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ОглавлениеAls Olaf kurz vor sieben das Restaurant Enrico betrat, fühlte er sich am falschen Ort. Dem Kellner, der ihn mit arroganter Freundlichkeit nach seiner Reservierung fragte, nannte er Saras Namen. Er wurde an elegant eingedeckten Tischen vorbei zu seinem Platz am Fenster geleitet.
Sara war noch nicht da. Er vertrieb sich die Zeit zunächst damit, die Restaurantgäste zu beobachten: Durchschnittsalter Ende dreißig, Krawatten, edle Damenhandtaschen, viel Geld. Hier zu essen, könnte eine kostspielige Angelegenheit werden. Er nahm sich die Speisekarte vor und wurde durch die saftigen Preise neben den ausschweifend beschriebenen Gerichten in seiner Einschätzung bestätigt.
Der Kellner fragte ihn, was er zu trinken wünschte. An den Nachbartischen wurden vorwiegend Cocktails und Wein getrunken, für Olaf ein Grund, einen Sauergespritzten zu bestellen.
»Einen Tiefgespritzten, bitte.«
Das Gesicht des Kellners entgleiste für eine Sekunde, bevor er eine hochnäsige Miene aufsetzte. »Wir haben keinen Apfelweinausschank.«
»Kein Apfelwein in einem Frankfurter Restaurant!« Olaf schüttelte in gespieltem Tadel den Kopf, merkte aber gleich, dass seinem Gegenüber der Sinn für diese Art Humor fehlte. »Dann bringen Sie mir bitte die Weinkarte.«
Es dauerte vornehme zehn Minuten, bis Olaf die Karte an seinen Tisch bekam. Nach eingehendem Studium der mit üppigen Beschreibungen ausgestatteten Weinkarte bestellte er eine Flasche Vinho Verde von einem, wie es schien, hochbegabten Winzer aus dem Alentejo in Portugal. Vielleicht traf er damit Saras Geschmack.
Er sah auf dem Handy nach, ob sie ihm vielleicht eine Nachricht geschickt hatte. Immerhin waren es beinahe dreißig Minuten über die vereinbarte Uhrzeit. Als er vom Handy aufblickte, sah er sie zum Restaurant hereinkommen. Es war ein großartiger Auftritt. Sie tauschte Bussis mit einem der Kellner am Empfang aus, dann mit einem graumelierten Herrn, der vermutlich der Eigentümer, mindestens aber der Geschäftsführer war. Sie trug eine aufregend enge Stretchhose und ein ausgeschnittenes rotes Top. Die schwarzen Locken wippten, als sie auf Olafs Tisch zulief. Ihm wurde klar, dass er aufstehen und Bussi geben sollte. Es war ein verwirrendes Gefühl, ihren Körper zu riechen und die seidenen Wangen mit seinen zu berühren. Alle im Restaurant schienen sie anzusehen. Auch als sie sich setzten, schauten einige Leute zu ihnen herüber.
»Oh, du hast Vinho Verde bestellt«, rief sie überschwänglich.
Er goss ihr aus der Flasche ein. »Laut Weinkarte der beste und tollste Weißwein, der je auf diesem Planeten hergestellt wurde«, sagte er mit einem schiefen Grinsen. »Ich hoffe, er schmeckt dir.«
»Ich werde ihn testen.« Sie hob das Glas, um mit ihm anzustoßen. Olaf fiel auf, dass sie das mit der zur Schau gestellten Begeisterung eines It-Girls tat, das einen hochdotierten Vertrag zu erfüllen hatte, nicht wie die Sara, die er gewohnt war.
Kannte er sie überhaupt?
Als sie das Glas abstellte, verzog sie genussvoll das Gesicht.
»Wie geht es dir jetzt?« Olaf hatte sich zu der offensten Frage entschlossen, die ihm in den Sinn gekommen war.
»Befreit«, sagte Sara. »Ich verjuxe das Geld meines Mannes.« Sie nahm einen weiteren Schluck. Das Glas war bereits fast leer.
»Die Finca auf Mallorca«, Olaf schenkte ihr nach. »Du hast sie verkauft.«
»Es musste schnell passieren. Deshalb bin ich kurzfristig nach Palma geflogen.«
Der Kellner stellte Oliven und einen Brotkorb auf den Tisch. Sara schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das er mit einem diskreten Schmunzeln erwiderte. Der graumelierte Herr, der Sara zuvor begrüßt hatte, erschien, um die Bestellung aufzunehmen. Offenbar wurde Sara stets vom Chef persönlich bedient. Olaf hatte sich bereits für das Risotto mit Steinpilzen entschieden. Als Sara zu ihren Pappardelle als Nachspeise eine Mousse au Chocolat orderte, bestellte auch er eine. Mit der Miene eines Mannes, der die Gäste zur getroffenen Wahl der Speisen nur beglückwünschen konnte, verschwand der Graumelierte in den Tiefen des Restaurants.
»Hast du dein Honorar bekommen«, fragte sie, als sie wieder unter sich waren, »oder bist du leer ausgegangen, weil die Polizei den Fall selbst gelöst hat?«
Wie es schien, glaubte sie noch immer, er wäre ein Privatdetektiv.
»Ich habe das sowieso quasi ehrenamtlich gemacht.«
Sie lachte so heftig, dass erneut alle im Restaurant zu ihnen herübersahen. Es war nicht das sinnliche Lachen, das sie sonst auszeichnete. Es klang, als würde sie ihn auslachen. »Ich glaube nicht, dass du ein privater Ermittler bist«, sagte sie spöttisch.
»Ich bin tatsächlich so etwas wie ein ehrenamtlicher Privatdetektiv«, stellte Olaf klar. »Ich arbeite ohne Bezahlung, sogar ohne Auftrag, und habe meine ganz eigenen Methoden.«
»Auf den Robin Hood von ›Frankfurt Forrest‹!« Sie prostete ihm mit einem ironischen Grinsen zu. Dann nahm sie einen großen Schluck. »Welche Methoden zeichnen dich als Superspürnase aus?«
»Willst du es wirklich wissen? Ich müsste dazu ein wenig ausholen, um es zu erklären.«
Sara griff nach ihrem Glas, schien zu bemerken, dass es nach einem weiteren Schluck leer wäre, und stellte es, ohne zu trinken, zurück auf den Tisch. »Mir ist sowieso langweilig, und Zeit haben wir genug.« Sie schien sich bewusst ein wenig nach vorne zu beugen, um Olaf einen verwirrenden Blick in ihr Dekolleté zu gewähren.
»In meinem letzten Fall habe ich einen Handyvirus eingesetzt«, begann Olaf. Er erklärte, wie er durch ihn die vertraulichen Informationen der Polizei erhalten hatte. Dass dies zunächst unbeabsichtigt passiert war, verschwieg er allerdings, ebenso die vielen Irrtümer, denen er im Laufe der Ermittlungen aufgesessen war.
Sara hörte ihm so gespannt zu, dass sie vergaß, von ihrem Wein zu trinken. »Und du hast den Virus tatsächlich selbst programmiert?«, fragte sie schließlich.
Olaf erzählte von seinem Beruf als IT-Experte, dass er als Security-Spezialist gearbeitet hatte, seit Kurzem erst in Rente war, und von seinen Hackerwerkzeugen, die er für seine ganz und gar nicht legalen Einsätze nutzte.
»Du kannst wirklich Daten von fremden Laptops abgreifen?« In ihrer Stimme lag beides, Skepsis und Bewunderung.
»Auf diese Weise bekam ich die entscheidenden Informationen zu dem Fall.«
Sara trank ihr Glas leer, Olaf schenkte nach. Sie lächelte ihn selig an. Offenkundig hatte sie von dem Wein einen Schwips. Die Flasche war leer.
»Soll ich noch einen Vinho Verde bestellen?«
»Auf keinen Fall!«, sagte sie etwas zu laut.
Vernünftiges Mädchen, dachte Olaf.
»Zum Essen trinken wir einen Primitivo.«
Sie winkte dem Graumelierten, der eilfertig ihre Wein-Bestellung entgegennahm.
»Bist du wieder an einem ehrenamtlich zu lösenden Mordfall dran?«, fragte sie daraufhin.
Olaf zögerte einen Moment. Er hatte Sara gerade so viel über seine kriminalistischen Eskapaden erzählt wie, von Gottfried abgesehen, niemand anderem. Sollte er sie nun auch noch in den neuen Fall einweihen?
»Kannst du Geheimnisse für dich behalten?«
Sie blickte ihn herausfordernd an. Fast glaubte er zu sehen, dass sie sich erregt auf die Unterlippe biss.
»Bei mir sind deine schmutzigsten Geheimnisse bestens aufgehoben«, säuselte sie ironisch.