Читать книгу Sommer des Zorns - Roberta C. Keil - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеIch stellte Princess in ihre Box. Der Sattel war schnell weggeräumt und den Rest erledigte Phil, der Stallbursche. Ich dankte ihm kurz und verschwand im Haus, und duschte ein zweites Mal. Stand vor meinem Kleiderschrank und fühlte mich umtriebig. Warum sollte ich nicht nach Phoenix fahren? Ich könnte in den Billard-Saloon gehen, der eine Straße weiter neben dem Char‘s lag, dachte ich. Vielleicht nur eine Runde Pool spielen. Was war schon dabei? Ich vergab mir nichts. Und ich war nicht zwangsläufig darauf angewiesen, mich mit jemandem einzulassen. Nur etwas spielen. Ein bisschen flanieren und sich zeigen. Mehr nicht. Das war nicht verwerflich. Ich musste ja auch nicht bis tief in die Nacht wegbleiben. Ich musste nur ein paar Stunden hier herauskommen. Heraus aus dem Nest, bevor ich einen Koller bekam. Außerdem war es unwahrscheinlich, dass ich dort ein zweites Mal auf Ted Middleton treffen würde. Die Polizei suchte nach ihm, deshalb ging ich davon aus, dass er sich verstecken würde und nicht in Phoenix durch die Clubs zog.
Kurzerhand zog ich eine enge Jeans, Wasserfall-T-Shirt und Cowboy-Stiefel an. Kleidete mich nicht zu auffällig oder gar aufreizend. Den Hut nehmen und das Zimmer verlassen waren eine Bewegung. Auf der Treppe begegnete mir Jack.
„Du verlässt das Haus?“
„Habe ich etwa Ausgangssperre?“ Ich lief weiter, ohne eine Antwort abzuwarten.
„Jacky!“
Ich hielt ein und drehte mich nun doch langsam zu ihm um.
„Was, Jack? Ich bin achtundzwanzig Jahre alt.“
Der Drang, mein Verhalten zu rechtfertigen überwiegte. Aber es konnte nicht angehen, dass ich das noch erwähnen musste.
Er hob die Hand, aber nur um sie gleich wieder resigniert sinken zu lassen, dabei brummte er etwas Unverständliches und setzte seinen Weg nach oben fort.
Ich ging.
Bevor ich mich auf die Interstate nach Phoenix begab, stattete ich dem Supermarkt von Camp Verde noch einen Besuch ab. Ich musste noch ein paar Sachen besorgen. Und irgendwie hatte ich Verlangen nach etwas Süßem. Auf dem Parkplatz traf ich Nick, einen unserer Mitarbeiter.
„Hi, Nick!“
Er erwiderte nur kurz meinen Gruß und wirkte, als habe er es eilig. Ich sah etwas verwundert hinter ihm her, wandte mich dann aber dem Supermarkt zu. Was unsere Mitarbeiter in ihrer Freizeit taten, ging mich wenig an. Die Glastür öffnete sich und mein Blick fiel auf die Ausgangstür auf der anderen Seite der Kassen. Dort stand eine Frau. Sie starrte mich an und für einen Moment hatte ich das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen. Gab es das, solch eine verblüffende Ähnlichkeit? Sie wandte sich lächelnd ab, zog ihren Cowboyhut tiefer ins Gesicht und verließ das Geschäft.
„Hast du noch etwas vergessen?“, fragte mich Milly aus der Drugstore-Abteilung. Ich sah sie fragend an.
„Nein, ich wollte etwas holen…“
„Noch etwas zu den Kopfschmerztabletten?“
„Ich brauche Kopfschmerztabletten. Und die Antibaby-pille.“
„Die hast du doch letzte Woche erst… - na ja, kann mir ja egal sein.“ Sie unterbrach sich selbst, legte mir die gewünschten Artikel auf den Tisch und nahm mein Geld in Empfang. Dann lachte sie unsicher. Ich wunderte mich über ihr seltsames Verhalten. Ich war seit Wochen nicht mehr hier gewesen.
Ich verließ den Supermarkt und fuhr weiter nach Phoenix.
Der Mann spielte jetzt schon die achte Runde gegen mich. Wie es schien, wurde er vom Ehrgeiz gepackt. Die erste Runde hatte er gewonnen, die zweite ging knapp an mich, die dritte wieder an ihn. Jedes Mal spielten wir zum Schluss um die Acht. Dann war ich wieder in Übung und auf der Höhe meines Billardkönnens angekommen. Er wollte um Geld spielen, aber das lehnte ich ab.
Die Idee, diese Billardkneipe aufzusuchen, war kein Fehler gewesen. Ich amüsierte mich. Es waren ungefähr dreißig Personen anwesend, zum Glück nicht nur Männer. Sie verteilten sich an den zehn Tischen oder saßen an der Bar. Wir belegten den zweiten Tisch und zogen langsam die Aufmerksamkeit der Leute an der Bar auf uns. Die Frau, die seit der dritten Runde jedes Spiel gewann, schien interessant zu sein. Ich hatte Spaß. Wenn ich auch meine Umgebung genau beobachtete. Es gab einige Männer, die offensichtlich, so wie mein Spielpartner, allein hier waren, einige waren in Begleitung ihrer Partnerinnen, andere als Männergruppe. Das Interesse der Letztgenannten wollte ich nicht wecken, aber zwangsläufig schenkten auch sie unserem Spiel ihre Aufmerksamkeit. Einzelne Männer postierten sich um unseren Billardtisch und gaben meinem Gegner Tipps, welche Kugeln er mit welchen Effets anspielen konnte, um sie in den entsprechenden Löchern zu versenken. Doch es klappte nicht immer, wie er es sich vorstellte. Er verlor auch die neunte Partie.
Ich wollte seine Blamage nicht noch größer werden lassen und lud ihn zu einem Bier ein. Ein belangloses Gespräch folgte. Er war ein guter Billardspieler, aber im Übrigen nicht mein Typ. Deswegen fiel es mir nicht schwer, den Abend nach dem Bier zu beenden. Ich verabschiedete mich freundlich und verließ die Bar.
Allerdings erwartete mich auf dem Parkplatz eine böse Überraschung. Die Reifen meines Cabriolets waren zerstochen. Alle vier. Einen hätte ich noch mit dem Ersatzrad bestreiten können. Aber vier, das war aussichtslos.
Ich hörte Schritte hinter mir und drehte mich rasch um. Es war mein Spielpartner, der auf mich zukam. Ich atmete auf.
„Scheint so, als mag dich jemand nicht.“
„Sieht so aus.“ Ich mimte die Coole, obwohl nach meinem letzten Erlebnis auf einem Parkplatz jetzt mein Herz raste und ich zugeben musste, ich hatte Angst. Möglicherweise war die Idee, diesen Club aufzusuchen doch nicht so toll gewesen.
„Hast du eine Idee, wer das gemacht haben könnte?“
Ich hatte wirklich keine Idee. Vielleicht war es doch Middleton gewesen, der meinen Wagen hier erkannt hatte. Wer mir sonst schaden wollte, wusste ich beim besten Willen nicht.
„Kann ich dich nach Hause bringen?“
„Ist vielleicht etwas weit. Ich wohne nicht gerade in der Nähe.“
Er hob die Schultern. „Ich dachte mir schon, dass du aus dem Norden kommst.“
„Gibt es Probleme, Jacky?“
Erleichterung machte sich in mir breit. Aidens Stimme zu hören tat einfach gut. Ich wollte nicht mit einem Fremden nach Hause fahren. Und ein Taxi zu nehmen, würde doch etwas teuer werden.
„Tja, wie man‘s nimmt!“, beantwortete ich seine Frage. „Nein, keine Probleme, nur vier zerstochene Reifen. Und wo kommst du jetzt her?“
Er stand neben mir und hob die Achseln an.
„Ich bin einfach etwas herumgefahren. Kam her und dachte: Die kennst du doch.“ Er lächelte schwach. Das sollte ich ihm glauben? Er war einfach so hier gelandet?
„Na, dann brauchst du meine Hilfe wohl nicht mehr. War nett mit dir.“
Mein Spielpartner griff sich an die Krempe des Cowboyhutes und ging zu seinem Wagen.
„Nicht dein Typ?“
Ich starrte Aiden an.
„Was tust du hier?“
„Dir anbieten, dich mit nach Hause zu nehmen?“
„Du bist mir gefolgt.“ Diese Erkenntnis trübte meine Erleichterung über sein Erscheinen. „Hat Jack dich geschickt?“
„Ich habe nicht mit Jack gesprochen. Und zugegeben, jetzt zu behaupten, ich sei zufällig hier, wäre glatt gelogen. Aber scheint so, als hätte es einen Sinn gehabt. – Also: Kommst du nun mit? Oder muss ich dich deinem Schicksal überlassen?“
Ich gab mich geschlagen. Durch seine Anwesenheit hatte ich das Glück, nun unbeschadet nach Hause zu kommen. Wir gingen zu seinem Dodge Ram Pickup.
Als Aiden so vor mir herging, fiel mein Blick auf seine Hüften und auf das Messer, das er stets am Gürtel trug. Für einen kurzen Moment zuckte ein Gedanke durch meinen Kopf. Was, wenn er… - nein! Das würde er nicht tun! Warum sollte Aiden die Reifen an meinem Wagen zerstechen? Vielleicht, um mir Angst zu machen und damit meine Ausflüge nach Phoenix zu verhindern? Aber mit welchem Sinn? Was brachte es ihm, wenn ich Angst hatte? Der ernste Blick, als ich letztens abends wegfuhr kam mir wieder in den Sinn. Wusste er schon länger als ich ahnte, was ich hier in Phoenix so tat?
Ich stieg in den Pickup und schnallte mich an. Aiden startete den Motor. Das tiefe Brabbeln des Fünf-Liter-Motors übte eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Wir waren oft gemeinsam mit dem Dodge auf der Ranch unterwegs. Ich schob meine Gedanken weg.
„Wärest du mit ihm gegangen?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Warum sollte ich? – Ich gehe nicht mit jedem Mann.“
„Warum mit diesem David in jener Nacht?“
„Das war etwas Anderes.“
„Was war anders?“
„ER war anders! Warum willst du das wissen, McLeod? Es geht dich nichts an!“
„Ich versuche, dich zu verstehen.“
Ich lehnte meinen Kopf an die Kopfstütze und drehte ihn zu ihm hin, sah ihn an.
„Warum?“
„Nimm es doch einfach hin: Ich versuche, dich zu verstehen!“
„Es wundert mich, Bruder.“
„Bruder? – Du siehst mich also wirklich noch als Bruder?“
Das Wort Bruder schlüpfte unbeabsichtigt über meine Lippen. Ich benutzte es schon lange nicht mehr. Früher, in unserer Schulzeit, hatte ich Aiden gerne als meinen Bruder ausgegeben. Das beeindruckte vor allen Dingen die frechen Jungs, die mich ständig ärgerten. Vor Aiden hatten sie Respekt. Und die Tatsache, ihn zum Bruder zu haben, verhalf mir ebenso zu Respekt.
Ich lachte und er suchte sich kopfschüttelnd den Weg durch die Straßen von Phoenix, bis er die Interstate erreichte.
Ich war müde und hatte keine Lust auf solche komplizierten Gespräche. Ich wollte meine Ruhe haben und starrte aus dem Fenster in die Nacht. Dachte an David. Woher kannte Aiden den Namen? Ich hatte nicht mit ihm darüber gesprochen. Oder doch? Hatte er gelauscht, als Billy im Büro mit uns sprach? Ich war mir sicher, diesen Namen in seiner Gegenwart nicht ausgesprochen zu haben. Wir hatten über Ted gesprochen, aber nicht über David. Mit Aiden wollte ich darüber nicht reden. Vielleicht war es doch Jack? Ich schüttelte leicht den Kopf.
Aiden schwieg ebenfalls. Endlich, etwas mehr als eine Stunde später, bogen wir in die Auffahrt der Ranch ein. Er stoppte jäh den Wagen.
„Hör zu Jacky, es war kein Zufall, meine Anwesenheit heute Abend dort. Ich wollte nicht, dass sich das von letzter Woche wiederholt. Ehrlich gesagt habe ich mir etwas Sorgen gemacht. Dachte, du würdest den nächsten Fehler begehen.“
„Den nächsten Fehler? Ich verstehe nicht ganz, was du meinst? Ist es in deinen Augen ein Fehler, mich zu amüsieren? – Weißt du was, Aiden McLeod? – Ich brauche keinen Aufpasser. Wenn das so wäre, hätte ich meinen Dad mitgenommen. – Danke fürs Mitnehmen.“
Ich öffnete abrupt die Tür und sprang aus dem Pickup. Wütend fragte ich mich, was Aiden sich einbildete? Und ich wollte es lieber die halbe Meile bis zum Haus laufen, als mir seine Heldentaten noch einen Moment länger anhören zu müssen.
Aiden ließ den Pickup langsam neben mir her rollen. Das Fenster hatte er hinuntergelassen.
„Jacky, komm, steig ein. So war das doch nicht gemeint. Aber du hattest wirklich genug Schwierigkeiten in den letzten Wochen. Komm schon, Springfield.“
Entschlossen setzte ich meinen Weg fort. Ich würde nicht in seinen Truck einsteigen.
Der Motor verstummte und ich hörte wie die Autotür zuschlug. Aiden fasste mich am Arm, als er mich erreichte und brachte mich zum Stehen.
„Jacklyn. Bitte.“
„Was?“
„Ich – ich habe mir einfach Sorgen gemacht, du würdest dich wieder mit dem Falschen einlassen.“
Ich starrte ihn an. Jeder war der Falsche. Das wusste niemand besser als ich.
„Willst du damit sagen, du weißt, wer der Richtige für mich ist?“
„Ja, das weiß ich.“ Er kam näher zu mir heran. Seine Hand lag immer noch auf meinem Oberarm.
„Ach ja, Mr. Neunmalklug. Und wer sollte das sein?“
„Na, der hier!“
Aiden zog mich an sich und ich glaubte es kaum, aber er drückte seine Lippen auf meine. Erst etwas vorsichtig, er war eher der zurückhaltende Typ. Doch dann legte er die Arme um meine Hüften und konzentrierte sich ganz auf das, was er vorhatte. Ich war angenehm überrascht, wie zärtlich und weich seine Lippen waren.
Und in mir breitete sich das Gefühl aus, nach Hause zu kommen, als ich seinen Kuss erwiderte. Ich schloss die Augen und genoss seine Lippen, seine Zunge, seinen Geschmack, sog seinen Geruch in mich auf. Ich schmiegte mich an ihn.
„Du gehörst zu mir, Springfield. Das wollte ich dir schon lange sagen.“
Er zog mich fest an sich und ich genoss die Geborgenheit. Ja, hier war ich zu Hause. So fühlte es sich zumindest an. Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser Umarmung verharrten, bevor er mich noch einmal küsste, lang und intensiv. Noch nie hatte ich einen Kuss als so wunderbar empfunden. Ich wünschte mir zum ersten Mal einen unendlichen Moment. Aber der Kuss endete, irgendwann.
„Morgen wird ein harter Tag. Und wir müssen dein Cabriolet aus Phoenix holen. Wir sollten jetzt nach Hause gehen.“
Ich nickte und gab ihm Recht. Also stieg ich in den Truck und ließ mich vor dem Haus absetzen. Noch immer tief unter dem Eindruck dieses Ereignisses stehend, verschwand ich im Haus und in meinem Zimmer. Lange blieb ich noch wach, dachte an Aiden. Ich hatte aus meinem Fenster gesehen, wie er den Wagen vor seinem Häuschen parkte, sich beim Aussteigen noch einmal umdrehte und mir kurz zuwinkte. Er wusste, wo ich mich befand. Wusste, dass ich noch am Fenster stand und ihn beobachtete. Und jetzt, wo er in seinem Zimmer lag, was dachte er? Galten wir jetzt als Paar? War das etwas für die Öffentlichkeit? Wie würden wir uns morgen früh beim Frühstück begegnen? War es noch dasselbe wie früher, oder war jetzt alles anders?
Und was würde mein Vater dazu sagen? Würde er es gutheißen? Traf es vielleicht sogar seine langjährigen Erwartungen? Ich wusste, mein Vater hatte Aiden sehr ins Herz geschlossen. Nicht umsonst betrachtete ich Aiden wie einen Bruder. Ich wusste, für Jack war er das. Oder vielleicht doch immer schon der zukünftige Schwiegersohn?
Ich drehte mich von einer auf die andere Seite in dieser Nacht. Ließ die Spieluhr laufen und beobachtete die Tänzerin, wie ich es als Kind schon getan hatte. Steckte mir den Ring auf den kleinen Finger und drehte ihn, immer und immer wieder. Wer war „M“? Bedeutungslos oder wegweisend? Hatte Waleah mir die Spieluhr geschenkt? Oder Michael, ihr Mann? War er „M“? Nein, ein Kinderring mit einem Herzsteinchen. Nichts für einen erwachsenen Mann. Ich wusste es nicht. Die Schatulle war mein Begleiter von Kindesbeinen an. Aiden, - was sollte ich nur mit ihm machen? An Schlaf war kaum zu denken. Erst im Morgengrauen erreichte er mich, traumlos.