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Das Erwachen des Herrn Kukas

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Thomas Kuka kam über eine seltsame Erfahrung nicht hinweg, die er in seiner Kindheit gemacht hatte und von der er nicht genau wusste, ob sie endlich doch nur ein Traum gewesen war.

Damals hatte er das Gefühl gehabt, erwacht zu sein und das Bett unmöglich verlassen zu können, da es schien, dass überall um seine Schlafstätte herum Mauern seien. Bis auf einen schmalen Spalt tiefroten Lichts in unbestimmbarer Höhe über ihm herrschte tiefste Dunkelheit. Der Spalt glich einer Sichtleiste und verhieß dem Knaben nichts Gutes. Thomas war einfach liegengeblieben und vielleicht wieder eingeschlafen oder der Traum war ausgeträumt. Jedenfalls hatten die Mauern sich nach dem Erwachen des neuen Tages aufgelöst.

Heute verkörperte der 42-Jährige den Prototypen eines durch und durch verdorbenen Menschen. Mit Glück und Rücksichtslosigkeit in eine leitende Position gelangt, demütigte er am laufenden Band seine Angestellten vor versammelten Kollegen bei Nichterfüllung der vertrieblichen Ziele. Kuka versprach Praktikanten eine Festeinstellung, ließ sie entgeltlos Datensätze abarbeiten, um sich nach dem Praktikum niemals wieder bei ihnen zu melden. Kuka schlug seine Frau und vergötterte den feigen SS-Mörder Amon Göth gleich manch einer seinen liebsten Heiligen verehrt. Nachdem seine Gattin in eine schwere Depression verfallen war und die Ärzte es endlich geschafft hatten, sie nach ihrer Offenbarung von ihm fortzubringen, überlegte Kuka wochenlang, wie er durch Psychoterror sie dazu bringen konnte, sich in den Freitod zu stürzen.

Freitags sei auf der Arbeit Kampftag, pflegte er den Angestellten stets zu sagen, deshalb gab es auch am heutigen Freitag genügend Gründe für den Filialleiter, die Untergebenen herunterzuputzen, gerade jene, die sich nicht wehren konnten oder nicht zu wehren pflegten.

An diesem Abend nach genügend Trietzerei miesester Art hockte Kuka in seinem Wohnzimmer und verfolgte auf einem der Dokumentationssender einen Beitrag über den ehemaligen Obergruppenführer Reinhard Tristan Heydrich, wobei die Archivaufnahmen des blonden, hochgewachsenen Unmenschen ihn beinahe mit sexueller Erregung erfüllten. In jedem Fall erfüllte es Kuka mit sexueller Erregung, wie er den armen Stefan Hofmann, genannt Hofi, heute vor versammelter Truppe zur kleinsten Schnecke des Erdkreises zusammengebrüllt hatte, weil von diesem eben lediglich zwei Arbeitsverträge an Land gezogen worden waren. Hofi, von dem manche Leute vermuteten, dass er Autist sei, leistete niemals verbale Gegenwehr. Deshalb mochte Thomas ihn besonders gerne.

Nachdem der Filialleiter seine drei täglichen halben Liter Bier in seinen immer fülliger werdenden Leib hinuntergekippt hatte, machte er sich fertig für eine weitere Nacht und überlegte sich in der Phase des Einschlafens, wie er den nächsten psychologischen Tiefschlag gegen seine ehemalige Gattin setzen konnte. Sein letzter Gedanke allerdings lautete, ob es wirklich Außerirdische auf der Rückseite des Mondes gebe.

Ein kleiner Typ in Smoking und mit einer Melone auf dem runden Kopfe steht am Ufer eines smaragdgrünen Ozeans im violetten Sand. Ein prächtiger, blauer Gasplanet hängt im schwarzen Firmament. Ein silbernes Ringsystem umgibt ihn. In ebenfalls silbernen Schaumkronen bricht sich der Ozean am Ufer. Der Fremde im feinen Zwirn tippt mit den Fingern der rechten Hand an den eleganten Hut.

Kuka erwachte und das erste, was er fühlte, war, dass die Matratze ziemlich hart sich unter seinem Körper bemerkbar machte.

Er lag auf zyklopischen, dunklen Steinen in einem Raum von quaderförmigem Grundriss, welcher nicht größer als sein Schlafzimmer sein mochte. Die Wände bestanden genau wie die Decke aus denselben zyklopischen Felsblöcken und in diesem Zimmer existierte kein Einrichtungsgegenstand, wurde von einem verbeulten Eimer aus schwarzem Metall in einer Ecke des Raumes abgesehen. Das Licht in diesem Raum erzeugte im scharfen Grell ein fliegender, pyramidenförmiger Kristall und in etwa zwei Metern Höhe gab es in einer der Wände einen länglichen Sichtschlitz. Hoch lag hier die Temperatur.

Zunächst dachte Kuka, er täte einen unheiligen Traum träumen, aber als er sich einmal kurz und kräftig in den linken Arm kniff, war er sich seiner Sache gar nicht mehr wirklich sicher. Thomas stand auf und fing an, auf und ab zu hüpfen. Er fühlte deutlich die harten Berührungen des warmen Steinbodens an seinen baren Fußsohlen und nicht minder - weil er sich wahrhaft außer Form befand - die Erschöpfung, welche die Sprünge ihm bereiteten.

Plötzlich erlosch der schwebende Kristall und die einzige Lichtquelle, welche nun noch existierte, stellte ein roter Schein dar, der durch den Sichtschlitz knapp unterhalb der Decke fiel. Er warf gespenstische Schatten auf die finsteren Wände.

Nun auch kam es Kuka vor, als drängen entfernte Schreie durch die einzige Öffnung an seine Ohren heran; unbeschreiblich laut und hoch, hervorgerufen durch entsetzliche, kaum vorstellbare Schmerzen.

Gleich einer gewaltigen Sturmflut überkam ihn die Gewissheit, dass er nicht träumte und eine leise Ahnung, niemals wieder von diesem Ort fortzukommen. Lediglich die Welt jenseits des Sichtschlitzes wartete auf den ehemaligen Niederlassungsleiter.

Wenn ich auf den Eimer klettere und durch den Sichtschlitz nach draußen schaue, werde ich beim Anblick dessen, was ich dort zu sehen bekomme, auf der Stelle den Verstand verlieren! Das ist so sicher wie der Aufgang der Sonne!

Dann drang eine Stimme an seine Ohren. Sie war derartig schrill, dass Glas davon hätte zerspringen können.

„Kuka! Kuuuuuuuuuukaaaaaaaaaa! Wir wollen dich brennen sehen! Kuuuuuuuuukaaaaaaaaa! Die Nägel im Kohlenofen glühen schon! Wir wollen dich breeeeeeeeeeeennnnnnennnnnn sehen!“

Während die Angst sich lodernd in seinen Eingeweiden ausbreitete, sich wie eine hungrige Ratte in sie hineinfraß, vermochte er nicht zu sagen, ob diese Stimme Hofi oder seiner ehemaligen Frau gehörte.


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