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6. Strophe – Kunstwerke
ОглавлениеWelche Band konnte es sich leisten ein Album herauszubringen, auf dessen Cover es absolut nichts zu sehen gab? Eine vollständig weiße Oberfläche! Doch halt, wenn man genau hinsieht, dann ist da etwas, etwas Erhabenes. Ja, da steht The BEATLES ganz klein in erhabener, eingepresster Blockschrift ohne Serifen. Es ist eines der besten Alben der Musikgeschichte und einfach nur weiß und leer auf der Verpackung. Aber vielleicht auch befreiend und tatkräftig. Auf jeden Fall tritt auf diesem Album so deutlich wie noch nie zuvor der Unterschied zwischen Kompositionen von John und Paul hervor. Während auf Revolver noch deutliche gegenseitige Einflüsse hörbar sind, so verfallen sie zunehmend auf dem weißen Album. Mit ausreichend Phantasie ist hier relativ deutlich, welches Lied von John und welches von Paul stammt. Bei ihren folgenden Alben versuchten sie das vielleicht wieder etwas zu vertuschen, aber am deutlichsten merkt man es diesem Album an, dass John und Paul auch verschiedene Wege gehen könnten. Nur weil genau dies keine zwei Jahre später der Fall war, soll hiermit nicht die Genialität dieses Albums angezweifelt werden.
Jeder, der es zu schätzen weiß, wie wunderbar Johns Lieder sind, die er gemeinsam mit den Beatles geschaffen hat, der sollte auch wissen, dass diese Stücke deshalb so gut sind, weil sie ebenso von Paul und George Martin, dem Produzenten mitgeprägt wurden. Paul passte besser zu George Martin, weil er direkter war als John. Er konnte sagen, ich will genau diesen Ton oder diesen Rhythmus. Und dann trommelte er ihn vor und Ringo trommelte ihn nach. John sagte eher: Spiel einfach los und probiere etwas aus, ich sage dann Bescheid, wenn es gut ist. Oder er drückte es in Metaphern aus: Ich will, dass es klingt wie ein buddhistischer Chor, der von einem Berg herab singt. Dann entschied er sich, an den Füßen festgebunden, von der Decke herabhängend zu singen. George Martin hatte dafür nicht immer Verständnis. Er duldete es aber, weil John auf seine Weise ein großartiger Künstler war. Der vielleicht wichtigste Punkt ist, dass sie allesamt sich auf Augenhöhe begegneten. Obwohl George Martin der viel Erfahrenere war, hatten John und Paul eine so enorme musikalische Ausdrucksstärke, dass dieser Unterschied aufgehoben wurde, sobald sie miteinander arbeiteten. Sie bewunderten sich gegenseitig. Sie ergänzten sich. Sie waren Freunde und Brüder. Natürlich waren sie auch Konkurrenten, aber eher im positiven Sinne. John spielte manchmal gerne den Chef und trieb die Gruppe damit an: „Wo gehen wir hin, Jungs?“ und die anderen antworteten: „An die Spitze, Johnny, ganz nach oben!“ Paul stand dadurch immer ein wenig im Schatten dieser Präsenz, aber dieses Bild entstand nur durch die Darstellung in den Medien. Die Beatles versuchten sich von den Medien nicht derart beeinflussen zu lassen, dass alles, was geschrieben wird, auch wahr wird. John und Paul waren Freunde, die sich gegenseitig sehr wichtig waren. Sie waren gemeinsam so stark, dass sie zunehmend selbst die Regie über ihre Musik übernahmen. Ihr Management und die Produktionsfirma wurden zunehmend unwichtig. Sie waren so gesehen nur das Mittel zum Zweck gewesen, dorthin zu kommen, wo sie jetzt waren, und sie wurden nun nicht mehr gebraucht. Natürlich stimmt das nicht hundertprozentig, aber sie waren sich dieser Tatsache durchaus bewusst und ließen die Beatles gewähren. Das gilt übrigens für alle Beatles, denn neben John und Paul waren auch George und Ringo sehr starke Persönlichkeiten. Sie machten gute Musik miteinander und respektierten sich. Und sie respektierten jeden anderen, der gut war. „Hey, Eric, du machst einen tollen Sound, komm vorbei und spiel mal bei einer Session von uns mit!“ „Was, die Beatles wollen, dass ich mit ihnen spiele? Ich mach mir in die Hose! Aber warum eigentlich nicht?“ Die Session war super. Zwar entstand nicht sofort veröffentlichungsfähiges Material, aber man konnte durchaus darauf aufbauen. Eric Clapton spielte dann während den Aufnahmen zum weißen Album auf Georges while my guitar gently weeps die Leadgitarre. Später wird er John bei seinen Soloaktivitäten unterstützen. Es ist schon erstaunlich, dass George von seiner süßen Gitarre singt, aber seine gar nicht zu hören ist. Aber es hat zusammengepasst, das ist das wichtige. Die Kunst stand im Vordergrund, nicht die Persönlichkeit. Niemand wollte sich profilieren, vorerst zumindest nicht. Sie wollten gemeinsam etwas erschaffen, und jeder, der etwas zu diesem Projekt beitragen konnte, war willkommen und eingeladen mitzumachen. Sie arbeiteten intensiv an der Umsetzung ihrer Stücke, egal, ob sie von John, Paul, George, oder wie in zwei seltenen Fällen sogar von Ringo waren. John ging genau wie alle anderen in diesem Projekt auf. Er liebte dem Umgang mit anderen Menschen und war voller Enthusiasmus dabei. Leider hielt dieser Zustand nicht ewig an. Die Art zu arbeiten und mit anderen Menschen umzugehen hat John beibehalten. Zwar waren in seinen Soloprojekten nicht mehr alle Musiker so gleichberechtigt wie bei den Beatles, aber es war immer etwas von diesem Charisma zu spüren, wenn John im Studio war. Da war ein Beatle, der Musik macht!