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Entzug. Fellatio. Unterwegs.

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Natascha stand bei mir auf der Matte. Draussen regnete es. Es war kalt. Gefühlte minus 2o Grad in meiner Arschritze. „Nimm nur das Nötigste mit,“ sagte sie. „Das Nötigste? Wohin gehen wir?“ „In die Klinik.“

Ich war seit Wochen unterwegs. Von einer Bar zur anderen. Der gottverdammte Gin und Nutten hatten mich an den Eiern. Ich sah scheisse aus. Unrasiert. Mantel und Jeans vollgekotzt.

„Gehen wir?“ „Ja. Die Flasche Gin nehme ich aber mit.“ Wir fuhren los. Ich schlief im Auto. „Wir sind da. Wach auf!“ Ich öffnete meine Augen. „Wie sieht‘s denn hier aus? Wo sind wir?“ „Vor der Klinik.“ „Vor den Toren der heiligen Stätte des Wahnsinns,“ antwortete ich. Mir war schlecht. Ich kotzte aus dem Fenster. „Entschuldige.“ Wir stiegen aus. Ich setzte die Flasche Gin an, soff sie leer und zündete mir noch eine Zigarette an. „Natascha. Sieh mich an. The crushed up man with a crushed up Marlboro‘s in his hand.“

Sie schmunzelte.

„Gehen wir rein? Wir sind angemeldet.“ „Schön.“

Natascha stützte mich. Einen gebrochenen Mann in seinem vollgekotzten Mantel und Talar. Sie öffnete die Türe. Wir gingen den Flur entlang. In den Gemäuern war es noch kälter als draussen. Es war dunkel. Es roch nach Schimmel. Ich rezitierte ein lyrisches Gedicht. Ich schrieb es auf Entzug in meinem Refugium, in meiner Bruchbude. Die Lyrik passte irgendwie zur Stimmung und zum Setting:

„Willkommen auf dem Weg der gequälten Seelen, einsam lodernd, Schwadronen dämonischer Nacht erschliessend,

der Glückseligkeit bitterer Tränen.“

„Mein fauler Odem verkündendes Purgatorium,

der Ahnen lobpreisender Verheissung,

in alle Ewigkeit lobpreisendes Misericordia.“

Vor uns war der Empfang. Er erinnerte mich an einen Tresen. Die Empfangsdame war aber keine geile Barschlampe mit dicken Titten. Leider. „Guten Abend. Wir sind angemeldet.“ „Wie heissen Sie?“ Natascha gab ihren Namen und meine Personalien an. „Ich informiere die Station.“ „Ja, machen Sie das. Die verfluchte Station der Geistigarmen.“ stotterte ich. „Sie werden abgeholt.“ „Danke.“

Zwei Männer kamen uns entgegen. Der eine war ziemlich gross, stämmige Statur und Bierbauch. Der andere war schmächtig und trug ein Stethoskop um seinen dünnen Hals. „Dick und Doof.“ dachte ich. „Sind Sie der Patient?“ „Ja, woran sieht man das?“ Ich schmunzelte und verabschiedete mich von Natascha. Ich hatte Tränen in den Augen. „Mach‘s gut. Ich besuche Dich morgen.“ „Bring mir Zigaretten mit.“

Der Pfleger und der Assistenzarzt begleiteten mich auf die Station. Eine Pflegerin nahm mich in Empfang. „Kommen Sie mit.“ Sie durchsuchte im Untersuchungszimmer meine Tasche. „Ich habe nur Kleider und Hygieneartikel dabei. Was man eben so braucht, für einen längeren Aufenthalt in der Klapse oder im Frühling auf Mallorca...“

Meine Mantel – und Hosentaschen musste ich auch leeren. Ich hatte nur zwei Pariser und Geld dabei. „Ich messe jetzt noch Ihren Alkoholpegel.“ Ich blies in ein Röhrchen. „4,3 Promille. Sind Sie wahnsinnig? Ich rufe den Arzt. Vielleicht müssen Sie ins Spital auf die Intensivstation.“

Ich musste nicht. Die Pflegerin zeigte mir mein Zimmer. Ein Lazarett mit drei anderen Pennern. Ich rauchte noch eine Zigarette im Aufenthaltszimmer und kotzte übers Sofa. „Entschuldigen Sie bitte.“ „Macht nichts. Gute Nacht.“ schmunzelte die Pflegerin.

„Gute Nacht.“

Sie gefiel mir.

Ich legte mich in meinen Kleidern hin. Draussen regnete es noch immer, und durch das alte Fenster mit Gitterstäben blies und heulte der Wind durch die Ritzen. Das Klinikareal war hell beleuchtet. Im Zimmer malte das Licht die Silhouetten der anderen verfluchten Patienten. Sie schnarchten, furzten, husteten und jammerten im Schlaf.

Die Kakophonie und der Gestank in dieser Gruft waren für mich nicht erhellend, wie das Licht, das von aussen ins Zimmer der Verdammten und Gebrandtmarkten fiel.

Ich setzte mich auf. Es war soweit. Es ging los: Die beschissenen Symptome des Entzugs begannen, knallten voll rein. Ich begann zu zittern, mein Herz raste und mir war schwindlig. Die Krämpfe in den Beinen waren übel. Der ganze Körper zitterte nun heftig. Die Pflegerin mass im Intervall meinen Alkoholpegel. Ich hatte noch 3,7 Promille im Blut und in der Birne. Meine intakte Leber hatte also schon o,6 Promille abgebaut. O,1 Promille in der Stunde. Gut, so! Ich kannte mich mit der somatischen Läuterung aus.

„Wie geht es Ihnen? Ist Ihnen schlecht?“ „Nein. Bringen Sie mir doch bitte eine Flasche Mineralwasser.“

„Da, bitte.“ „Danke. Ich weiss, ich kriege erst ab 1 Promille Valium gegen die Entzugserscheinungen. Also in 27 Stunden.“

Meine Mundwinkel zitterten. „Helfen Sie mir bitte auf. Ich möchte gerne im Aufenthaltszimmer eine Zigarette rauchen.“ „Möchten Sie denn nicht lieber im Bett bleiben?“ „Schlafen kann ich nicht. Es geht nicht. Ich weiss es. Bringen Sie mir ein Redormin. Eine homöopathische Beruhigungstablette und zwei Flaschen Mineralwasser.“

Ich blieb im Aufenthaltsraum, rauchte und gab mich demütig den Entzugserscheinungen und der psychischen Apokalypse hin.

Was sollte ich sonst machen?

Am nächsten Tag nahm mir der Pfleger Blut. Er versuchte es zumindest. Er zeichnete vorher die Stellen mit einem Kugelschreiber auf meinen Armen ein. „Da könnte es gehen, ja, vielleicht hier, nein, eher da, nein, hier, hier, da nicht.“ „Nehmen Sie mir Blut auf dem Handrücken. Ich habe beschissene Rollvenen.“ „Das tut aber weh. Ist sehr unangenehm.“ „Machen Sie schon. Ich muss scheissen. Eine Zigarette und einen Kaffee brauche ich auch.“

Er schaffte es schliesslich nach fünf Versuchen...

Ich ging scheissen. Kotzen musste ich auch. Ich würgte. Mein Sodbrennen, die Magensäure, verätzte meine Speiseröhre.

Verdammter Gin!

Ich schwankte in den Aufenthaltsraum. Da sassen sie nun.

Meine Mitpatienten im Vorhof des Nirwanas:

Cornelia, die promovierte Archäologin, sass vor dem Fenster in einer Ecke und weinte bittere Tränen der Hoffnungslosigkeit.

Sie hatte schwere Depressionen.

Armin hatte einen Gipsverband. Er schlug bei seinen Eltern eine Fensterscheibe ein.

Er war ein Arschloch.

Lukas war Student. Er richtete sich gerade im Fernsehzimmer sein Büro ein... Er nahm einen Tisch und einen Stuhl aus dem Aufenthaltsraum. Kugelschreiber und Blätter lagen bereit. Wozu?

Das wusste er nicht.

Er war monopolar. Manisch.

Heinz-Rüdiger stand mit seinem Koffer jeden Morgen beim Ausgang der geschlossenen Station und wartete auf den Zug. „Der Zug hält hier nicht, oder, er fährt an Dir und uns vorbei, wie das normale Leben. Er hat vielleicht mal angehalten und uns einsteigen lassen. Jetzt aber nicht mehr. An diesem Ort gibt‘s keine Haltestelle.“ flüsterte ich ihm zu.

Er hatte das Korsakow-Syndrom.

Sein Hirn war von Alkohol zerfressen.

Hannelore war dick. „Spielen wir Tischtennis?“ fragte sie mich jeden Tag. „Nö, du lass mal. Ich bin auf Entzug und kann den Schläger so oder so nicht halten mit meinem Gezittere, wie meinen Schwanz zum Pissen.

Mir schien, im Gegensatz zu uns anderen Patienten, hatte sie nichts.

Sie war dick und einfach nur hier.

Markus war drogenabhängig und sah scheisse aus. Eines Tages gab Lukas, der Manische, ihm seine Kreditkarte. „Du hast ja Ausgang. Hol mir beim Postautomaten hundert Franken. Hier ist mein Pin.“ „Gut, mach ich.“

Markus kam nicht wieder…

Tim war ein verwöhntes Bürschchen. Er war voll drauf. Monopolar. Manisch, sehr unangenehm in Vollendung. Seine Mutter kam jeden Tag zu Besuch. Er schiss sie immer wieder zusammen. „Du hast mir die falsche Schokolade mitgebracht! Das ist der falsche Kaffee!“

Seine Mutter besuchte ihn dann nicht mehr…

Claudio war jung und schwul. Er erzählte mir jeden Tag von seinem Freund und Stecher. Er war mit mir und drei anderen Patienten im Zimmer. „Heute Nachmittag brauche ich das Zimmer. Mein Freund kommt vorbei.“ „Schön.“

Am Nachmittag erwischte ich die beiden Schwestern in flagranti beim Fellatio, Abkauen, Blasen, Lutschen und Würgen…

Nach endlosen 27 Stunden des Entzugs mit Dünnschiss, Kotzen im Zimmer, im Aufenthaltsraum, und Dauergezittere, hatte ich nur noch 1 Promille Restalkohol in der Birne, im Blut und in meinem blutleeren Sack.

Der Oberarzt verordnete mir ein Antipsychotikum, Antidepressivum und Benzodiazepin. Deren hochdosierte Wirkstoffe Amilsuprid, Mirtazapin und Oxazepam knallten mir ganz schön rein.

Ich war total sediert, schlurfte den Flur hin und her, zählte meine Schritte, grüsste Heinz-Rüdiger vor der Türe auf den Zug wartend, rauchte Zigaretten, trank Kaffee, schaute bei Lukas im Fernsehzimmer in seinem Büro vorbei, setzte mich hin und wieder für einen Schiss auf den Lokus, schlief sehr viel, wenn Claudio und sein Freund nicht gerade beim Ficken waren.

Es war Sonntag. Halb vier Uhr morgens. Ich ging nur in Unterhose und Pullover scheissen. Im Aufenthaltszimmer rauchte ich danach eine Zigarette. Ich war allein. Endlich!

Die Pleger waren im Stationszimmer und lachten.

Die Patienten waren in ihren Zimmern und lachten nicht.

Ich war im Aufenthaltszimmer und lachte auch nicht.

Ich war nun seit vier Tagen in der Nervenheilanstalt. Ich sortierte meine beschissenen Gedanken:

Wie kam es zur Einlieferung in die Klapse? Wo war ich vorher?

Ich versuchte, mich an die Chronologie der Ereignisse zu erinnern:

Ich war wieder unterwegs gewesen, von Exzessen mit Weiberärschen und Gin gepeinigt.

Ich bezahlte den Taxifahrer und zog mich mit Mühe aus seiner Karre. Mir war schlecht. Ich wusste nicht mehr genau, wie lange ich besoffen unterwegs gewesen war. Ich stützte mich am Auto ab und kotzte auf den Gehweg. Der Taxifahrer stieg aus. Ich beruhigte ihn: „Ich habe dir nicht auf die Kühlerhaube gekotzt. Ich habe nur ein paar Spritzer an Schuhen und der Hose.“ Er schaute trotzdem nach und stieg wieder ein.

Ich schwankte nach Hause, es waren nur wenige Meter, aber die hatten es in sich. Eine alte Frau mit ihrem Köter kam mir entgegen, sie wich mir aus, der Hund aber nicht, er leckte an meinen Schuhen, sie zog ihn weg. Ich schaute ihm zu, wie er an meinem Gin-getränkten Gekotze weiterleckte. Braver Hund.

Ich stand nun vor dem Hauseingang und kramte meinen Schlüssel hervor, als plötzlich die Türe aufging und eine Nachbarin heraustrat. Ich fand sie ziemlich heiß. Sie war Italienerin und ging so gegen die Fünfzig zu. Sie trug ein Sommerkleidchen mit hohen Stiefeln, grosse Titten hatte sie auch. Sie sah mich an, schmunzelte und ging hinaus. Ich zog mich am Geländer hoch, schaffte es bis zur Türe, öffnete und fiel kaputt, wie ich war, durch die Türe auf den Teppichboden. Ich war zuhause.

Gott, sei, Dank!

Ich versuchte aufzustehen, es gelang mir, stützte mich an den Wänden ab, ging ins Badezimmer und setzte mich für einen Schiss hin. Gekotzt hatte ich ja schon vorher. Ich wusch mir den Arsch ab, stand auf und schaute mich im Spiegel an. Ich war nicht verletzt, hatte keine Wunden, Schürfungen und Kratzspuren im Gesicht. Das war schon mal gut!

Ich sah nur scheisse aus.

Ich ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Ich hatte kein Bier mehr. Der Gin und der Wein waren auch alle. Was, nun? Ich wusste nicht, wie spät es war. Ich erinnerte mich noch an die Nachbarin, die das Haus verlassen hatte. So spät oder so früh konnte es nicht gewesen sein. Ich musste was zum Saufen haben, Zigaretten hatte ich auch keine mehr. Ich öffnete die Türe und klingelte beim Nachbarn. „Guten Abend Herr Meier. Ich habe Besuch... Mir ist der Wein ausgegangen. Hätten Sie wohl eine Flasche Wein für mich? Ich trinke ja nicht, wie Sie wissen, aber meine Gäste.“ Herr Meier schaute mich überrascht an. „Ja, sicher. Weiss – oder Rotwein?“ „Beides, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ Seine Frau schaute mich entsetzt an, nur ihr vierjähriger Hosenscheisser grinste. Herr Meier gab mir den Wein. „Vielen Dank! Da haben Sie zehn Franken für die Mannschaftskasse.“

Ich stellte die Flaschen in die Küche und ging zu meinen anderen Nachbarn. „Hallöchen. Darf ich Euch eine Packung Zigaretten abkaufen?“ „Natürlich.“ „Danke Euch. Schönen Abend.“

Zuhause pellte ich genüsslich das Zellophan einer jungfräulichen Flasche Wein, öffnete sie, zündete mir eine Zigarette an und liess mich nochmals für einen Bierschiss nieder.

Es war mittlerweile drei Uhr morgens. Ich war wach, wie die meisten Nachbaren auch, dachte ich. Im Hintergrund lief laute Musik, „The hardest Walk“, ein Lied der Band „The Jesus and Mary Chain“ aus Glasgow. Der Tag konnte beginnen. Meine Flashbacks auch:

Ich hatte mit einem Freund abgemacht. Ich bat ihn, mir doch zwei oder drei Joints zur Selbstmedikation mitzubringen. Marihuana ist ja nicht nur bei einem Glaukom hilfreich, sondern erst recht bei seelischem Ungleichgewicht. Wir tranken in einer Kneipe zwei, drei Bierchen. Beim Verabschieden gab mir mein Kumpel mit besten Genesungswünschen zwei Joints, einen anderen zündete er an. Wir standen in einem Hinterhof und pafften genüsslich daran. Ich weiss noch, dass ich für die paar hundert Meter zum Bahnhof ziemlich lange brauchte. Der Wirkstoff THC knallte mir voll rein, fast zur Besinnungslosigkeit. Ich war stoned, meine Beine wurden schwer. Wo war ich? Ich schaffte es noch bis zu einer Parkbank, setzte mich hin und versuchte mich zu orientieren, aber es gelang mir nicht.

Bahnreisende zogen an mir vorbei wie Schatten, ausdruckslos und leer.

Ich sah einen Taxistand, stand auf, stützte mich beim Brunnen ab und fiel fast hinein. Der Taxichauffeur öffnete die Türe. „Wohin geht‘s?“ „Nchdihse.“ Die Droge schlug mir aufs Sprachzentrum. Ich kannte die beschissene Nebenwirkung des Alkohols. Ich stotterte, murmelte irgendetwas vor mich hin, wie bei einer Aphasie oder beim Konfabulieren: Man spricht, es sind aber nur aneinandergereihte Buchstaben, mehr nicht. Keine Sau versteht einen.

Ich nahm meine Monatskarte hervor und zeigte auf die Adresse. Er fuhr los und brachte mich nach Hause, stützte mich sogar die Treppe hinauf. Ich zahlte und gab ihm noch fünf Franken Trinkgeld.

Irgendwann kam Natascha...

Das waren meine beschissenen Erinnerungen.

Im Aufenthaltszimmer wurde es hell. Die Sonne schien mir ins Gesicht.

Der Alarm ging los.

Ein neuer Tag.

Eine neue Chance für uns Bekloppten und Gestrandeten.

Titten, Tränen, Gin & Tonic

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