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RESSENTIMENT ALS ›BESINNUNGSLOSER‹ ZUSTAND
ОглавлениеDas Ressentiment ähnelt in seiner repetitiven Struktur, den immer gleichen immer neu in Gang gesetzten Affektabfolgen, den immer wiederholten Gedankengängen und Handlungsmustern, einem psychologischen Programm, das, wenn initiiert, wie automatisch abläuft. Die Ressentimentpersönlichkeit ist in vielen Aspekten wie ferngesteuert. Das Programm spult seine Algorithmen ab, ohne dass sie ihr im Einzelnen zu Bewusstsein kommen – und selbst wenn sie ihr bewusst werden, sind seine Zwänge so stark, dass sie sich ihrer nicht erwehren kann: »Im Ressentiment sind wir eben nicht Handelnde, sondern gezwungenermaßen Objekte von Handlungen«.71 Sie sind scheinbar alternativlos und mit unhinterfragbarer Selbstverständlichkeit zum einzigen und alleinigen Wahrnehmungs-, Empfindungs-, Denk- und Handlungsmuster geworden. Der Ressentimentmensch ist ein passivischer Gefangener seiner Kränkungen und seines Scheiterns, ein Spielball der von ihnen ausgehenden Psychodynamiken. Mit seiner schleifenförmigen Struktur macht das Ressentiment seinen Träger regelrecht besinnungslos. Den genannten Mustern gegenüber kennt er kein Innehalten mehr, kein Reflektieren und Hinterfragen, keine kritische Distanz.
Dass der Ressentimentale ein Gefangener seiner Vergangenheit ist, dass er sie unaufhörlich wiederkäut und zergrübelt, unaufhörlich im Spiegelkabinett seiner Erinnerungen umherirrt, hat nichts mit Besinnung, mit reflexiver Bewusstmachung und gedanklicher Zergliederung zu tun. Der im Zuge der Ressentimentbildung zwangsläufig einsetzende Verdrängungsprozess, die Entrealisierung der Ressentimentaffekte, vor allem aber die darauf aufbauenden multiplen selbstbildstabilisierenden Mechanismen, haben die dezidierte Wirkung, das Bewusstsein zu vernebeln, es zu modifizieren und zu manipulieren – bis das eigens konstruierte Narrativ die Deutungshoheit erlangt hat, bis die eigentliche Natur der eigenen prekären Lage übertüncht, bis die eigene Schuld und Verantwortlichkeit auf den Anderen abgewälzt ist. Jede Form des Sich-Besinnens, des Zu-sich-Kommens, würde dieser Wirkung diametral entgegenstehen. Demgegenüber gleicht das Umlenken der Affekte auf die konstruierten Feindbilder und das imaginative Ausleben derselben in Hass- und Rachephantasien vielmehr einem gedankenlosen Rauschzustand. Nietzsche etwa beschreibt die »Betäubung von Schmerz durch Affekt« – man will »einen quälenden, heimlichen, unerträglich-werdenden Schmerz durch eine heftigere Emotion irgend welcher Art betäuben und für den Augenblick wenigstens aus dem Bewusstsein schaffen, – dazu braucht man einen Affekt, einen möglichst wilden Affekt und, zu dessen Erregung, den ersten besten Vorwand«.72 Der Ressentimentmensch findet ein Narkotikum seiner Qualen in einer Art Überbelichtung oder Überblendung eben dieser Qualen und seines geschundenen Gefühlshaushalts. Seinen Träger bewusst- und besinnungslos zu machen, ist ein elementarer Bestandteil der ressentimentalen Logik.