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PROLOG

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Es ist ein kühler Morgen im Spätfrühjahr, ich befinde mich auf meinem täglichen Weg von Stade zur Bundeswehrfachschule in Hamburg. Dort erhalte ich eine pädagogische Ausbildung zum Erzieher. Jeden Tag passiere ich bestimmte Punkte zur gleichen Zeit. Ein fester Zeitplan, den ich unbedingt einhalten will, läuft ab. Um Punkt 05:50 Uhr werde ich von meinem Handy mit einem Trommelwirbel geweckt. Damit beginnt für mich ein Ritual, das sich von Montag bis Freitag wiederholt. Ich schaue auf das Display meines Handys und überzeuge mich, dass der Akku vollständig aufgeladen ist, während ich das Ladegerät von der Steckdose trenne. Um meine Frau, die neben mir liegt, nicht vollends zu wecken, lasse ich die Rollläden an den Fenstern geschlossen und schleiche mich aus dem Schlafzimmer durch die dunkle Wohnung. Mein alter Diensthund Idor, der schlafend unter der Treppe liegt, quittiert das Knarren der Holztreppe, die ich zum Flur hinabsteige, mit einem leisen Knurren. Alles in der Wohnung hat seinen Platz, sodass ich mich auch im Dunkeln hindurchbewegen kann und das Badezimmer erreiche, ohne zu stolpern oder irgendwo anzustoßen.

Fürs Duschen und Abtrocknen sind genau acht Minuten eingeplant. Ich schlüpfe in meine Kleidung, die ich mir am Abend zuvor auf einem Stuhl zurechtgehängt habe. Diesen sogenannten »Alarmstuhl« habe ich als nützliche Angewohnheit seit meiner Wehrdienstzeit beibehalten. Ich brauche keine Minute, um angezogen in der Küche zu stehen und mir meinen Kaffee fertig zu machen. Nach dem Frühstück noch exakt 18 Minuten mit dem Hund Gassi gehen und dann los. Ein kurzer Blick auf die Zeitanzeige in meinem Golf Kombi, es ist 06:35 Uhr. Viele der Fahrzeuge und Insassen, die mir während der Fahrt nach Hamburg begegnen, erkenne ich wieder. Irgendwie sind wir doch alle die gleichen Gewohnheitstiere, denke ich, während ich versuche, bestimmte Wegpunkte zu der mir gesetzten Zeit zu erreichen. Der Blitzer in Höhe der Citaswerft ist mein nächster Rallyepunkt. Oftmals ärgere ich mich dabei über die Traktoren der Apfelbauern aus dem Alten Land. Sie tuckern mit 25 km/h über die Landstraße, was mich zur Verzweiflung bringt. Aber heute ist keine dieser Nervensägen unterwegs und ich erreiche das Alte Land kurz vor Jork termingerecht um 06:50 Uhr. Das Autoradio ist eingeschaltet, auf NDR Info höre ich die Nachrichten.

Mit einem Schlag ist der ekelerregende Geruch von verbranntem Blut in meiner Nase. Nicht etwa der von Fleisch. Heißes Blut hat einen ganz eigenen, intensiven, leicht metallischen Geruch. Bilder blitzen vor mir auf. Das Gesicht eines jungen Mannes, der mich mit großen, erschrockenen Augen Hilfe suchend ansieht. Die Worte, die seine Lippen formen, werden wie durch eine Nebelwand aus unbestimmter Richtung und Entfernung an mich herangetragen. Sie vermischen sich mit einem dumpfen Gewirr aus aufgeregten Stimmen und Schreien. Trotzdem höre ich sie heraus: »Mama! Mama!« Da, wo die Beine und der Bauch des Mannes sein sollten, ist nur eine graubraune Masse. Soldaten in zerrissener Tarnkleidung liegen wie hingeworfene Stoffpuppen im feinen, gelben Wüstensand um mich herum.

Ich fahre scharf rechts auf den Grünstreifen, bringe den Wagen abrupt zum Stehen und springe aus dem Fahrzeug. Ich brauche festen Boden unter den Füßen, will die kalte Morgenluft in meinem Gesicht spüren und tief in meine Lungen saugen, um das Stahlband, das sich fest um meine Brust gelegt hat, zu sprengen. Meine Beine werden weich, zittern und ich erbreche mich mehrfach. Nur langsam fällt die Anspannung von mir ab und ich registriere die unentwegt an mir vorbeifahrenden Autos. Viele der Fahrer werden gerade die gleiche Meldung gehört haben wie ich. In Göttingen starben gestern Abend drei Sprengmeister bei dem Versuch, eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg zu entschärfen. Eine Randnotiz.

Soldatenglück

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