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Komponist und Librettist: Zwei reisende Selbstdarsteller machen sich auf den Weg
ОглавлениеEmanuel Schikaneder als Papageno in der Erstausgabe des »Zauberflöten«-Librettos von 1791.
In den Jahrzehnten vor Ausbruch der Französischen Revolution stechen uns höchst eigenwillige Lebenswege ins Auge, die sich in den Normen einer ständischen Gesellschaft immer weniger fassen lassen. Die Bindungen an Fürsten und Höfe, an weltliche und geistliche Landesherren, aber auch an die zunftmäßige Ordnung innerhalb der Städte erodieren nach und nach. Und so begegnen uns Leute meist bürgerlicher Herkunft von enorm kreativer oder künstlerischer Potenz, denen eines gemeinsam ist: ihre Mobilität. Geschäftssinn treibt diese Selfmademen durch Europa, und die Grenzen zwischen Scharlatanerie und echter Könnerschaft sind fließend: Windige Betrüger und Obskuranten wie Cagliostro, der der Alchemie frönende mysteriöse Graf von Saint Germain oder sein angeblicher Schüler, der mit Magnetsteinen hantierende Wunderheiler Franz Anton Mesmer, reisen durch die Lande – nach Aufmerksamkeit heischend und auf den Geldbeutel ihres Publikums schielend, das seinerseits auf Sensationen aus ist. Aber auch im Bereich der Künste agieren Selbstvermarkter ohne Netz und doppelten Boden, allen voran der Herzensbrecher und Schriftsteller Casanova oder |15| sein venezianischer Landsmann, der bereits erwähnte Mozart-Librettist Lorenzo Da Ponte, ein entlaufener Priester jüdischer Herkunft, den seine dichterischen Hervorbringungen einerseits, etliche Amouren andererseits in die absonderlichsten Verlegenheiten und Gefahren brachten.
Zwei Gruppen stehen in diesem europäischen Welttheater der Selbstdarsteller schon von Berufs wegen ganz vorne auf der Bühne: zum einen die Musiker, zum anderen das fahrende Volk der Schauspieler. Und nicht zuletzt in der Zauberflöte werden sie sich ein Stelldichein geben. Noch aber ist es nicht so weit. Die Voraussetzungen dafür müssen erst noch geschaffen werden – etwa durch die viel beschriebene Wunderkind-Karriere des jungen Mozart. Diese geniale PR-Tour in mehreren Reisen wurde vom Vater Leopold passgerecht auf die Unterhaltungsbedürfnisse einer meist höfischen Hörerschar zugeschnitten, die sich von dem kleinen Musikus in Begleitung seiner viereinhalb Jahre älteren Schwester Maria Anna, genannt Nannerl, bezaubern ließ. Leopold Mozarts Projekt der Eigenkindvermarktung mag heutzutage wie ein Ausbeutungsdelikt anmuten, gäbe es da nicht einen triftigen Einwand: die offensichtliche Freude der beiden Mozart-Kinder an diesen Reisen.
Hinzu kommt Vater Leopolds erzieherischer Eros. Von Drill und Einzelhaft am Klavier keine Spur. Spielerisch werden Nannerl und Wolfgang ans Musizieren herangeführt, das Geigespielen bringt sich der Knabe weitgehend selbst bei. Dass Reisen bildet, bestätigt sich bei Mozart in zweifacher Hinsicht: Die ihm in den fremden Ländern begegnenden Sprachen erlernt er mühelos, und weil er auf seinen Touren durch Europa und die deutschen Lande immer ein offenes Ohr für die Werke der vor Ort wirkenden Komponisten hat, eignet er sich frühzeitig eine breite musikalische Repertoirekenntnis an. Wie ein Schwamm scheint er diese vielfältigen Reiseklangeindrücke aufzusaugen, als er nach ersten Stückchen aus dem Jahre 1761 nach und nach ins Kompositionshandwerk hineinwächst. Daraus erklärt sich, dass ihm – wie wir nicht zuletzt an der Zauberflöte sehen werden – letztlich alle musikalischen Gattungen, Stile, Kompositionstechniken und Tonfälle, die seinerzeit gängig waren, zu Gebote standen.
Doch lassen wir zunächst ein paar Reisestationen des kleinen »Mozartl«, wie ihn sein Dienstherr, der Hochwürdigste Fürsterzbischof von Salzburg und Primas Germaniae Sigismund Christoph von Schrattenbach, nannte, Revue passieren: 1762 spielte der gerade sechsjährige Knabe am kurfürstlichen Hof zu München und sogar am kaiserlichen Hof zu Wien auf. 1763/64 verschlägt es ihn nach Paris und Versailles sowie nach London; 1765 findet man ihn in den Niederlanden, ein Jahr später in Genf und Zürich, 1770/71 in Rom, wo er in den päpstlichen Orden vom Goldenen |16| Sporn aufgenommen wird, und in Mailand. Die Kaiserin Maria Theresia freilich beeindruckt diese Ordensverleihung nicht, ausdrücklich rät sie ihrem in die Lombardei abkommandierten Sohn Ferdinand Karl davon ab, den »jeune salzburgois« in Dienst zu nehmen; man brauche bei Hofe keine Komponisten oder dergleichen »unnütze Leute«, auch würden die Mozarts »die Erde ablaufen wie die Bettler«. Auch wenn Mozart von der kaiserlichen Geringschätzung keine Ahnung hatte, so tut sich in dieser Äußerung eine aristokratentypische Arroganz kund, die Mozart zeit seines Lebens auf die Palme brachte.
Wie vergänglich der Nimbus des Wunderknaben indessen war, erfuhr Mozart 1777/78, als er sich über Augsburg und Mannheim nach Paris begab, wo seine Reisebegleiterin, die Mutter, am 3. Juli 1778 starb. Weder brachte ihm die Reise, wie er erhofft hatte, einen Opernauftrag noch eine feste Anstellung ein. Denn der Heimatstadt war Mozart inzwischen längst überdrüssig, zumal dem seit 1772 amtierenden Fürsterzbischof Colloredo die Reiselust der Familie Mozart ein Dorn im Auge war. Immerhin gewährte Colloredo Mozart ab 1779 für die Position des Salzburger Hoforganisten ein Jahresgehalt von 450 Gulden. Der private Gewinn der Reise sollten indessen seine zum Missfallen des Vaters geknüpften Kontakte zur Familie Weber in Mannheim sein: In deren zweitälteste Tochter, die Sopranistin Aloisia, hatte sich Mozart damals unglücklich verliebt, die älteste Tochter Josepha sollte die erste Königin der Nacht und die drittjüngste der insgesamt vier Weber-Töchter, Constanze, dereinst Madame Mozart werden.
Blenden wir uns nun in die Kindheit Emanuel Schikaneders ein. Geboren am 1. September 1751 in Straubing als viertes von fünf Kindern des Dienstboten-Ehepaares Schickeneder, entstammt er – anders als Mozart – geradezu ärmlichen Verhältnissen, zumal der Vater 1753 verstarb. Die Mutter sorgte fürs bildungsmäßige Fortkommen ihrer Söhne: Wie in Straubing, so nach einem Umzug in die altehrwürdige Reichstags-Stadt Regensburg besuchten Emanuel und sein älterer Bruder Urban – der zweitälteste Bruder überlebte das Säuglingsalter nicht – das Jesuitengymnasium. Als Kapellknabe zum musikalischen Dienst im Dom verpflichtet, erlernt Emanuel bei den Jesuiten außerdem das Violinspiel. Gemeinsam mit seinem das Horn blasenden Bruder schließt Emanuel sich in der Ferienzeit anderen Musikanten an, um als sogenannter Lyrant für ein paar Groschen in Wirtshäusern, bei Hochzeiten, Kirchweihfesten usw. aufzuspielen. Nichts also deutet bei Emanuel auf eine herausragende Karriere. Allerdings hatte er als Gymnasiast bei den Theaterstücken der Jesuiten mitgewirkt, und sein Entschluss, sich dem Theater zu verschreiben, scheint |17| früh gefallen zu sein. So sehen wir ihn 1773 in Augsburg als Mitglied einer Wandertruppe erstmals auf der Bühne stehen, und im Jahr darauf ist er bereits am Hoftheater in Innsbruck engagiert. 1776 wird dort sein Erstling von weit über hundert folgenden Stücken erfolgreich aufgeführt: Die Lyranten oder Das lustige Elend. Zum ersten und einzigen Mal in seiner Laufbahn ist Schikaneder hier sein eigener Komponist. Auch lernt er in der Truppe Eleonore Arth kennen; seit 1777 lebt sie mit Emanuel in einem recht freizügigen Ehedurcheinander, und wegen ihrer eigenen Affären ist es dann auch nicht immer ganz so wichtig, dass Schikaneder scharenweise Kinder mit wem auch immer in die Welt setzt. Vor allem aber sollte Schikaneder in seinem Schicksalsjahr 1777 seinen schauspielerischen Durchbruch haben: als gefeierter Hamlet in München.