Die Kerls schießen wie die Teufel. Müssen sibirische Schützen sein!“
Nun wurde es wieder still. Die Schrapnells flogen von drüben herüber wie der Hagel, der über ein Feld geht. Die Russen machten verzweifelte Versuche, gegen die österreichische Artillerie aufzukommen, die in der feindlichen Stellung entsetzliche Verwüstungen anrichtete. Und die Mannschaften im Schützengraben lagen mit zusammengekniffenen Lippen, feierlichem Ernst in den Gesichtern, denn jeden Augenblick konnte das Kommando kommen:
Pflanzt Seitengewehr auf! Zum Sturm—na, es war auch die höchste Zeit. Keine Stunde würden sie es mehr aushalten. Seit sechs Stunden lagen sie nun in den eingefrorenen Gräben, überschüttet von feindlichem Feuer, das sie nicht hinreichend stark erwidern konnten, und warteten in erbitterter Ruhe auf den Augenblick, wo sie vorgeschickt wurden, die Stellung des Gegners zu nehmen.
Der Leutnant zuckte zusammen.
„Das war doch hinter unserem Rücken“.
In der Tat — der entsetzliche Krach kam von rückwärts, wo die Artillerie stand — und hätten die in den Schützengräben das Drama beobachten können, das sich da vollzog, sie wären nicht mehr zu halten gewesen und sicher hineingelaufen in Tod und Verderben, denn noch war die feindliche Stellung nicht sturmreif, und in diesem fürchterlichsten aller Kriege entschied nicht nur die persönliche Tapferkeit, sondern — und die zumeist — die Kraft der Technik und die Erfindungsgabe des menschlichen Geistes. In guter Deckung, hinter Unterholz, standen die österreichischen Batterien, die bis jetzt dem Feinde so viel Schaden zugefügt — und eben war wieder ein Volltreffer drüben gemeldet worden, als die Österreicher einen Schuss bekamen, der entsetzlich aufräumte.
War es der Flieger gewesen, der in grauem Morgennebel über den Stellungen gemeldet worden war und den man nicht hatte herunterholen können? Oder hatte sich ein feindlicher Kundschafter durch die Postenkette geschlichen und die Batterie markiert?
Dem mochte nun sein, wie ihm wollte — eine Granate war mitten hineingeschmettert und hatte die Mannschaften zerfetzt, sogar in die Deckung, wo die Pferde standen, war ein Geschoss gedrungen — in dem Getümmel, in dem Wirrwarr zuckender Körper, sich aufbäumender Pferde, deren Flanken von Granatsplittern aufgerissen waren, in dem Getöse und den hin- und herhallenden Kommandos war einige Sekunden lang nichts zu unterscheiden.
Aber da kamen schon Ersatzmannschaften herbei; ohne Zagen und Zaudern nahmen sie die Stellungen ihrer gefallenen Kameraden ein, während diese in dem Regen neuer, einschmetternder Granatsplitter von den Sanitätern weggeschafft wurden. . .
Es dauerte keine fünf Minuten, da kam ein neuer Volltreffer. Wieder das gleiche Bild. Schwere Verluste auf österreichischer Seite — und, was das Schlimmste war:
„Ich kann die Batterie nicht finden, die uns diese Granaten herüberschickt“, rief der Batteriechef seinem Leutnant zu.
Die Geschossbahn ist eine andere als die bisherige. Die russische Artillerie schoss bis jetzt weit über uns hinweg — die Schüsse kommen von einer anderen Batterie, die ich nicht finde“!
Es klang Verzweiflung aus den Worten des Batteriechefs, der zwischen Toten und Verwundeten stand und vergeblich versuchte, mit Hilfe des Feldtelefons, das zu dem Beobachter in einem Unterstand führte, festzustellen, woher die fürchterlichen Treffer kamen.
Oben in einem Fesselballon saßen zwei Offiziere mitten im Feuer der Feinde, die alles aufboten, um die verwünschten Zuschauer der Schlacht unschädlich zu machen, und signalisierten die Treffer der deutschen Artillerie herunter. Diese beiden Offiziere hatten mit Schrecken gewahrt, dass eine verborgene Batterie plötzlich die österreichischen Stellungen eindeckte — aber auch ihnen gelang es nicht, die zweifellos weit rückwärts eingebaute und vortrefflich maskierte Stellung auszukundschaften.
Inzwischen wurde die Lage der Österreicher in dem Unterholz geradezu verzweifelt, und auch die Schützengräben gerieten durch das wohlgezielte feindliche Feuer in die größte Gefahr.
Hinten beim Stab lief eine Meldung um die andere ein. Vergeblich alarmierte der kommandierende General alle vorgeschobenen Telefonposten — vergeblich schlichen Patrouillen, die mit diesen Feldtelefonisten in Verbindung blieben, soweit wie nur möglich an den Feind heran — die geheimnisvolle Batterie war nicht zu finden, die Österreicher und die Deutschen nach wie vor ihrem verlustreichen Feuer ausgesetzt.
„Da muss etwas geschehen“, sagte Rittmeister Januschek, der beim Stabe stand, und meldete sich: „Exzellenz, ich will versuchen, die feindliche Batterie zu erkunden“. „Schön, Herr Rittmeister, wenn Ihnen das gelingt, dann werde ich an Sie denken!“
Der Rittmeister suchte sich drei Freiwillige aus. Tschechen wie er. Sein Plan war schon gemacht.
Da hinten war ein Wald. Durch den kam man kaum zu Fuß. Bisdorthin ging es durch die Feuerzone. Da mussten die Pferde eben ranhalten. Vom Walde aus konnte man weiterkriechen.
Er setzte sich also mit seinen drei Reitern und vier Reservepferden in Trab. Plötzlich erschienen die Reiter auf der von der feindlichen Artillerie beherrschten Ebene.
Sofort wurden sie unter Schrapnellfeuer genommen.
„Los, was die Gäule laufen können!“ schrie Januschek. Sie fegten über die Ebene, eingehüllt in Feuer und Rauch. Januschek sah nicht nach links, nicht nach rechts, nur auf den Wald.
Er erreichte ihn. Knapp davor wurde ihm sein Pferd erschossen. Nock im Jagen sprang er auf das nächste.
Und am Walde raus aus dem Sattel und rein in das Unterholz.
Hinter ihm ein zweiter Reiter.
„Janos, wo sind die anderen zwei?“
„Tot, Herr Rittmeister!“
Er verlor kein Wort. Sie arbeiteten sich durch das Holz. Eine Stunde lang. Blutend, mit zerfetzten Kleidern kamen sie am andern Ende an.
Auf dem Bauch ging es weiter.
Eine halbe Stunde lang.
Da kamen sie auf einen Hügel. Der Rittmeister legte sich weit vor, schraubte das Glas auf und sah sich um.
Da hatte er die feindliche Batterie. Mit Fliegereindeckung im Unterholz stand sie gerade hinter einer Erdwelle.
Er nahm seelenruhig die Karte und zeichnete die Stellung ein. Dann krochen sie zurück.
Es gelang. Wieder ging es durch den Wald. Am Ende standen die Pferde, die Janos angebunden hatte.
Zurück!
Die Russen schienen schon gelauert zu haben. Ein Feuermeer entlud sich über den tollkühnen Reitern.
Wieder setzte — einmal Janos, einmal Januschek — im Reiten auf ein anderes Pferd.
Da brach auch das Reservepferd unter Januschek zusammen — im nächsten Moment explodierte unter ihm der Boden. Hoch auf wurde er geschleudert. . ein entsetzlicher Schmerz wühlte sich in seine Brust — eine Riesenfaust drückte ihm gegen den Schädel. . .
„Janos — Janos —“
Der riss im Feuer das Pferd zurück.
„Die Karte!“
Janos packt sie und davon wie das Ungewitter. Er kommt an — er übergibt die Karte —
Und fünf Minuten später saust eine Granate aus einem österreichischen Mörser hinein in die genau bezeichnete feindliche Batterie —
Sie schweigt!
Da begann der Sturm auf die russischen Stellungen. Mit aufgepflanztem Seitengewehr wurden die sibirischen Schützen aus allen Gräben und Schanzen geworfen. . .
Rudi rannte mit, ohne zu denken, ohne zu wissen, was vorging und was geschah, hinterher sah er qualvoll aufblitzende Augen. . . Hände, die sich im Todesschmerz verkrampften . . .
Hinterher ... lange hinterher. . .
Als die Schlacht vorüber war, suchte er nach dem Rittmeister Januschek. Seine Heldentat hatte sich schnell herumgesprochen im ganzen Heer.
Das Feld, wo Januschek lag, war jetzt frei und ungefährlich. Rudi eilte mit einigen Sanitätssoldaten hinaus. Janos führte sie.
Bald hatten sie die Stelle gefunden, wo der Tapfere gefallen war.
Da lag sein Körper. Eine zweite Granate hatte sich darein verbohrt, und von dem starken Januschek, der das Leben so sehr geliebt und den Tod so oft verlacht hatte, war nichts mehr übrig als der Kopf und einige Uniformfetzen.
Sonst nichts.
Die offenen Augen sahen Rudi an . . . als wollten sie ihn mahnen . . . und während die Sanitätssoldaten neben dem weinenden Janos schnell ein Grab schaufelten, um den Kopf zu beerdigen, suchte Rudi nach der Rose.
Er suchte zwei Stunden lang.
Aber er hat sie nicht mehr gefunden.
Annys Blume hatte der Tod geraubt.
Da kehrte Rudi zu seiner Kompagnie zurück. Der Schwester schrieb er:
„Wir haben gesiegt. Januschek ist gefallen. Er starb als Held. Ich sollte dir die Rose senden, die du ihm geschenkt hast. Sie blüht mit seinem Blut getränkt, auf seiner Brust. Ich habe sie ihm ins Grab gegeben.“
So ließ Rudi den schwarzen Januschek schön und heldenhaft in der Erinnerung der lieben Anny in Wien weiterleben. —
Am nächsten Morgen traten unter Trommelwirbel deutsche und österreichische Regimenter zusammen.
Die Helden des vergangenen Tages wurden belobt und teilweise dekoriert.
Es war eine stattliche Reihe.
Neben Rudi trat ein hochgewachsener, ernster deutscher Oberleutnant vor den deutschen Kommandeur.
„Herr Oberleutnant Graf Elmingen,“ sagte der Generalleutnant, „Sie haben gestern durch die schneidige Attacke, die Sie im kritischen Moment mit Ihren Leuten gegen eine feindliche Batteriestellung ritten, vielen Kameraden das Leben gerettet und den Kampf abgekürzt. Sie haben zwei Kanonen erbeutet. Ich werde Sie für das Eiserne Kreuz erster Klasse in Vorschlag bringen, nachdem das Ehrenzeichen zweiter Klasse Ihre Brust schon schmückt. Ich danke Ihnen für Ihr tapferes Eingreifen und bringe dieses hiermit dem ganzen Regiment als nachahmenswertes Beispiel von Entschlossenheit und Kühnheit zur Kenntnis!“
Der Oberleutnant stand, stramm salutierend, vor dem Vorgesetzten.
Und Rudis Augen hingen voll Spannung an dem deutschen Ulan.
„Graf Elmingen“, murmelte er, „Graf Elmingen . . . das ist doch derselbe, dessen Namen mir Herr von Sandern genannt hat . . .“
Da wurde er selber aufgerufen.
Und sein Oberst, ein eisgrauer Haudegen mit einem wundervollen Franz-Josef-Bart, klopfte ihm auf die Schulter und sprach schöne, kräftige Worte über das mutige Verhalten dieses jungen Freiwilligen, der Allen voranleuchte durch seine Schneid und seine Todesverachtung.
Sie sind Unteroffizier, “ schloss der Oberst, dann kam ein donnerndes Hurra auf die beiden obersten Kriegsherrn, den Hohenzollern und den Habsburger, und dann lösten sich die Verbände auf.
Als der Oberleutnant Graf Elmingen wegritt, eilte ihm Rudi nach:
„Herr Oberleutnant — verzeihen — ist Ihnen ein Herr Oberleutnant von Sandern bekannt?“
„Sandern. . . Mensch — ob der mir bekannt ist? Mein Intimus —“
Schon war er vom Gaul herunter, packte den österreichischen Unteroffizier bei den Schultern:
„Mensch, legen Sie doch schon los . . . wo haben Sie ihn denn getroffen?“
Rudi erzählte. Nebeneinander stapften sie durch Schnee und Dreck.
Schließlich fasste Elmingen die Hand des neuen jungen Freundes:
„Sie wissen gar nicht, welche Freude Sie mir damit gemacht haben, dass Sie mir diesen Gruss überbrachten. Wir wollen uns nicht aus den Augen verlieren, ja? Ich möchte noch mit Ihnen über meinen treuen Kameraden plaudern. Morgen werden wir vielleicht Gelegenheit haben — heute wird ja wohl wieder weiter zurückgegangen.“
„Wie?“ fragte Rudi entsetzt, „wir weichen zurück — trotz des errungenen Sieges?“
„Trotz des Sieges, ja. Die Russen haben gerade auf dieser Front ungeheure Reserven zusammengezogen. Wir müssen langsam weichen, und unsere Hauptaufgabe muss sein, den Gegner nicht zu einer Verfolgung kommen zu lassen. Deshalb müssen wir ihn noch einmal schlagen — aber trotzdem ist unser Marsch eine Rückwärtsbewegung, befohlen vom Großen Hauptquartier. Es erfolgt eine vollkommene Umgruppierung unserer ganzen Kräfte.“
Atemlos hatte Rudi zugehört. Freilich, die Befehlshaber mussten das besser verstehen als er. In ihm klang es nur:
Wenn wir zurück müssen — warum all das Blut? Warum? Warum die Toten, die unsere Straße säumen?
Rudi verstand eben noch zu wenig von Taktik und Strategie und war trotz aller Wandlung zum Soldaten noch zu sehr der Jüngling, dessen Sehnsucht nach stillen Mauern und dem großen Frieden der Gottesnatur ging.
Dass die Russen sich schon wieder mit Heranziehung großer Verstärkungen sammelten, merkte man am Nachmittag dieses Tages, wo sie mit schwerer Artillerie die Straße zu beschießen begannen, die die Österreicher marschieren sollten.
Von neuem also entbrannte der Kampf.
Während einer Gefechtspause saß Rudi abseits in einem Graben. Sein Blick hing an einer kleinen Kirche, die sich ängstlich an eine Erdwelle anschmiegte, als fürchte sie, von einer der umherschwirrenden Granaten des schönen, hellen Kirchturmes beraubt zu werden.
Und Rudi sagte zu seinem Nebenmann:
„Ich weiß nicht, wie es kommt. Mir ist ums Herz so schwer. Einmal möchte ich die Glocken des Friedens klingen hören . . . einmal . . .“
„Da kann man doch nicht hinüber“, antwortete der Kamerad, der dem Blick des Unteroffiziers gefolgt war. „Freilich . . . Glockenläuten . . .“ er schnalzte mit der Zunge und schwieg. Denn er war ein Steyrer Kind und da zogen allerlei Erinnerungen an die Heimat in ihm herauf, als er im Geiste an die Kirchen und an ihre hellen Glocken dachte.
Der Rudi aber war plötzlich verschwunden. Er kroch über die von Granaten bestrichene Straße, stürmte in die Kirche, hing sich an das Glockenseil. . . und plötzlich verstummte das österreichische und das russische Feuer. Plötzlich schwiegen die Kanonen. Eine feierliche Stille legte sich über das blutbefleckte Land.
Und die Glocke klang.
Die Glocke des Friedens sandte ihre hehren Töne über die Felder. Es war, als lausche die ganze Erde in ihrem Rausch von Blut und Taten auf den Klang dieser stillen Glocke, die von Friede und Glauben sang und die Seelen anrührte, dass sie sich Gott nahe wähnten.
Dann verstummte die Glocke.
Wie der Rudi zurücklief, schoss kein russisches Gewehr, keine feindliche Batterie böllerte.
Aber kaum hatte er die Straßenbiegung hinter sich, da krachte es wieder, als wollte sich die Erde öffnen und alle Höllenhunde gegen den Himmel loslassen. Die Russen schämten sich, in dieser halben Stunde so schlechte Soldaten gewesen zu sein. Die Österreicher aber kämpften wie die Löwen, denn sie waren froh, durch ihren Unteroffizier Rudi an diesem Tage einen so unblutigen Sieg über die ganze Menschheit davongetragen zu haben.
Nur der Rudi war in diesen Stunden nicht so sicher wie sonst. Die Glocken klangen in ihm nach.
Den Oberleutnant von Elmingen sah er nicht wieder. Denn was nun kam, ging so schnell, dass Keiner mehr Zeit hatte, an sich und seine Interessen und Wünsche zu denken.
Es kam der grandiose, glorreiche Rückzug der Österreicher und der Deutschen.
Hindenburg führte ihn aus. Losgelöst vom Feinde, der nicht nachzudrücken wagte, gingen die siegreichen Truppen immer weiter zurück zur deutschen und österreichischen Grenze, um zu vermeiden, durch das Aufgebot ungeheuerlicher Kräfte, die die Russen plötzlich ins Feld führten, erdrückt zu werden. —
Die Deutschen hörten wenig von dem, was in Flandern vorging. Eingegraben lagen sich da die Gegner Wochen um Wochen gegenüber, und wieder konnte jetzt im Osten die lang ersehnte Entscheidung nicht fallen.
Unter siegreichen Gefechten gingen die deutschen Armeen zurück. Sie nahmen den Gouverneur von Korff mit sich, den sie bei Warschau gefangen genommen hatten. Und wohin sie marschierten, da kamen ihnen die Nachrichten entgegen, die aus aller Welt in den deutschen Militärbüros zusammenliefen:
Im Schwarzen Meer schlugen sich die Türken siegreich mit den Russen, um St. Mihiel in Frankreich wurde blutig gekämpft, französische Versuche, bei Verdun durchzubrechen, misslangen, in Ostpreußen hielten die Grenzsicherungstruppen, die durch Reserven verstärkt waren, siegreich den Ansturm großer russischer Massen auf und schlugen sie weit über Mlawa zurück. Die Serben erlitten bei Valjevo eine vernichtende Niederlage, die Deutschen erstürmten Dixmuiden, das heißumstrittene, der Heilige Krieg ging, mit der entfalteten grünen Fahne des Propheten, von Konstantinopel aus und suchte den Weg nach Ägypten und ganz Afrika . . . .
Die Tore der Welt standen offen.
Sie öffneten sich wie auf Zaubergeheiß, und die Geheimnisse aller Länder, die Schätze aller Erdteile lagen da, von Kanonen und Bajonetten umstarrt, von Blut umrauscht, von Kampf umtost.
Die Welt flammte — doch über allem Chaos stand siegreich und gewaltig die deutsche Sache, und das Lied, das von so vielen rauen Kehlen auf allen Meern gesungen wurde:
Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt . . .
das Lied gewann eine heilige, symbolische Bedeutung, es war wie die Ouverture zu der gewaltigen Oper, die die Weltgeschichte schrieb und die jetzt mit Kanonendonner und Siegesarien zur Aufführung gelangte.