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PRIMAT DER EMOTIONEN

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Das Ressentiment ist gefühlsbasiert. Es sind die Affekte – Groll, Verbitterung, Neid, Hass, Verachtung, Rachsucht, Ranküne, Schadenfreude, Missgunst, Übelwollen –, die Ausgangspunkte und treibende Kräfte hinter der Ressentimentbildung sind. Und es sind die Affekte, die der bestimmende Faktor hinter dem Phänomen des Ressentiments bleiben. Sie erlangen ihre Intensität, ihre Wirkmacht dadurch, dass sie nicht ausagiert werden. So kommt es zur Akkumulation dieser sehr speziellen, in ihrem Spektrum sehr eingeschränkten Emotionen – und längerfristig zur Marginalisierung von anders geladenen, gegenläufigen, ausgleichenden Emotionen. Sie werden die dominante Größe im Gefühlshaushalt und verflachen allmählich aber unweigerlich dessen Variationsvielfalt. Die nicht ausagierten Affekte können durch ihr langes Unbefriedigt- und Unbefriedet-Bleiben schließlich obsessiven oder gar Fetischcharakter annehmen.

Dass das Ressentiment primär auf der emotiven Ebene fungiert, bedeutet zugleich, dass jede kognitive Erwägung ihm gegenüber sekundär ist. Die der Ressentimenterfahrung zugrunde liegenden Gefühlslagen und Gemütsbewegungen haben strukturell deutlich mehr Gewicht und Strahlkraft als rationale Überlegungen oder sachliche Argumente.58 Je weiter fortgeschritten die Ressentimentbildung – gerade, wenn es zur Selbstbildstabilisierung vermittels weitreichender Konstruktionen und Fabrikationen eines entsprechenden Narrativs kommt –, desto widerstandsloser lassen sich letztere aus- oder überblenden, sobald sie zu ersteren in Widerspruch geraten: das Ressentiment ist »gegenüber Argument und Erfahrung abgedichtet«.59 Das bedeutet mitnichten, dass die Ratio schlicht ausgeschaltet wird – Ressentiment ist kein Zustand der Idiotie. Sie übt vielmehr eine nicht geringe Funktion für die gefühlsbasierten ressentimentalen Konstruktionen aus: die Ratio tritt in ihren Dienst und versorgt sie mit Struktur und Argumenten. Entstehung und Etablierung eines selbstbildstabilisierenden Narrativs sind ohne sie schlechterdings gar nicht möglich. Wesentlich für die ressentimentale Logik ist dabei, dass sie sich unter dem unbedingten Zwang desselben beugt und genauso verkürzende und tendenziöse Formen annimmt, wie etwa der Wahrnehmungsapparat.

Auf der anderen Seite ist das Ressentiment aufgrund seiner primär emotiven Natur geeignet, große Kräfte freizusetzen und eine starke Wirkmacht zu entfalten. Es vermag nicht zuletzt deswegen seinen Träger zu mobilisieren, weil es in seinem Grundzug zutiefst viszeral ist, weil es so unmittelbar im Medium des Gefühls, der Gefühlsaufwallung wirkt. Das Ressentiment sei wesentlich eine »Gefühlstatsache«, schreibt Scherpe, und ziehe genau daraus seine Kraft: »In seinem dunklen Ursprung ist das Ressentiment dumm und dumpf«, eine rohe Energie, eine blinde Gewalt, die es auch in seinen scheinbar zivileren, von scheinbar überlegter Zurückhaltung geprägten Formen nicht einbüßt.60 Das Ressentiment ist seinem Wesen nach zutiefst endothym. Dass es genau diese tiefsten und damit mächtigsten Kraftzentren im Menschen anzapft und speist, macht es zu dem »gefährlichste[n] Spreng- und Explosivstoff«,61 den Nietzsche beschreibt.

Ressentiment

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