Читать книгу MACHETE - Der Passat-Killer von Hawaii - Robert W. Walker - Страница 8

Kapitel 4

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Dunkle Sorge sitzt hinter dem Ritter. Horaz. Oden.

»Und? Woher stammen Sie, James Parry?«, fragte sie, während sie sich ihren Weg durch den dichter werdenden nachmittäglichen Verkehr in Downtown Honolulu bahnten.

»Ich bin in West Bend in Indiana aufgewachsen. Der Großteil meiner Familie ist immer noch dort, abgesehen von meinen Brüdern und meiner Schwester. Wir wollten alle was Größeres, Besseres, möglichst weit weg. West Bend war toll, solange wir Kinder waren, aber als wir älter wurden, wurde es zu einem ständigen Kampf.«

»Sieht aus, als hätten Sie gewonnen.«

»Gewonnen?« Er war verwirrt.

»Noch weiter weg geht ja kaum.«

»Na ja, ich habe einen Bruder, der in Auckland in Neuseeland lebt, und meine Schwester wohnt in Tokio.«

Sie lachte. »Okay, da lag ich wohl wieder falsch.«

»Es tut mir übrigens leid, wenn wir den Eindruck erweckt haben, Sie stünden hier vor Gericht. Wir haben einfach … wir haben niemanden, an den wir uns wenden können. Normalerweise haben wir mit Wirtschaftsverbrechen, Gewalt auf den Straßen, Vergewaltigung, sogar Mord zu tun, aber das hier … das ist etwas anderes … die ganze Sache hat etwas Bizarres an sich, etwas … ich weiß nicht … ich kann es nicht genau benennen …«

»Etwas von einem Ritual vielleicht?«

Er starrte sie an. »Komisch, dass Sie diesen Begriff verwenden.«

»Wieso?«

»Weil Tony und ich unabhängig voneinander dieselbe Idee hatten. Ich glaube, es gibt da eine Verbindung zwischen den Opfern, etwas Ritualhaftes, so was wie ein Muster.«

»Hört sich an, als hätten Sie beide sich mehr als eine Nacht um die Ohren geschlagen. Wann werde ich diesen Tony treffen?«

»Morgen – und ja, wir haben nächtelang kein Auge zugetan.« Er schwieg eine Weile, bevor er wieder etwas sagte. »Ich stelle mir das folgendermaßen vor: Im letzten Jahr sind sieben Frauen verschwunden, über einen Zeitraum von drei Monaten. Jetzt haben wir wieder Juli, die Passatwinde sind am stärksten und es werden bereits zwei Menschen vermisst, zumindest wissen wir von zwei … und ich rechne damit, dass es noch fünf weitere werden, bevor der Sommer vorbei ist.«

»Meinen Sie das mit ritualhaft? Als wäre für den Killer Jagdsaison?«

»Ja, so als hätte er eben seine Jagdlizenz für dieses Jahr geholt.«

»Ich habe gehört, dass Menschenhändlerringe in diesem Teil der Welt aktiv sind. Sind Sie sicher, dass nicht einige dieser jungen Frauen einfach Opfer von Menschenhändlern wurden? Da ja keine Leichen aufgetaucht sind, wäre das doch eine Möglichkeit.«

»Wir haben die Anlegeplätze überwacht. Haben ein paar Steine umgedreht und ein paar Würmer, Spinnen und Ratten aufgescheucht, aber das hat nichts gebracht, Doktor.«

Sie kamen beim wunderschönen Rainbow Tower im Hilton Hawaii Village in Waikiki an. Parry fuhr die sich hinschlängelnde Kreisstraße entlang und ließ sie vor der Tür aussteigen. »Hören Sie«, sagte er und seine Stimme klang beinahe verschwörerisch, was sowohl merkwürdig als auch ein wenig aufdringlich wirkte, »wenn Sie eine Eskorte brauchen oder mit jemandem essen gehen wollen … Sie können mich unter diesen Nummern erreichen.« Er gab ihr seine Karte und fuhr davon.

Sie ließ den Blick über die berauschende, aufregende Hauptstadt von Hawaii streifen. Die beinahe unwirklich wirkenden Berghänge waren mit üppigem, dichtem Grün bewachsen und erinnerten sie an einen Urlaub in Irland, allerdings nur an die sonnigsten Tage. Wenn sie sich nach Westen drehte, konnte sie das tiefe Azurblau des Pazifik sehen, das zwischen den Wolkenkratzern hervorblitzte, und sie fühlte den festen Griff des Passatwindes, der über ihre Haut strich. Die Winde waren so stark, dass sie sich vorstellte, sie müsste nur die Arme heben und könnte sich von den Winden wegtragen lassen, wohin sie auch wehten.

Sie verspürte das Bedürfnis, zum Sand und der Brandung der Wellen zu laufen, den Wunsch, zum Meer zurückzukehren, aus dem Parry sie unsanft gerissen hatte. Am liebsten wäre sie vor der Stadt geflohen, vor Parry, dem FBI und ihrer Verantwortung hier in Oahu. Wieso nicht?, fragte sie sich verzweifelt. Hatte ihre Psychiaterin ihr nicht gesagt, dass es eine Option für sie wäre, das FBI zu verlassen? Dass eine solche Veränderung in ihrem Leben ihr helfen könnte, ihre Kämpfe mit Depression und Angst zu gewinnen?

Aber ihr Vater hatte keine Drückebergerin großgezogen, also marschierte sie stattdessen energisch in das Hotel, wo sie sofort mitten im Getümmel der Touristen steckte, die an- oder abreisten. Als sie an der Rezeption nach ihrem Schlüssel fragte, war sie wenig überrascht, als man sie informierte, dass es mehrere Nachrichten vom Festland für sie gab – aus Quantico, Virginia.

Vielleicht konnte sie später an den Pool gehen, den neuen Badeanzug ausprobieren, den sie in dem kleinen Laden in Lahaina auf Maui gefunden hatte … vielleicht …

Am selben Abend irgendwo in Honolulu

Er läuft in seinem Haus hin und her, in dem die Möbel alt sind und riesig und schwer. Die Beistelltische aus alten Holzkisten, in denen Lebensmittel transportiert wurden, Kisten, die er einst in grobe Kunstwerke verwandeln wollte, doch sie waren mit der Zeit zu dunkel geworden und die Politur hatte nicht wirklich geholfen. Die Lampen sind ebenfalls selbstgemacht, aus stabilem Holz, das er umsonst bekommen hatte, Abfall von einem Sägewerk. Die alte baumwollbezogene Couch steht zwischen zwei riesigen Lampen mit geschnitzten Gesichtern hawaiianischer Gottheiten, Lampen, die er nur selten benutzt, denn er kann das Licht nicht leiden, das sie spenden. Der Boden klebt von Schmutz, Blut und Samenflüssigkeit. Er putzt nicht gern und ein Teil der Klebrigkeit und des Gestanks ist mittlerweile nicht mehr zu entfernen, ist in den Boden eingezogen, besonders eine Ecke, die vom Blut wie von einer Kruste bedeckt ist.

Er ist unruhig, ärgert sich über sich selbst und über das, was passiert ist. Sehr lange gab es keine Spur von ihm, seine Arbeit war nur den finsteren Gottheiten der Inseln bekannt. Aber nun liest jeder in Honolulu davon oder sieht die Nachrichten im Fernsehen über seine neuesten Taten, den Mord an den beiden Polizisten, beide Hawaiianer – ein bedauerliches Unglück. Das würde einen Aufschrei auslösen, der nicht so schnell verstummte. Ihm bleibt einzig die Hoffnung, dass jemand anderes für seine Verbrechen verhaftet wird. Die örtliche Polizei macht schon Andeutungen, dass eine Verhaftung kurz bevorsteht.

Er genießt es, zu sehen, wie aus seinen Verbrechen Politik gemacht wird, der Aufruhr, der unter den verschiedenen Ethnien auf der Insel herrscht. Allerdings hört er kein Wort über das Verschwinden seiner letzten Kelia. Er hat ein oder zwei Artikel über den sogenannten Passat-Killer gelesen, ein Phantom, das die Inseln zwischen April und August heimsucht, aber bisher hat ihn nichts mit den Verbrechen in Verbindung gebracht und die Polizei hatte kein Fitzelchen an Beweisen, dass die Morde überhaupt stattgefunden haben. Sie konnte nur auf das »Verschwinden von Personen« hinweisen. Solange sie keine Leichen finden, denkt er, können sie ihn niemals aufspüren oder verfolgen, selbst wenn sie es wüssten! Da es keinerlei physische Beweise gab oder Augenzeugen, nichts, was ihn mit den Morden in Verbindung brachte – oder sonst irgendjemanden, wo wir schon mal dabei sind –, würde kein US-Gericht den Fall auch nur mit der Kneifzange anfassen. Gott schütze das Blow Hole und die USA.

Zwei Polizisten, ein Weißer und ein Samoaner, befragten ihn einmal, als sie den Distrikt nach irgendwelchen Zeugen für einen Mord durchkämmten, den er ein Jahr vorher begangen hatte, aber sie kamen nie mehr wieder.

Sie wissen immer noch nicht, wie er es macht oder welche Waffe er bei seinen Opfern verwendet. Er hat nicht vor, denselben Fehler wie andere Killer zu machen. Seinen Feinden will er nicht die kleinste Genugtuung geben oder die geringste Chance, und sei es durch Magie, ihm gefährlich nahezukommen …

Ich muss ein wenig schlafen, sagt er sich selbst. Seine Träume wurden gestört von zornig tobenden Göttern, seitdem er diese Dummheit begangen hatte; überhaupt die Aufmerksamkeit der zwei hawaiianischen Polizisten zu erregen und sie dann auch noch umbringen zu müssen. Er träumt von Landschaften, bedeckt von seinem eigenen zerfetzten Fleisch und seinem Blut, von tiefen Tunneln, in die er geworfen wird und in denen Dämonen bizarrer Gestalt und Größe und von grässlicher Farbe ihn zertrampeln und Stücke aus ihm herausreißen. Diese Tunnel sind miteinander verbunden und von den Wänden trieft gelber, dampfender Eiter. In dem Moment, in dem er aus einem entkommt, findet er sich in einem anderen gefangen, rutscht die Wände hinab, unfähig, sein Abwärtstaumeln in ein noch dunkleres Gefängnis, ein dreckiges Loch, zu verhindern. Dantes Inferno oder ein Ort, den nur die hawaiianischen Götter kennen, Kehena?

Solch unruhiger Schlaf wird ihm morgen bei der Arbeit nicht gerade helfen oder wenn er umherstreift. Es hat noch eine Reihe weiterer Opfer zu bringen, bis die Passatwinde die Inseln verlassen. Die Winde können launisch sein. Sie können jederzeit versiegen.

Vielleicht wird ihm eine warme Milch mit ein wenig Kakao und ein bisschen Vanille helfen, denkt er. Irgendwo hat er gelesen, dass ein bestimmter Inhaltsstoff in der warmen Milch beim Einschlafen hilft. Trypto-irgendwas.

Er geht in seine ärmlich ausgestattete Küche in dem heruntergekommenen und vollgestopften Bungalow, die schwarzen Erinnerungen und dunklen Ecken hallen durch sein Bewusstsein. Aus einer kleinen Kühlbox entnimmt er eine Flasche abgestandene Milch.

Den Geruch ignorierend, der aus der Kühlbox aufsteigt, schließt er den Deckel über der Sammlung von Händen, die er von seinen Eroberungen als Souvenir zurückbehält. Dann erwärmt er die Milch schnell auf eine Temperatur, die die meisten Menschen nicht aushalten würden. Sobald der Kakao so zubereitet ist, wie er ihn am liebsten mag, streift er durch das leere, klagende Haus, das er einst mit Kelia bewohnt hat. Die Schatten, selbst das Holz und die Holzspäne in den Wänden, sind von Kelias vielen Geistern bevölkert, die ihn anschreien. Kelia ist schon vor langer Zeit gegangen, hat ihn verlassen. Sie musste für diese Demütigung sterben und das tat sie … zumindest in seiner Vorstellung hat er sie seither viele Male getötet. Er würde gern die echte Kelia töten, aber er weiß, er kann es nicht, zumindest nicht jetzt, vielleicht niemals, außer sie kommt wieder nach Hause zurück …

Er vermisst ihr früheres Leben zusammen auf Maui und später hier auf Oahu. Sie lebt und es geht ihr gut, sie wohnt bei Freunden auf dem Festland, in Kalifornien, in Angst, er könnte eines Tages zu ihr kommen. Aber wenn Kelia jemals ermordet werden würde, dann wüsste die Familie – und jeder sonst –, wer sie getötet hat.

Also tötet er Kelia, indem er die anderen umbringt, die wie sie sind – oder waren.

Manchmal fragt er sich, ob Kelia nicht irgendwann, ohne sein Wissen, wieder heimlich auf die Insel Oahu zurückgekommen ist. Manchmal erzählen ihm Verwandte etwas, aber die Berichte sind vage, unsicher. Seine Verwandten besuchen ihn nie. Die meisten finden ihn merkwürdig. Sie finden, er lebe zu sehr in der Vergangenheit.

Es ist ein massiger Mann, auch wenn er nicht besonders groß ist mit 1,75 Meter. Gedrungen und kräftig, und stolz auf seine Stärke. Seine Hanteln liegen immer griffbereit. Das Wohnzimmer ist mit Equipment vollgestopft und er macht regelmäßig Workouts, bis seine Muskeln aufgepumpt sind.

Er muss in Form bleiben, das braucht er für seine Selbstachtung und für all die leidenschaftliche Arbeit, die er für seine Götter vollbringt.

Im Haus hat er es am liebsten dunkel. Ohne Strom oder Aussicht auf eine Klimaanlage versucht er, es wie in einer Höhle kühl zu halten, und zieht die Dunkelheit der Hitze vor. Einmal hatte er davon geträumt, sich ein Haus direkt in die Bergwand zu bauen, damit es auf natürliche Weise klimatisiert wird. Sein Traum war, es für Kelia zu bauen. Gott, das war so lange her, als er und Kelia zusammengezogen waren und noch auf Maui lebten. Der alte Traum liegt in Trümmern, das weiß er. Nur sein neuer Traum kann nun noch wahr werden.

Er hebt das lange Zuckerrohrmesser hoch, sein Lieblingsmesser von mehreren, die ihm gehören. Ein ganzes Gestell solcher Messer besitzt er und mehrere japanische Schwerter, die er über die Jahre gekauft hat. Glänzende Stahlklingen faszinieren ihn. Er mag, wie sie sich anfühlen, die kalte Perfektion des Metalls, wenn man es aus der Scheide zieht, wie es sauber in Fleisch eindringt und wieder heraus, ohne dass der Stahl auch nur einen Kratzer davonträgt. Ein mächtiges Messer ist wie der Phallus eines Gottes, der zwischen dessen enormen Beinen baumelt, und mittlerweile betrachtet er seinen eigenen Körper wie eine Stahlklinge, die von den Göttern von Oahu, den Göttern der Inseln, geschwungen wird.

»Muss ein wenig ausruhen … schlafen«, sagt er nervös zu sich selbst. Seit zwei Jahren leidet er immer wieder unter Schlaflosigkeit. Einer der Gründe, wieso er freiwillig in der Spätschicht arbeitet, von 14 Uhr bis zehn Uhr abends. Er hat sich daran gewöhnt, nur drei oder vier Stunden am Tag zu schlafen, und durchstreift gern die Innenstadt, bevor er seinen Dienst antritt. Anschließend kehrt er zurück auf die Straßen von Oahu, um seine Jagd fortzusetzen. Aber heute hat er seinen freien Tag.

Leicht ist er nicht zufriedenzustellen. Seine Prinzessinnen müssen alle elegant sein, zumindest äußerlich, um seine Götter friedlich zu stimmen. Sie müssen einen starken Willen haben, nicht von der Sorte, die einfach abzuschleppen ist und zu jedem ins Auto steigt. Er mag es, wenn sie sich ihm widersetzen, wenn sie kämpfen. Es zeigt ihren Mut und dass sie es wert sind, Teil seines Plans zu sein, die mächtigen Herren der Insel wiederzuerwecken, die zu ihm sprechen, durch ihn sprechen, ihn auf dem Pfad vorantreiben, den er gewählt hat.

»Lopaka«, so rufen sie ihn ihrerseits einer nach dem anderen an. »Lopaka … Sohn der Häuptlinge, die vor dir kamen …«

»Du bist es … Cowboy Lopaka.«

Sie rufen alle nach ihm, mit ihren sonoren Stimmen. Ihre Stimmen vermischen sich zu einer, wenn sie seinen Namen in einem Singsang rufen. Der Klang hallt durch seinen Kopf. Sie sehen ihn als einen der ihren.

»Lopaka …«

»Wir, deine Götter, brauchen dich … bitten dich …«

»… stille den Hunger …«

»… den großen Hunger …«

»… nähre das blutige Himmelsfeuer, das dich nährt …«

»… gib dich uns hin …«

»… in das unerträgliche Feuer, das durch uns fließt …«

»… finde uns … gib uns das Feuer deines Herzens …«

»… gibt uns unser täglich Rot …«

Er erträgt es – erträgt die himmlischen Stimmen, die vor unerträglichem Leid triefen, sich in sein Hirn bohren – bis er es nicht mehr aushält.

Er erinnert sich, dass es auch am Anfang so war, beim ersten Leben, das er jemals den Stimmen geopfert hatte. Es hatte mit den Geräuschen angefangen, die der Wind gebracht hatte, Stimmen, die nur er hören konnte, schon lange bevor er Kelia kennengelernt hatte. Er hatte versucht, sich zu ändern, nachdem er sie getroffen hatte, und ihre Gegenwart hatte am Anfang die klagenden Stimmen in seinem Kopf zum Verstummen gebracht. Eine Zeit lang waren die Stimmen ruhig und in Schach gehalten.

Nachdem Kelia ihn verlassen hatte, machte er langsam eine überraschende Feststellung: Die Götter hatten Kelia für ihn erwählt, um ihm spezielle Einsichten in die geistige Welt zu ermöglichen. Kelia war tatsächlich die Art Opfer, die sie wollten. Und schließlich hatte er gewusst, was die Götter von ihm wollten, wieso er geboren worden war, wieso er aus seiner Heimat hierhergekommen war, was schlussendlich sein Zweck war … und wieso er tötete. Das gehörte alles zu einem Plan, den selbst er nicht ganz verstand.

Wenn er tötet, wird seine Konzentration von ihnen so geschärft, dass es unabhängig von ihm geschieht, als wären seine Glieder und sein Geist von den Mächten übernommen worden, die durch seine Taten sprechen, als wäre er nicht mehr als ein Pfeil der Götter und nicht einmal im normalen Sinne des Wortes anwesend.

Am nächsten Tag, nachdem er gemordet hat, erwacht er in einem neuen Körper und einem neuen Dasein, erfrischt und glasklar im Kopf, und erinnert sich nur an die letzten Momente, bevor sie schließlich starb, ihr Blut ihn bespritzte, ihn einfärbte, während er sie aufschlitzte und auf ihre Leiche ejakulierte.

Seine geniale Methode, sich der Leichen zu entledigen, entstammt ebenfalls der Inspiration durch seine Götter.

Nach und nach, und oft in den alltäglichsten Situationen, erinnert er sich an Bruchstücke dessen, was er getan hat – oder vielmehr, was sie getan haben, bis schließlich Offenbarungen seiner Erinnerungen ihm alles enthüllen – absolut alles.

Er erinnert sich nur an einen Namen für all seine Opfer, Kelia – denn sie sind alle ein und dieselbe, wenn sie ihm gehören. Es sind nicht länger Lindas oder Kias, sondern Kelias. Er weiß, dass sie alle gleich sind; dass sie alle oberflächliche, schale Kreaturen sind, nur interessiert an Popmusik und Rockstars, an geistlosen Magazinen und Make-up, an sofortiger Befriedigung ihrer Wünsche – »was zwischen ihren Beinen ist« – und daran, eine weitere dunkelhäutige haole zu werden, die alles liebt, das weiß ist. Westlich und dekadent. Kelia – die echte Kelia – war eine vollblütige Hawaiianerin, heutzutage seltener als eine Jungfrau, aber die Kelias, die er zu seinen Göttern schickte, waren alle gemischtrassig, und nun wiederholen die Götter ihre Forderung nach einer vollblütigen Hawaiianerin. Er hat versucht, es richtigzumachen, aber die vielen Heiraten, über Rassengrenzen hinweg, haben es fast unmöglich gemacht, hier in Oahu eine solche Blume für seine Götter zu finden.

Für ihn macht es keinen großen Unterschied, solange sie wie Kelia aussehen, damit er Kelias qualvollen Tod wie ein Voyeur erneut genießen kann, sobald er anfängt, mit der Zuckerrohrmachete oder den Schwertern zuzuschlagen. Es scheint nicht wichtig zu sein, welche Art von Blut es ist, wenn er es mit seinen Händen auffängt, es an die Decke und die Wände spritzt oder in einer ekstatischen Orgie der Körperkunst über seinen nackten Leib reibt.

Die Wände seines kleinen Bungalows tragen mittlerweile die Spuren vieler solcher Tode. Zum Glück wohnt er am Ende einer Sackgasse und das Grundstück neben ihm ist leer und seine nächsten Nachbarn, die Sippe von Portugiesen, die am Ende des Blockes wohnt, bleibt gern unter sich. Niemand scheint sich je an den Geräuschen oder den Gerüchen zu stören, die aus seinem Haus dringen.

Aber nun, wo er die zwei hawaiianischen Cops umgebracht hat, macht er sich Sorgen. Das sind keine Morde, die er geplant oder gewollt hatte, besonders weil die beiden getöteten Männer Hawaiianer waren, und die hawaiianischen Götter, die ihn für den Moment verlassen zu haben schienen, hatten ihm mit Sicherheit nicht befohlen, ihr Leben zu nehmen. Seine Götter reden ständig von Regeneration und Wiedergeburt, davon, dass die hawaiianische Rasse große Macht zurückerhält, weit mehr als es die hawaiianischen Politiker oder Zeitungen lauthals fordern. Wie denken sie wohl darüber, dass er zwei starke hawaiianische Krieger getötet hat? Das fragt er sich nun.

Krieger, verdammt … er rationalisiert seine letzten Morde. Immerhin arbeiteten sie für die da oben, spielten weißer Cop.

Er legt den Kopf auf die Kissen seiner blutverschmierten Couch und versucht verzweifelt so zu tun, als wären seine Augen müde, als wäre er schläfrig. Die Drogen, die er nimmt, haben ihn ein wenig runtergebracht; trotzdem hasten seine Augen ruhelos durch den kleinen Raum und registrieren, an welcher Stelle das frische Blut, von hellerer Farbe und leuchtend im Schein der Öllampen, den Deckenventilator bespritzt hat. Letztlich streicht er seine Wände rot, seitdem ihn Kelia verlassen hat.

Er fragt sich erneut, ob Kelia jemals wiederkommen wird. Fragt sich, ob er sie jemals finden wird. Jemals … ein sinnloser Zeitrahmen, solange sie sich weigert, zu verstehen. Dennoch grübelt er über die Scherben seiner Vergangenheit, betrachtet die Bruchstücke, die Momente, in denen er versucht hatte, sie zu überzeugen, was er wohl anderes hätte sagen können, als er sie überreden wollte, ihr Schicksal zu akzeptieren und ein Opferlamm zu werden. »Was wäre wenn?« Das beschäftigt ihn nun, erfüllt seine Gedanken. Was, wenn er sie zurückgewinnen könnte, was dann? Würde sie es jetzt besser verstehen, als sie es damals tat? Würde sie jemals freiwillig an seiner neu gefundenen Religion teilhaben? Oder würde sie wieder weglaufen … wieder zu verängstigt, um ihm nur einen einzelnen Schnitt zu erlauben, geschweige denn, ihr Leben für seinen Glauben zu opfern.

Er starrt auf den Fernseher, der immer noch läuft. Reporter drängeln sich um einen guten Platz vor dem Regierungsgebäude in der Innenstadt und versuchen irgendeine Witzfigur in einem beigefarbenen Anzug dazu zu bringen, etwas zum Tod der beiden kanaka-Cops zu sagen. Es sieht wie eine Wiederholung der Nachrichten aus, die schon früher am Tag gesendet wurden, also ignoriert er sie einfach und lässt sich von den Stimmen berieseln, das langweilige Gemurmel kann ihm vielleicht helfen, den Schlaf zu finden, den er so dringend braucht, als er plötzlich hört, dass am Blow Hole angeblich ein Körperteil gefunden wurde. Jetzt spitzt er die Ohren.

»Hoʼino wale, verdammt! Kuamuamuʼr«, flucht er.

Sofort sitzt er kerzengerade, starrt auf den, der die Frage gestellt hat, und auf den Befragten. Der Mann vom FBI trägt eine teure Sonnenbrille von Costa Del Mar und hat ein gutaussehendes haole-Gesicht, ist groß und hat rötliche Haut. Er streitet sofort ab, dass irgendwelche Körperteile aus dem Blow Hole gefischt wurden.

»Das ist unmöglich«, sagt sich Lopaka.

Die Stimme im Fernsehen fährt fort. »Es sieht aus, als hätten ein paar Jungs mit ein paar Teilen von einer Schaufensterpuppe einen Streich gespielt«, sagt der Mann vom FBI, unter dem auf dem Bildschirm der Name Parry steht. »Haben ein paar Touristen mit kaputten Teilen einer Schaufensterpuppe erschreckt, das ist alles.«

Sie haben einen Teil von ihr rausgeholt. Sie haben ein Stück von Kelia gefunden … Er verzerrt das Gesicht, blickt auf die Beweise für mehrere Morde, die ihn überall umgeben. Er fragt sich, was er tun muss. Überlegt, was seine Götter von ihm wollen. Er kann nicht weitermachen, als sei nichts passiert, als wäre in seiner Welt alles in Ordnung, als würden sie immer noch nichts von ihm wissen, als würden sie nicht genau in diesem verdammten Moment nach ihm suchen. Vor diesem Zeitpunkt wussten die Behörden nur, was die Götter sie wissen lassen wollten. Nur, dass ein schattenhafter Niemand, genannt der Passat-Killer, von dessen Identität sie nicht den geringsten Anhaltspunkt hatten, Nutten entführt. Aber jetzt? Jetzt wissen sie etwas über ihn und sie wissen etwas über Kelia. Sie haben einen Teil von ihr, etwas, das Ku gehört … und sie überwachen das Blow Hole.

Der Gedanke versetzt ihn in Panik.

Er stellt sich vor, dass sie seinen Namen kennen, wissen, wo er arbeitet, wo er wohnt. Dass sie die lebende Kelia bereits vorgeladen haben, sie verhören, sie ausquetschen. Er stellt sich vor, sie haben den Kopf der toten Kelia und das verdammte Ding spricht zu ihnen durch verwesende Lippen.

Er stellt sich vor, wie sie durch seine Tür krachen mit riesigen Netzen und einem Käfig, in den sie ihn stecken; sieht vor seinem geistigen Auge, wie sie ihn vor die Fernsehkameras zerren, die sich im Moment auf den zweiten FBI-Mann namens Gagliano richten. Er malt sich aus, wie er vor Gericht gezerrt, zu einem Leben hinter Gittern verurteilt wird, sofern ihn nicht vorher ein wütender Cop oder ein Angehöriger richtet.

»Verflucht«, versucht er sich zu überzeugen, »so ein schnelles Ende wäre vielleicht gar nicht so schlecht.«

Es wäre ein Ende all seiner Unruhe, des Fieberwahns seiner Seele. Vielleicht wäre er im nächsten Leben ein Gott, ein echter Gott … nicht ein ausgedachter – zumindest wäre er vielleicht überhaupt irgendjemand. Was hatte er in diesem Leben schon für Chancen gehabt unter dem Schatten seines übermächtigen Vaters? Sein Vater war der wahre Grund gewesen, wieso er sich entschieden hatte, sein Zuhause zu verlassen und sich eine eigene Bleibe zu suchen, vielleicht sogar der Grund, wieso er die Stimmen im Passat hört, und möglicherweise, wieso er den Bösen hilft, sich an den Kelias der Welt zu mästen. Sein Vater war ein Raubtier und er auch …

Was wäre er schon in diesem Leben, wenn er niemals die Stimmen gehört hätte, die ihm sagten, was er tun sollte? Nichts, weniger als ein Sandkorn am Strand, Dreck. Abgesehen davon, wenn er es doch einmal wagt, seinen Göttern nicht zu gehorchen, versengen sie ihm das Hirn mit einem glühend heißen Schürhaken, der ihn mit dem Fieber der Unruhe verbrennt. Das ist die schlimmste Folter, die man sich vorstellen kann, wie erhitzte, schartige Messer, die langsam in seine Augen und Ohren geschoben werden, und die einzige Erleichterung besteht darin, seine Opfer auf die Art abzuschlachten, wie er selbst gemartert wird. Als wollte ihm Ku zeigen, wie man so etwas macht.

Er erinnert sich daran, dass er in der Nacht zuvor das Schwert erhitzte, zustieß, Fleisch versengte.

Die Götter warnen ihn ständig vor einer Folter, die noch weit schlimmer sein wird als alles, was Menschen ihm antun könnten, dass diese Folter der Götter ihn erwartet, wenn er nicht tut, was man ihm sagt. Wenn er eingesperrt wäre und nicht für seine Götter sorgen könnte, was würden sie dann mit ihm machen? Ihn schaudert bei dem Gedanken. Dann erfasst ihn ein Moment völliger Ruhe. Worüber sollte er sich Sorgen machen?, fragt er sich. Niemand hat auch nur den Hauch einer Ahnung, dass er an irgendetwas schuldig ist, dass er der Passat-Killer ist. Und das werden sie auch nie. Er schließt die Augen und schläft einen unruhigen, durch die Drogen herbeigeführten Schlaf, bis ihn Ruhe und Frieden wie ein unerwartetes Geschenk umfangen …

Er träumt von einem üppig mit Bäumen bestandenen Hinterhof und einem Versteck, in dem er sich einst sicher fühlte, ein Ort, an dem ihn sein Vater nicht finden kann. Der Traum bewirkt zuerst einen noch tieferen, friedlicheren Schlaf, aber dann löst sich das Wäldchen auf, die sanften, wogenden Traumfarben werden durch Rot und Schwarz ersetzt, der Traum selbst verschwindet in einer plötzlichen Bilderflut …

Ein anderer Traum oder der Traum eines anderen? Ein Traum, der dem Geist eines Gottes entsprungen ist? Eine Vision?, fragt ihn sein Unterbewusstsein. Es ist eine unbekannte Landschaft; es ist nicht sein Traum … er kommt von irgendwo anders, von irgendjemand anderem …

… trügerisch schlicht und angenehm blickt ein Paar riesiger, haselnussbrauner Augen direkt in sein Gehirn, als wenn …

Er schnappt nach Luft, als ihm klar wird, dass die sanften Augen der Frau direkt in sein Gehirn blicken, mit einem Laser schneiden, seine entfernte Kopfhaut über die Augen ziehen. Die Augen sind die einer gigantischen Kelia. Größer als der Diamond Head, größer als die Insel selbst, durchbohren sie ihn und holen alles aus seinem Geist, aus seiner Erinnerung. Sie hat es immer gewusst.

Er muss Kelia finden … muss sie vernichten.

MACHETE - Der Passat-Killer von Hawaii

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