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Whiskey, Tavor, Valium
ОглавлениеEtwa ein halbes Jahr später besuchte mich Klaus für eine Übernachtung in meiner Bonner Wohnung, da er sich auf dem Weg zu einer Kur an der Nordsee befand und bei dieser Gelegenheit einen Zwischenstopp in der nun lediglich noch ehemaligen Hauptstadt einlegte.
War ich bei unserem letzten Treffen über seinen Zustand erschrocken gewesen, so bekam ich jetzt bei seinem Anblick, nachdem er sich aus dem Wagon der I Klasse förmlich herausgequält hatte, einen wahren Schock verpasst.
Klaus Gewicht war derartig geschwunden, dass seine Designerkleidung schlaff an seinem Körper hing. Sein Gesicht glich eher einem Totenkopf als dem gesunden Antlitz, das man eigentlich von einem wohlhabenden Menschen Anfang sechzig erwarten sollte, der einer Arbeit nachging, die er liebte.
Nur unter meiner Hilfe konnte Maderer ein Taxi vor dem Hauptbahnhof erreichen, weil er es schlicht und einfach nicht schaffte, die fünfhundert Meter zu meiner Wohnung zu laufen.
Was er dafür blendend auf die Kette bekam, war, gleich nach seiner Ankunft dort eine Whiskeyflasche aus seinem Koffer zu holen, diese zu öffnen und zwei Gläser damit zu füllen. Er verpackte das Ganze unter der Fassade des Wiedersehen-Drinks, aber unschwer erkannte ich, dass Klaus einfach saufen musste.
Heute konnte ich nicht anders und sprach ihn darauf an, dass sein Zustand einfach besorgniserregend sei.
„Ja, mein guter Freund, du hast vollkommen Recht und bislang bist du der einzige Mensch, der darüber in meiner Gegenwart ein Wort verliert. All die anderen reichen Schleimer, die in mein Restaurant kommen und sich meine Freunde so gerne nennen, all diese Ärsche mit Ohren sagen doch tatsächlich, dass ich gut aussehe und es mir stehe, dass ich an Gewicht verloren habe. Dabei geht es mir so beschissen, dass ich nicht mal mehr selber koche. Das machen mittlerweile die Angestellten. Ich kümmere mich nur noch um die Herstellung des Dionysos. Du könntest den Schwachköpfen auch pappige Nudeln aus der Gefängniskantine servieren, solange du nur Dionysos als Gewürz verwendest, stürzen sich die Deppen darauf, wie sich die Schweine auf den Futtertrog stürzen. Da könnte ein zweijähriges Kind in der Küche stehen und kochen, wenn Dionysos dabei zum Einsatz kommt, kann nichts schiefgehen.“
Ich fragte Klaus, an was für einer Krankheit er denn leide.
Klaus schwieg eine Weile, wobei er seinen Blick von mir ab und dem Fenster zuwendete.
„Es ist eine schwere Stoffwechselkrankheit. Die lässt mich müde und antriebslos sein. Zu dieser dummen Sache sind dann auch noch eine schwere Depression und Angststörungen gekommen.“
Als wollte er das Gesagte bestätigen, holte er eine Packung Tavor hervor und spülte zwei Tabletten davon mit Whiskey hinunter.
Ob es nicht unpassend sei, bei solchen Erkrankungen gläserweise Whiskey zu kippen?
„Wenn es mein Leben verkürzt, na und, was soll ` s! Ich gehe so oder so im Moment jeden Abend ins Bett mit der leisen Hoffnung, des morgens nicht mehr aufzuwachen. Die Ärzte schwatzen zwar dumm herum, dass es da oben, in dieser tollen Privatklinik an der Nordsee, besser werden soll, aber ich fahre meine Erwartungen auf ein Minimum herunter.“
Klaus leerte sein Glas in einem gewaltigen Zug und füllte direkt wieder nach.
„Glaub ` mir, mein lieber Freund, es wäre besser für mich gewesen, ich wäre damals bei Greta geblieben und hätte die Kneipe von ihr übernommen und weitergeführt. Dann würdest du heute vor dem Tresen hocken, meine hausgemachten Frikadellen mit Kartoffelbrei essen, ein frisches Bier vom Fass trinken und wir würden noch immer über das Leben philosophieren, wie wir es damals schon voller Freude getan haben.“
Danach lenkte er das Thema in eine andere Richtung und weil ich spürte, dass Klaus nicht mehr über sich und seinen Zustand reden mochte, stieg ich in das Gespräch ein, welche Fußballweltmeisterschaft wohl die gefühlt schönste gewesen sei.
Obgleich Klaus an diesem Abend des Wiedersehens ordentlich Whiskey sich hinter die Binde kippte und vor dem Weg ins Gästezimmer noch ein Valium hinterherschickte, sah er am nächsten Morgen, kurz bevor ich ihn zum Bahnhof begleitete, bedeutend besser aus.
„Ich sag ` doch, dass die Ärzte nur Mist reden mit ihren Medikamenten und Therapien bei Psychiatrieprofessoren, die hunderte von Euros für ein paar Minuten dummes Schwatzen berechnen. Dabei ist es doch alles so einfach. Die Gegenwart eines alten Freundes und die Rückkehr an einen Ort, wo ich mich immer wohlgefühlt habe, reichen und schon geht es mir besser. Hauptsache weg von dem Scheiß da unten in Nürnberg, dem Stress und all diesen scheinheiligen Schnöseln, die, nur weil irgendwelche Kritiker es für en vogue halten, in mein Restaurant kommen, wie die Schweine fressen und mich ihren Freund nennen. Haha, Pseudofreund würde es wohl besser treffen.“, sprach er, als der Intercity nach Norddeutschland in den Bahnhof einrollte.
„Warum hörst du nicht auf? Finanziell hast du es schon lange nicht mehr nötig. Komm zurück ins Rheinland, kauf dir hier in Bonn in meiner Nähe eine schöne Wohnung. Setz dich hier zur Ruhe und genieße das Leben ohne Arbeit und Stress.“
Die wenige Zuversicht, die ich vorhin noch auf seinem Gesicht zu erkennen geglaubt hatte, wich schlagartig ins Nirgendwo hinein.
„Das kann ich nicht. So sehr ich mich auch nach einem solchen Leben sehne, der Weg dorthin ist mir auf ewig versperrt.“, antwortete Klaus beinahe flüsternd.
„Warum?“
„Das kann ich dir so auf die Schnelle nicht erklären. Außerdem würdest du es wahrscheinlich nicht glauben.“
Dann drehte er sich um, nahm seine Reisetasche auf und verschwand in den Wagons der I. Klasse. Die Türen schlossen sich automatisch surrend hinter Klaus und er drehte sich noch einmal um und winkte mir zu. Dann fuhr der Zug an und ich blickte ihm nach, bis er aus meinem Blickfeld verschwand.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass bei unserem nächsten Treffen sich die Situation um Klaus Maderer herum ins schier unfassbar Grauenhafte steigern sollte. Bis zu jenem schicksalshaften Tag, den ich am liebsten auf ewig aus meinem Gedächtnis formatieren täte, sollte allerdings noch sehr viel Wasser den Rhein herunterfließen.