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LEIDPHÄNOMEN

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Augenscheinlich ist die durchweg negative Natur dieser so dominierenden Affekte. Sie machen das Ressentiment zu einem zutiefst leidvollen Zustand. Es entspringt dezidiert der Erfahrung der Niederlage und ist geprägt von der allzu menschlichen Notdurft, die einer Gemengelage aus Ohnmacht und Unterlegenheitsgefühl, aus Erniedrigung und Kränkung, aus dem Gefühl der Wert- und Würdelosigkeit erwächst. Es ist geprägt von der unaufhörlichen Akkumulation dieser negativen Emotionen – da der Ressentimentmensch es gerade nicht vermag, sie auszuagieren und sie deshalb immer wieder durchlebt und durchleidet. Es kommt zu einer Vermassung der emotionalen Schlacke in seinem Gefühlshaushalt. »Und mit Nichts brennt man rascher ab, als mit den Ressentiments-Affekten«, so Nietzsche. »Der Ärger, die krankhafte Verletzlichkeit, die Ohnmacht zur Rache, die Lust, der Durst nach der Rache, das Giftmischen in jedem Sinne« – all das zehre emotional aus. Es zeitige einen »rapide[n] Verbrauch von Nervenkraft«. Letztlich sei »[d]as Ressentiment, aus der Schwäche geboren, Niemandem schädlicher als dem Schwachen selbst«.62 Es hat dramatische Folgen für die Psychohygiene und die emotionale Ausgewogenheit der Ressentimentpersönlichkeit. Diese leidet strukturell unter einem konstanten Zufluss der abgründigsten Gefühle, ohne diesen je wirksam eindämmen, noch je effektiv wieder abfließen lassen zu können – und füllt sich mit diesen Abwässern wie ein Abortgrube. Dass dies aufs Gemüt schlagen muss, ist schlicht selbstevident. Deleuze schreibt, die Frustration sei das »Apriori des Ressentiments«.63 Und weiter: »Der Mensch des Ressentiments ist an sich selbst ein schmerzvolles Wesen: die Sklerose oder die Verhärtung seines Bewusstseins, die Raschheit, mit der jegliche Erregung in ihm erstarrt und zu Eis wird […] – alles das sind grausame Leiden«.64 Darüber hinaus kann es, wie gesehen, zur Internalisierung der Affekte kommen: dann wird die Ressentimentpersönlichkeit nicht bloß von negativen Emotionen geflutet – diese richten sich schließlich auch noch gegen sie selbst. Sie drücken das Selbstwertgefühl auf einen immer niedrigeren Pegel und aus dem Gefühl der Minderwertigkeit kultiviert sich allmählich die wie automatisch eingenommene Haltung des Unterlegenen und Unwürdigen. Aus der Schmach der eigenen Ohnmacht entsteht allmählich Selbstverachtung bis hin zum Selbsthass.

Die Folge ist die schrittweise Verdrängung dieses gesamten Gefühlskomplexes. Dem Ressentimentmenschen ist selbst immer weniger bewusst, wie viel Frustration sich in ihm anstaut, wie viel Verbitterung er dauernd in sich hinunter schluckt. Flankiert wird dies durch die lange Gewöhnung an diese emotionalen Verwerfungen, so dass sie schon deswegen immer weniger bewusst wahrgenommen werden. Doch der Frust, die Bitterkeit und der kalte Zorn sind darum nicht weniger vorhanden, nur weil man sie nicht mehr spürt. Im Gegenteil – die (auto)destruktiven Wirkungen des Ressentiments können, erst einmal ins Unbewusste abgedrängt, deutlich freier und ungehinderter ihre Eigendynamiken entfalten. Dabei vermag der Ressentimentale nicht, sich vollständig, sich dauerhaft zu belügen – die Verdrängung, die Selbst- und Fremdtäuschung werden doch immer wieder dumpf gefühlt: »[Das Ressentiment] weiß mehr von sich, als es eigentlich wissen möchte. Es ahnt die Unangemessenheit seiner Reaktionen, seiner ganzen […] Weltkonstruktion – mitsamt der Selbst- und Fremdtäuschung, die es vornimmt, um das unpassende passend zu machen«.65 Es gelingt der Ressentimentpersönlichkeit letztlich nicht, sich vollständig über die Täuschung zu täuschen. Das heißt zugleich, sie vermag das Leiden nicht auszulöschen.

Dass das Leiden im Zentrum der Ressentimenterfahrung steht, und das Ego sich bis in seine Fundamente hinein beschädigt und bedroht empfindet, erzwingt nicht zuletzt auch die Ausbildung der beschriebenen psychologischen Abwehrmechanismen zum Zwecke der Selbstbildstabilisierung – die letztlich den Anderen zum Instrument der Entlastung von den eigenen Leiden macht. Es ist selbstredend, dass diese nicht bloß zur Entlastung und zur Linderung der Leiden führen, sondern zugleich auch neue Leiden produzieren. Auf die paradoxale gleichwie unaufhebbare Hinordnung des Ressentimentmenschen auf den Anderen – sowohl als Quelle seiner Leiden, denn als Mittel seiner Linderung –, ist bereits hingewiesen worden.

Ressentiment

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