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Es war alles andere als einfach gewesen, die Frau des Ermordeten zu einem Interview zu bewegen. Olaf war am Telefon in die Rolle eines Journalisten geschlüpft, der mehr über den Mord in Erfahrung bringen wollte. Wie von Gottfried vorhergesagt, hatte das Argument, Olaf wolle die Anschuldigungen gegen ihren Mann entkräften, den Ausschlag dafür gegeben, dass Sabine Yousef sich schließlich zu einem Treffen bereiterklärte. Olaf war mit ihr um elf Uhr verabredet. Ihm blieb noch genügend Zeit, am Computer einen möglichst echt wirkenden Presseausweis für einen gewissen Michael Dernhard zu entwerfen. Er mochte diesen Tarnnamen. Er hatte ihn bereits einige Male für Recherchen genutzt.

Als er gegen elf Uhr das Reisebüro betrat, lächelte ihm eine junge Frau mit Kopftuch entgegen. Kopftuch – so hätte er früher gesagt. Heute, in einer Zeit, in der hysterisch über Burkas, Burkinis und sonstige Utensilien zur Verhüllung von Haut und Haaren diskutiert wurde, wusste Olaf das Kopftuch treffsicher als Hidschab einzuordnen. Die Augen der Frau waren kunstfertig geschminkt, was der Verschleierung den Eindruck eines bewusst gewählten Modeaccessoires verlieh. In professionellem Tonfall fragte sie, was sie für ihn tun könnte. Ihre Stimme war nicht die der Frau, mit der er telefoniert hatte. Auch war schwer vorstellbar, dass sie den urdeutschen Namen Sabine tragen könnte, zudem war sie viel zu jung, um Yousefs Frau zu sein. Wie es schien, leistete man sich eine Angestellte, um das Reisebüro weiterzuführen.

Olaf nannte der Frau den Grund seines Besuchs.

»Sabine!«, rief sie ungeniert durch den Laden in Richtung einer geöffneten Tür, die Olaf bisher nicht wahrgenommen hatte. »Der Mann von der Zeitung.«

Die blonde Frau, die sogleich durch die Tür trat, stellte sich als Sabine Yousef vor. Ihr Händedruck war fest und geschäftsmäßig. Er passte nicht zu ihrem verzagten Gesicht. Es war mehr als offenkundig, dass sie gerade geweint hatte.

»Trinken Sie Kaffee oder lieber Tee?«, war das nächste, was sie mit brüchiger Stimme sagte. Sie leitete ihn in das mit einer kleinen Küchenzeile und einem Tisch ausgestattete Hinterzimmer, aus dem sie gerade gekommen war. Mit energischen Bewegungen stellte sie eine Tasse auf den Tisch und goss Kaffee aus einer Kanne ein. Vermutlich wollte sie sich souverän zeigen, wirkte aber fahrig.

»Ich möchte Ihnen als Erstes mein Beileid ausdrücken«, sagte Olaf, bevor er sich auf einem Stuhl am Tisch niederließ. Die Frau nickte mit ausdrucklosem Gesicht. »Das Reisebüro muss eine große Belastung für Sie sein.«

»Das wird in Kürze verkauft.« Ihre Stimme klang belegt. Sie stellte sich Olaf gegenüber ans Fenster. »Özlem wollte es sowieso übernehmen. Das ist die Frau draußen im Laden, die Nichte eines Freundes von Kasim. Eigentlich sollte das in zwei Jahren sein. Wer konnte ahnen, dass es so schnell und unter solchen Umständen geschehen würde?« Sie putzte sich die Nase.

»Sind Sie Miteigentümerin des Reisebüros?«

»Nein.« Sie wurde lebhaft, als ob sie unterstreichen wollte, dass sie mit dem Laden nichts zu tun hatte. »Ich bin Sozialpädagogin und leite eine internationale Kita. Das Reisebüro hat Kasim alleine aufgebaut, sein ganzer Stolz.« Sie stockte kurz. »Ich habe mir Urlaub genommen, um alles zu regeln …«, ihre Stimme klang wieder belegt, »was in einem solchen Fall zu regeln ist.« Erneut putzte sie sich die Nase.

Olaf besann sich darauf, die Rolle des Journalisten zu spielen, zog den Notizblock aus dem Rucksack und nahm einen Stift zur Hand.

»Wie Sie wissen, bin ich freier Journalist und schreibe Artikel für große Tageszeitungen. Ich versichere Ihnen, dass nichts veröffentlicht wird, was Sie nicht ausdrücklich autorisieren.«

Sie nickte wortlos.

»Wann hat Ihr Mann das Reisebüro übernommen?«

»Er hat es, wie gesagt, nicht übernommen, sondern selbst aufgebaut. Zuvor war dort ein Copy Shop. Das war vor siebenundzwanzig Jahren.«

»Wirft der Laden genug ab? Spätestens seit dem Internet gibt es ja andere Wege, Urlaube zu buchen, als in ein Reisebüro zu gehen.«

»Kasim hatte verlässliche Kontakte in der Türkei. Er hat Kunden in die Hotels von Freunden und Verwandten vermittelt. Das waren keine Urlaube von der Stange, sondern zum Beispiel Hotels in der Nähe von Naturschutzgebieten.«

»Er hatte also ein originelleres Angebot als die meisten anderen und konnte sich gegen die Konkurrenz behaupten?«

»Ja«, sagte sie bestimmt. »Er hatte einen guten Ruf als Insider und treue Kunden, die ihre Urlaube immer wieder bei ihm buchten.« Sie tupfte ihre Nase mit dem Taschentuch.

»Waren das hauptsächlich Kurden?«

»Nein. Überhaupt nicht.« Zum ersten Mal huschte über Sabine Yousefs Gesicht ein kurzes Lächeln. »Seine Kunden waren Deutsche ohne optisch erkennbaren Migrationshintergrund.«

Bio-Deutsche würden das die Anhänger der DfD, der Partei Deutsche für Deutschland, nennen, ging Olaf durch den Kopf. Er behielt diesen Gedanken für sich. »Hatte Ihr Mann auch Einkünfte aus anderen Geschäften als dem Reisebüro?«

»Nein«, antwortete sie knapp.

»Das Geld hat für Sie und Ihre Familie gereicht?«

Sie blickte ihn irritiert an. »Ich verdiene in meinem Beruf gut und Kasim ebenfalls.« Sie stockte. »Er hat gut verdient, sollte ich sagen. Er hat keine weiteren Geldquellen gebraucht, schon gar keine dubiosen, falls es das ist, worauf Sie hinauswollen.« Sie sah ihn herausfordernd an.

Er nickte. »In der Presseerklärung der Polizei ist von der Organisierten Kriminalität die Rede. Was sagen Sie zu der Version der Polizei?«

»Nur weil Kasim diesen fremden Namen hat«, sie blickte starr aus dem Fenster in den Hinterhof des Gebäudes, »fällt der Polizei nichts anderes ein als Drogenkriminalität und Verbrecherbanden. Die Polizisten sind voller Vorurteile.«

»Ist es dennoch denkbar, dass Ihr Mann von Kriminellen bedroht wurde? Jemand könnte Schutzgeld von ihm erpresst haben.«

Sie stieß ein freudloses Lachen aus. »Das hier ist ein Reisebüro, keine Stripteasebar. Und wir sind in Bockenheim, nicht im Wilden Westen.«

Olaf machte sich Notizen. »Könnte es einen politischen Hintergrund geben? Weil Ihr Mann Kurde war?«

»Kasim war Deutscher. Deutscher kurdischer Herkunft.« Sie wandte sich wieder Olaf zu, blieb aber vor dem Fenster stehen. »Ich wurde nach politischen Kontakten meines Mannes befragt. ›Erdogans langer Arm reicht bis nach Frankfurt‹, hat einer der Polizisten gesagt.« Sie stieß ein Lachen aus, das mehr nach einem Jammern klang. »Kasim war völlig unpolitisch. Die Beamten sind voreingenommen, weil es um einen Mord an einem gebürtigen Kurden geht.«

»Wie ist Ihr Mann mit seiner Herkunft umgegangen? Hat sie für ihn eine große Rolle gespielt?«

»Er hat sie nicht verleugnet. Gelebt hat er aber wie ein ganz normaler Deutscher. Wir sind sogar jedes Jahr nach ›Klaa Paris‹ auf den Fastnachtszug gegangen.«

Olaf stellte sich einen kurdisch aussehenden Mann mit Narrenkappe vor, der »Helau« rief und Knolle’ von der Straße aufsammelte. Er unterdrückte ein Schmunzeln.

»Könnte er irgendetwas getan haben, durch das er sich möglicherweise den Zorn seiner türkischen Landsleute – seiner ehemaligen Landsleute – zugezogen hat?«

»Da braucht es nicht viel. Bei der politischen Lage! Kasim war aber nicht an Politik interessiert. Natürlich hat er den türkischen Präsidenten abgelehnt, geradezu verachtet. Aber welcher Kurde tut das nicht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich öffentlich oder im Internet politisch geäußert hat.«

»Hat er sich regelmäßig mit anderen Kurden getroffen? Ging er vielleicht auf kurdische Versammlungen oder dergleichen?«

»Sein Bruder wohnt mit seiner Familie in der Nähe. In Rüsselsheim. Wir haben uns natürlich gegenseitig besucht. Sonst weiß ich von einigen Freunden und Bekannten. Dabei sind auch welche aus dem Dorf, aus dem Kasim stammt, mit denen er sich gelegentlich getroffen hat.«

»Und wie steht es mit Versammlungen oder kurdischen Vereinen?«

»Kasim ist regelmäßig zu einem Literaturtreffen gegangen, ich denke viermal im Jahr.«

»Kurdische Literatur?«

»Ja. Die veranstalten Lesungen aus Büchern kurdischer Autoren. Ich war bloß einmal dort. Ich spreche ja die Sprache nicht. Soweit ich weiß, ist es ein eingetragener Verein. Deutsch-Kurdischer Literatursalon heißt der. Kasim ist seit Jahren Mitglied.«

»Ich habe von kurdischer Literatur keine Ahnung. Ich denke aber, dass sie bestimmt sehr politisch ist.«

»Möglich. Kasim hat davon nicht viel erzählt. Ich weiß es nicht.«

Olaf würde sich diesen Verein näher anschauen. Nun wollte er allerdings ein anderes Thema anschneiden. Das heikle. Er beschloss, vorsichtig vorzugehen.

»Sie müssen mir nicht antworten, wenn Sie nicht wollen«, sagte er behutsam. »Darf ich fragen, ob Ihre Ehe intakt war?«

»Ja. Das war sie.« Sie wandte sich ab und schnäuzte in ihr Taschentuch.

»Entschuldigung.« Olaf fühlte sich unwohl, beinahe mies. Die Frau sprach nur deshalb mit ihm, weil sie sich davon einen Zeitungsartikel erhoffte, der ihren Mann von zwielichtigen Anschuldigungen freisprechen könnte. Dieser Artikel würde aber nie geschrieben werden. Er hasste es, in ihrem Unglück herumzustochern.

»Es ist in Ordnung.« Sie wischte mit der Hand über ihre tränennassen Augen. Wäre sie geschminkt gewesen, hätte sie nun das komplette Gesicht verschmiert. »Wir waren glücklich miteinander«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Damit meine ich nicht nur unsere Beziehung, sondern die Familie. Wir haben zwei erwachsene Töchter.«

Olaf fühlte sich immer unwohler. Sollte er Frau Yousef geradeheraus zu den Gerüchten befragen, ihr Mann wäre ein Kinderschänder gewesen? Bisher hatte sie nicht die geringste Andeutung hierzu gemacht, obwohl sie sehr offen zu ihm war. Ob sie tatsächlich nichts davon gehört hatte? Oder versuchte sie, es zu verheimlichen? Vielleicht war Yousef wirklich pädophil gewesen. Dann könnte er sich möglicherweise auch an den eigenen Kindern vergangen haben. Frau Yousef könnte eine der Mütter sein, die den Missbrauch ihrer Kinder nicht wahrhaben wollen oder versuchen, ihn auszublenden, statt ihn zu unterbinden.

»War auch das Verhältnis Ihrer Töchter zum Vater in Ordnung?«, fragte Olaf schließlich.

Sie sah ihn einen Moment lang verständnislos an. »Beide wohnen nicht mehr zu Hause. Trotzdem sehen wir uns oft, und einmal im Jahr machen wir eine gemeinsame Radtour den Main entlang bis nach Würzburg. Kasim hat diese Familientradition ins Leben gerufen, als die Mädchen noch recht klein waren. Ich weiß nicht, ob wir sie ohne ihn fortsetzen werden.«

»Sind Ihre Töchter verheiratet?«

Sie schien über die Frage verwundert. »Nina studiert in Göttingen«, sagte sie schließlich. »Sie ist sechsundzwanzig und schreibt an ihrer Masterarbeit. Vor etwa zwei Jahren hat sie sich von ihrem Freund getrennt. Seitdem hat sie keine Zeit für eine Beziehung, sagt sie.« Sie lächelte. »Isabel ist vierundzwanzig und studiert ›Sustainable Development‹, oder wie immer das offiziell heißt, in Fulda.«

Das klang nicht nach Missbrauchsopfern, sondern nach zwei ganz normalen, selbstbewussten jungen Frauen. Olaf beschloss, Sabine Yousef nicht mit den ungeheuerlichen Anschuldigungen zu konfrontieren, von denen ihm erzählt worden war. Wie es schien, hatte sie nie davon gehört.

»Laut Polizei wurde Ihr Mann von einem Kunden aufgefunden. Was wissen Sie über die Umstände?«

»Ich wurde in der Kita angerufen.« Sie öffnete die Schublade neben der Spüle, entnahm ihr eine Packung Taschentücher und putzte sich erneut die Nase. »Ich weiß nicht, wie Kasim umgebracht wurde. Ich kenne den Mann nicht, der ihn entdeckt hat. Vermutlich war es einfach jemand, der eine Reise buchen wollte. Die Waffe wurde auf die Schläfe aufgesetzt und Kasims Kopf …« Sie brach ab.

»Ich kenne die Presseerklärung der Polizei«, beeilte Olaf sich zu sagen. Er konnte nachempfinden, was in Sabine Yousef vorging. Er hatte denselben Schmerz gespürt, das erste Mal vor zwei Jahren. Es war ein Schmerz, der immer wieder zurückkehrte, wenn er an seine Frau Carola dachte, an ihren Unfall.

»Das reicht für heute«, sagte er schließlich. »Ich werde weiterrecherchieren.«

Er erhob sich von seinem Stuhl. Es war ein spontaner Impuls, einen Schritt auf Sabine Yousef zuzugehen und sie zu umarmen. »Es tut mir so leid für Sie.«

Sie ließ es geschehen, legte sogar für einen Augenblick ihren Kopf an seine Schulter. Dann löste sie sich von ihm und trat einen Schritt zurück.

»Vielen Dank.« Es klang, als sagte sie es zu sich selbst.

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