Читать книгу Todesalgorithmus - Roberto Simanowski - Страница 14

Verfassungswidrigkeit

Оглавление

Welche Entscheidung auch immer der Computer trifft, welche Rolle auch immer die Erkenntnisse aus dem Internet dabei spielen mögen, die Verfassungswidrigkeit beginnt nicht erst mit der Lebenswertanalyse im Gefahrenmoment. Sie besteht in der Ausstattung des Algorithmus mit bestimmten Parametern der Klassifizierung – und das Klassifizieren liegt jedem Algorithmus im ‚Blut‘ – sowie einer bestimmten Wenn-Dann-Logik, die dieser im Ernstfall abarbeitet. Manche Autos mögen daher dem Kind, das den Unfall verursacht, nicht ausweichen, erst recht nicht, wenn es ein Jugendlicher ist, der Pokémon Go auf seinem Handy spielt, und wenn im Auto selbst Kinder sitzen. Andere Autos mögen zielsicher auf die Frau zusteuern, die nicht mehr lange zu leben hat. Wieder andere aufs Brückengeländer. Der Gesetzesverstoß liegt in der Vorentscheidung. Denn sie erfolgt, anders als die reflexhafte Reaktion eines menschlichen Fahrers, die kaum als Entscheidung zu bezeichnen ist, mit Bedacht und kaltem Blut.

Die Entscheidung, die der Algorithmus eines selbstfahrenden Autos treffen wird, ist aus ethischer Perspektive immer schlechter als die eines Menschen, weil sie prostatt reaktiv erfolgt. Es hat seinen Grund, dass solche Fragen nach dem Verhalten im hypothetischen Ernstfall nicht Teil der Fahrprüfung sind. Es kann kein richtiges Verhalten abgefragt werden, weil ein solches nicht festgelegt werden darf. Beim selbstfahrenden Auto aber muss die Entscheidung über Leben und Tod lange vor Antritt der verhängnisvollen Fahrt getroffen werden, vielleicht an einem schönen Sommertag im Park, da man am Smartphone die Elemente des neuen Autos aussucht und nach Farbe und Polsterung per Fingerklick auch den gewünschten Todesalgorithmus bestimmt. Es ist die Automation der Entscheidung, die Entscheidungen autonomer Autos unmoralisch macht.

Das Dilemma ist symptomatisch für die neuen Technologien: Sie bringen ethische, psychologische und politische Fragen mit sich, die noch gestern völlig unverständlich gewesen wären. Das betrifft die Frage der Vorbeugehaft, wenn per „predictive analytics“ eine Straftat aufgedeckt wird, die noch gar nicht begangen wurde. Das betrifft die Frage der Informationspflicht, wenn die DNA-Analyse eine unheilbare tödliche Krankheit voraussagt. Es betrifft die Entscheidung über Leben und Tod, die bisher dem situativen individuellen Reflex überlassen war und nun mit gesellschaftlicher Zustimmung festgelegt werden muss. Wer wird die Todesalgorithmen in unseren Autos programmieren? Werden die Fahrzeughalter, so wie ja auch bisher im Ernstfall, die Wahl haben; eventuell mit der Auflage, diese nicht spontan im sonnigen Park zu treffen, sondern nach einer Konsultation der zuständigen Ethikbeauftragten ihres Wohngebiets? Wird die Programmierung des Algorithmus beim Fahrzeughersteller liegen? Wird es verschiedene Algorithmen für verschiedene Fahrzeugklassen geben? Für verschiedene Automarken? Für verschiedene Länder? Wird die Politik der Wirtschaft die Entscheidung aus der Hand nehmen und, gegebenenfalls nach einer Volksabstimmung, einen bestimmten Algorithmus anordnen? Wird es einen UN-Beschluss geben? Einen Schwarzmarkt?

Es gehört zum Wesen von Technik, Standardisierungen zu schaffen. Das drückt sich schon im begrifflichen Ursprung aus: téchne als Methode. Technik im engeren Sinne eines Apparates oder technischen Systems überführt Handlungsweisen aus dem Bereich der individuell variablen Anwendung in den Modus des Expliziten, Verbindlichen, Wiederholbaren. Diese technische Harmonisierung geschieht mehr oder weniger konsensfrei, weil die Details des Wenn-Dann-Verfahrens – wenn Metallbohrung, dann geringere Drehzahl, wenn Blech, dann Vorbohren – nicht mehr diskutiert werden, was gelegentliche Nachjustierungen und Improvisationen keineswegs ausschließt. Die Standardisierung erfolgt auch, wenn Fahrverhalten und andere Prozesse, die bisher individuell und situationsbedingt geregelt wurden, automatisiert werden. Allerdings ist sie dann keine intrinsisch technische mehr in dem Sinne, dass Richtschnur wird, was sich pragmatisch bewährt hat. Es handelt sich um eine ethische Standardisierung, in der sich weniger der Stand der Ingenieurskunst ausdrückt als das moralische Selbstverständnis der Gesellschaft. Die damit einhergehende Konsensfrage, die Frage nach den Richtlinien der Normierung stellt sich weniger dramatisch, aber gleichfalls prinzipiell, wenn etwa dem automatisierten Staubsauger gesagt werden muss, ob ein Marienkäfer oder eine Spinne als Lebewesen verschont oder als Form von ‚Dreck‘ eingesaugt werden soll. Auch wenn diese Automatisierung personalisierbar ist, sie standardisiert Situationen und überführt bisher spontane Handlungsweisen in verbindliche Vorschriften: Wenn Käfer, dann Umfahren, wenn Spinne, dann Einsaugen.

Den Todesalgorithmus für Kleinsttiere wird man den Staubsaugerbesitzern überlassen und den Tierschützern, die gegebenenfalls die Modelle mit Tötungsoption boykottieren werden. Wenn es um Menschenleben geht, ist das Prinzipielle ungleich dramatischer. Die naheliegende Ansicht besagt, dass die ethische Ausstattung eines Autos nicht dem Hersteller überlassen werden kann. Andernfalls wird dieser sich mit dem moralisch bedenklichen Versprechen, der Insassenrettung Priorität zu geben, einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen suchen und damit andere Hersteller zur gleichen Zusicherung drängen. Eine staatliche Regelung ist allerdings nicht weniger problematisch. Das zeigt die Warnung der erwähnten Ethikkommission vor einem „Paternalismus des Staates, bei dem eine ‚richtige‘ ethische Handlungsweise vorgegeben wird“. Aber wie soll die Regelung erfolgen, wenn sie nicht mehr, wie es das Wertebild des Humanismus vorsieht, dem Individuum überlassen werden kann? Die Antwort bleibt vorerst unklar. Empirisch belegt hingegen scheint, dass die meisten Befragten zwar dafür plädieren, im Ernstfall das Leben der Fahrzeuginsassen zu opfern, um das Leben anderer zu retten, selbst aber kein Auto kaufen würden, das Partei für die anderen ergreift.13

Todesalgorithmus

Подняться наверх