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- Eva -
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8. Juli 2016
Sommerferien!
Ein traumhaftes Wort für jedes Schulkind und wohl auch für jeden Lehrer, vielleicht auch für Familien.
Für mich leider nicht!
Denn ich gehörte zu der Gruppe der Alleinerziehenden, die die „Erzeugerhälfte“ ihrer Kinder meist komplett vergessen konnte. Der Kindergarten, in dem ich als stellvertretende Leitung arbeitete, würde die ersten drei Wochen auch zu haben. Die würden kein Problem werden, aber dann? Wenn ich wieder arbeiten musste, dann würde ich jonglieren müssen. Mein Exmann Peter, der sich vor über drei Jahren von mir getrennt hatte - in seinen Augen hatte ich mich getrennt – hatte mir schon klargemacht, dass er dieses Jahr nun wirklich keine Zeit hätte, sich für die Kinder freizunehmen. Zum einen hätte er zu viel zu tun, immerhin müsse er ja genug Geld verdienen, um den Unterhalt zu bezahlen und zum anderen wüsste ich ja, dass seine Freundin nicht so wirklich Lust auf die Kinder hätte.
Zwei der drei Wochen hatte ich schon durchorganisiert, die dritte würde ich auch noch schaffen. Ich könnte natürlich meinen Ex darauf festnageln, dass er die Kinder nehmen müsste, aber wie könnte ich das? Meine beiden Kinder waren mein Ein und Alles, wie sollte ich sie dann zu ihrem Vater geben, wohl wissend, dass der gar keine Lust hatte, sie zu sehen?
Zum Glück waren meine Ex-Schwiegereltern eher auf meiner Seite. Natürlich standen sie zu ihrem Sohn, aber sie fanden nicht alles gut, was er tat und Vicci und Paul freuten sich darauf, mit ihnen eine Woche an die Nordsee zu fahren. Die zweite Woche würden sie in den Ferienspielen verbringen und die dritte Woche? Da musste ich mir noch etwas einfallen lassen. Meine Eltern wohnten zu weit weg und waren selber auch zu alt, um die beiden für ein paar Tage zu übernehmen. Aber mit Hilfe von Freundinnen und anderen Familien würde ich auch diese Ferien meistern. Wobei meine Tochter Vicci – eigentlich Victoria, aber so nannte sie kaum noch jemand – behauptet hatte, dass sie mit elf Jahren auch ruhig mal einen Tag alleine bleiben könnte. Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Paul war da nicht so sicher, aber der hatte ein paar Freunde, bei denen ich ihn dann unterbringen konnte.
Jetzt aber standen erstmal die volle Würdigung der Zeugnisse und das traditionelle „all-you-can-eat-Schuljahrsende-Essen“ beim Chinesen an.
Vicci hatte ihr erstes Schuljahr auf dem Gymnasium sehr erfolgreich hinter sich gebracht und sich zu meinem Entsetzen für Latein als zweite Fremdsprache entschieden. Und bei Paul lief es nun auch wieder ziemlich gut. Das dritte Schuljahr war tatsächlich das beste, das er bisher gehabt hatte. Die ersten beiden waren auch wegen der Trennung nicht leicht gewesen, für uns alle. Aber für einen Sechsjährigen ist der Papa nun mal der Held und wenn der plötzlich weg ist, ist das nicht leicht zu verkraften.
Sie waren (und sind!) aber auch beide viel zu klein, um zu verstehen, warum unsere Ehe in die Brüche gegangen war. Ich hatte mein Bestes getan, um diese Fragen von ihnen fernzuhalten, ich hatte auch versucht, nie ein böses Wort über Peter zu verlieren und ihre Beziehung zu ihrem Vater aufrecht zu erhalten. Auch, wenn er mir mehr als einmal in den Rücken gefallen war, mit Äußerungen wie „eure Mutter wollte, dass ich ausziehe, wenn es nach mir gegangen wäre, dann würde ich noch bei euch wohnen!“ Die Bedingungen dafür behielt er für sich – dass ich ihm nämlich so ab und zu schon mal eine Affäre zugestehen müsste. Er sei nämlich kein Mann, der auf Dauer mit nur einer Frau glücklich werden könnte! Von drei anderen Frauen während unserer Ehe wusste ich – ich vermutete aber, dass es mehr waren. Und das wollte und konnte ich irgendwann nicht mehr.
Also hatte ich ihn vor die Tür gesetzt – und in seinen Augen eine gut laufende Ehe beendet. In den ersten Monaten war er der absolute Vorzeigepapa, aber das änderte sich, als der Alltag Einzug hielt.
Zu Beginn unserer Ehe waren wir uns darüber einig gewesen, dass er der Haupternährer werden würde. Er hatte BWL studiert, ich hatte meine Erzieherausbildung abgeschlossen und ein Pädagogikstudium hinten drangehängt. Damit wollte ich „später“ mehr machen. Aber als ich dann mit Ende 20 schwanger wurde, legte ich meine Karrierepläne auf Eis. Und ich tat es gerne, denn ich hatte immer Kinder haben wollen, wollte eine Mutter sein und auch für meine Kinder zu Hause bleiben. Während Peter also Überstunden schob (und seinen Schwanz in seine Sekretärin …), blieb ich fast fünf Jahre zu Hause. Danach war es nicht so leicht, wieder eine Stelle zu bekommen, denn für mich war klar gewesen, dass ich gerne erstmal nur in Teilzeit zurück in den Beruf wollte.
Das änderte sich mit der Trennung, denn ich musste mehr verdienen. So hatte ich vor über zwei Jahren meine Stunden erhöht und die stellvertretende Leitung übernommen. Diese Posten waren leichter zu bekommen als die „normalen“, denn die Verantwortung und Verwaltung wollte keiner gerne übernehmen.
Ich bekam den Alltag mit Vollzeit und den Kindern ganz gut hin, mein Ex nicht so. Er war es nicht gewohnt, einzukaufen, zu waschen, Hausaufgaben zu betreuen, Schwimm- und Keyboardstunden zu bedenken, zu kochen …, eben der ganz normale Wahnsinn. Darüber hatte Peter sich wohl weniger Gedanken gemacht und immer öfter hatte er an den Wochenenden Seminare oder schlichtweg keine Zeit für die Kinder. Mir wäre es ja noch egal gewesen, aber Vicci und Paul hingen selbstverständlich an ihrem Vater. Also fand ich Entschuldigungen und bekniete ihn, sich um die Kinder zu kümmern. Es war ein ständiger Kampf und Drahtseilakt, gespickt mit Vorwürfen seinerseits.
Aber Schluss mit den trüben Gedanken. Ich war auf dem Heimweg, meine beiden Süßen warteten auf mich. Zum Glück konnte ich mich auf Vicci verlassen. Sie hatte ihren Bruder nach ihrem eigenen Schulschluss an der Grundschule abgeholt – ihre Bushaltestelle und Pauls Schule waren nicht weit voneinander entfernt und sie waren zusammen nach Hause gegangen.
Ich fuhr in die Einfahrt und winkte meiner Nachbarin kurz zu.
Schade – sie würden bald wegziehen.
Sie und ihr Mann hatten sich vor ein paar Jahren auf dem freien Grundstück neben meinem Haus ein Traumhäuschen gebaut. Ihr Mann saß im Rollstuhl und sie hatten nach seinen Vorgaben ein ideales Haus gebaut. Man hatte ihnen die Hoffnung auf ein Kind genommen und so hatten sie sich auf ihre Berufe konzentriert. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt, sie war schwanger geworden und hatte gerade ihr Baby entbunden. Nun war ihnen aber das Häuschen zu klein und sie hatten sich etwas Neues gesucht und wohl auch schon gefunden. In ein paar Wochen würden sie ausziehen. Ich konnte nur hoffen, dass ihr Nachmieter genauso nett sein würde. Sie hatten mir neulich erzählt, dass sie nur an jemanden vermieten würden, der dieses Häuschen genauso lieben und wertschätzen würde, wie sie es immer getan hatten. Was also bedeutete, dass es wohl wieder ein Rollstuhlfahrer werden würde.
Als ich den Motor ausmachte, zeigte mein Handy eine Nachricht an.
Ich musste lächeln, sie war von Thomas, meinem Freund. Wir waren seit ein paar Monaten zusammen. Es war schön, nicht immer alles alleine zu machen. Wir wohnten nicht zusammen, verbrachten aber ein paar Abende zusammen, gingen ins Kino, wenn die Kinder bei Peter waren, fuhren wir auch schon mal übers Wochenende (oder zumindest für eine Nacht) weg. Ich wusste, dass ich nicht in Thomas verliebt war. Aber mit 39 Jahren hatte ich auch keine Lust mehr gehabt, ewig zu warten. Ja, die Beziehung mit Thomas war eher bequem als leidenschaftlich, aber das reichte mir für den Moment!
Als ich die Nachricht las, verging mir das Lächeln, denn es gab genau ein Problem mit Thomas – er war vergesslich, aber nur dann, wenn es um meine Termine ging. Denn nun wollte er wissen, was wir heute Abend unternehmen würden. Dabei hatte ich ihm ziemlich deutlich gemacht, dass dieser Tag immer meinen Kindern gehörte.
Thomas war 10 Jahre älter, seine Tochter war aus dem Haus, seine Frau vor fünf Jahren an Krebs verstorben. Er richtete sich nach nichts und niemandem und konnte nicht verstehen, dass der letzte Schultag ein bedeutendes Ereignis für Grundschüler oder Fünftklässler war. Wir dagegen hatten den Tag durchgeplant: zuerst essen beim Chinesen, dann ein bisschen shoppen und dann einen Videoabend. Nur der Film stand noch nicht fest – definitiv kein Platz für einen 50-jährigen!
Also antwortete ich ihm und versprach, mich morgen zu melden, dann könnten wir weiter planen.
Mehr Zeit ließen mir meine Kinder nicht, denn sie hatten mein Auto gesehen und kamen aus dem Haus gerannt.
Na gut, Paul kam gerannt, Vicci war weniger aufgeregt – ein bisschen Sorgen machte ich mir schon um sie. Die Pubertät begann und ich war manchmal überfordert mit ihren Zickenanfällen. Ihr fehlte der Vater, der die Sache auch mal aus der Distanz sehen würde!
Mein Wirbelwind kam mit seinem Zeugnis in der Hand auf mich zu gestürmt.
„Mama, schau mal, nur gute Noten, nur in Reli und Kunst 'ne Drei dafür Sport eine Eins!“ Damit hatte er das komplette Zeugnis beschrieben – der Rest waren Zweien.
Ich küsste ihn: „Schatz, ich bin so stolz auf dich!“ Das war ich wirklich – und das hatte nichts mit den Noten zu tun und genau das sagte ich ihm auch.
Vicci - so zaghaft sie auch auf mich zugekommen war – strahlte übers ganze Gesicht. Ihr Zeugnis war auch bombastisch, ich glaube nicht, dass ich jemals so gute Noten gehabt habe.
„So, wer hat Lust auf Chinese?“
Lauthals stimmten beide zu und wir machten uns auf den Weg.
Unsere Stimmung war ausgelassen und wir verbrachten ein paar sehr angenehme Stunden zusammen.
„Habt ihr eurem Vater eure Zeugnisse auch schon fotografiert und geschickt?“
„Ach, das interessiert ihn doch eh nicht, für den gibt es doch nur noch Sabrina“, kam es von Vicci. Sabrina war seine neueste Eroberung, die irgendwie schon seit über sechs Monaten auf der Bildfläche war, keine Anstalten machte, zu verschwinden und mit Kindern nicht wirklich klar kam.
„Süße, so ist das nicht, er hat nur immer so viel zu tun und …“
„Immer nimmst du ihn in Schutz und willst, dass wir Zeit mit ihm verbringen.“
„Ich hab ihn vorhin angerufen!“, kam es von Paul. Er lachte: „Aber der wusste noch nicht mal, dass es heute Zeugnisse gegeben hat!“
Ich fing einen Blick von Vicci im Rückspiegel auf, der eindeutig „ich hab es dir ja gesagt“ bedeutete.
Gott – ich hatte Angst vor der echten Pubertät!