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Kein Bier auf Hawai

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Der Ballsportverein BVB Dortmund ist ein politischer Verein. Wer das bisher noch nicht wusste, kann sich in Dortmund in vielen Restaurants und Gaststätten davon überzeugen, dass der schwarz-gelbe Ballverein aktiv in die politische Diskussion einsteigt. Die mutige PR-Aktion des BVB aus jüngster Zeit kann deutlicher nicht sein: Kein Bier für Rassisten.

Was eher klingt als hätte man versucht dem Kleinhirn die Nahrung zu entziehen, ist eine durchaus ernst zu nehmende politische Bekundung des multinationalen Konzerns. Der börsennotierte Ballverein ist dabei nicht nur im Sport, sondern auch in der politischen Debatte, zu einem Global Player geworden.

Die griffige Parole ist mehr als nur eine Einmischung in politische Themen, sie stellt in ihrer simplen Deutlichkeit einen Meilenstein der politischen Debatte dar. Wenn man bisher dachte, dass auch Rassisten Bier trinken dürfen, ist dem BVB das jetzt nicht mehr genehm. Nun impliziert die Parole aber auch, dass es offensichtlich mal Rassisten gegeben hat, die sich am Dortmunder Bier Labsal verschafft haben. Es wäre eine sinnlose Parole, wenn es keine Rassisten gäbe. Also gehen die Marketingfachleute des BVB davon aus, dass es Rassisten gibt. Das ist wohl damit gemeint. Zudem meinen die politischen Werbestrategen, dass Rassisten gerne Bier trinken. Auch das müsste man annehmen.

Es fragt sich der unbedarfte Normalbiertrinker, womit der Begriff gefüllt ist. Wenn man bei den zunehmenden steigenden Bierpreisen bei gleichzeitiger Rauchfreiheit sein Bier eh nur noch ungern draußen genießt, lässt das sprichwörtliche Kneipensterben nun aber auch den Schonraum des Genießers nicht mehr aus der politischen Diskussion. Die in Massen verteilten Bierdeckel, Plakate und Sticker sind Politik am Stammtisch.

Die Stammtischparole ist derart aggressiv, dass man sich nur für zwei Reaktionen entscheiden kann. Entweder hält man sich für einen Rassisten und verlässt dann die Fachgaststätte, oder man hält sich für keinen Rassisten und trinkt in angenehmer Selbstbeweihräucherung weiter sein Bier.

Die Frage ist aber gar nicht so einfach. Wer ist ein Rassist? Oder anders gefragt – wer oder was soll das sein?

Ich persönlich stelle mir unter einem Rassisten einen Menschen vor, der Bier trinkt oder nicht trinkt, der aber in jedem Fall eine Maske trägt und an brennenden Kreuzen dem Ku-Klux-Klan huldigt. Oder ein Rassist ist jemand, der jeden verprügelt, der anders aussieht oder eine andere Hautfarbe hat. Ist das ein Rassist?

Oder kann man die Rassisten gar nicht so leicht erkennen? Sind sie vielleicht getarnte Normalbürger, die im subversiven Untergrund ihr Unwesen treiben? Oder sind Rassisten vielleicht noch subtiler aufgestellt und trinken ihr Bier in Restaurants und Gaststätten mit dem Kalkül, dass sie politische Agitation betreiben?

Nun möchte ich erläutern, warum ich diese Fragen stelle. Wenn man sich etwas in der Dortmunder Gastronomie auskennt, weiß man, dass in Dortmund keine wahrnehmbaren Rassisten existieren. Ich meine damit, dass in Dortmund, zumindest soweit ich das beurteilen kann, nie über Politik gesprochen wird. In den Restaurants und Gaststätten wird niemals politisiert. Es wird immer nur über den BVB gesprochen. Das kann man bei philosophischer Betrachtung möglicherweise schlussfolgern, dass diese multimediale Verknüpfung der Dortmunder mit ihrem Verein möglicherweise auch in gewisser Weise politisch ist.

Es kann sein, dass die multinationale Einheit der Fußballgladiatoren in Dortmund schon an sich politisch ist. Der BVB betreibt, wie fast alle Bundesligavereine, eine konsequente Einkaufspolitik der Talente im Ausland, die in diametralem Widerspruch zur Nachwuchsförderung in der eigenen Stadt steht. Kann man so sagen oder vielleicht auch nicht. Denn der BVB betreibt sicher auch Nachwuchsförderung. Die scheint aber nicht auszureichen, um den Anforderungen im modernen Fußball gerecht zu werden. Die Jungs vom Borsigplatz reichen nicht für die Championsliga.

Deshalb gehört der BVB schon seit Jahren zu den buntesten und brasilianischsten, zu den multikulturellsten und weltoffensten Vereinen in Deutschland.

Dagegen hat auch niemand etwas. Es hat doch auch ein Geschmäckle, wenn ein arbeitsloser Brasilianer in Dortmund zum Multimillionär mutiert. Das ist die Dortmunder Großmütigkeit, die amerikanische Träume wahr werden lässt. Während die Innenstadt von einheimischen Ein-Euro-Jobbern sauber gehalten wird, sind für andere talentierte Nationalitäten die Straßen manchmal in Gold gepflastert.

Das ist ein Stück gelebter Weltoffenheit, die in nichts mit dem Großmut anderer Städte vergleichbar ist. Da die Dortmunder an der Spitze des Fortschritts rangieren, wundert es nicht, dass der Aushängekarneval der Dortmunder Fußballkultur nun aktiv in die Tagespolitik einsteigt.

Mich persönlich würde es nicht verwundern, wenn bald ein BVB-Spieler zum Bürgermeister gewählt werden würde. Man kennt das aus den Staaten. Der Herr Reagan war Schauspieler. Der Schwarzenegger auch.

Was spräche also dagegen, dass man das politische Engagement der BVB-Millionäre in das Rathaus trägt?

Ich persönlich fände das nur konsequent und ich würde anregen, dass es bald einen brasilianischen Bürgermeister in Dortmund gibt. Ich male mir dabei aus und erhoffe mir, dass die Allianz von Geld, Talent und politischem Know-how dann eine Antrittsrede hält:

„Liebe Dortmunderinnen, liebe Dortmunder,

kein Bier für Rassisten. Ich sage es deutlich und auch echt. Kein Bier für Rassisten. Ich meine, es darf kein Bier für Rassisten geben. Denn es gibt kein Bier für Rassisten. Weil es eben kein Bier gibt, wenn jemand Rassist ist. Das ist alles, was ich zu sagen habe.“

Ich glaube, dass es bei dieser politischen Antrittsrede des neuen brasilianischen Bürgermeisters sicher sehr viel wohlwollende Unterstützung geben würde. Die Dortmunder hätten nun drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Erstens hätten sie ihre Weltoffenheit allen verkauzten Spießern demonstriert. Zweitens würde der neue Bürgermeister bestimmt kein Bier für Rassisten brauen. Drittens wäre nun sichergestellt, dass die Kommunalpolitik nicht mehr durch Nebenschauplätze unnötig strapaziert wird. Es würde nur noch eine Parole geben: Kein Bier für Rassisten.

Nun ist die zugegebenermaßen etwas reduzierte politische Botschaft eher weniger dazu geeignet, dass man damit ganze Hallen füllt. Aber wer weiß das? Vielleicht ist es eben auch gerade die Simplizität, die ungeheure Ressourcen entfaltet. Niemand weiß das.

Das tiefer liegende Problem, das dann auftaucht, wenn man sich den Rassismus der Antirassisten betrachtet, begegnet nämlich dem unvoreingenommenen Menschen dann, wenn man davon ausgeht, dass die Titulierung „Rassist“ durchaus auch rassistisch gebraucht werden kann.

Wenn man, nur rein ins Dunkle hineinkonstruiert, von der abwegigen These ausgeht, dass man den Begriff „Rassist“ auch dafür verwenden kann, jemanden in seiner politischen Meinung zu behindern, dann könnte man bei wohlwollender Betrachtung auch zu dem Schluss kommen, dass die Rassismusdebatte eigentlich an sich Rassismus ist.

Das ist natürlich etwas verschlungen und kompliziert. Deshalb möchte ich das vereinfachen.

Nehmen wir einmal eine andere Parole:

„Keine Milch für Landwirte“

Wenn man sich diese Parole einmal ansieht, die jeder Rassismusdebatte enthoben ist, wird einem auffallen, dass die Landwirte in dieser Parole einem Generalverdacht unterstellt werden. Die Parole suggeriert, dass viele oder einige Landwirte, dadurch, dass sie Kühe halten, automatisch zum Kreis der Verdächtigen gehören, die Kühe quälen.

Die Parole ergibt nur dann einen Sinn, wenn man aus ihr folgert, dass Kühe leiden und es deshalb keine Milch für die Landwirte geben sollte.

Nun hat die Parole aber erhebliche Schwächen. Sie blendet die Landwirte aus, die möglicherweise ökologisch und tierfreundlich, die nachhaltig und umsichtig, ihre Kühe melken.

Die Parole zielt auf eine Gruppe ab, die das nicht tut. Die Parole will bewirken, dass die Landwirte geächtet werden, die Kühe nicht artgerecht halten.

Wenn wir zu unserer Eingangsparole zurückkehren, fällt uns vielleicht auf, dass es immer bei jeder Parole eine Dunkelziffer von Verdächtigen gibt, die in die Parole fallen, ohne eigentlich die Parole zu stärken. Ich will damit sagen, dass jeder Biertrinker in Dortmund in einen Gewissenskonflikt gerät. Wenn er sein Bier trinkt und sich selbst für einen Rassisten hält, handelt er egoistisch und subversiv. Wenn er aber gar nicht weiß, wer oder was denn nun ein Rassist ist, dann vielleicht fahrlässig. Wenn er aber fest davon überzeugt ist, dass er kein Rassist ist, dann kann das mehrere Gründe haben. Er kann theoretisch denken, dass er deshalb kein Rassist ist, weil er sein Bier trinkt, ohne aufzufallen. Oder er kann auch annehmen, dass er deshalb kein Rassist ist, weil er nichts gegen Ausländer hat. Vielleicht denkt er aber auch deshalb, kein Rassist zu sein, weil er eben sonst zu den Menschen zählt, die hier nicht erwünscht sind. Vielleicht denkt der grübelnde Biertrinker aber auch, dass wenn es jetzt Bierdeckel gibt, die ihn entlarvt haben, dass er sich ganz ruhig verhalten sollte. Denn stellen Sie sich einmal vor, ein Biertrinker starrt auf seinen Deckel und würde dann provokativ sagen:

"Moment mal. Ich bin ein Rassist."

Ja, was würde denn dann geschehen?

Würde man den Gast verprügeln? Oder rausschmeißen? Würde man den Gast bei der Polizei anzeigen? Oder was würde geschehen?

Da aber kaum ein Gast den Mut und das Verlangen hat, diese Provokation auszukosten, macht sich jeder so seine eigenen Gedanken. Vielleicht entscheidet sich der mutmaßliche Rassist dann dafür, dass er es einfach ignoriert. Sie müssen doch verstehen; irgendetwas müssen sich die PR-Experten des BVB doch dabei gedacht haben. Irgendeine Reaktion haben sie doch erwartet und bezweckt.

Wenn man sich also dem Kalkül der Marketingkampagne nähert, muss man konstatieren, dass es vermutlich viele Menschen gibt, die sich jetzt nur ungern trauen, ein Bier zu trinken. Wenn es tatsächlich Rassisten gibt, dann müssten die doch sehr auf der Hut sein. Überall müssen sie sich durchschaut fühlen und befürchten, dass man ihnen die hässliche Maske vom Gesicht zieht. Mal abgesehen davon, dass die eh schon schwächelnde Gastronomie Umsatzeinbußen mutig in Kauf nehmen wird, wird der mutmaßliche Rassist wahrscheinlich einer Hexenjagd ausgesetzt. Überall muss er fürchten, dass er in der Gosse landet. Überall werden mutige anständige Bürger darauf lauern, den Rassisten zu entlarven und seiner gerechten Strafe zuzuführen. Der Rassist ist im Visier der Biertrinker. Niemals darf ein Rassist sich mehr ein Bier vergönnen, denn seine Existenz ist demokratiefeindlich und muss ausgegrenzt werden.

Jetzt ist das mit dem Ausgrenzen so eine Sache. Die Geschichte der Menschheit ist voller Ausgrenzungen.

Ich bin natürlich kein Rassist. Ich sorge mich auch nicht wirklich um diejenigen, die ihr Bier nicht mehr in Ruhe genießen dürfen. Das ist mir eigentlich egal. Ich würde aber dennoch gerne wissen, ob sich irgendein Rassist ausgegrenzt fühlt und deshalb kein Bier mehr trinkt. Was meinen die genialen PR-Strategen des BVB dazu? Trinkt kein Rassist mehr ein Bier? Oder geht es darum gar nicht? Will man vielleicht einfach mutige Flagge zeigen?

Oder könnte es vielleicht auch sein, dass man da etwas populistisch ist?

Ich meine, bei aller wohlwollenden Betrachtung, ist die Marketingkampagne wirklich etwas einfach gestrickt. Sie ist nicht gerade das, was man Volksaufklärung nennen könnte. Man könnte sogar bei böser Absicht weiter gehen und sagen, dass hier primitivste und animalische Urtriebe verstärkt werden.

Es ist nämlich immer sehr schwer, wenn man mit Steinen massiv wirft und selbst im Glashaus sitzt. Da sitzt der BVB nicht in einem Glashaus, aber die Intellektualität der Kampagne lässt Rückschlüsse auf die Verfasser zu. Ohne also den bestimmt hoch bezahlten und genialen Werbestrategen da zu nahe treten zu wollen, erscheint mir das Ganze doch etwas naiv. Ich glaube nicht, dass sich die bösen Rassisten jetzt vor dem Biertrinken drücken werden, sondern glaube eher, dass die Kampagne eine Art Selbstpositionierung darstellt. Es ist es aber kein Akt der Heldenhaftigkeit, wenn man dabei dann auf anonyme Randgruppen schießt. Die Rassisten sind nicht in der Mehrheit. Oder etwa doch? Ist diese Kampagne vielleicht deshalb entstanden, weil die Rassisten immer mehr werden? Wollte man dagegen angehen? Worauf stützt sich diese Annahme? Gibt es darüber empirische Untersuchungen?

Gehen wir davon aus, dass die Werbestrategen ein Zeichen setzen wollten, dann stellt sich die zwangsläufige Frage: Wogegen?

Rassismus ist eine schlimme Sache. Aber Rassismus gibt es überall. Leider. Der Rassismus beschränkt sich nicht auf Neonazis oder Salafisten. Man trifft Rassismus auch dort an, wo man ihn gar nicht vermutet. Rassismus fängt dort an, wo man Meinungen und Kulturen unterdrückt und nicht mehr wahrnehmen will. Rassismus kann Weiße betreffen. Er kann aber auch Schwarze betreffen. Leider gibt es unendliche Schattierungen des Rassismus. Wesentlichstes Merkmal des Rassismus ist aber immer, dass man komplizierte Sachverhalte unzutreffend vereinfacht. Man kann also Rassismus besonders daran erkennen, dass er primitiv ist.

Kein Mensch kann ernsthaft glauben, dass er anderen deshalb überlegen ist, weil er ihnen nicht zuhört. Kein Mensch kann denken, dass er einer auserwählten Rasse angehört und dies nur deshalb, weil man ihm das mit Macht bekräftigt hat.

Der Rassismus im Alltag ist aber gerade dort anzutreffen, wo man in ein hohles Klischeedenken verfällt. Wenn man da das Gute und auf der anderen Seite das Schlechte vermutet. Wenn man schwarz und weiß denkt. Rassismus beschränkt sich nicht in Ausländerfeindlichkeit, sondern findet auch dort statt, wo man Stammtischparolen gegen komplizierte Sachverhalte stellt. Rassismus ist immer da, wo der vernünftige und aufgeklärte Geist in Parolen gezwängt wird.

Wenn man also diese Kriterien anwendet, muss man leider sagen, dass je vehementer eine Stammtischparole vertreten wird, dass sie umso mehr den Kern der Sache nicht treffen kann.

Diese Kriterien treffen leider auf die vielleicht gut gemeinte Kampagne der Ballsportler zu und reduzieren das Kalkül auf Ausgrenzung von Andersdenkenden.

Das ist weder demokratisch, noch ist es im Kern hilfreich.

Wenn man die Welt in Gut und Böse unterteilt, muss man sich gefallen lassen, dass man dann schnell in die gleiche Kategorie der Vereinfachung und unzulässigen Brüllerei eingestuft wird, die man vielleicht eigentlich damit bekämpfen wollte.

Sorry, aber ich empfinde das Stammtischgebaren als peinlich. Aber das ist nur meine Meinung.

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