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Оглавление2Kommunikation: Zur Klärung eines Begriffes
In diesem Kapitel geht es um eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Kommunikationsbegriff. Dabei wird allerdings nicht dem – sowohl in der Alltags- als auch in der Wissenschaftssprache anzutreffenden – inflationären Gebrauch dieses Wortes nachgegangen.1 Ich werde vielmehr versuchen, jene Dimensionen der Begriffsrealität herauszuarbeiten, mit denen sich die humanspezifischen Qualitäten dieses Prozesses erfassen lassen und die daher für das Verständnis von Kommunikationswissenschaft, wie es in diesem Buch entwickelt wird, wesentlich erscheinen.
Zu diesem Zweck kann man Kommunikation mit Maletzke zunächst ganz allgemein als „Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen“ (1963: 18) begreifen. Mit dieser einfachen (und zugleich „klassischen“) Definition klammert man bereits alle jene kommunikativen Vorgänge aus, die zwischen „Nicht-Lebewesen“ (wie datenverarbeitenden Maschinen u. Ä.) ablaufen, und rückt soziale Kommunikationsprozesse in den Mittelpunkt des Interesses. Die lmplikationen dieses Anspruchs gilt es in der Folge zu untersuchen.
2.1 Kommunikation als soziales Verhalten
Mit dem Terminus Verhalten wird jede Regung eines Organismus bezeichnet. Neben rein motorischen Bewegungsabläufen (wie körperlich-muskulären Aktionen und Reaktionen eines Organismus auf Umweltreize) zählen dazu auch die Aktivitäten des Zentralnervensystems; beim Menschen sind dies v. a. die von Gehirn und Rückenmark gesteuerten nervösen Prozesse des Wahrnehmens, Fühlens und Denkens (vgl. Klima 2011: 725).
Soziales Verhalten meint dagegen bereits den Umstand, dass sich Lebewesen im Hinblick aufeinander verhalten. Sozial ist dasjenige Verhalten von Lebewesen (Menschen oder Tieren), das eine Reaktion auf das Verhalten anderer Lebewesen darstellt und selbst wiederum die Reaktionen anderer Lebewesen beeinflusst (vgl. ebd.). Als sozial gelten daher sowohl Verhaltensabläufe, im Rahmen derer Lebewesen miteinander agieren (z. B. das gemeinsame Abwehren eines Feindes), als auch solche, die gegeneinander gerichtet sind (z. B. das Einander-Bekämpfen). Ausschlaggebend für den sozialen Charakter von Verhaltensweisen ist also der Umstand, dass sie aufeinander bezogen sind. Auch „Einzelaktionen“ (wie etwa das Sammeln von Futter für die Jungen) können damit durchaus sozialen Charakter besitzen. Werden nun im Rahmen derartiger sozialer Verhaltensweisen zudem Bedeutungen vermittelt, dann besitzen diese Verhaltensweisen auch kommunikativen Charakter.
Strenggenommen ist dies nahezu immer der Fall. Von den erwähnten Einzelaktionen (vorzustellen wäre etwa eine isoliert stattfindende Futtersuche) abgesehen, findet ja allein infolge der – etwa durch räumliche Nähe bedingten – sinnlichen Wahrnehmung eines anderen Lebewesens eine Bedeutungsvermittlung zwischen diesen beiden statt.
So bedeutet beispielsweise das Erscheinen eines Fuchses im Wahrnehmungsfeld eines Hasen für diesen das Signal zur Flucht; ebenso bedeutet für mich das Herannahen einer überfüllten Straßenbahn etwas, nämlich entweder mich auch noch hineinzwängen zu müssen, zu Fuß zu gehen, ein Taxi zu nehmen u. Ä. In beiden Fällen vermag allein die sinnlich wahrgenommene physische Existenz anderer Lebewesen (bzw. deren Verhalten) Bedeutungen zu vermitteln.
Nicht nur soziales Verhalten, Verhalten überhaupt scheint sich damit in weiten Teilen als kommunikativ zu erweisen. Diese Ansicht vertreten auch Watzlawick (et al.), die im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit menschlicher Kommunikation die Begriffe Kommunikation und Verhalten überhaupt gleichbedeutend verwenden (1969: 23 f.). Ausgehend von der plausiblen Einsicht, dass es eine grundlegende Eigenschaft des Verhaltens sei, kein Gegenteil zu besitzen („Man kann sich nicht nicht verhalten“), gelangen sie zur Formulierung ihres vielzitierten Axioms „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick et al. 1969: 53).
Diese Position soll allerdings hier nicht vertreten werden. Obwohl es zunächst einsichtig erscheint (und auch gar nicht in Abrede zu stellen ist), dass jedes Verhalten gewissermaßen über ein kommunikatives Potential zur Bedeutungsvermittlung verfügt, so hieße es dennoch den Begriffsrahmen überspannen (was die inflationäre Verwendung des Wortes zudem nicht gerade mindern würde), wollte man jedes Verhalten mit Kommunikation gleichsetzen: Wenn alles Verhalten Kommunikation ist, dann wäre ja z. B. auch das Betragen eines schlafenden Individuums zu Recht bereits als Kommunikation zu bezeichnen.
Denken wir an einen Studenten, der in der Vorlesung schläft. – Er signalisiert mir als Vortragendem mit seinem Verhalten „nonverbal, dass er nicht bereit oder in der Lage ist, meine Mitteilung aufzunehmen. Möglicherweise wird er als Dauersender desselben nonverbalen Signals zu einem Störfaktor für mich und die anderen Hörer. Nur: in umgekehrter Richtung, nämlich von mir zu ihm findet eine Kommunikation keinesfalls statt. Das heißt: was immer ich vortrage, er nimmt es nicht auf. Ich kann, was ich denke oder mitteile, folglich nicht mit ihm teilen. Dies gilt auch, wenn er ‚mit offenen Augen schläft‘, ‚abschaltet‘, Mitteilung verweigert“ (Wagner 1980: 171).
Wenn also Kommunikation auch nicht möglich sein soll, dann ist entscheidend, dass man unter dem Begriff Kommunikation einen Mitteilungsvorgang versteht, in dem Bewusstseinsinhalte miteinander geteilt, „vergemeinschaftet“ (ebd.) werden. Dem Axiom über die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren, liegt daher „ein vollkommen anderer Kommunikationsbegriff zugrunde“. (ebd.)
Durch eine derartig hypertrophe Verwendung des Kommunikationsbegriffes geraten folgerichtig alle Versuche, eine Bedeutungsvermittlung (trotz wechselseitiger Wahrnehmbarkeit) nicht stattfinden zu lassen oder abzubrechen, in den Bereich des Pathologischen: Wenn jegliches Verhalten, also auch Schweigen, Absonderung, Regungslosigkeit, Schlafen oder irgendeine andere Form der Vermeidung von Kommunikation selbst eine Kommunikation ist, dann zeigt sich in dem Versuch, nicht zu kommunizieren, tatsächlich „ein wesentlicher Teil des schizophrenen Dilemmas“ (Watzlawick et al. 1969: 52).2
Kommunikation und Intentionalität
Hier wird nun davon ausgegangen, dass es dem Menschen sehr wohl möglich ist, Kommunikation (bzw. Kommunikationsversuche) willentlich aufzunehmen oder auch abzubrechen – und genau das soll in der Begriffsbestimmung auch zum Ausdruck kommen. Menschliches Verhalten kann nämlich bewusst (Graumann 1966: 115 f.) und zielgerichtet, d. h. intentional ablaufen. Der Mensch kann sich in seinem Verhalten ausdrücklich auf etwas beziehen, er kann sich also nicht bloß verhalten, er kann auch handeln.
Handeln gilt als (alltäglicher) Spezialfall von Verhalten, eben als intentionales Verhalten, das absichtsvoll und auch (mehr oder weniger) bewusst auf ein Ziel hin ausgerichtet ist (Lenk 1978: 281). Oder wie es Max Weber in seiner klassischen Begriffsbestimmung ausdrückt: Handeln meint dasjenige menschliche Verhalten, welches der jeweils handelnde Mensch mit subjektivem Sinn verbindet. Dabei ist einerlei, ob es sich um ein äußeres (motorische Aktivitäten) oder innerliches „Tun“ (Denken, Fühlen, …) handelt; auch ein bewusstes Unterlassen einer Aktivität (oberflächlich betrachtet: ein „Nichts-Tun“) oder ein bewusstes Dulden (von Zuständen, von Verhaltensweisen anderer etc.) ist in diesem Sinn als menschliches Handeln zu begreifen (Weber 1980: 3 f.; 1984: 19 f.).
Intentionalität gilt als Ergebnis der Evolution (der phylogenetischen Entwicklung) des Menschen. Sie besteht in der „Fähigkeit, für ein Ziel zu kämpfen […] mit mehr als nur einem rigiden Handlungsmuster“ (Lenneberg 1964: 581 f.; zit. n. Merten 1977: 129): Neuere Erkenntnisse deuten zwar darauf hin, dass auch Menschenaffen (Schimpansen) über einfache Formen der Intentionalität verfügen, aber nach wie vor gilt, dass nur der Mensch über eine Intentionalität höherer Ordnung, nämlich über eine „geteilte Intentionalität“ („shared intentionality“), auch „Wir- oder kollektive Intentionalität“ verfügt (Tomasello 2014: 4), die ihn zu Empathie und Kooperation befähigt und die „einzigartig im Tierreich ist“ (Tomasello 2011: 17).
Der Handlungsbegriff ermöglicht also, aus dem Gesamtkomplex menschlicher Verhaltensweisen bestimmte Teile herauszugreifen. Mit Hilfe des Handlungsbegriffes lässt sich der intentionale Charakter menschlichen Tuns hervorheben: Indem der Mensch seinen Handlungen „subjektiven Sinn“ zuerkennt, ihnen also bestimmte Bedeutungen attestiert, verbindet er bewusst ganz bestimmte Zielvorstellungen mit seinen Aktivitäten. Das bedeutet darüber hinaus, dass menschliches Handeln nicht Selbstzweck (ich handle nicht „um des Handelns willen“), sondern stets Mittel zum Zweck ist. Was auch immer wir beabsichtigen (die Beeinflussung eines Prozesses, das Herstellen eines Zustandes, das Dulden eines Missstandes, …), unser Handeln ist stets zielgerichtet3. Ist unser Handeln in seinem Ablauf nun auch noch an anderen Menschen orientiert, dann spricht man von sozialem Handeln.
Soziales Handeln ist ein Handeln, „welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“ (Weber 1980: 1; 1984: 19). Dieses Verhalten anderer (Menschen) kann bereits vergangen sein, gegenwärtig ablaufen oder auch erst in Zukunft erwartet werden – entscheidend ist, dass es überhaupt mitgedacht wird. Ein Mensch handelt also dann sozial, wenn er – und sei es auch nur gedanklich – das Vorhandensein (bzw. die Verhaltensweisen) von (mindestens noch einem) anderen Menschen in sein Handeln miteinbezieht.
–Bloßes Handeln liegt etwa vor, wenn Menschen bei Beginn des Regens den Regenschirm aufspannen. Hier handeln sie intentional, denn es existieren konkrete Ziele für ihr Handeln (nicht nass werden wollen …). Sie handeln dagegen nicht sozial: selbst wenn sie gleichzeitig und/oder auch gleichmäßig handeln, orientieren sie sich – was den Ablauf des Handelns betrifft – nicht an den anderen Menschen, sondern am Regen(!). Auch wenn sie durch wechselseitig beobachtetes Aufspannen erst auf den Regen aufmerksam werden, handeln sie ausschließlich im Hinblick auf sich (und den Regen) und nicht im Hinblick auf irgendeinen anderen Menschen.
–Soziales Handeln kann etwa am Beispiel des Geldverkehrs einsehbar gemacht werden: Indem eine Person beim Tauschverkehr Geld akzeptiert, orientiert sie ihr Handeln an der Erwartung, dass (sehr viele) andere Menschen in Zukunft ebenfalls bereit sein werden, dieses Geld als Tauschmittel anzunehmen. Damit ist ihr eigenes Handeln (Geld annehmen) an anderen Menschen (bzw. an deren zukünftigem Verhalten) orientiert: sie denkt deren zukünftiges Verhalten während ihrer Handlung mit, der Handlungsablauf (Geld als Tauschmittel akzeptieren und auch annehmen) ist von diesem Mitdenken fundamental bestimmt.
2.2 Menschliche Kommunikation als soziales Handeln
Menschliche Kommunikation soll nun unter dem Aspekt des bisher Gesagten als ein Prozess betrachtet werden, der im Bereich des sozialen Handelns4 anzusiedeln ist: Ein „kommunizierender“ Mensch ist jemand, der etwas im Hinblick auf (mindestens) einen anderen Menschen tut. Damit handelt er also „zutiefst“ sozial, weil er sein kommunikatives Handeln ja ganz ausdrücklich an diesen/diese Anderen richten muss: Hat es im soeben angesprochenen Beispiel des Geldverkehrs noch „genügt“, jene Anderen (von denen man erwarten konnte, dass sie in Zukunft Geld als Tauschmittel akzeptieren würden) mehr oder weniger unbewusst beim eigenen Handeln mitzudenken, so zeichnet sich kommunikatives Handeln ja gerade auch dadurch aus, dass es darüber hinaus (in der Regel) explizit und bewusst in Richtung auf (mindestens einen) Andere(n) geschieht.
Wie für menschliches Handeln allgemein, so soll nun auch für soziales bzw. insbesondere für kommunikatives Handeln der intentionale Charakter herausgearbeitet werden. Fragt man unter diesem Aspekt der Intentionalität nach den möglichen Zielen kommunikativen Handelns, so gelangt man zu folgender Differenzierung:
1.Jede·r kommunikativ Handelnde besitzt zunächst eine allgemeine Intention, nämlich: den Mitteilungs-Charakter der eigenen kommunikativen Handlung verwirklichen zu wollen. Ein Mensch, der kommunikativ handelt, stellt darauf ab, (mindestens) einem anderen etwas Bestimmtes mitzuteilen – genauer: bestimmte Bedeutungen mit ihm teilen zu wollen5. Damit verfolgt er das konstante Ziel jeder kommunikativen Handlung: Er will Verständigung zwischen sich und seine·r Kommunikationspartner·in herstellen. Dieses Ziel wird dann erreicht (= Verständigung liegt dann vor), wenn die beiden Kommunikationspartner·innen die jeweils gemeinten Bedeutungen tatsächlich miteinander teilen.6
Verwenden wir ein einfaches Beispiel: Roland sagt: „Monika, schließ bitte das Fenster“. In der kommunikativen Handlung, „Monika, schließ bitte das Fenster“, besteht der Mitteilungscharakter darin, dass Roland (als kommunikativ handelnde Person) das Ziel verfolgt, die von ihm mit seiner Äußerung gemeinten Bedeutungen mit der Empfängerin (= Monika) teilen zu wollen: Roland will, dass Monika versteht, was er meint. Indem er dieses Ziel anstrebt, will er „Verständigung“ über die geäußerten Inhalte zwischen sich und Monika herstellen.
2.Jede kommunikativ Handelnde Person besitzt darüber hinaus aber auch eine spezielle Intention: Sie setzt ihre kommunikative Handlung aus einem bestimmten Interesse heraus. Erst die jeweils konkreten Interessen sind es ja, die kommunikatives Handeln überhaupt entstehen lassen. Indem eine Person nun mit ihrer kommunikativen Handlung versucht, diesen (ihren) Interessen zur Realisierung zu verhelfen, verfolgt sie das variable Ziel ihrer kommunikativen Handlung (Kommunikationsinteressen variieren naturgemäß personen- und situationsspezifisch). Dieses Ziel ist dann erreicht, wenn das konkrete Interesse der kommunikativ handelnden Person tatsächlich realisiert werden kann, anders: wenn die konkret erwarteten Folgen tatsächlich eintreten.
Wenn Roland sagt „Monika, schließ bitte das Fenster“, dann kann diese (seine) kommunikative Handlung z. B. aus dem Interesse heraus entstanden sein, die störende Zugluft zu beseitigen. Dieses Interesse von Roland wird dann realisiert, wenn Monika das Fenster tatsächlich schließt.
Die folgende Abb. 1 veranschaulicht die hier dargestellte Sichtweise kommunikativen Handelns:
Abb. 1: Die Intentionalität kommunikativen Handelns (eigene Darstellung)
Weist die allgemeine Intention kommunikativen Handelns (= jemandem etwas mitteilen wollen) daraufhin, dass dies auf (für den·die jeweilige·n Kommunikationspartner·in) „verständliche“ Weise zu geschehen hat7, so gibt die spezielle Intention (= aus einem Interesse heraus kommunikativ handeln) Auskunft darüber, warum eine bestimmte kommunikative Handlung überhaupt gesetzt wird. Die Kommunikations-Interessen sind der Anlass jeglicher Kommunikationsversuche. Es soll allerdings nicht unbemerkt bleiben, dass diese Kommunikations-Interessen zwei grundsätzlich unterscheidbaren Dimensionen kommunikativen Handelns zuordenbar sind und daher auch unterschiedlich „gewichtet“ sein können:
•Sie können (eher) inhaltsbezogen sein, d. h., dass der Inhalt der kommunikativen Handlung (= alles, was mitgeteilt wird) unmittelbar aus dem zu realisierenden Interesse erwächst und daher mehr oder weniger von diesem bestimmt wird.
Hier passt das soeben erwähnte Beispiel: Der Inhalt von Rolands kommunikativer Handlung (= das, was er mitteilt) erwächst unmittelbar aus seinem Interesse, die störende Zugluft zu beseitigen. Dieses Interesse bestimmt den Inhalt („… schließ bitte das Fenster“) und ist dann realisiert, wenn das Fenster tatsächlich geschlossen wird und die störende Zugluft ausbleibt.
•Sie können (eher) situationsbezogen sein, d. h., dass der Inhalt der kommunikativen Handlung nicht unmittelbar von dem zu realisierenden Interesse bestimmt wird bzw. nur sehr mittelbar von diesem tangiert wird.
In diesem Fall hat die kommunikativ handelnde Person in der augenblicklichen Situation bloß ein Interesse, über irgendwelche Inhalte mit ihrem Gegenüber (kommunikativ) in Beziehung zu treten. Das konkrete Ziel ihres kommunikativen Handelns ist dann erreicht, wenn Kommunikation über irgendetwas zustande kommt. Darum geht es häufig beim sogenannten „small talk“ auf Partys und bei ähnlichen Anlässen, wo kommunikative Handlungen häufig ohne (auf bestimmte inhaltsbezogene) Mitteilungsabsichten gesetzt werden.8
Die hier vorgenommene analytische Trennung9 der beiden Ebenen kommunikativer Intentionalität sollte v. a. verdeutlichen, dass jedes kommunikative Handeln – über die allgemeine Intention des „Mitteilen-Wollens“ hinaus – auch von jeweils ganz konkreten Interessen geleitet ist. Damit wird nunmehr der zentrale Aspekt allgemein-menschlichen Handelns – nämlich: dessen (potentiell auch bewusst verfolgte) Zweck- und Zielgerichtetheit – auf kommunikatives Handeln übertragen: So wie wir nicht „um des Handelns willen“ handeln, so kommunizieren wir auch nicht „um des Kommunizierens willen“, sondern verfolgen neben dem konstanten Ziel der Verständigung mit unserem/unserer Kommunikationspartner·in stets auch die Realisierung von (inhalts- und/oder situationsbezogenen) Interessen, die den eigentlichen Anlass unserer kommunikativen Aktivitäten darstellen und diese überhaupt erst hervorbringen.
Diese Unterscheidung ist für die (alltägliche) Kommunikationsrealität von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Aus der vorgenommenen Differenzierung der kommunikativen Intentionalität geht nämlich hervor, dass konkrete Ziele (= jeweils spezielle Interessen), die über kommunikatives Handeln realisiert werden wollen, erst dann eine Chance auf Verwirklichung besitzen, wenn der kommunikativ Handelnde auch das konstante Ziel jedes kommunikativen Handelns verfolgt, nämlich Verständigung zwischen sich und seinem Kommunikationspartner anstrebt.
Die bisher eingeführten Merkmalsbestimmungen kommunikativen Handelns stellen nun einen bereits konkret fassbaren Bereich menschlichen Verhaltens in den Mittelpunkt. Allein: kommunikatives Handeln ist noch nicht Kommunikation (!). Kommunikatives Handeln ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für das Zustandekommen bzw. Ablaufen eines Kommunikationsprozesses. M.a.W. eine kommunikative Handlung ist lediglich ein (notwendiger) Anstoß, der Kommunikation entstehen lassen kann – aber nicht unbedingt entstehen lassen muss. Oder in den Worten von Niklas Luhmann (1996: 14): „Kommunikation kommt nur zustande, wenn jemand sieht, hört, liest – und so weit versteht, dass eine weitere Kommunikation anschließen könnte. Das Mitteilungshandeln allein ist also noch keine Kommunikation.“
2.3 Kommunikation als soziale Interaktion
Kommunikation wurde eingangs als Prozess der Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen beschrieben. Damit ist implizit bereits darauf hingewiesen, dass es sich dabei um ein Geschehen, um einen Ablauf handelt. Kommunikation ist kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer Vorgang, der zwischen (mindestens zwei) Lebewesen abläuft, der sich also ereignen muss. Ein kommunikatives Handeln (oder Verhalten) nur eines einzigen Menschen (oder Tieres) kann einen derartigen Prozess bestenfalls initiieren, stellt ihn jedoch selbst noch nicht dar.
Damit Kommunikation überhaupt stattfinden kann, ist es notwendig, dass (mindestens zwei) Lebewesen zueinander in Beziehung treten – sozialwissenschaftlich formuliert: dass sie interagieren. Kommunikation als ein Ereignis, das zwischen Lebewesen abläuft, kann als eine spezifische Form der sozialen Interaktion begriffen werden.10
In seiner formalen Bedeutung weist der Terminus Interaktion auf Prozesse der Wechselbeziehung bzw. Wechselwirkung zwischen zwei oder mehreren Größen hin (vgl. Graumann 1972: 1111). Demgemäß lässt sich soziale Interaktion als wechselseitiges Geschehen zwischen zwei oder mehreren Lebewesen begreifen, sie liegt dann vor, „wenn die Aktivität einer Person die Aktivität einer anderen Person auslöst“ (Klima 2011: 315). Man kann sie als „ein gegenseitiges Aufeinanderabstimmen von Handlungen“ (Vester 2009: 48) begreifen. Dieses doppelseitige Geschehen ist das zentral Bedeutsame an jedem Interaktionsprozess: „Jedes (Individuum) erfährt Einwirkungen vom anderen oder von den anderen, und zugleich gehen von ihm selbst Wirkungen auf den anderen oder die anderen aus. Mit dem Begriff der Interaktion bezeichnen wir also das Insgesamt dessen, was zwischen zwei oder mehr Menschen [bzw. Lebewesen, R.B.] in Aktion und Reaktion geschieht“ (Lersch 1965: 53). Im Gegensatz zum sozialen Handeln, bei dem man sich zwar am Verhalten anderer orientiert, aber dennoch stark auf die jeweils eigenen Vorstellungen (Motive, Absichten etc.) fokussiert, „legt der Begriff soziale Interaktion den Akzent von vornherein auf das ‚Dazwischen‘ der Akteure“ (Vester 2009: 48).
Damit ist die Skala möglicher Interaktionsarten breit gefächert. Speziell was den hier v. a. interessierenden Bereich menschlicher Interaktion betrifft, reicht sie vom mehr oder weniger zufälligen Berührungskontakt in einer dichtgedrängten Menschenmenge bis zur Übermittlung einer Geheimbotschaft via Internet. In jeder dieser beiden willkürlich herausgegriffenen Extremsituationen treten Menschen zueinander in Beziehung, es liegt also soziale Interaktion vor.
–Die eine Situation (dichtgedrängte Menschenmenge) ist v. a. durch direkten Berührungskontakt gekennzeichnet. Unterstellt sei hier ein tatsächlich zufälliges und daher absichtsloses „Anstoßen“ einer Person in nächster Nähe (etwa beim Einsteigen in eines der häufig überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel …). In diesem Fall wird man dieser Person (in der Regel wenigstens) nichts „bedeuten“ wollen, man verfolgt also mit dem Anstoßen keinen bestimmten Zweck. Trotzdem liegt „soziale Interaktion“ vor, denn üblicherweise sind solche Situationen mit wechselseitiger Wahrnehmung verbunden und die Folge(-Aktion) ist meist der beiderseitige Versuch, diesem engen Berührungskontakt zu entkommen.
–Die andere Situation (Übermittlung einer Geheimbotschaft via Internet) ist v. a. dadurch gekennzeichnet, dass die Interaktionspartner·innen von einem direkten Berührungskontakt weit entfernt sind: Sie befinden sich vielleicht sogar in verschiedenen Kontinenten, treten aber dennoch über eine (technische) Vermittlungsinstanz (= Internet) zueinander in Beziehung. Darüber hinaus tun sie dies auch nicht zufällig, sondern beabsichtigen, einander etwas Bestimmtes mitzuteilen. Es sei zusätzlich angenommen, dass dabei auch bestimmte Interessen im Spiel sind – sie wollen beispielsweise die Eskalation eines Konflikts verhindern.
Die genauere Betrachtung dieser beiden Extremsituationen führt zu dem Schluss, dass es sich im ersten Fall (dichtgedrängte Menschenmenge) um „bloße“ (soziale) Interaktion handelt, während im zweiten Fall (Übermittlung einer Geheimbotschaft via Internet) Kommunikation vorliegt.
–In der Tat handelt es sich im ersten Fall lediglich um ein doppelseitiges Geschehen, mit dem – so wurde unterstellt – keiner der Interaktionspartner das Ziel verfolgt, auch nur irgendwelche Bedeutungsinhalte zu vermitteln.
–Im zweiten Fall sind dagegen jene Merkmale auffindbar, die bisher für kommunikative Interaktion eingeführt wurden: Eine Person handelt sozial bzw. kommunikativ, denn sie will einer anderen etwas Bestimmtes (hier: eine Geheimbotschaft) mitteilen. Anlass dafür ist das Interesse an der Deeskalation eines Konflikts. Kommunikative Interaktion liegt vor, weil auch diejenige Person, an welche die Botschaft gerichtet ist, kommunikativ in Richtung auf den Sender der Botschaft handelt: Sie will die Mitteilung empfangen – also die Bedeutungsinhalte „mit dem Sender teilen“ – und sie tut dies (so wurde oben unterstellt) aus demselben Interesse heraus. Aber auch für den Fall unterschiedlicher (womöglich sogar divergenter) Interessen liegt wohl eine kommunikative Interaktion vor.
Daraus lässt sich schlussfolgern: Gelingende menschliche Kommunikation setzt voraus, dass (mindestens zwei) Personen ihre kommunikativen Handlungen wechselseitig aufeinander richten und damit das Zustandekommen von Kommunikation aktiv versuchen. Der interaktive Charakter von Kommunikation impliziert also: Einer Mitteilungshandlung auf der Senderseite (A) muss eine Verstehens-Handlung auf der Empfängerseite (B) entsprechen.11
Abb. 2: Kommunikation als Verständigungsprozess (eigene Darstellung)
Allerdings ist auch vorstellbar, dass diese Kommunikationsversuche trotz gegenseitiger Bemühungen nicht gelingen und damit erfolglos bleiben.
Etwa dann, wenn der·die Übermittler·in der Geheimbotschaft eine Sprache bzw. einen Code verwendet, die bzw. den der·die Empfänger·in nicht verstehen bzw. entschlüsseln kann. Aber selbst wenn der·die Empfänger·in die Botschaft versteht, kann es sein, dass dies nicht zur Deeskalation des führt.
Wechselseitig aufeinander gerichtete Kommunikationsversuche sollten also „erfolgreich“ sein, damit man von „Kommunikation“ sprechen kann. Doch ab wann sollen Kommunikationsversuche als „erfolgreich“ begriffen werden? Die oben eingeführte analytische Trennung von zwei Ebenen kommunikativen Handelns hat Kommunikationserfolg in zweierlei Hinsicht identifizierbar gemacht: Verständigung wurde als allgemeiner und Interessenrealisierung als spezieller Kommunikationserfolg begriffen.
Im Alltagsverständnis vermischen sich diese beiden Ebenen häufig12, im vorliegenden Kontext ist es jedoch (abermals) angemessen, sie auseinanderzuhalten: Sinnvoll erscheint, bereits die erfolgreiche Realisierung der allgemeinen Intention kommunikativen Handelns (jemandem etwas mitteilen zu wollen), also das Erreichen von Verständigung zwischen den jeweiligen Kommunikationspartner·innen, als „Kommunikation“ gelten zu lassen. Zum einen deshalb, weil es dabei um das (oben eingeführte) konstante Ziel kommunikativen Handelns geht, und zum anderen, weil das (pro Kommunikationsakt) variable Ziel der Interessensrealisierung genau genommen bereits die Konsequenzen kommunikativen Handelns fokussiert und damit über den unmittelbaren Kommunikationsakt hinausreicht.
Was das Beispiel mit der Geheimbotschaft betrifft: Sobald das Verstehen bzw. die Entschlüsselung der Botschaft auf Empfangsseite geklappt hat, scheint es sinnvoll, von „Kommunikation“ zu sprechen. Und zwar unabhängig davon, ob sich im Anschluss daran als Konsequenz dieser Botschaft die Deeskalation eines Konflikts verhindern lässt oder nicht.
Begreift man Kommunikation in diesem Sinn als Verständigungsprozess, dann meint man damit also den wechselseitig vollzogenen Vorgang der Bedeutungsvermittlung. Eine versuchte Bedeutungsvermittlung ohne ein derartiges Ergebnis gilt als misslungener Akt des Kommunizierens (Reimann 1968: 75), aber eben nicht als Kommunikation. Kommunikation ist somit als ein Begriff anzusehen, „den man genaugenommen nur ex post, nach Vollzug des Kommunikationsaktes verwenden kann. Ex ante lässt sich allenfalls ein Kommunikationsvorsatz oder -versuch feststellen, denn die Verständigung kann ja ausbleiben“ (Schulz 1971: 90).
Dies ist nach all dem bisher Gesagten ein konsequentes, aber auch ein radikales Verständnis von Kommunikation. Schulz selbst wendet später sogar ein, ob mit der Festlegung von Verständigung als gemeinsames Ziel beider Kommunikationspartner nicht „eine Antwort vorweggenommen (wird), wo eigentlich eine Frage angebracht wäre“ (2002: 172), die für die Erforschung von Kommunikation essentiell sei. Nämlich die Frage, inwieweit die jeweiligen Intentionen der Kommunikationspartner übereinstimmen und wie sie verwirklicht werden?
Mit der (analytischen) Trennung der beiden Ebenen kommunikativer Intentionalität scheint dieser Einwand allerdings obsolet: Wechselseitige Verständigung (als Erfolgskriterium geglückter Kommunikation) ist ja ausschließlich auf der übergeordneten, „allgemeinen“ Ebene von Intentionalität (als konstantes Ziel kommunikativen Handelns) angesiedelt. Auf der untergeordneten, „speziellen“ Ebene von Intentionalität (wo es um das variable Ziel der Realisierung jeweils individueller, situationsspezifischer Interessen geht), bleibt ausreichend Raum für Fragen dieser Art.
Dennoch könnte die Entscheidung, Verständigung als übergeordnetes, allgemeines Ziel kommunikativen Handelns zu begreifen, Zweifel wecken und Widerspruch provozieren.13 Steht denn „wirklich“ – so wäre einzuwenden – Verständigung auf dem Plan, wenn z. B. in verkaufsfördernden Produktwerbungen oder im Rahmen politischer Wahlkämpfe gezielt auf Beeinflussungsmechanismen gesetzt wird? Wollen die Kommunikationsstrateg·innen in solchen Fällen Verständigung nicht sogar verhindern, also das genaue Gegenteil erreichen? Kalkulieren sie nicht damit, dass ihre Manipulationsversuche bzw. die eingesetzten Taktiken der Überredungskommunikation gerade nicht entlarvt und daher ausdrücklich nicht „verstanden“ werden?
Die Antwort lautet: Auch in solchen, mit Intransparenz kalkulierenden Kommunikationssituationen ist ein auf Verständigung hin orientiertes Handeln seitens der Kommunikator·innen eine conditio sine qua non. So müssen die Empfänger·innen von Produktwerbung zunächst wenigstens ansatzweise begreifen, welche Produktvorzüge im Detail beworben werden14, sie müssen im Fall von politischer Werbung erst einmal gedanklich erfassen, welchen Standpunkt ein·e Politiker·in im Wahlkampf propagiert etc. Die Produktwerber·innen und die politischen Werbestrateg·innen sind also unumgänglich darauf angewiesen, wenigstens ein Mindestmaß an Verständigung realisieren zu können – und dies zu bewerkstelligen, muss daher zuallererst auf ihrer Agenda stehen.
In den Fokus gerät damit freilich der Begriff von Verständigung selbst, der über eine semantische Bandbreite verfügt, die fraglos einer tiefergehenden Diskussion bedarf (vgl. neuerlich Burkart 2013a). Dies wird im vorliegenden Buch auch noch ausführlich geschehen. Nebenbei: Der Soziologe Niklas Luhmann hat im Zusammenhang mit der Verstehensproblematik seinerzeit sogar die „Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation“ (1993: 25) in den Raum gestellt. Zugleich hielt er aber auch fest, dass „wir sie jeden Tag erleben, praktizieren und ohne sie nicht leben würden“ und dass es deshalb gelte, diese „unsichtbar gewordene Unwahrscheinlichkeit“ (ebd.: 26) zu begreifen. – Die vorliegende Auseinandersetzung mit dem Kommunikationsbegriff versteht sich (auch) als ein Beitrag dazu.
In der bisherigen Reflexion zum Begriff Kommunikation wurde allerdings eine Besonderheit des Kommunikationsprozesses unausgesprochen vorausgesetzt, die nunmehr explizit zum Thema gemacht werden soll.
2.4 Kommunikation als vermittelter Prozess
Schon in der eingangs zitierten Definition von Kommunikation als Prozess der Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen ist implizit darauf hingewiesen, dass Kommunikation bzw. kommunikatives Handeln stets einer Instanz bedarf, über die das zwischen den Kommunikationspartner·innen Geschehende abläuft. Als eigentlicher Träger der jeweiligen Mitteilung ist eine derartige Vermittlungsinstanz – fachspezifisch formuliert: ein Medium – unbedingter Bestandteil eines jeden Kommunikationsprozesses.
Das Wort Medium lässt sich im Deutschen bis ins 17. Jhdt. zurückverfolgen (Hoffmann 2002: 24). In Meyers Konversationslexikon von 1888 wird es mit einer in unserem Kontext durchaus passenden Übersetzung (aus dem Lateinischen) eingeführt: „Mitte, Mittel, etwas Vermittelndes“ (Faulstich 1991: 8).15 Im Kommunikationsprozess dient ein Medium zur Vermittlung von Bedeutungen, es fungiert als Ausdrucksmittel einer kommunikativen Aktivität. Es stellt gleichsam die materielle Hülle für die zunächst immateriellen Bedeutungsinhalte bereit und schafft dadurch erst die Voraussetzungen, dass Bedeutungen „mit(einander)geteilt“ werden können.
Damit Menschen (bzw. Lebewesen) miteinander kommunizieren können, müssen sie also über irgendwelche Ausdrucksmittel verfügen sowie (damit einhergehend) über die entsprechenden Kommunikationskanäle, d. h. „Sinnesmodalitäten, mithilfe derer und über die wir unsere Kommunikationspartner·innen wahrnehmen“16 (Pürer 2014: 69). Die Verfügbarkeit von Kommunikationskanälen ist also Voraussetzung dafür, dass Bedeutungsinhalte überhaupt (sinnlich wahrnehmbare) Gestalt annehmen können.
So sind in der oben zitierten Kommunikationssituation („Monika, schließ bitte das Fenster“) der auditive (bzw. vokale) – im Fall von begleitenden Gesten auch der visuelle – Kanal sowie das Medium Sprache die Mittel, kraft derer das Kommunikationsgeschehen abläuft. Erst das Herstellen (und Aussprechen) einer bestimmten Lautabfolge bzw. Buchstabenkombination (wie z. B. F-e-n-s-t-e-r) schafft die Möglichkeit, die gemeinten Bedeutungsinhalte begreifbar, d. h. sinnlich wahrnehmbar zu machen.
Wenn man die Geschichte der Medien als eine „fortwährende Vervollkommnung medialer Techniken“ (Schulz 1986: 113) begreift,17 dann gerät abseits der Sprache zunächst die Erfindung der Schrift in den Blick (näher dazu: Steinmaurer 2016: 179 ff.). Die Schrift hat sowohl die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit als auch die Zeitgebundenheit aller mündlichen Verständigungsversuche überwunden. Parallel mit dieser raum-zeitlich übergreifenden Verfügbarkeit (Speicher- und Tradierbarkeit) menschlicher Kommunikation erweiterten sich zudem die verschiedenen Ausdruckstechniken. Das betrifft sowohl die sprachliche Vielfalt, als auch die Entwicklung der Bildmedien (Malerei, Grafik, Fotografie, Film, Fernsehen), ebenso den Buchdruck bis hin zu den bislang ausgereiftesten Speichermöglichkeiten sowohl schriftlicher als auch audiovisueller Kommunikationsangebote in Form diverser digitaler Datenträger bzw. -speicher.
Aus einer technikorientierten Perspektive lassen sich Medien als „materiell-mechanische oder energetische (elektrische, elektromagnetische, elektronische, optoelektronische) Träger und Übermittler von Daten bzw. Informationseinheiten und mechanische sowie elektronische Mittel der Datenverarbeitung“ (Hiebel/Hiebler/Kogler/Walitsch 1998: 12) definieren. Auf den ersten Blick kann man Medien somit als Transportmittel begreifen. Es scheint, als würden sie die zu vermittelnden Bedeutungsinhalte in Form ihrer jeweiligen materiellen Manifestationen (als Äußerungen) der jeweiligen Kommunikationspartner zwischen diesen hin und her befördern.
Diese technikzentrierte Vorstellung vom Medium als bloßes Transport- oder Transfermittel („Container-Metapher“) gilt jedoch aus sozialwissenschaftlicher Sicht längst als zu eindimensional18. Man geht auch nicht mehr davon aus, dass Informationen oder Bedeutungen im Kommunikationsprozess einfach „ausgetauscht“ werden.
Ein Tausch besteht ja darin, dass Objekte ihre Besitzer wechseln. Jemand besitzt etwas nicht mehr, was er/sie vor dem Tausch noch besessen hatte (und umgekehrt). Daher gilt, dass die „gesamte Metaphorik des Besitzens, Habens, Gebens und Erhaltens […] ungeeignet für ein Verständnis von Kommunikation“ (Luhmann 1984: 193) ist, denn im Kommunikationsprozess wird nichts weggegeben: „Derjenige, der etwas mitteilt, verliert sein Wissen nicht aus dem Kopf.“ (Luhmann 2002: 289) Im Gegenteil: Er besitzt es auch hinterher noch. Bei Kommunikation hat man es „mit einem Vorgang zu tun, der offenbar multiplikativ wirkt. Erst hat es nur einer, dann wissen es zwei oder mehr oder hundert, Millionen, je nachdem, an welches Netzwerk wir denken“ (ebd.).
Obwohl die alltagssprachliche Vorstellung vom Austausch wissenschaftlich unsinnig ist, taucht sie sogar in der jüngeren kommunikationswissenschaftlichen Literatur immer noch auf (vgl. etwa Godulla 2017: 249, Quiring/Schweiger 2006, Schulz 2009: 176, Stöber 2011: 321).
Menschliche Kommunikation wird eher als „Aktualisierung von Sinn“ (Luhmann 1971: 32) begriffen, d. h., dass im Bewusstsein der jeweiligen Kommunikationspartner·innen (im Idealfall) dieselben (realiter wohl: ähnliche) Bedeutungsinhalte wachgerufen werden.
Es gibt keine unvermittelte(!) Kommunikation: „Alle Kommunikation bedarf eines Mittels oder Mediums, durch das hindurch eine Nachricht […] aufgenommen wird“ (Graumann 1972: 1182). Eine Kommunikation ohne Medium ist völlig unmöglich.19 In diesem allgemeinen Sinn steht Medium daher – speziell was die menschliche Kommunikation betrifft – sowohl für personale (der Person gleichsam „anhaftende“) Vermittlungsinstanzen als auch für jene technischen Verbreitungs- und Empfangsmittel, die im Laufe der Menschheitsgeschichte entstanden sind.
2.4.1 Medium als Kommunikationstechnik
Ein längst klassischer Versuch, diese mediale Vielfalt systematisch zu differenzieren, geht auf den Journalisten und (später an der FU-Berlin lehrenden) Publizistikwissenschaftler Harry Pross (1972) zurück. Er unterscheidet primäre, sekundäre und tertiäre Medien. Inzwischen ist diese Differenzierung durch quartäre und soziale Medien angereichert worden.
•Primäre Medien: Darunter versteht Pross die Medien des „menschlichen Elementarkontaktes“ (Pross 1972: 10). Neben der Sprache in ihren vielgestaltigen Ausprägungen zählen dazu auch alle nonverbalen Vermittlungsinstanzen, die dem Bereich der Mimik und/oder Gestik angehören: So existieren etwa Ausdrucksmöglichkeiten von Auge, Stirn, Mund, Nase; ebenso kann über Bewegungen der Extremitäten oder eine bestimmte Haltung der Arme und Beine, also: der Körperhaltung insgesamt, etwas mitgeteilt werden. All diese leibgebundenen Expressionsmöglichkeiten können als „Medien“ zur Bedeutungsvermittlung fungieren. Gemeinsam ist ihnen, „dass kein Gerät zwischen Sender und Empfänger geschaltet ist und die Sinne der Menschen zur Produktion, zum Transport und zum Konsum der Botschaft ausreichen“ (Pross ebd.: 145). Oder andersherum: „Die Abwesenheit von Medientechnik definiert Primärmedien“ (Hörisch 2004: 76).
•Sekundäre Medien: Dazu zählt Pross alle jene Medien, die auf der Produktionsseite ein Gerät erfordern, nicht aber auf der Empfangsseite zur Aufnahme der Mitteilung. Vom Rauchzeichen über Feuer- und Flaggensignale bis zum Brief können außerdem hier alle – kraft der Erfindung des Druckverfahrens entstandenen – Manifestationen menschlicher Mitteilungen eingeordnet werden: So z. B. das Flugblatt (Flyer), das Plakat, das Buch und die Zeitung.
•Tertiäre Medien: Mit dieser Kategorie werden schließlich jene Kommunikationsmittel erfasst, zu denen technische Sender und technische Empfangsgeräte gehören. Telefon, Fernschreiber, diverse Funkanlagen, Sende- und Empfangseinrichtungen, Schallplatte (CD/DVD), Film, aber v. a. die sogenannten elektronischen Massenmedien wie Hörfunk und Fernsehen, sowie Computer und diverse digitale Datenträger sind hier zu nennen. All diesen Medien ist gemeinsam, dass sie „ohne Geräte auf der Empfänger- wie auf der Senderseite nicht funktionieren können“ (Pross ebd.: 224).
Die technische Entwicklung gegen Ende des 20. Jhdts. hat zu Konvergenzen im Medienbereich geführt: Mit dem Zusammenwachsen von Telekommunikation, Computer und Rundfunk (vgl. Latzer 1997, 2015)20 wurde zu Beginn des dritten Jahrtausends ein fundamentaler und nachhaltiger Medienwandel eingeleitet (Kinnebrock/Schwarzenegger/Birkner 2015). Konnten Medien früher in der Regel über die Eigenschaften bestimmter Geräte (Radio-, Fernsehapparat, CD-Player/Plattenspieler, Fotoapparat, Telefon etc.) definiert werden, so hat sich mittlerweile der Computer als eine Art kommunikative Universalmaschine (mit dem Bildschirm als universale Oberfläche) profiliert, über die man die verschiedensten medialen Dienste in Anspruch nehmen kann. Die Größe bzw. Kleinheit der Laptops, Notebooks, Tablets und Smartphones hat auch den Wandel unserer Kommunikationsgewohnheiten beschleunigt – die stetig wachsende tägliche Zeitspanne für die Nutzung diverser Online-Angebote scheint ein valider Indikator dafür zu sein (Eimeren 2013, Eimeren/Frees 2013, Koch/Frees 2017, Beisch/Schäfer 2020). Die technische Inkarnation dieses Wandels kam im Jahr 2007 in Gestalt des Apple iPhones21 auf den Markt. Seither ermöglichen solche Geräte bekanntlich nicht bloß mobilen Kontakt zum Internet, man kann außerdem Musik hören, fotografieren, filmen, Notizen speichern, Emails versenden, eine Unzahl entsprechender Apps installieren – und eben auch telefonieren (siehe dazu auch Kap. 7.8). Als Bezeichnung für diese neuen Medien hat sich der Name
•Quartäre Medien (auch: „Digitale Medien“ oder „Online-Medien“) eingebürgert (Faulstich 1998: 31, Winter 1998: 274 ff.). Quartäre Medien sind eigentlich internetbasierte Tertiärmedien. Sie beruhen auf der Technik der Digitalisierung und setzen die Existenz (bzw. die Nutzung) eines Computers mit Online-Verbindung voraus. Neu ist bei diesen Medien außerdem, dass die bislang eher starre Rollenzuschreibung in Sender und Empfänger durch interaktive Momente eine gewisse Flexibilität erfährt. Vielfach kann ein Aufweichen dieser traditionellen Sender-Empfänger-Beziehung beobachtet werden.22 Als quartäre Medien sind im publizistischen Bereich die Online-Auftritte von Offline-Medien (Printmedien sowie Rundfunkanstalten) zu klassifizieren, sowie Websites (Homepages) diverser Unternehmen und Organisationen. Zu quartären Medien zählen aber auch Emails, Chats, Weblogs (Blogs) sowie diverse (internetbasierte) Plattformen, die sich im Kontext der fortschreitenden Digitalisierung und der damit einhergehenden massiven Ausbreitung des Internets zu Beginn des 21. Jahrhunderts herausgebildet haben. Unter der Etikettierung „soziale Medien“ sind sie mittlerweile Teil der Alltagssprache geworden.
Soziale Medien (die Wortkombination ist eine schlichte Übersetzung des englischen Social Media) zählen zu den quartären Medien. Man spricht auch von Social Network Sites (SNS) bzw. Social Network (SN), Social Web, oder (älter) Social Software. Diese eher technik- und netzwerkorientierten Bezeichnungen konnten sich aber nicht durchsetzen (Stegbauer/Jäckel 2008, Welker/Kloß 2014) – alltagsprachlich etabliert hat sich der Terminus Social Media, der die mediale Affinität dieser Software betont.23 Technisch handelt es sich dabei um allgemein (oder mit Passwort) zugängliche digitale Plattformen im Internet. Man hat es also stets mit onlinebasierter (digitaler) Vernetzung zu tun hat, bei der es um das Veröffentlichen und Bearbeiten von Inhalten aller Art geht (Schmidt 2018: 17 ff.). Die Rede ist von Facebook, Twitter, YouTube, Instagram, Snapchat, diversen Weblogs (Blogs) etc. Man kann behaupten, dass die Nutzung sozialer Medien – wenigstens in Europa und in den USA – „für den Großteil der Bevölkerung zum regelmäßigen Bestandteil ihrer Kommunikation und Interaktion“ (Taddicken/Schmidt 2017: 19) geworden ist.
Soziale Medien sind ohne die Existenz des sogenannten Web 2.0 nicht denkbar. Unter Web 2.0 – auch: Mitmach-Web (Kantel 2009) oder Participatory Web (Beer 2009, Blank/Reisdorf 2012) – versteht man Internetauftritte, deren Erscheinung „durch die Partizipation ihrer Nutzer (mit-)bestimmt wird“ (Münker 2015: 59). Allerdings variieren diese Partizipationsmöglichkeiten erheblich. Vielfach werden bloß Kommentare oder Bewertungen zugelassen (wie z. B. auf der Website des amerikanischen Online-Händlers Amazon), während im User-Generated Content (Schweiger/Quiring 2007) die radikalste Ausprägung des Web 2.0 zum Ausdruck kommt (wie z. B. bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia, deren Texte ausschließlich user·innengeneriert sind).
Wir sehen also: Der Begriff Medium ist vielfältig. Abgesehen von den (primären) körpergebundenen Ausdrucksmöglichkeiten, die ganz ohne Technik auskommen, kann man an materiell-technische Trägersubstanzen (wie Luft, Papier oder Strom) denken, aber auch an CDs, an Bücher, Zeitungen, an Radio, Fernsehen, Film und schließlich an das Internet sowie das dort zugängliche Social-Media-Universum. Ein regelrechtes Begriffs-Wirrwarr hat sich hier angesammelt24 – es ist nicht zuletzt dem technischen Fortschritt v. a. im 20. Jahrhundert geschuldet.
Aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive, wie sie im vorliegenden Buch vertreten wird, reichen diese bislang materiell-technischen Definitionen von „Medium“ allerdings nicht aus, selbst wenn sie sich mit Hilfe der von Harry Pross initiierten – und weiter gedachten – Differenzierung durchaus kategorisieren lassen. Immer wenn von Medien in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft die Rede ist, hat nämlich mehr im Spiel zu sein, als bloß die Technik, darüber gibt es in der Fachdiskussion hinlänglich Übereinstimmung (z. B. Beck 2006, 2015, Bentele/Beck 1994, Burkart 2002, Krotz 2015, Neverla 1998, Pürer 2014, Pürer/Springer/Eichhorn 2015, Rössler 2003, Rühl 1998, Saxer 1999, 2012a, Schmidt 2015a, Schweiger/Weihermüller 2008, Weischenberg 1998).
2.4.2 Medium: ein kommunikationswissenschaftlicher Begriff
Auch wenn man – so überlegt Weischenberg (1998) – auf den ersten Blick gerade das Internet als das „Massenmedium“25 schlechthin begreifen könnte, weil es sich doch scheinbar mit allen möglichen Angeboten an alle möglichen Menschen richtet, so wäre ein derartiger Medienbegriff dennoch „kommunikationswissenschaftlich untauglich“ (ebd.: 52). Kommunikationstechniken werden nämlich erst dann zu Medien im kommunikationswissenschaftlichen Sinn, „wenn sie über die Funktion eines technischen Vermittlungssystems hinaus in einen spezifischen institutionalisierten Handlungskontext eingebunden sind“ (Neverla 1998: 29 f.). Sie sind „ohne den Menschen nicht vorstellbar: Sie wurden von Menschen in einem sozialen Prozess erfunden und entwickelt, über das ob und wie ihrer Anwendung wird beraten und gestritten. Technische Medien sind ohne eine soziale Form des Gebrauchs wirkungs- und bedeutungslos“ (Bentele/Beck 1994: 40). Wenn wir Medien bloß als Apparate, Kanäle, Leitungen etc., also als ausschließlich technische Infrastruktur begreifen, können wir nämlich nicht erfassen, „was da vorgeht, wenn sich Publizistik oder Massenkommunikation, unter Mitwirkung von Internet, in und mit einer sozialen Umwelt ereignen“ (Rühl 1998: 101). Kurzum: Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive greift man zu kurz, wenn man in Medien bloß technische Apparate sieht, sie müssen darüberhinaus als „gesellschaftliche Instrumente“ (Pürer 2014: 206) betrachtet werden.
Ulrich Saxer (2012a) hatte lange Zeit hindurch beklagt, dass die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft über keinen angemessenen Medienbegriff verfügt. Von ihm selbst stammt schließlich eine mittlerweile legendäre und in unserer Disziplin auch weithin akzeptierte Begriffsexplikation, die mehr als bloß die Materialität und Technizität der Medien in den Fokus rückt.
Saxer geht davon aus, dass ein publizistik- und kommunikationswissenschaftlicher Medienbegriff die „Doppelnatur des Systems Medium“ (Saxer 1975: 209) berücksichtigen muss. Diese Doppelnatur besteht einerseits darin, dass sich jedes publizistische Medium zunächst durch ein gewisses kommunikationstechnisches Potential auszeichnet (beim Medium Buch wären das z. B. Materialität, Druck, Schrift, sowie Schreib- und Lesefähigkeit). Aber als publizistisches Medium verweist es andererseits auch auf bestimmte Sozialsysteme, die sich um diese Kommunikationstechnologie herum bilden (für das Buch sind das z. B. Autor·innenorganisationen, Verlage, Buchhandel und eine anonyme Leser·innenschaft). Nach Saxer sind Kommunikationstechniken allein daher eher „aussageneutral“ (ebd.: 210). Ihre inhaltliche und formale Differenzierung wird erst von ihrer jeweiligen „Institutionalisierung“ bestimmt, d. h. von der „Art und Weise, wie Gesellschaften die Medien in ihren Dienst nehmen“ (ebd.).
Im Sinn von Saxer (insb.: 1980b, 1998, 1999, 2012a) sind für einen publizistik- und kommunikationswissenschaftlich angemessenen Begriff von Medium nunmehr folgende Begriffsbestandteile charakteristisch:
•Kanal: Zunächst der bereits angesprochene und mittlerweile banale Umstand, dass Medien stets irgendeinen Kommunikationskanal verwenden (publizistische Medien in der Regel einen auditiven, visuellen oder audiovisuellen). Dazu gehört (noch aus technischer Perspektive) auch die Präferenz des jeweiligen Kanals für bestimmte Zeichensysteme,26 was wiederum mit bestimmten Bereitstellungsqualitäten verbunden ist: Dass z. B. ein Printmedium (wie z. B. das Buch oder die Zeitung) ausschließlich (visuell wahrnehmbare) lesbare Texte sowie (bewegungslose) Bilder drucken kann, bedeutet, dass z. B. keine Live-Berichte möglich sind, wie im Fernsehen – wenngleich diese „klassischen“ Grenzen dank Internet (man denke nur an Online-Auftritte von Printmedien) fallweise auch verschwimmen.27
•Organisation: Dann geht es darum, dass publizistische Medien ihre Kommunikationskanäle organisieren müssen, um die jeweilige Medientechnik entsprechend zum Einsatz zu bringen. Bei publizistischen Medien handelt es sich in der Regel um Organisationen, die zweckgerichtete Tätigkeiten erbringen: Professionals (berufstätige Journalist·innen) stellen (zumeist) arbeitsteilig (in einer Redaktion) ein bestimmtes Programm her. Sie verfolgen ihre (jeweils definierten) Organisationsziele dadurch, dass sie diese Programminhalte (via Druck, Funk und/oder online) öffentlich zugänglich machen. Damit erbringen sie überdies bedeutungsvolle, gesellschaftlich relevante Leistungen (Funktionen) für ihre jeweiligen Zielgruppen. Als ihre elementarste Leistung nennt Saxer „die Vergegenwärtigung von Abwesendem“ (1999: 6) und damit zusammenhängend auch die Überwindung von (räumlichen, zeitlichen und sozialen) Distanzen sowie die Definition von „Beziehungen zwischen Personen und zwischen gesellschaftlichen Systemen“ (ebd.). Sie tragen freilich auch zur Unterhaltung/Entspannung bei, unterstützen gesellschaftliche Integration, bewirken politische Sozialisation etc.28 – kurz: Medienkommunikation ist in modernen Gesellschaften omnipräsent, Saxer spricht auch vom Prozess der „Medialisierung“ (2012a: 18), den er als „gesellschaftliches Totalphänomen“ (ebd.: 64) klassifiziert.
•Institution: Die moderne Gesellschaft ist auf die Existenz von publizistischen Medien angewiesen. Sie existieren dauerhaft, folgen bestimmten Regeln und erbringen wichtige Leistungen für die Gesellschaft (Beck 2015: 93 f.). Sie sind „ihres umfassenden Funktionspotenzials wegen institutionalisiert“ (Saxer 1999: 6) und ihre Kommunikation wird in der Regel nicht dem Zufall überlassen. Je nachdem, wie Gesellschaften organisiert sind (also gemäß ihrer wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse), nehmen sie die Medien unterschiedlich in ihren Dienst. Die Typen der Medieninstitutionalisierung unterscheiden sich durch die Art und Intensität der Kontrollen, die jeweils vorhanden sind. Saxer unterscheidet vier Grundtypen von Medieninstitutionalisierung: zwei undemokratische (autoritäre und totalitäre Systeme) sowie liberale (Marktregulierung) und demokratisch kontrollierte Regelungen. Die letzteren kommen in den Programmaufträgen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zum Ausdruck. In Europa ist häufig ein Nebeneinander von liberaler und demokratisch kontrollierter Institutionalisierung anzutreffen (Saxer ebd.: 10 f.).
Medien – so die Nominaldefinition von Saxer aus publizistikwissenschaftlicher Perspektive – sind somit als „komplexe institutionalisierte Systeme um organisierte Kommunikationskanäle von spezifischem Leistungsvermögen“ (Saxer 1999: 6)29 zu begreifen.
Man könnte „mit gesellschaftlicher Dominanz“ (Faulstich 1998: 27) ergänzen. Damit wäre noch die Geschichtlichkeit jedes Mediums betont, denn im Hinblick auf seine wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Steuerungs- und Orientierungsaufgaben unterliegt jedes Medium einem permanenten Wandel. Aus medienökonomischer Sicht gibt es inzwischen ebenfalls einen Ergänzungsvorschlag – er lautet: Medien sind „komplexe institutionalisierte Produktions- und Rezeptionssysteme um organisierte Kommunikationskanäle von spezifischem (technischem wie gesellschaftlichem) Leistungsvermögen“ (Kiefer/Steininger 2014: 16). Damit wird zusätzlich zweierlei betont: Zum einen, dass medienökonomische Überlegungen sowohl die Medienproduzenten (Produktionssystem) als auch das Publikum der Medien (Rezeptionssystem) betreffen, und zum anderen, dass Medien(organisationen) sowohl mit technisch-ökonomischen als auch mit gesellschaftlichen Erwartungen zu kalkulieren haben.
Somit ist endgültig klargestellt: Nicht jeder technische Kommunikationskanal, mit dem irgendwelche Signale gesendet werden (können), ist schon als „Medium“ im publizistikwissenschaftlichen Sinn zu klassifizieren. So wird man Kabel- oder Satellitenfernsehkanäle nicht als „Medien“, sondern eher als Übertragungstechniken, als eine Art kommunikative Infrastruktur begreifen, mit der das „Medium Fernsehen“ (auf vielen Kanälen mit verschiedenen Programmen) gesendet und empfangen werden kann. Ebenso wird das Internet (genauso wie der Computer) angemessener als technische Infrastruktur zu erfassen sein, auf deren Basis sich dann neue „quartäre Medien“ (wie Homepages bzw. Websites von Unternehmen, Online-Auftritte von Offline-Medien, eigenständige Online-Medien etc.) oder auch alte (sekundäre) Medien (wie Briefe, Zeitungen, Bücher etc.) generieren lassen.
Medien erster und zweiter Ordnung
In diesem Zusammenhang soll ein sinnvoller (viel zu selten aufgegriffener) Vorschlag zur terminologischen Klärung nicht unerwähnt bleiben, nämlich die Unterscheidung zwischen Medien erster und zweiter Ordnung (Kubicek/Schmid/Wagner 1997: 32 ff.):
•Als Medien erster Ordnung wären die soeben als „Infrastruktur“ klassifizierten Vermittlungs- und Speichertechniken (wie Telefon, Fax, TV- und Radiokanäle, CDs etc., aber auch das Internet sowie das dort zugängliche Social-Media-Universum) zu begreifen. Medien erster Ordnung eröffnen technische Möglichkeiten der Vermittlung, des Speicherns und/oder Abrufens von Mitteilungen. Ein Medium erster Ordnung wäre also nichts anderes als eine Technik, mit einer bestimmten Potentialität, mit einer „Möglichkeitsbedingung für die Entwicklung von Medien zweiter Ordnung, im Sinne sozialer Institutionen“ (ebd.: 35).
•Von Medien zweiter Ordnung sollte dagegen erst dann gesprochen werden, wenn institutionalisierte Kommunikatoren am Werk sind, die diese technischen Mittel zur Herstellung und Verbreitung von Inhalten benützen, wenn also diese Vermittlungstechniken zur Selektion, Strukturierung und Präsentation von Aussagen im Hinblick auf ein Publikum eingesetzt werden. Deshalb ist das Internet lediglich als technische Infrastruktur zu begreifen, mit deren Hilfe Medien zweiter Ordnung entstehen können. Publizistische Medien (im Sinn des Saxer’schen Medienbegriffs) wären mithin allesamt als Medien zweiter Ordnung zu begreifen.
Eine zentrale Ursache für Missverständnisse liegt – so Kubicek/Schmid/Wagner (1997: 34) – genau darin, dass man die Unterschiede zwischen Medien erster und zweiter Ordnung vermischt, wenn man z. B. das Telefonnetz, das Internet oder eine Tageszeitung gleichermaßen als Medium bezeichnet. Dem ist vollinhaltlich zuzustimmen.
Nach diesem Exkurs zum Medienbegriff ist nun aber auf ein weiteres grundsätzliches Charakteristikum der menschlichen Kommunikation hinzuweisen, welches die Art und Weise des Gebrauchs der verschiedenen Vermittlungsinstanzen betrifft und die Voraussetzung für die Vielfalt menschlicher Kommunikationsmodalitäten darstellt: auf den Symbol-Charakter der menschlichen Kommunikation.
2.5 Menschliche Kommunikation als symbolisch vermittelte Interaktion
Der Terminus symbolisch nimmt nicht nur auf eine bestimmte Möglichkeit des Gebrauchs medialer Ausdrucksformen durch den Menschen Bezug; mit Symbol ist zugleich auch eine bestimmte Funktion von Zeichen angesprochen. Daher ist zunächst eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Zeichenbegriff notwendig. Erst auf dieser Basis kann die Besonderheit des Symbolbegriffes und seine Bedeutung für die menschliche Kommunikation diskutiert werden – denn: Der Kommunikationsprozess ist immer auch ein Zeichenprozess (!).
Ein Zeichen30 ist eine materielle Erscheinung, der eine Bedeutung zugeordnet (worden) ist. Indem ein Zeichen etwas bedeutet, verweist es auf etwas. Es deutet auf etwas hin, das von ihm selbst verschieden (!) ist. Der Gegenstand/der Zustand/die Beziehung/das Ereignis/die Idee usw., auf das/den das Zeichen verweist, fungiert dabei nur als die Quelle seiner Bedeutung; der eigentliche Träger der Bedeutung ist das Zeichen selbst. Ein Zeichen kann grundsätzlich alles sein, was (sinnlich) wahrnehmbar ist. „Zeichen können materielle Gegenstände (z. B. ein Wegweiser aus Holz), deren Eigenschaften (z. B. die rote Farbe) oder materielle Ereignisse (z. B. eine Handbewegung) sein“ (Schaff 1968: 27).
Nach ihrem jeweiligen Verhältnis zur Realität kann man schon seit der Antike (Nöth 2000: 10) aber spätestens mit Husserl (1890) zwei Arten von Zeichen unterscheiden: natürliche und künstliche Zeichen.
Als natürliche Zeichen gelten alle materiellen Erscheinungen, die für das Objekt/den Vorgang/Zustand etc., auf das/den sie verweisen, selbst kennzeichnend sind. Natürliche Zeichen sind ursprünglich nicht zum Zweck der Kommunikation entstanden, sondern existieren unabhängig davon als natürliche Prozesse. Sie werden von dem Objekt, das sie anzeigen, mehr oder weniger selbst verursacht. In diesem Sinn gelten natürliche Zeichen (seit Schütz 1971)31 auch als Anzeichen der Objekte, auf die sie hindeuten. Man spricht daher auch von Kennzeichen oder Symptomen.
So ist beispielsweise das Erröten ein Symptom von Scham oder Erregung, Rauch ein Kennzeichen für brennendes Feuer. Ganz ähnlich gilt der „Hof“ um den Mond als Anzeichen für Wetterverschlechterung.
Als künstliche Zeichen gelten im Gegensatz dazu alle materiellen Erscheinungen, die zum Zweck der Kommunikation entstanden bzw. hergestellt worden sind. Sie sind – was den menschlichen Kommunikationsprozess betrifft – in der Regel auch konventionelle Zeichen, d. h., ihre Bedeutung ist das Resultat einer sozialen Übereinkunft, einer Vereinbarung zwischen Menschen.
Eine Ausnahme stellen die ikonischen Zeichen dar: Sie erhalten bzw. besitzen ihre Bedeutung nicht aufgrund sozialer Konventionen, sondern aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu dem Gegenstand, auf den sie verweisen. Fotos, Skulpturen, (realistische) Gemälde und Zeichnungen, wie etwa die Kult- und Heiligenbilder – die sogenannten Ikonen – der orthodoxen Kirchen, aber auch eine Landkarte oder die topologische Skizze eines Eisenbahnnetzes sind Beispiele für diesen Zeichentypus.32
Konvention will hier als gesellschaftliche Konvention verstanden werden. Es geht also nicht so sehr darum, „dass die Übereinkunft von gerade diesen sich hic et nunc verständigenden Personen getroffen wird (obwohl das möglich ist) … Die künstlichen Zeichen können … kraft einer zu einem beliebigen Zeitpunkt bewusst und zielgerichtet getroffenen Übereinkunft ins Leben gerufen werden (wie z. B. alle Kodes), sie können sich aber auch aus der historischen Praxis des gesellschaftlichen Prozesses der Kommunikation herleiten (klassisches Beispiel: die Lautsprache)“ (Schaff 1973: 167).
Die Aneinanderreihung bestimmter Lautzeichen bzw. Buchstaben – wie etwa „t-i-s-c-h“ – ist z. B. so ein künstliches und zugleich konventionelles Zeichen. Diese Buchstabenkombination wurde zum Zweck der zwischenmenschlichen Kommunikation gebildet und durch eine Übereinkunft innerhalb einer Gruppe von Menschen (hier: innerhalb der deutschen Sprachgemeinschaft) mit ähnlichen Bedeutungen verbunden.
Analog dazu haben z. B. auch die „Handzeichen“ eines Verkehrspolizisten Bedeutung erlangt: Bestimmte Bewegungen, die er mit seinen Armen macht, sind deswegen zu Zeichen geworden, weil sich eine Gruppe von Menschen (hier: die Verkehrsteilnehmer·innen) auf bestimmte Bedeutungen geeinigt haben.
Im Hinblick auf den hier interessierenden Kommunikationsprozess ist aber noch eine weitere Differenzierung zu erwähnen, die sich auf die Funktion bezieht, welche die Zeichen im Rahmen des Kommunikationsprozesses erfüllen können. Zeichen können in einer „Signalfunktion“ und in einer „Symbolfunktion“ auftreten.
Als Signal tritt ein Zeichen dann auf, wenn seine Funktion in der unmittelbaren Einwirkung auf das Verhalten anderer Lebewesen besteht. Signale sind Zeichen zu etwas, d. h. Zeichen, die zu einer Aktivität drängen. Sie sind materielle Erscheinungen, die dem Zweck dienen, eine bestimmte Reaktion auszulösen. Diese Reaktion kann durch eine Vereinbarung zwischen Menschen vorherbestimmt worden sein; sie kann aber auch – v. a. bei Tieren – instinktiv angelegt oder durch Lernprozesse bedingt (konditioniert) sein.
Im oben genannten Beispiel erfüllen die „Handzeichen“ des Verkehrspolizisten eine typische Signalfunktion: Es existiert eine Vereinbarung, dass bestimmte Armbewegungen des Polizisten bei den jeweiligen Verkehrsteilnehmern bestimmte Reaktionen auslösen sollen.
Auch der Schwänzeltanz der Biene – um ein Beispiel aus dem Tierreich zu nehmen – erfüllt eine Signalfunktion im hier gemeinten Sinn: Die anderen Bienen reagieren (instinktiv festgelegt) auf die jeweils durch die Art der Bewegung vermittelten Zeichen bzw. deren Bedeutungen.
Als Symbol tritt ein Zeichen dagegen dann auf, wenn es etwas (einen Gegenstand, einen Zustand, ein Ereignis usw.) repräsentiert, m.a.W., wenn es eine „Vertretungsfunktion“ erfüllt. Symbole – oder auch: Repräsentationszeichen – vertreten den Gegenstand, auf den sie verweisen.33 Das bedeutet, dass sie anstelle des jeweiligen Gegenstandes, Zustandes oder Ereignisses auftreten und im Bewusstsein Anschauungen, Vorstellungen und Gedanken hervorzurufen imstande sind, die normalerweise nur jener Gegenstand, jener Zustand oder jenes Ereignis selbst hervorruft (vgl. Schaff 1973: 167). Das Auftreten eines Zeichens als Symbol ist nur auf konventioneller Basis möglich34, d. h., die jeweilige Repräsentation muss sich auf eine Vereinbarung stützen, von der die am Kommunikationsprozess Teilnehmenden entsprechende Kenntnis haben.
Im weiter oben genannten Beispiel erfüllt das sprachliche Zeichen „t-i-s-c-h“ eine typische Symbolfunktion: Wenn ich diese Buchstabenkombination in einem Kommunikationsprozess verwende (und mein Kommunikationspartner die deutsche Sprache versteht), so bin ich in der Lage, bei uns beiden Gedanken und Vorstellungen wachzurufen, die normalerweise nur beim Anblick eines Tisches in unser Bewusstsein treten.
Ein weiteres (außersprachliches) Beispiel, das die Symbolfunktion eines Zeichens erläutert, ist die Fahne: Auch hier muss man wissen, dass die Fahne nicht bloß das Stück Stoff ist, aus dem sie besteht, sondern als „Fahne“ stellvertretend für eine Gemeinschaft von Menschen (z. B. für eine Nation, einen Staat, einen Sportverein) erscheint und damit auch bestimmte Ansichten, Einstellungen, Haltungen usw. (z. B. Freiheit, Demokratie, Fairness) repräsentiert. Auf diese Weise ist ja auch das Missachten einer Fahne der symbolische Ausdruck für die Missachtung der jeweiligen Gemeinschaft, die diese Fahne repräsentiert.
An dieser Stelle scheint es sinnvoll, das klassische Organon-Modell der Sprachfunktionen des Psychologen und Sprachtheoretikers Karl Bühler (1879–1963) zu erwähnen, v. a. weil es (neben der Signal- und Symbolfunktion) noch auf eine weitere Funktion des Zeichens verweist – nämlich auf seine Ausdrucks- oder Symptomfunktion.
Bühler wollte mit seinem Modell (unter Rückgriff auf Sokrates und Platon) den Gedanken von der Sprache als Instrument (Organon, griech.: Werkzeug) zum Ausdruck bringen. Sprache als Mittel zum Zweck, um mit anderen über etwas kommunizieren zu können.
Abb. 3: Das Organon-Modell der Sprache von Karl Bühler (1934: 28; eigene Darstellung)
Bühler (1934) unterscheidet drei Sprachfunktionen, die aber ganz allgemein auch „als Zeichenfunktionen gelten können“ (Nöth 2000: 203) – nämlich: Darstellung, Ausdruck und Appell.
Ein Zeichen fungiert
•als Symbol, wenn die Darstellungsfunktion dominiert, d. h. wenn die Gegenstände (Personen, Dinge, Vorgänge, Ideen etc.) über die kommuniziert werden soll, im Mittelpunkt stehen. Es fungiert
•als Signal, wenn die Appellfunktion im Vordergrund steht, d. h., wenn die Botschaft beim Empfänger etwas auslösen soll. Da ein Zeichen im Kommunikationsprozess jedoch immer von jemandem verwendet wird, fungiert es auch
•als Symptom, weil es etwas über den Sender der Botschaft zum Ausdruck bringt. Es kann daher auch als Anzeichen für etwas aus dem „Inneren“ des Senders gelten. Das Symptom scheint „das einfachste und archaischste Zeichen“ (Keller 1995: 118) zu sein, denn Symptome „werden nicht intentional verwendet. Sie sind einfach ‚da’, und wenn sie intentional verwendet werden, verändern sie ihren Charakter“ (ebd.).
Anzeichen, also Zeichen in ihrer Symptomfunktion (wie das Erröten als Symptom von Scham oder der Hof um den Mond als Anzeichen für Wetterumschwung), wurden vorhin (im Gegensatz zu künstlichen Zeichen) als natürliche Zeichen klassifiziert. Dies mag als widersprüchlich empfunden werden, erklärt sich aber dadurch, dass Bühler mit seinem Modell v. a. die sprachliche Kommunikation – und damit die Funktion der Zeichen (vgl. Bentele 1984: 100) – im Blick hatte.35
Zwar ist (nach Bühler) jeder Faktor des Organon-Modells bei jedem Kommunikationsakt mehr oder weniger beteiligt, dennoch kann man davon ausgehen, dass die Dominanz der jeweiligen Funktion von Situation zu Situation variiert.
Welche Funktion ein Zeichen jeweils (primär) erfüllt – ob es also in erster Linie als Symptom, als Signal oder als Symbol fungiert – hängt daher nicht so sehr von seiner Art bzw. Beschaffenheit ab, sondern in erster Linie von seinem Gebrauch, d. h. von dem Umstand, wie es verwendet wird. Außer Zweifel steht, dass grundsätzlich sowohl natürliche als auch künstliche Zeichen in einer Symptom-, Signal- und/oder in einer Symbolfunktion auftreten können.
Es ist ja einzig eine Frage der jeweiligen Konvention, ob z. B. Rauch bloß als (natürliches) Anzeichen für Feuer gilt, ob dieses Anzeichen als Signal zur Flucht vor drohender Gefahr fungiert oder ob es (wie beispielsweise in religiösen Ritualen) als Symbol für Überirdisches auftritt und damit gewissermaßen eine Repräsentationsfunktion erfüllt. Im Rahmen einer Theateraufführung kann man Rauch freilich auch gezielt herstellen, um damit künstlich(!) z. B. den Anschein von ausgebrochenem Feuer zu erwecken.
Ebenso kann man übereinkommen, das Hissen einer Flagge (künstliches Zeichen) als Signal zum Angriff auf den Feind zu verstehen; man kann aber auch übereinkommen, die gehisste Fahne (ausschließlich) als Symbol für einen bestimmten Staat zu betrachten.
Der Umstand, ob ein Zeichen als Signal oder als Symbol fungiert, hängt also grundsätzlich nicht von diesem selbst ab, sondern von den Möglichkeiten bzw. den situativen Aktivitäten seines Benutzers. An dieser Stelle hebt sich nun endgültig und fundamental die animalische von der menschlichen Kommunikation ab: Auf animalischer Ebene können Zeichen – ob sie nun „natürliche“ oder „künstliche“ Zeichen sein mögen36 – ausschließlich Signalfunktion erfüllen. Wann immer Tiere miteinander kommunizieren, wirken ihre Zeichen als Signale, d. h., sie lösen damit bestimmte (mehr oder weniger) festgelegte Verhaltensweisen an ihren Partnertieren aus.37 Die Vermittlung von „Bedeutung“ geht dabei jeweils Hand in Hand mit einer bestimmten Reaktion bzw. ist mit dieser ident.
So röhrt etwa der Hirsch und treibt damit seine Herde zur Flucht an, ebenso schwänzelt die Biene und veranlasst dadurch die anderen Bienen, eine entdeckte Futterquelle aufzusuchen etc.
Erst im Rahmen der (zwischen-)menschlichen Kommunikation eröffnet sich dagegen die Möglichkeit, Zeichen nicht mehr nur als Signale, sondern (vor allem) auch als Symbole einzusetzen. Erst der Mensch ist also in der Lage, auf Zeichen bzw. auf die dabei vermittelten Bedeutungen nicht mehr bloß zu reagieren, sondern diese auch zu verstehen.38 Dieses Verstehen meint hier also ausdrücklich die Fähigkeit, einem Zeichen bestimmte Gedanken, Anschauungen, Vorstellungen usw. in Form von Bedeutungsinhalten zuordnen zu können.39
Für den menschlichen Kommunikationsprozess ist dabei v. a. die „Vertretungsfunktion“ der Symbole von Bedeutung: Indem wir mit Hilfe von Symbolen in der Lage sind, Abwesendes zu vergegenwärtigen (Saxer 1999: 6), können wir im Gegensatz zum Tier „eine Haltung gegenüber den Gegenständen in absentia [einnehmen], welche als ‚denken an’ oder ‚sich beziehen auf’ bezeichnet wird“ (Langer 1965: 38).
Die signalhafte Kommunikation im Tierreich ist immer sowohl zeit- als auch situationsgebunden: Der röhrende Hirsch zeigt die Gefahr an, vor der es hier und jetzt zu flüchten gilt. Die schwänzelnde Biene zeigt die Futterquelle an, die sie hier und jetzt gefunden hat. Der Mensch dagegen kann sich eine gefährliche Situation vergegenwärtigen, ohne dass diese im Moment tatsächlich existiert, und er kann an eine Nahrungsquelle denken, er kann sich die Verteilung von Nahrung überlegen, bevor diese oder auch ohne dass diese aktuell vorhanden ist.
Unschwer einsehbar, ja geradezu selbstverständlich erscheint an dieser Stelle der Hinweis, dass wir Menschen via Symbolbildung freilich auch abstrakte Vorstellungen in unser Bewusstsein rufen können. Gemeint sind Bereiche der Wirklichkeit, die als (sinnlich) wahrnehmbare (konkrete) Objekte eigentlich gar nicht existent sind: „Religion, Kunst, Wissenschaft sind die größten Symbolsysteme der bisherigen Geschichte des Menschen“ schreiben Berger/Luckmann (1977: 42) und meinen damit, dass gerade dies Beispiele für riesige Gebäude symbolischer Vorstellungen sind, die sich „über der Wirklichkeit […] zu türmen scheinen wie gigantische Präsenzen von einem anderen Stern“ (ebd).
Gerade am Beispiel des Aktualisierens relativ abstrakter Vorstellungen wird aber deutlich, wie sehr der Bedeutungsgehalt von Symbolen mit der jeweiligen Erfahrung des Benützers / der Benützer·in zusammenhängt. Der Umstand, wie ein Zeichen zu seiner Bedeutung gelangt – also der Vorgang, bei dem diese Bedeutungszuweisung geschieht – entscheidet ja v. a. darüber, welche Gedanken, Vorstellungen, Gefühle usw. bei dessen Gebrauch im Bewusstsein aktualisiert werden. Symbole sind „mehr“ als bloß Zeichen, die für etwas Bestimmtes stehen. Sie verweisen stets auf zusätzliche, individuell oft divergent interpretierte Inhalte, die „als Etikette für andere, mehr oder weniger präzis umschreibbare Komplexe von Fakten oder Vorgängen benutzt werden“ (Treinen 1965: 81). Dies gilt z. B. für Ortsnamen40 aber auch für Vornamen41. Welche komplexen Vorgänge im Bewusstsein durch die Verwendung des entsprechenden Symbols jeweils aktualisiert werden, das hängt vom jeweiligen „Prozess der Symbolisierung“ (Treinen 1965: 82) ab. Gemeint sind entsprechende Situationen im Rahmen individueller Lebensabläufe, in denen sich die Bedeutungsinhalte jeweils konstituiert hatten.
So wird das sprachliche Symbol Freiheit bei einem Kriegsflüchtling andere Bedeutungsinhalte aktualisieren als bei einem Menschen, der in einer friedlichen, demokratisch organisierten Gesellschaft aufgewachsen ist. Ähnlich werden die olympischen Ringe für ein Mitglied der Olympiamannschaft etwas anderes (wenigstens etwas Zusätzliches) bedeuten, als für den bloß Sportinteressierten.
Aus dem bisher Gesagten wird jedenfalls klar erkennbar, dass die Bedeutung eines Zeichens, das als Symbol fungiert, weder ein für allemal feststeht noch im Bewusstsein verschiedener Menschen idente Bedeutungen wachruft. Die Bedeutung eines Symbols ist demnach immer vom jeweiligen raum-zeitlichen Kontext (mit-)bestimmt. Dies v. a. deshalb, weil ja auch die Objekte, die durch die jeweiligen Symbole repräsentiert werden, nicht bereits an sich eine bestimmte Bedeutung oder einen bestimmten Stellenwert besitzen. Der Stellenwert bzw. die jeweilige Bedeutung der Dinge – und damit auch die Bedeutung der entsprechenden Symbole – geht vielmehr erst aus der Art und Weise des Umgangs mit ihnen hervor; d. h. aus dem Umstand, wie Menschen im Hinblick auf diese Dinge handeln. Daraus resultiert eben, dass ein und dasselbe Objekt für verschiedene Individuen durchaus unterschiedliche Bedeutung besitzen kann.
Es erscheint an dieser Stelle der Hinweis angebracht, dass die hier vertretene Position einer bestimmten Denkrichtung zuzuordnen ist: dem auf George Herbert Mead (1968) zurückgehenden Symbolischen Interaktionismus.42 Der Symbolische Interaktionismus ist ein (theoretisches) Konzept menschlichen Handelns, in dem es v. a. um das In-Beziehung-Treten des Menschen mit seiner Umwelt geht: Die Ausgangsannahme lautet, dass der Mensch nicht nur in einer natürlichen, sondern auch (und das vor allem!) in einer symbolischen Umwelt lebt. Die Dinge und deren Bezeichnungen repräsentieren gewissermaßen das jeweilige Verhältnis „Mensch –Umwelt“; sie symbolisieren für den jeweiligen Menschen die subjektive Wirklichkeit seiner Erfahrungen.
Ein Baum wird ein jeweils unterschiedliches Objekt darstellen für einen Botaniker, einen Holzfäller, einen Dichter und einen Hobbygärtner; der Präsident der Vereinigten Staaten kann ein sehr unterschiedliches Objekt sein für ein Mitglied seiner politischen Partei und für ein Mitglied der Opposition (Blumer 2015: 32).
Nach Herbert Blumer (2015: 25 ff.) basiert das handlungstheoretische Verständnis des Symbolischen Interaktionismus im Wesentlichen auf folgenden drei Prämissen:
1.Menschen handeln Dingen gegenüber auf der Grundlage von Bedeutungen, die diese Dinge für sie besitzen.
2.Die Bedeutung dieser Dinge entsteht in/wird abgeleitet aus den sozialen Interaktionen, die man mit seinen Mitmenschen eingeht.
3.Diese Bedeutungen werden im Rahmen der Auseinandersetzung mit eben diesen Dingen in einem interpretativen Prozess benützt und auch abgeändert.
Im symbolisch-interaktionistischen Sinn existieren Dinge nicht als isolierte Entitäten, sondern ausschließlich raum- und zeitgebunden. Es gibt somit kein Ding an sich, sondern nur ein Ding für mich: Gegenstände entstehen im Hinblick auf ihre Bedeutung überhaupt erst dann, wenn sie von Menschen in deren Handlungen mit einbezogen werden. Die Bedeutung eines Gegenstandes ist als „soziale Schöpfung“ (Blumer 2015: 33) das Ergebnis mannigfaltiger Definitions- und Interpretationsprozesse, die zwischen Menschen ablaufen, wenn sie im Hinblick auf den jeweiligen Gegenstand handeln.
So ist z. B. ein Stuhl nicht von sich aus ein Stuhl. Ein Kleinkind lernt die Bedeutung eines Stuhls erst dann kennen, wenn andere Personen im Hinblick auf diesen Stuhl handeln. Indem sie z. B. darauf sitzen, definieren und interpretieren sie erst die Bedeutung des Gegenstandes Stuhl für das Kleinkind.43
Ein Zeichen, das als Symbol fungiert, repräsentiert also nicht bloß einen bestimmten „Gegenstand“, sondern auch eine bestimmte Beziehung zu eben diesem Gegenstand. Es symbolisiert somit immer auch eine subjektiv erfahrene Wirklichkeit, die für verschiedene Menschen nicht unbedingt die gleiche sein muss. Aufgrund unzähliger (sozialer) Interaktionen blickt ja jeder einzelne Mensch auf eine mehr oder weniger große Anzahl subjektiver Definitions- und Interpretationsleistungen zurück. Gleichsam als Summe dieser Erfahrungen verfügt jeder Mensch über einen bestimmten (subjektiven) Vorrat an Symbolen – genauer: Er verfügt über abrufbare (d. h. im Bewusstsein aktualisierbare) Bedeutungskonglomerate.
Das Symbol im Kommunikationsprozess
Wenn Menschen nun im Prozess der kommunikativen Interaktion im Hinblick aufeinander kommunikativ handeln, dann streben sie danach – entsprechend der allgemeinen Intention ihres Handelns –, Bedeutungen „miteinander zu teilen“. Zu diesem Zweck verwenden sie Zeichen (in der Regel) in ihrer Symbolfunktion. Erst dadurch eröffnet sich für die Kommunikationspartner die Chance, wechselseitig vorrätige Bedeutungen im Bewusstsein zu aktualisieren. Wenn zwei Menschen miteinander kommunizieren (wollen), dann treten sie also symbolisch vermittelt zueinander in Beziehung.
Die jeweils versuchte symbolisch vermittelte Interaktion setzt allerdings – mit Blick auf das oben (Kap. 2.3) diskutierte konstante Ziel von Kommunikation (Verständigung) – voraus, dass im Bewusstsein beider Kommunikationspartner dieselben (bzw. ähnliche) Bedeutungen aktualisiert werden können. Gelingende menschliche Kommunikation verlangt also einen Vorrat an Zeichen, die für die jeweiligen Kommunikationspartner dieselben (bzw. ähnliche) „Objekte“ (Zustände, Vorstellungen, Anschauungen, Ideen etc.) symbolisieren. Symbole, die dieses leisten, nennt G.H. Mead „signifikante Symbole“.
Ein signifikantes Symbol ist demnach ein Zeichen, das eine dahinterstehende Idee (d. h. einen bestimmten Vorstellungsinhalt) ausdrückt und diese Idee auch im Bewusstsein des/der jeweiligen Kommunikationspartner wachruft (vgl. Mead 1968: 85). Im Anschluss an Mead lässt sich Kommunikation daher als „gemeinsame Aktualisierung von Sinn“ (Luhmann 1971: 42) begreifen. Vorausgesetzt wird also eine mehr oder weniger „gemeinsam zugrunde gelegte Sinnstruktur“ (ebd.: 43).
Wie kann es aber – so ist hier zu fragen – angesichts des engen Zusammenhanges von persönlicher Erfahrung und Symbolbildung überhaupt zur Entstehung derartiger signifikanter Symbole kommen, wenn sie bei verschiedenen Menschen stets Unterschiedliches aktualisieren?
Man darf an dieser Stelle nicht unter dem (vermeintlichen) Deckmantel symbolischinteraktionistischen Denkens einem extremen Subjektivismus das Wort reden. Es wäre wohl eine Fehlinterpretation des theoretischen Ansatzes, wollte man aus diesem ableiten, der Symbol- bzw. Bedeutungsvorrat eines Individuums sei ausschließlich (!) „individualistisch“ und besitze mit ebendem eines anderen Menschen so gut wie überhaupt keine Ähnlichkeiten. Sicher trifft es zu, dass jeder von uns „seine“ Symbole bzw. deren Bedeutungsinhalte aus einem ganz persönlichen, subjektiven Erlebnis- und Erfahrungszusammenhang heraus entwickelt. Genauso sicher scheint aber auch zu sein, dass diese (unsere persönliche) Erlebniswelt viele Gemeinsamkeiten mit derjenigen unserer Mitmenschen aufweist. Sozialisationsinstanzen (wie Familie, Schule, Freundeskreis Arbeitsplatz bis hin zu diversen Medien) sorgen ja für weitreichende Ähnlichkeiten in der Denk- und Erfahrungswelt einer mehr oder weniger großen Sozietät.
So werden verschiedene Personen in unserer modernen (hochtechnisierten) Gesellschaft mit dem Symbol „Auto“ wohl ähnliche Objektvorstellungen verbinden. Dieses (sprachliche) Symbol wird im Bewusstsein verschiedener Individuen also mehr oder weniger ähnliche Bedeutungsinhalte aktualisieren; es kann somit (für die Mitglieder derartiger Gesellschaften) als ein signifikantes Symbol bezeichnet werden.
Was jedoch von der symbolisch-interaktionistischen Position für das menschliche Kommunikationsgeschehen abgeleitet werden soll, ist die Einsicht, dass unterschiedliche Erlebnisdimensionen in ein und derselben Realität existieren. Der Umstand, dass Menschen – wenigstens innerhalb eines bestimmten raumzeitlichen Kontinuums – unter ähnlichen sozioökonomischen Bedingungen leben, impliziert nämlich keineswegs, dass sie die „Objekte“ dieser gemeinsamen Realität auch identisch erleben. Im Gegenteil: Ein und dasselbe Objekt bzw. dessen Symbol kann im Bewusstsein verschiedener Menschen auch verschiedene Erlebnisdimensionen aktualisieren. Je unähnlicher die Erfahrungsbereiche von Personen sind, desto unähnlicher werden wohl auch die jeweils individuell aktualisierbaren Erlebnisdimensionen sein (und umgekehrt).
Um das Auto-Beispiel weiterzuführen: Man kann ein Auto als bloßes „Fortbewegungsmittel“ erleben; man kann darin ein „hochentwickeltes technisches Industrieprodukt“ sehen; es kann als „Sport-“ oder „Freizeitgerät“ empfunden werden; man kann es als „Statussymbol“, sogar als „Fetisch“ betrachten; man kann es aber auch als ein die Luft verschmutzendes und den Klimawandel beschleunigendes Fortbewegungsmittel entlarven. Das sind unterschiedliche (und sicher nicht alle) Möglichkeiten, das reale Objekt „Auto“ in unseren technisierten und umweltsensiblen Gesellschaften zu erfahren bzw. zu erleben.
Erlebnisdimension meint also nichts anderes als die Qualität der persönlichen Erfahrung, die im Umgang mit einem „Objekt“ der Realität gewonnen wird und die sich schließlich zu einer subjektiven Bedeutung eben dieses „Gegenstandes“ im Bewusstsein verfestigt. Bedeutung kann in diesem Sinn als die Summe aller Erfahrungsqualitäten in Form mental gespeicherter Erlebnisdimensionen betrachtet werden.
Wenn nun also Menschen im Prozess der kommunikativen Interaktion symbolisch vermittelt zueinander in Beziehung treten, dann aktualisieren sie ja genaugenommen jeweils bestimmte Erlebnisdimensionen, die in ihrem eigenen Bewusstsein „gespeichert“ sind. Indem sie Symbole benützen, rufen sie ihr individuelles Erfahrungsrepertoire wach, das durch die jeweiligen Symbole repräsentiert wird. Nur dann, wenn wenigstens Teile dieser gespeicherten Erlebnisdimensionen im Bewusstsein beider Kommunikationspartner vorhanden sind, kann Kommunikation gelingen bzw. Verständigung zustande kommen.
Abb. 4: Verständigung als Schnittmenge von Bedeutungsvorräten (eigene Darstellung)
Abb. 4 veranschaulicht eine derartige Kommunikationssituation. Zwei Kommunikationspartner·innen (A und B) treten durch ihr wechselseitig aufeinander gerichtetes kommunikatives Handeln zueinander in Beziehung. Sie verwenden ein ihnen gemeinsam zur Verfügung stehendes Medium (z. B. die Sprache) und versuchen, durch den Gebrauch von Zeichen bzw. Symbolen bestimmte Bedeutungen „miteinander zu teilen“. Dabei aktualisieren sie im Bewusstsein jeweils subjektiv vorhandene Bedeutungsvorräte in Form gespeicherter Erlebnisdimensionen. Im angenommenen Fall sind die aktualisierten Bedeutungsvorräte (A und B) einander ähnlich, denn die „Mengen“ der auf beiden Seiten vorhandenen Erlebnisdimensionen überschneiden sich teilweise. In diesem Bereich kommt es daher zur Verständigung zwischen A und B. Derjenige Teil an Bedeutungsvorräten, der sich außerhalb der gekennzeichneten „Schnittmenge“ befindet, soll die extrem subjektspezifischen Erfahrungsqualitäten andeuten, welche die beiden Kommunikationspartner·innen nicht miteinander teilen (können). In diesem Bereich ist – jedenfalls mit Hilfe der im Augenblick verwendeten Symbole – keine Verständigung zwischen A und B möglich. Je ähnlicher die Tätigkeits- und Erfahrungsbereiche sind, aus denen die Erlebnisdimensionen wachgerufen werden, desto größer wird diese „Schnittmenge“ sein. Je unterschiedlicher diese Erfahrungsbereiche sind, desto kleiner wird sie. Die völlige Deckungsgleichheit oder auch das völlige Fehlen einer derartigen „Schnittmenge“ sind (theoretisch) denkbare, aber (praktisch) im Rahmen einer Sozietät wohl nicht sehr wahrscheinliche Extremfälle.44
Diese symbolisch-interaktionistischen Überlegungen verhelfen zur Einsicht, dass selbst ein identischer Zeichen- bzw. Symbolvorrat verschiedener Menschen bestenfalls einen (mehr oder weniger) ähnlichen Bedeutungsvorrat impliziert. In diesem Sinn ist also auch für die „signifikanten Symbole“ (im Sinn von Mead) eine Grauzone von Vorstellungsinhalten bzw. Erlebnisdimensionen mitzudenken, die von den jeweiligen Kommunikationspartner·innen nicht miteinander geteilt werden (können).
2.6 Die humanspezifische Kommunikationsmodalität: Zusammenfassung und terminologische Ergänzung
Zunächst eine komprimierte Rekapitulation der bisher geleisteten Begriffserklärung:
•Kommunikation wurde zuallererst als ein grundsätzlich soziales Phänomen erkannt. Mit dem Attribut „sozial“ gerieten alle jene Verhaltensweisen in den Blick, die Lebewesen im Hinblick aufeinander verrichten.
•Für die menschliche Kommunikation wurde sodann mit dem Begriff der „sozialen Handlung“ der intentionale Charakter menschlichen Tuns hervorgehoben: Die Tatsache, dass es uns Menschen möglich ist, mit unserem Handeln bewusst Ziele zu verfolgen und unserem Handeln damit einen „Sinn“ zu geben, hat zur Einsicht verholfen, dass auch kommunikatives Handeln nicht um seiner selbst willen gesetzt wird, sondern ebenso als Mittel zum Zweck (intentional) gesehen werden kann.
•Dieser intentionale Charakter menschlichen Handelns führte im Hinblick auf kommunikatives Handeln schließlich zu folgender Differenzierung:
–Zum einen wurde eine allgemeine Intention kommunikativen Handelns erkannt: Sie besteht darin, etwas mitteilen zu wollen. Dieser Mitteilungsintention entspricht als konstantes Ziel kommunikativen Handelns die Verständigung zwischen den jeweiligen Kommunikationspartner·innen. Verständigung liegt immer dann vor, wenn die Kommunikationspartner·innen die jeweils zu vermittelnden Bedeutungen wenigstens annäherungsweise „miteinander teilen“.
–Zum anderen wurde eine spezielle Intention kommunikativen Handelns erkannt: Sie impliziert die Existenz spezifischer Kommunikationsinteressen und verweist auf den eigentlichen Anlass jeglichen kommunikativen Handelns. Dieser speziellen Intention wurde als variables Ziel kommunikativen Handelns die (jeweils situationsbezogene) Interessenrealisierung zugeordnet. Eine solche Realisierung kommunikativer Interessen liegt dann vor, wenn die mit der jeweils gesetzten kommunikativen Aktivität beabsichtigten Folgen auch tatsächlich eintreten.
•Als Konsequenz dieser Überlegungen rückte der Prozesscharakter des Kommunikationsgeschehens in den Mittelpunkt: (Menschliche) Kommunikation wurde als doppelseitiges Geschehen erkannt und somit als spezifische Form der sozialen Interaktion begriffen. Mit Blick auf Verständigung (als das konstante Ziel kommunikativen Handelns) wurde die – wenn auch nur annäherungsweise erreichbare – wechselseitig vollzogene Bedeutungsvermittlung als (gelungene) Kommunikation definiert.
•Für dieses wechselseitig aufeinander gerichtete kommunikative Handeln benötigt man stets ein Ausdrucksmittel: Das Vorhandensein bzw. der Einsatz eines Mediums und die Verwendung eines Kommunikationskanals erwiesen sich als unbedingte Voraussetzungen und damit als immanente Bestandteile von Kommunikation.
•Das Medium als Vermittlungsinstanz zwischen den Kommunikationspartnern macht es erst möglich, eine Anzahl von Ausdrucksformen zu generieren, innerhalb derer verschiedene Bedeutungsinhalte als Zeichen wahrnehmbar werden: Der Kommunikationsprozess ist immer auch ein Zeichenprozess.
•Für die menschliche Kommunikation konnte schließlich eine bestimmte Möglichkeit des Gebrauchs von Zeichen als typisch erkannt werden: Menschen sind in der Lage, Zeichen stellvertretend für etwas (Gemeintes) zu verwenden. Zeichen, die eine derartige Repräsentationsfunktion erfüllen, werden Symbole genannt.
•Menschliche Kommunikation konnte somit als symbolisch vermittelte Interaktion begriffen werden. Damit ist ein In-Beziehung-Treten gemeint, das darauf abzielt, mit Hilfe gemeinsam verfügbarer Zeichen in Symbolfunktion wechselseitig vorrätige Bedeutungsinhalte im Bewusstsein zu aktualisieren.
Aus der bisher dargestellten und hier resümierten Sichtweise von (zwischenmenschlicher) Kommunikation lassen sich nun vier Faktoren abstrahieren, die das grundlegende „kommunikative Gerüst“ jedes ablaufenden Kommunikationsgeschehens bilden. Ein Kommunikationsprozess impliziert demnach:
•jemanden, der etwas mitteilen will,
•die Aussage/Botschaft (als Form für die mitzuteilenden Bedeutungsinhalte),
•ein Medium (als Vermittlungsinstanz sowie -kanal) sowie
•jemanden, an den die Botschaft gerichtet ist.
Wir wissen bereits: Die bloße Existenz eines derartigen kommunikativen „Gerüsts“ bedeutet freilich noch nicht, dass Kommunikation auch tatsächlich stattfindet. Es kann ja, wie ausführlich erläutert wurde, beim erfolglosen Versuch bleiben.
Der Grund für diese komprimierte Aktualisierung des bislang entwickelten Begriffs von Humankommunikation besteht darin, dass die bereits eingeführte Terminologie nun um weitere, in der Fachsprache gebräuchliche Begriffe zu ergänzen ist. Zunächst handelt es sich um die Termini „Kommunikator·in“ und „Rezipient·in“.
Als Kommunikator·in gilt der·die kommunikativ Handelnde, der·die etwas mitteilen will. Er·sie versucht (entsprechend seiner·ihrer allgemeinen Intention) eine Mitteilungs-Handlung zu setzen, indem er·sie die mitzuteilenden Inhalte durch den (symbolischen) Gebrauch von Zeichen bzw. Symbolen unter Verwendung eines Mediums für jemanden Anderen zugänglich macht. Der·die Kommunikator·in ist somit derjenige Faktor im kommunikativen Gerüst, der als die Quelle mitzuteilender Botschaften fungiert und diese an den/die Empfänger·innen adressiert. Dementsprechend findet man auch die Bezeichnungen Sender, Produzent·in, Adressant.
Als Rezipient·in gilt dagegen der·die kommunikativ Handelnde, der·die etwas verstehen will. Er·sie versucht (ebenfalls entsprechend seiner·ihrer allgemeinen Intention) eine Verstehens-Handlung zu setzen, um die medial vermittelten Zeichen bzw. Symbole zu empfangen und deren Bedeutung zu entziffern. Der·die Rezipient·in ist somit derjenige Faktor im kommunikativen Gerüst, an den die vermittelten Botschaften adressiert sind. Dementsprechend findet man auch die Bezeichnungen Empfänger·in, Konsument·in, Adressat·in.
Abb. 5: Mitteilungs- und Verstehens-Handlung (eigene Darstellung)
Abb. 5 visualisiert dieses kommunikative Gerüst mit seinen Faktoren Kommunikator·in (K), Aussage (A), Medium (M) und Rezipient·in (R) inklusive der Mitteilungs- und Verstehens-Handlung. Damit wird abermals die (bereits erwähnte) Wechselseitigkeit – oder auch Reziprozität45 – des kommunikativen Geschehens erkennbar: Kommunikator·inen können nur „kommunizieren“ (mitteilen), wenn Rezipierende auch tatsächlich „rezipieren“ (aufnehmen und verstehen) wollen. Damit ist neuerlich verdeutlicht, „dass im Kommunikationsprozess prinzipiell eben keine einseitige Intention, Transmission und Rezeption möglich ist“ (Merten 1977: 46). In diesem Sinn erweist sich (menschliche) Kommunikation als ein implizit reziproker Prozess, d. h. als ein Geschehen, das die Wechselbezüglichkeit, also das Aufeinanderbezogen-Sein des kommunikativen Handelns mit einschließt. Oder anders (im Hinblick auf die hier verwendete Terminologie) formuliert: Eine Mitteilungshandlung verlangt stets nach einer Verstehens-Handlung und umgekehrt. Außerdem sei (zum wiederholten Mal) in Erinnerung gerufen, dass Kommunikation (gemäß dem hier entwickelten Verständnis) nur dann stattgefunden hat, wenn Verständigung über die mitgeteilte Aussage zustande gekommen ist, wenn also die beiden Kommunikationspartner·innen (K) und (R) in der Lage waren, die Bedeutungs inhalte der medial (M) vermittelten Aussage (A) auch (wenigstens annäherungsweise) „miteinander zu teilen“.
Es liegt auf der Hand, dass real ablaufende Kommunikationsprozesse eine diesbezügliche Erfolgskontrolle dringend zu benötigen scheinen, zumal die hier im Mittelpunkt stehende Verständigungsdimension ausschließlich die allgemeine Intention bzw. das konstante Ziel kommunikativen Handelns repräsentiert.46
Ein derartiger – gleichsam in die Alltagskommunikation eingebauter – „Kontrollmechanismus“ existiert in der Tat. Er hängt eng mit der hier betonten impliziten Reziprozität kommunikativen Geschehens zusammen bzw. folgt aus dieser. Seine Darstellung geht somit über die hier geleistete Zusammenfassung hinaus.
2.7 Feedback: eine Erfolgskontrolle kommunikativen Handelns
Zur Darstellung der Erfolgskontrolle kommunikativen Handelns ist eine systemtheoretische Perspektive nützlich.47 Etwas als System betrachten meint, bestimmte Dinge oder Sachverhalte als miteinander verbunden zu sehen (Giesen 1975: 158). Diese Dinge oder Sachverhalte gelten als die Elemente des Systems und erfüllen dann bestimmte Funktionen (Leistungen), d. h. sie tragen zum Erreichen oder auch Nicht-Erreichen (Dysfunktionen) eines Zieles bei (Merten 1999: 82 ff., Narr 1969: 118, Stark 2013: 164 ff.).
Eine besondere, im vorliegenden Zusammenhang v. a. interessierende Systemkonzeption liegt mit dem sogenannten Input-Output-Modell (vgl. Rühl 1969a: 190 f.) vor. Dieses Modell geht davon aus, dass (offene) Systeme mit ihrer Umwelt auf ganz bestimmte Weise in Verbindung stehen: Sie nehmen Leistungen aus dieser Umwelt in Form von Inputs auf und werden dadurch von dieser Umwelt beeinflusst. Sie geben aber ihrerseits auch Leistungen an diese Umwelt in Form von Outputs ab und beeinflussen dadurch wieder diese (ihre) Umwelt. Das Entscheidende dabei ist nun, dass dieser Output teilweise wieder als Input in eben dieses System zurückwirkt. Dieser Vorgang, der auch als Feedback (Rückkoppelung, Rückmeldung, Rücksteuerung) bezeichnet wird, beschreibt einen kreisförmigen Prozess (einen sogenannten „Regelkreis“), der dazu dient, einen bestimmten Zustand herzustellen oder zu erhalten. Die jeweilige Eingangsleistung (Input) ist damit zugleich ein Maß für den Erfolg, den die gesetzte Ausgangsleistung (Output) erzielen konnte – und sie beeinflusst in diesem Sinn die neuerliche Ausgangsleistung des Systems.48
Überträgt man diese systemtheoretischen Überlegungen auf den Menschen, so kann man ihn beispielsweise als ein Handlungssystem betrachten. Elemente des Systems Mensch sind dann dessen Handlungen, die bestimmte Funktionen erfüllen und damit jeweils zum Erreichen (oder zum Verfehlen) der Ziele beitragen, die ein Mensch verfolgt. Auch hier kann man die Verbindung des Handlungssystems mit seiner Umwelt über den Feedbackprozess geregelt sehen: Auf menschliches Handeln übertragen, bedeutet das Prinzip der Rückkoppelung nämlich, „dass das Verhalten auf sein Ergebnis hin geprüft wird und dass der Erfolg oder Misserfolg dieses Ergebnisses das zukünftige Handeln beeinflusst“ (Wiener 1958: 55).
Das (allgemeine) Ziel, das ein Mensch nun mit seinen kommunikativen Handlungen verfolgt, ist bekannt: Es geht darum, Verständigung über die zu vermittelnden Bedeutungsinhalte mit (mindestens noch einem) anderen Menschen herzustellen. Es treten daher – systemtheoretisch gesprochen – zwei Handlungssysteme zueinander in Beziehung. Diese beiden Handlungssysteme stehen mit ihrer Umwelt in Verbindung, indem sie Leistungen aus dieser erhalten (Inputs) und auch wieder Leistungen an diese abgeben (Outputs). Da nun aber die beiden Handlungssysteme nicht nur wechselseitige Bestandteile ihrer (jeweiligen) Umwelt sind, sondern auch noch explizit zueinander in Beziehung treten, sind sie auch durch gegenseitig vorhandene In- bzw. Outputs miteinander verbunden. Der Feedbackprozess, der ja ein System mit seiner Umwelt verbindet, verbindet in diesem Fall die beiden Handlungssysteme direkt miteinander: Der Output des einen Handlungssystems wird zum Input des anderen (und umgekehrt). Da die kommunikativen Handlungen beider Handlungssysteme auch auf ein gemeinsames Ziel (Verständigung) hin ausgerichtet sind, erscheint der Rückkoppelungsprozess als Kontrolle bzw. Steuerung des gemeinsam angestrebten Verständigungserfolges.
Abb. 6: Verständigung als feedbackgesteuerter Prozess (eigene Darstellung)
Abb. 6 veranschaulicht den soeben beschriebenen Stellenwert des Feedbackprozesses in der zwischenmenschlichen Kommunikation: Man sieht einen kreisförmigen Prozess zwischen Kommunikator·in und Rezipient·in, in dem die implizite Reziprozität des Kommunikationsgeschehens in Form des „Feedback“ ihre explizite Ergänzung erfährt: Das Feedback stellt die wahrnehmbare Begleiterscheinung des kommunikativen Handelns der Rezipient·innen (= des Rezipierens, also des Empfangens und Verstehen-Wollens) dar. Durch das Feedback erhält ein·e Kommunikator·in Hinweise auf die Qualität des Rezipierens, d. h. auf die Qualität der „Verstehensleistung“ der Rezipierenden. Das Feedback gibt Auskunft über den Erfolg (oder Misserfolg) des kommunikativen Handelns des·der Kommunikator·in und damit über den Grad der erreichten Verständigung zwischen den Kommunikationspartner·innen. Das diagnostizierte Ergebnis beeinflusst bzw. korrigiert dann das neuerliche kommunikative Handeln des Kommunikators (= dessen fortgesetzte „Mitteilungsleistung“) usw.
In der kommunikativen Interaktion zwischen Menschen kann zu diesem Feedback alles zählen, was an „Output“ des Handlungssystems „Rezipient·in“ manifest wird – also alle jene Handlungen bzw. (nonverbalen) Verhaltensweisen der RezipienteInnen, die von den (jeweiligen) Kommunikator·innen wahrgenommen werden können.
Denkt man beispielsweise an einen Vortrag, so sind hier etwa die beobachtbare Mimik (wie ein interessierter oder gelangweilter, verwirrter, zweifelnder Gesichtsausdruck u. Ä.) und Gestik (wie zustimmendes Kopfnicken oder Applaus u. Ä.) der Rezipient·innen für den/die Kommunikator·in Hinweise auf die Qualität des Rezipierens seiner/ihrer Mitteilungen. Diese kommunikativen Begleiterscheinungen geben Auskunft darüber, ob und (vielleicht) auch wie die jeweilige Mitteilung „angekommen“ ist, sie lassen vermuten, ob und wie sie verstanden wurde und beeinflussen auf diese Weise natürlich das (nachfolgende) kommunikative Handeln des·der Kommunikator·in.
Im prototypischen Fall kommunikativer Interaktion (wie in einem zwischenmenschlichen Gespräch) besteht das Feedback in der Regel jedoch nicht bloß in den Begleiterscheinungen der kommunikativen Verstehens-Handlungen seitens der Rezipierenden. In dieser typischen Face-to-face-Kommunikation (= ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht) verschmelzen diese kommunikativen Begleiterscheinungen in der Regel mit der kommunikativen Mitteilungs-Handlung de·r in die Rolle de·r Kommunikator·in geschlüpften Rezipient·in(!).
Abb. 7: Gegenseitige Kommunikation (eigene Darstellung)
Wie Abb. 7 zeigt, ist es gerade für das persönliche Gespräch charakteristisch, dass die Partner·innen ständig ihre Rollen als Sprecher·innen und Zuhörer·innen wechseln. Seit Maletzke (1963: 21 ff.) bezeichnet man diesen Vorgang als gegenseitige Kommunikation im Unterschied zur einseitigen Kommunikation (etwa einem Vortrag), wo ein derartiger Rollentausch nicht stattfindet.49 Ein Gespräch zwischen Menschen stellt sich somit als eine Wechselrede zwischen den jeweiligen Kommunikationspartner·innen dar, die mit dem gegenseitigen Tausch der Rollen Kommunikator·in und Rezipient·in verbunden ist. Es ist evident, dass dieser Rollentausch zugleich auch ein Wechseln der kommunikativen Handlungsform darstellt: Sobald ein·e Kommunikationspartner·in die Rolle de·r Rezipient·in mit der Rolle de·r Kommunikator·in tauscht, wechselt er·sie von der Verstehens-Handlung in die Mitteilungs-Handlung (und umgekehrt).
Mit Blick auf das hier interessierende Feedbackprinzip wird also deutlich, dass der Wechsel von der Verstehens- in die Mitteilungshandlung (in der gegenseitigen Kommunikation) als explizite Ergänzung der (ohnehin stets vorhandenen) impliziten Reziprozität von Kommunikation begriffen werden kann.
Eng verbunden mit dieser Reziprozität ist noch ein weiteres Kennzeichen von Kommunikation, das unter der Bezeichnung Reflexivität (Rückbezüglichkeit) firmiert. Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass nicht nur die wahrnehmbaren Handlungen der Kommunikationspartner·innen den Kommunikationsprozess steuern, sondern darüber hinaus auch die (wechselseitig) vorhandenen (oder auch unterstellten) Erwartungen ebendieser Kommunikationspartner·innen.
So erwartet die Dozent·in, sobald sie im Hörsaal mit ihrer Vorlesung beginnt, dass die Hörer·innen ihr bzw. ihren Inhalten Aufmerksamkeit widmen – und im Gegenzug erwarten die Hörer·innen von der Dozent·in, dass sie diese (angekündigte) Vorlesung auch hält.
Die Reflexivität entsteht nun dadurch, dass sich die wechselseitigen Erwartungen der jeweiligen Kommunikationspartner·innen miteinander verschränken. „Der Partner reagiert nicht mehr allein auf die Wahrnehmungen des anderen, sondern steuert sein Handeln auch durch die Antizipation des Handelns des anderen – er orientiert sich nämlich an sogenannten Erwartungs-Erwartungen: Er handelt (kommuniziert) so und so, weil er glaubt, dass der andere glaubt, dass er glaubt, diese oder jene Gründe dafür zu haben. Oder: A nimmt wahr, dass B wahrnimmt, wie A wahrnimmt“ (Merten 1977: 63).
Die im Hörsaal versammelten Studierenden (A) erwarten also von der Dozent·in (B) nicht bloß, dass sie mit ihrer Vorlesung beginnt, sondern sie (A) erwarten ebenfalls, dass die Dozent·in (B) erwartet bzw. unterstellt, dass die Studierenden (A) genau dies auch von ihr (B) erwarten.
Diese Reflexivität von Kommunikation (hier: in ihrer sozialen Dimension)50 mutiert bei öffentlichen, über Massenmedien vermittelten Aussagen schließlich zu einer „Reflexivität des Wissens“ (Merten 1977: 147): Jeder Rezipient einer massenmedial verbreiteten „Aussage weiß dann, dass nicht nur er, sondern auch andere diese Aussage rezipiert haben, jeder weiß also, was die anderen wissen können oder sogar: dass sie wissen können, dass er weiß, was sie wissen“ (Merten ebd.). Themen, die via Massenkommunikation publiziert worden sind, können als bekannt gelten, d. h., „es kann vorausgesetzt werden, dass sie als bekannt bekannt sind“ (Luhmann 1996: 29). – Diese „Unterstellung universeller Informiertheit“ (Luhmann 1981: 314) scheint im 21. Jahrhundert mit der Vervielfachung der Kanäle sowie der explosionsartig vermehrten onlinebasierten Informationsquellen paradoxerweise zu schwinden (vgl. etwa Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2009). Darauf wird weiter unten (Kap. 5.2) näher eingegangen.
1Es wird daher hier weder ein Überblick noch eine synoptische Darstellung bisheriger Definitionsversuche gegeben. Diesbezüglich Interessierte seien neuerlich auf die profunde (und immer noch informative) Analyse von Klaus Merten (1977) verwiesen, der dort (insbes. S. 42–89) 160 unterschiedliche Definitionen von Kommunikation anführt und miteinander vergleicht.
2Dieses „schizophrene Dilemma“ im Watzlawick’schen Sinn entsteht aus der praktisch „unmöglichen Aufgabe, jede Mitteilung zu vermeiden und gleichzeitig zu verneinen, dass … [dieses, RB] Verneinen selbst eine Mitteilung ist“ (ebd.). Für psychopathologische Kontexte „gestörter“ Interaktion, mit denen Paul Watzlawick in seiner Rolle als Psychotherapeut zu tun hatte, ist ein derart weit gefasster Kommunikationsbegriff wohl angemessen. Außerhalb derartiger Situationen gilt er jedoch nur fallweise – wenigstens nicht axiomatisch (wie mir Watzlawick selbst in einem persönlichen Gespräch in den späten 1970er Jahren in Wien attestierte).
3Zielorientiert ist freilich das Verhalten aller Lebewesen (Tiere und Menschen). Die hier mitzudenkende Intentionalität menschlichen Handelns bedeutet jedoch darüber hinaus, dass die jeweils angestrebten Ziele auch bewusst verfolgt werden (können), während die Zweck- und Zielgerichtetheit tierischer Verhaltensweisen als überwiegend instinktgebunden gilt (vgl. dazu etwa Darlington 1971, Leroi-Gourhan 1980, Lorenz 1973, Riedl 1980).
4Kommunikation zwischen (und mit) Tieren hebt sich hier bereits durch die Einführung des Handlungsbegriffes ab: Tiere haben kein „Bewusstsein“ im menschlichen Sinn – d. h., sie verfügen nicht über die Möglichkeit zur Selbstreflexion und verhalten sich daher instinktgebunden. Animalische Kommunikation verharrt damit auf der Stufe sozialen Verhaltens. Der aktuelle Stand der Forschung besagt noch immer, dass nur der Mensch über jene Fähigkeit zur Metakommunikation verfügt, die untrennbar mit Bewusstsein und Sprache verbunden ist (vgl. dazu z. B. Bouissac 1993, 2010; Claessens 1970, Tomasello 2011).
5Erhellend ist, wenn man an die etymologische Bedeutung von „Kommunikation“ erinnert: Das lateinische Verbum „communicare“ wird mit „etwas gemeinsam machen“, „mit jemandem teilen“, „teilnehmen lassen“, „mitteilen“ oder „Anteil haben“ übersetzt. Ganz in diesem ursprünglichen Sinn will auch hier „kommunikatives Handeln“ verstanden werden: Ein kommunikativ handelnder Mensch will (mindestens einen) andere(n) an seinen zu vermittelnden Bedeutungen „Anteil haben“ lassen. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass der hier verwendete Begriff des „kommunikativen Handelns“ zwar nicht im diametralen Widerspruch zum Begriffsverständnis in der „Theorie des kommunikativen Handelns“ von Jürgen Habermas (1981) steht, sich aber nicht vollkommen mit diesem deckt. Auf die Habermas’sche Theorie wird weiter unten (insb. Kap. 8.3.2.2 und 8.4.2) noch ausführlich eingegangen.
6Diese Behauptung soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein Idealzustand angesprochen ist, an den man sich bestenfalls annähern kann, der aber (wahrscheinlich) niemals vollkommen realisierbar ist (vgl. dazu auch: Burkart 2013a). Dies wird an mehreren Stellen des vorliegenden Buches deutlich werden (v. a. mit Blick auf die individuelle Interpretationsbreite von Symbolen).
7Die Implikationen eines derartigen Anspruchs – insbesondere für sprachliche Kommunikation – werden weiter unten (Kap. 3.1) ausführlich diskutiert.
8In sprachlicher Hinsicht ist damit die kommunikative Kontaktfunktion („phatische“ Sprachfunktion) angesprochen – vgl. dazu weiter unten Kap. 3.1.
9Der Terminus „analytische Trennung“ will darauf verweisen, dass es sich bei der Differenzierung der beiden Ebenen kommunikativer Intentionalität um ein „künstliches“ – zum Zweck der Analyse vorgenommenes – Auseinanderteilen von Merkmalen handelt, die in der (kommunikativen) Realität stets gemeinsam auftreten.
10Es gibt durchaus unterschiedliche Auffassungen, ob Interaktion oder Kommunikation der weitere Begriff ist. Dennoch scheint es im Hinblick auf das hier zu entwickelnde Verständnis von Kommunikation sinnvoll, Interaktion als den allgemeineren Begriff zu verwenden (wie auch bereits Lundberg 1939). – Einen Überblick diesbezüglich divergierender Positionen gibt Merten (1977: 64 f.). Vgl. dazu auch: Jäckel 1995, Goertz 1995, Graumann 1972: 1118, Neuberger 2007a, Quiring/Schweiger 2006.
11Auf die damit angesprochene „Reziprozität“ (Wechselseitigkeit, Wechselbezüglichkeit) von Kommunikation wird weiter unten (Kap. 2.6) ausführlich eingegangen.
12Wenn jemand sagt „Ich hatte mit meinen Drohungen Erfolg“, dann unterstellt er·sie nicht nur, dass er·sie verstanden wurde, sondern bewertet damit auch gleich das Eintreten der beabsichtigten Wirkung (= die Realisierung seiner·ihrer Interessen) – etwa dass sich eine andere Person aufgrund von Drohungen entsprechend verhalten hat.
13Ich beziehe mich in der Folge auf meine Argumentation in Burkart 2013a: 136 f.
14Kein Widerspruch zu dieser Behauptung ist der Umstand, dass Werbung (insb. Imagewerbung) bisweilen auch spielerisch mit diesem Verständigungsanspruch umgeht, indem sie ihn bewusst missachtet – also mit Unverständnis kalkuliert und genau dadurch die erwünschte Aufmerksamkeit provoziert, die ein Verständigungsprozess erfordert. Als „klassisch“ kann in diesem Zusammenhang die Image-Werbelinie des österreichischen Schuhhandelsunternehmens Humanic („franz“) in den 1970er Jahren gelten (zu dieser speziellen Werbung von Humanic vgl. Doczy 2009). Ein halbes Jahrhundert nach ihrer Kreation und Erstausstrahlung erlebte diese Werbelinie der Grazer Leder&Schuh AG (im Mai 2021) übrigens ein Remake.
15Es gibt aber auch eine spiritistische Bedeutungsvariante: Jemand, der mit der Geisterwelt (Verstorbener) in Verbindung steht, der also zwischen Lebenden und Toten vermittelt. Der Große Brockhaus von 1932 differenziert diese übersinnliche Bedeutung im physikalischen (Klopflaute, Telekinese, Tischrücken) und im psychologischen Sinn (als willenloses Sprechen und Schreiben). Im Brockhaus von 1955 findet man dann auch eine grammatikalische, physikalische, spiritistische und parapsychologische Begriffsinterpretation (Faulstich 1991: 8 f.; weiterführend: Hoffmann 2002).
16Ganz grundsätzlich kann ein auditiver (oder vokaler), visueller, taktiler, olfaktorischer, thermaler und gustatorischer Kanal unterschieden werden (vgl. Pürer/Springer/Eichhorn 2015: 21 ff., Kunczik/Zipfel 2005: 37 f.).
17Abseits dieser technischen Perspektive muss Mediengeschichte aus sozialwissenschaftlicher Perspektive freilich auch als Teil einer allgemeinen Kommunikationsgeschichte begriffen (und betrieben) werden. Vgl. näher dazu: Duchkowitsch 2014a, Schmolke 2015 oder das umfassende Werk von Wilke 2008.
18Sie ist zwar nicht grundsätzlich „falsch“, denn ohne (physikalische) Transfermittel (wie Luft, Licht, Wasser, Papier, Strom bzw. elektrische Impulse) wäre Kommunikation praktisch verunmöglicht (vgl. Bentele/Beck 1994: 30 f.), die „Transport-“ oder „Container-Metapher“ suggeriert aber, auch Zeichen (Wörter, Sätze) würden wie Behälter fungieren, aus denen man objektiv bestimmbare Bedeutungen nur zu entnehmen bräuchte. Diese simple Vorstellung wird der Komplexität der menschlichen Kommunikation jedoch keinesfalls gerecht (vgl. dazu auch: Beck 2006: 12 ff., Krippendorff 1994: 85 ff., Merten 1999: 54 ff.).
19Wir nehmen niemals ein Objekt „an sich“ wahr, unsere Wahrnehmung erfolgt stets durch ein Medium vermittelt: „Wäre kein Medium vorhanden (kein Schall, kein Licht), gäbe es keine Wahrnehmung bzw. es herrschte absolute Stille bzw. Dunkelheit“ (Merten 1999: 139).
20Latzer unterscheidet zwei historisch gewachsene Konvergenzstufen (1997: 60 ff.) oder ko-evolutionäre Entwicklungen (2013: 241 ff.): Zunächst das Zusammenwachsen von Telekommunikationstechniken mit dem Computer zur Telematik (= Telekommunikation + Informatik) und dann die Verflechtung dieser Techniken mit dem Rundfunk zur Mediamatik (= Telematik + elektronische Medien). Analytisch unterscheidet er drei Ebenen der Konvergenz (1997: 75 ff.): die technische (Netzebene), die funktionale (Dienste-Ebene) und die unternehmensbezogene (Firmenebene).
21Vorläufer waren übrigens der aus dem Jahr 1996 stammende „Nokia Communicator 9000“ sowie der „Simon Personal Communicator“ von IBM aus dem Jahr 1994, der allerdings noch über keine Internet-Verbindung verfügte (Janssen 2014, ORF 2016).
22Zur wachsenden Interaktivität vgl. Bieber/Leggewie 2004, Goertz 1995, Höflich 1996 (S. 61 ff.), Neuberger 2007a, Quiring/Schweiger 2006 – auf Unternehmenskommunikation bezogen: Krzeminski/Zerfaß 1998.
23Die Frage, ob man – etwa mit Blick auf Hasspostings und Shitstorms (Haarkötter 2014) – besser von „unsozialen“ Medien (Harramach/Prazak 2014, Kettl-Römer 2012) sprechen sollte, wird hier nicht thematisiert, weil „sozial“ hier nicht alltagssprachlich (etwa im Sinne von karitativ) gemeint ist, sondern im (oben eingeführten) soziologischen Sinn wertneutral verwendet wird.
24Einen systematischen Überblick kommunikations- und medienwissenschaftlicher Grundverständnisse des Medienbegriffes bietet Mock (2006).
25Die Begriffe „Massenmedium“ und „Massenkommunikation“ werden weiter unten (Kap. 5.1) ausführlich diskutiert.
26Auf den Zeichenbegriff wird im darauffolgenden Kap. 2.5 ausführlich eingegangen.
27Am Beispiel der Online-Auftritte von Printmedien wird dies (mit Blick auf die oben erwähnte Konvergenz) sehr schön deutlich: Längst stellen Printmedien im Rahmen ihres Webauftritts ebenso Bewegtbilder (ähnlich dem Fernsehen) bereit und nicht selten gibt es auch Live-Berichte (etwa in Form von Blog-Einträgen aus Gerichtsverhandlungen, Parlamentsdebatten u. Ä.).
28Die verschiedenen Funktionen der Massenmedien werden weiter unten (Kap. 5.6) diskutiert, dort wird auch auf die Unterscheidung zwischen Eu- und Dysfunktionalität (vgl. auch Saxer 2012a) eingegangen.
29Saxer publizierte diese Definition erstmals bereits 1980 (Saxer 1980b: 532).
30Zum Zeichen-Begriff vgl. z. B. Boeckmann 1994, Eco 1995, Glück/Rödel 2016: 782 ff., Nöth 2000: 131 ff., Pelz 2013: 39 ff., Schaff 1968: 27 und 1973: 145 f.
31Zu den Hinweisen auf den Soziologen Alfred Schütz (1971: 359) als auch vorhin auf den Philosophen Edmund Husserl (1890/1970: 345 ff.) siehe Bentele (1984: 99) sowie Nöth (2000: 37 ff.).
32Die vielerorts übliche (vgl. etwa Steinmüller 1977) Trennung in natürliche und konventionelle Zeichen wird derartigen Ausnahmen nicht gerecht und wurde daher hier nicht übernommen (vgl. dazu auch: Schaff 1973: 156, Fn. 3). Hier spielt auch die Unterscheidung zwischen analogen (nonverbalen) und digitalen (verbalen) Zeichen hinein (Vgl. dazu näher im Kap. 8.4.3 die Erläuterungen zum 4. Watzlawick’sche Axiom).
33Aliquid stat pro aliquo (etwas steht stellvertretend für etwas anderes), so lautet auch die ursprüngliche Definition von Zeichen, die man bis in die mittelalterliche Scholastik zurückverfolgen kann (vgl. Pelz 2013: 39).
34Eine Ausnahme bilden hier allerdings die soeben erwähnten ikonischen Zeichen.
35Angesichts der „Plurifunktionalität des Zeichens“ hat der US-amerikanische Semiotiker Charles Sanders Peirce bereits Ende des 19. Jhdts. festgestellt, dass eigentlich nur im Einzelfall entschieden werden kann, welcher Klasse ein Zeichen angehört (Nöth 2000: 143).
36Es lassen sich hier zwei Auffassungen vertreten: Einerseits kann man das animalische Signal der Klasse der natürlichen Zeichen zuordnen. In diesem Fall sieht man es als Anzeichen oder Symptom dessen, worauf es verweist: So könnte man das Ausstoßen von Angstlauten durch Tiere, die sich in Gefahr befinden, von ebendieser Gefahr kausal verursacht sehen. Obwohl diese Angstlaute für andere Tiere als Signal (z. B. zur Flucht) fungieren, sind sie aber eigentlich nicht zum Zweck der Kommunikation entstanden, sondern sind Teil eines instinktiv ablaufenden (= natürlichen) Prozesses (vgl. dazu z. B. Schaff 1973: 159). Andererseits kann man argumentieren, dass animalische Signale der Klasse der künstlichen Zeichen zuzuordnen sind, weil sie im Laufe der Evolution gerade zum Zweck der (überlebensnotwendigen) Kommunikation entstanden sind: Erst die Möglichkeit, Signale produzieren zu können, eröffnet ja z. B. den Bienen die Chance, ihre Futtersuche zu koordinieren und dadurch ihren Fortbestand sichern zu können.
37„Dies gilt für die einfachen Lock-, Warn- und Paarungsrufe der Vögel ebenso wie für die relativ differenzierte Tanzsprache der Bienen (…). Dies gilt für den Fall, dass Signale, wie etwa die Tanzbewegungen der Bienen, angeboren sind, aber auch für den Fall, dass sie, wie der Artgesang der Amseln, durch Nachahmung erworben werden. Dies gilt auch, wenn das Tier im Zusammenleben mit dem Menschen lernt, menschliche Worte als Signale seiner eigenen Bedürfnisse zu gebrauchen oder auf menschliche Worte als Signale mit bestimmten Verhaltensweisen zu reagieren“ (Zdarzil 1978: 47).
38Strenggenommen kann man ja bereits im Hinblick auf den signalhaften Zeichengebrauch Unterschiede im Kommunikationsgeschehen zwischen Mensch und Tier anführen. Wenn ein Verkehrspolizist einen Fußgänger mit einer Handbewegung zum Überqueren einer Kreuzung veranlasst, dann scheint er ähnlich zu agieren wie z. B. ein Hirsch, der durch Röhren seine Herde zur Flucht antreibt. Aber dennoch ist die Qualität des Kommunikationsprozesses eine andere: Hinter der signalhaften Handbewegung des Polizisten verbirgt sich ein bestimmter (absichtsvoll vermittelter) Inhalt (wie etwa: Gehen Sie weiter, es besteht keine Gefahr u. Ä.), den beide Menschen verstehen und sich dessen auch bewusst sind, während den Tieren diese Möglichkeit fehlt (vgl. dazu z. B. Bouissac 1993, Schaff 1973: 159).
39Die Fähigkeit des Menschen, Symbole generieren zu können, ist eng mit seiner Sprachfähigkeit verbunden (Griese 1976: 28 f., Lindesmith/Strauss 1974: 59 f.) und diese Sprachfähigkeit wiederum setzt die mit dem begrifflichen Denken verbundene Fähigkeit zur Abstraktion voraus. Die Gattung „Homo sapiens“ gilt als die einzige Spezies, die diese Fähigkeit im Laufe einer Millionen Jahre dauernden Evolution entwickeln konnte. – Im Kap. 4 wird auf den Stellenwert dieser Fähigkeit im Verlauf der Anthropogenese näher eingegangen.
40Treinen hat das Symbolphänomen am Beispiel der Bedeutung von Ortsnamen untersucht und dabei nachgewiesen, dass sie „für verschiedene Kategorien und Gruppen von Menschen verschiedene Bedeutung haben“ (Treinen 1965: 81).
41Auch ein Vorname symbolisiert Verschiedenes: Profile auf Online-Dating-Plattformen von Personen mit als unvorteilhaft eingestuften Vornamen werden z. B. deutlich seltener besucht (Gebauer et al. 2011). Außerdem wurde (anhand historischer bzw. kultursoziologischer Analysen) gezeigt, dass Vornamen politische Entwicklungen sowie die Bedeutung von Religion und Kirche in sich tragen (Gerhards 2003).
42Da die posthum veröffentlichten Vorlesungen von G.H. Mead (1968) einer gewissen Unsystematik nicht entbehren, sei als Ergänzung auf die übersichtliche Darstellung des Ansatzes bei Blumer 2015 verwiesen. Siehe auch: Bude/Dellwing 2013, Helle 1977, Richter 2016: 169 ff., Rose 1967. Auf den Symbolischen Interaktionismus wird im vorl. Buch auch noch weiter unten (insb. Kap. 4.2.3 und 8.3.2.1) eingegangen.
43Erwähnenswert scheint in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von „Ding“ und „Gegenstand“: Nach Plessner (zit. n. Zdarzil 1978: 43) nimmt das Tier nur „Dinge“ wahr, der Mensch dagegen erkennt „Gegenstände“, d. h. er ist in der Lage, die Brauchbarkeit, den Stellenwert u. ä. – eben: die Bedeutung der „Dinge“ gedanklich zu fassen.
44An dieser Stelle ahnen wir erstmals, wie komplex Verständigungsprozesse ablaufen und dass man den (vermeintlichen) Idealzustand der völligen Deckungsgleichheit von Bedeutungsvorräten wohl nur annäherungsweise erreichen und daher niemals voraussetzen kann (vgl. auch Burkart 2013a).
45Eine tiefgehende Auseinandersetzung mit Reziprozität aus soziologischer Perspektive hat Stegbauer (2011) vorgelegt.
46Man kann ja zum Kommunikationserfolg – wie bereits weiter oben (Kap. 2.3) erwähnt – auch das Eintreten der beabsichtigten Wirkung zählen, die aus einer angemessen verstandenen Mitteilung resultiert.
47Zum systemtheoretischen Denken in der Kommunikationswissenschaft vgl. stellvertretend und einführend Saxer (2015).
48Als Beispiel für einen typischen Regelkreis (mit Feedbackschleife) wird gern auf den Thermostaten als Wärmeregler in einem Heizungssystem verwiesen (vgl. z. B. Merten 1999: 87).
49Neben dieser gegenseitigen und einseitigen Kommunikation unterscheidet Maletzke (1963: ebd.) auch noch zwischen direkter (= die Partner·innen begegnen einander leibhaftig von Angesicht zu Angesicht), indirekter (= die Partner·innen sind räumlich oder zeitlich oder raum-zeitlich voneinander getrennt), privater (= der·die Aussagende richtet sich an eine begrenzte Anzahl von eindeutig definierten Personen) und öffentlicher Kommunikation (= der Empfänger·innenkreis ist weder eng begrenzt noch klar definiert). – Auf diese Differenzierung sowie auf Kombinationsmöglichkeiten zwischen diesen Merkmalen wird noch weiter unten (Kap. 5) im Rahmen der Auseinandersetzung mit Massenkommunikation näher eingegangen.
50Luhmann (1970: 121 ff.) unterscheidet außerdem Reflexivität in sachlicher (Kommunikation über Kommunikation) und in zeitlicher (Feedback – die Folgen von Kommunikation wirken auf ebendiese zurück) Hinsicht (vgl. auch Merten 1977: 86 ff. sowie 1999: 107 ff.).