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|7| Zwischen »Fledermaus« und »Parsifal«: Ein Stück für Kinder, Erwachsene und Philosophen

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Mozarts »Zauberflöte« ist ein multimedialer Dauerbrenner – nicht zuletzt wegen des liebenswerten Antihelden Papageno. Ins Briefmarkenformat gelangte er, als die Österreichische Post 2013 dem Salzburger Marionettentheater zum 100. Geburtstag gratulierte. Seit 1952 treibt die Papageno-Puppe dort ihre Späße.

»Die Zauberflöte gehört zu den Stücken, die ebenso ein Kind entzücken wie den Erfahrensten der Menschen zu Tränen rühren, den Weisesten erheben können. Jeder einzelne und jede Generation findet etwas anderes darin, und nur dem lediglich ›Gebildeten‹ oder dem reinen Barbaren sagt sie nichts.« Alfred Einsteins berühmtes Diktum über Mozarts letzte Oper entstammt seiner nicht minder berühmten Biografie Mozart. Sein CharakterSein Werk, die der aus Deutschland wegen seiner jüdischen Herkunft verjagte Wissenschaftler im Kriegsjahr 1942 im US-amerikanischen Exil vollendete. Von Einsteins Buch wurde ich als Siebzehnjähriger erstmals zum Nachdenken über Mozart angeleitet; seitdem schlummerten diese schönen Sätze über die Zauberflöte in meinem Gedächtnis. Sie brachten mich auf die Idee, in einer Art Feldforschung heutige Liebhaber des Stücks über ihre Zauberflöten-Faszination zu befragen, um einen Überblick darüber zu gewinnen, was Menschen verschiedener Lebensalter und Berufe an Mozarts letzter Oper wichtig ist.

|8| Wenn nun meine Interviewpartner zu Wort kommen, so fast durchweg in einer aufsteigenden Altersreihe und mit dem Geburtsjahr in Klammern. Demgemäß soll die jüngste Zauberflöten-Kennerin unserer Umfrage den Reigen eröffnen: die Schülerin und Geigerin Amrei Schick (2007). Amrei fasziniert an ihrer »Lieblingsoper«, dass sie »so fantasievoll ist. Und die Königin der Nacht finde ich nicht böse, sie will nur ihre Tochter wiederhaben. Ich finde den Sarastro eher böse. Am liebsten habe ich Papagena, weil sie so bunt und schlau ist.« Der Blick auf die Figuren lässt also bereits ein kleines Mädchen darüber nachdenken, wie es um Gut und Böse in dieser Oper eigentlich bestellt ist. Für die Abiturientin Lisa Maier (1996) ist das Stück ein »jung gebliebener Klassiker«, und sie hebt auf Mozarts Kunst der Personencharakterisierung ab: »Die Zauberflöte kann zu jeder Zeit auf jegliche Gesellschaft übertragen werden, weil sich jeder darin in irgendeiner Form wiederfinden kann. So ist für jeden etwas dabei: der lustige, aber etwas naive Papageno mit einfachen Strophenliedern, wie auch die Königin der Nacht mit ihren anspruchsvollen Koloraturarien.« Auch der Musikwissenschaftler Patrick Klingenschmitt (1985) betont die Zeitlosigkeit der Zauberflöte, sie sei »ein in jeder Hinsicht revolutionäres Werk, inhaltlich kontrovers angelegt, mit keinem geringeren Ziel als einer durch und durch humanistischen Utopie. Auch nach über 220 Jahren Rezeptionsgeschichte bleibt sie zeitlos subversiv und von beeindruckender Überzeugungskraft.« So gesehen, gründet die Klassizität des Stücks auf seinem Unruhepotenzial und gerade nicht auf einer Bestätigung überkommener Normen. Das sieht der Komponist Anno Schreier (1979) ähnlich, doch argumentiert er mit der unkonventionellen Formgebung des Werks: »Die Zauberflöte könnte für uns heute ein Vorbild sein zur Erneuerung des Musiktheaters: weg von der Oper als vollendetem ›Meisterwerk‹, hin zur Oper als heterogenem ›Machwerk‹; ein Neben- und Durcheinander von hohem Ton und populärem Spiel, von Ernst und Klamauk, von Strenge und Über-die-Stränge-Schlagen.«

Und was sagen Interpreten unserer Zeit zur Zauberflöte? Die Sopranistin Julia Kleiter (1980), die gegenwärtig als die Fachfrau für die Rolle der Pamina gelten kann, räumt ein, eher ein »Rigoletto- als ein Zauberflötenkind gewesen zu sein.« Sie sieht das Stück zwischen Realität und Märchen changieren und macht auf dessen Ernst aufmerksam: »Denn viele Märchen sind ja ernst.« Der Tamino-Darsteller Daniel Behle (1974) wiederum bewundert an der »gut gealterten« Zauberflöten-Musik, dass sie »jedes Mal den richtigen Ton zur richtigen Zeit trifft und ihre Klangfarben mitunter bereits auf die Romantik vorausweisen.« Der Dirigent Marc Piollet (1962) rückt die Komposition vollends in den Vordergrund |9| und letztlich vor das Drama. Wenn er sich auf eine neue Zauberflöten-Produktion einlasse, sei das wie »ein Comeback zur reinen Musik«. Letztlich habe die Zauberflöte eine schwer nachvollziehbare Dramaturgie, »die Irrläufe der Menschen auf der Bühne« würden vielmehr durch die Musik dank ihrer »poetischen Reinheit aufgehoben«. Und so lautet Piollets Fazit: »Andere Stücke sind viel konkreter.«


Ein klassischer Generationenkonflikt: Die Königin der Nacht (Diana Damrau) im Streit mit ihrer Tochter Pamina (Genia Kühmeier) in Pierre Audis »Zauberflöten«-Inszenierung der Salzburger Festspiele 2006.

Das sieht die Buchkünstlerin Caroline Saltzwedel (1957) ähnlich: »Wahn, Traum, Poesie … Die Zauberflöte ist ein endloses Rätsel, das durch die Fülle seiner Melodien mich immer wieder entzückt. Richard Wagner ging es offenbar nicht anders: Tannhäusers Heilsruf ›Elisabeth!‹ scheint mir ein Echo auf den Anfang von Taminos Bildnis-Arie.« Auch einem altgedienten Musikwissenschaftler wie Volker Scherliess (1945) ist die Beschäftigung mit der Zauberflöte nach wie vor »höchstes Musik-Glück«, nicht zuletzt, weil man sich keinen abschließenden Reim auf das Werk machen kann: »Altvertraut und geheimnisvoll, von höchster Popularität und doch in ihren geistigen Dimensionen unauslotbar: die Zauberflöte. Wer sich ihr nähert, auf welchem Wege auch immer, wird beglückt, muss aber zugleich erschrecken, denn sie sprengt alle Begriffe – nicht zuletzt |10| den der musikalischen Gattungen. Wie einmal gesagt wurde: Hier sind Fledermaus und Parsifal noch zusammen …«

Der Theaterverleger Karlheinz Braun (1932) hingegen nähert sich dem Stück als Bühnenpraktiker, wenn er fragt: »Kann es einen wirkungsvolleren Anfang einer Oper geben als den der Zauberflöte? Der Angriff einer mythengesättigten Schlange auf einen Jüngling zu einem überaus gestischen Allegro in c-Moll. ›Zu Hilfe! zu Hilfe! sonst bin ich verloren‹, ruft dieser Tamino und fällt in Ohnmacht. Doch schon erscheinen drei verschleierte Damen und erledigen in hoffnungsvollem As-Dur das Ungeheuer. ›Triumph! Triumph! Sie ist vollbracht die Heldentat!‹, jubeln sie darauf in Es-Dur und bestaunen in unverhohlenem erotischen Interesse den schönen Jüngling.« Weiter amüsiert sich Karlheinz Braun über das »Zickenterzett« der um die Gunst des ohnmächtigen Tamino streitenden Damen, nach deren Verschwinden und Taminos Erwachen »nur der Kadaver einer Schlange von der überstandenen Gefahr« zeugt. Damit biete »bereits die erste Szene der Oper genügend Material für ein psychoanalytisches Seminar.«

Welch ein anregendes Durcheinander bereits in dieser kleinen Zauberflöten-Vorschau: Da treffen sich Jung und Alt, indem sie die Protagonisten beobachten, während andere die reine Musik in den Vordergrund rücken. Oder es wird versucht, den spezifischen Charakter des Stücks auf den Punkt zu bringen und seine Schönheit zu beschreiben, außerdem wird seine historische Einordnung, Zukunftsfähigkeit und Inspirationskraft diskutiert. Hierbei gilt für die Laien ebenso wie für die Fachleute und Praktiker: Alle haben ihre eigene Version von der Zauberflöte im Kopf. Auch scheint für niemanden die persönliche Aneignung des als Rätsel begriffenen Werks abgeschlossen zu sein. Abgehakt hat es also niemand. Wie aber lässt sich größere Einsicht in die Eigenart eines Werks gewinnen, das sich wie die Zauberflöte letztlich im Abseits gängiger Kategorien entfaltet? Vielleicht gelingt das ja über die Entstehungsgeschichte. Deshalb wollen wir uns nun den beiden Urhebern des Werks – dem Komponisten und dem Librettisten – zuwenden.

Mozart. Die Zauberflöte

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