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5. Kapitel

Erik Galland betrat das voll besetzte Café am Goslarer Marktplatz. Er brauchte einen Moment, ehe er Frank Neudeck, seinen Kontaktmann, entdeckte. Natürlich saß der wie immer an einem strategisch günstig gelegenen Platz. Von da hinten konnte er den Eingang im Auge behalten und den gesamten Raum überblicken, ohne selbst sofort gesehen zu werden. Vermutlich war es von Neudecks Tisch aus auch nur wenige Schritte bis zu den Toiletten. Solche Details waren ihm wichtig bei der Wahl des Tisches.

Der Mann fand immer wieder neue Orte für ihre Besprechungen, wählte nur äußerst selten einen Treffpunkt zweimal. Erik blieb kurz am Eingang stehen und ließ seine Augen durch das Café wandern. Dann schlängelte er sich zwischen den Gästen hindurch, steuerte auf Neudeck zu.

„Hallo Frank. Nett hier“, sagte er zur Begrüßung.

„Setz dich“, entgegnete Neudeck schroff, ohne den Gruß zu erwidern.

Erik zog überrascht die Augenbrauen hoch und quetschte sich auf den Stuhl in der engen Nische zwischen Tisch und Wand. „Schlechte Laune?“, fragte er

bissig. Er mochte es nicht, herumkommandiert zu werden.

„Was ist mit Knoche passiert?“, kam Neudeck sofort zur Sache. „Wer hat ihn ausgeknipst, verdammt? Habt ihr ihn liquidiert? Du und deine Kameraden?“

„Das Gleiche wollte ich von dir wissen. Lag ja nahe, dass du mich deswegen hast kommen lassen. Also, ich war’s nicht. Und dein Verein?“

„Nein, verdammt!“, fauchte Neudeck. „Würde ich dich sonst fragen?“

Der Mann wirkte nervös, wich seinem Blick aus, sah an ihm vorbei in den Gastraum.

„Ist ja gut“, beschwichtigte Erik. „Ich hab ihn jedenfalls nicht plattgemacht.“

„Sagt keiner, dass du das warst. Ich will wissen, ob ein anderer von euch dahintersteckt. Und wenn ja, warum?“

„Wer denn? Für die Jungs aus der regionalen Szene war er ein unbeschriebenes Blatt. Ein Zugereister, der nicht groß aufgefallen und keinem in die Quere gekommen ist.“

„Und was hört man von seinen beiden speziellen Freunden?“

„Keine Ahnung. Ich hatte mit denen bisher nichts weiter zu tun. War allein mit Dietmar beschäftigt.“

„Haben die Typen sich vielleicht bei Monas Mädchen ausgeheult? Weißt du davon irgendwas?“

„Nein! Aber ich renne auch nicht jeden Tag in ihren Puff! Ich habe Frau und Kind!“

Ach ja, Mona! Was würde er ohne sie machen! Ihr Bordell war Anlaufstation für die sexuell notleidenden und bedürftigen Kameraden der rechten Szene und außerdem ein Sammelbecken für alle möglichen Gerüchte und In­trigen, aber auch für handfeste Tipps. Erik kannte Mona schon etliche Jahre, hatte selbst in ihrem Etablissement immer mal Dampf abgelassen, wenn ihm danach war – bevor er Rike kennengelernt hatte. Jetzt waren er und die Bordellchefin nur noch beste Freunde und weiter, als bis an die Bar im Foyer ihres Hauses zog es ihn kaum noch. Er wusste, dass Monas Ohren für Mitteilungsbedürftige weit geöffnet waren, ebenso wie ihr Mund für Außenstehende fest verschlossen blieb. Innerhalb ihres hermetisch abgeriegelten Refugiums bekam man jedoch gelegentlich die eine oder andere brauchbare Information, wenn man ihr Vertrauen genoss. Und Erik gehörte zum Glück zu diesem erlauchten Kreis. Gelegentlich tat es ihm leid, dass er die Bordellchefin für seine Spitzeltätigkeiten missbrauchte. Das hatte sie nicht verdient, die gute Seele. Aber sie war nun mal fest im rechten Lager verwurzelt und kämpfte auf ihre Art für die rechtsnationale Sache. Nun, jeder Mensch musste sich irgendwann entscheiden. Er, Erik, hatte es getan – zu ihrem Pech für die Gegenseite.

Mona war es auch gewesen, die ihm das mit dem angeblich so großen Unternehmen gesteckt hatte. Die drei Kerle waren eines Tages bei ihr aufgekreuzt. Dietmar, Oliver und Patrick. Niemand kannte sie näher. Immerhin, sie waren stramm rechts orientiert, wären ansonsten auch nicht eingelassen worden. Erik hatte seine Informationen sofort an Neudeck weitergegeben, der für seine Verhältnisse ungewöhnlich nervös und hektisch auf die Nachricht reagiert hatte. Er war von ihm umgehend auf Dietmar Knoche angesetzt worden. Einfach, weil es sich anbot. Knoche hatte wenige Wochen zuvor den Marktleiterposten im Elbingeröder Edeka-Markt übernommen, dem Markt, der zu den Kunden des Kurierdienstes gehörte, bei dem er, Erik, arbeitete.

„Vielleicht solltest du dich trotzdem etwas öfter bei Mona blicken lassen“, meinte Neudeck.

Der Mann war echt lustig! Wie sollte er solche zusätzlichen „Überstunden“ Rike erklären? Sein Kontingent an Ausreden war allmählich erschöpft.

„Was soll das bringen? Ich bin mir sicher, die drei haben die ganze Verschwörungsscheiße sowieso nur erfunden, um vor Mona und ihren Mädchen auf dicke Hose zu machen.“

Neudeck sah das anders. „Glaube ich nicht. Ich bin mir sicher, die haben irgendein großes Ding am Laufen. Dietmar ja jetzt nicht mehr, aber Oliver und der dritte, dieser ...“

„Patrick.“

„Richtig, Patrick. Und ich wette mir dir, das sind nicht alle. Da gehören noch weitere dazu. Okay, die drei haben einfach gequatscht, vage Andeutungen gemacht, nichts Genaues, das ist klar. Aber eben genug, um Interesse zu wecken. Weil du manchmal irgendwo hinmusst mit den ganzen Geheimnissen, die auf dir lasten und die du nicht ausplaudern darfst. Monas Bordell ist ja wohl ein Ort der Verschwiegenheit, dazu sind die Chefin und ihre Mädchen im besten Sinne linientreu. Hast du jedenfalls gesagt. War das nicht so, dass bei ihr keiner über die Schwelle treten darf, der keinen Ariernachweis vorlegen kann?“

Erik nickte. „Nicht ganz so streng, aber so ungefähr.“

„Also, ich denke, die drei haben keine Märchen erzählt. Deshalb wirst du auch weiter versuchen, in den inneren Zirkel einzudringen.“ Neudeck klang nicht so, als wolle er mit sich verhandeln lassen. „Musst du dich eben an die anderen beiden halten, jetzt, wo der Marktleiter ausfällt.“

Die Kellnerin kam und brachte Kaffee. Neudeck hatte in weiser Voraussicht zwei große Tassen bestellt, dazu für jeden ein Stück Käsetorte.

„Ich hoffe, ich habe deinen Geschmack getroffen.“

„Ja. Danke.“ Erik nickte und stach mit der Gabel etwas vom Kuchen ab. Dann schwiegen sie eine Weile.

„Hat der Marktleiter vor seinem Dahinscheiden vielleicht doch noch irgendwas von sich gegeben, was für uns von Belang ist?“, nahm Neudeck das Gespräch wieder auf. „Du warst schließlich am Nachmittag vor seinem Tod bei ihm, hast vermutlich als einer der Letzten mit ihm gesprochen. Erinnere dich. Jede Kleinigkeit ist wichtig.“

Erik verdrehte die Augen. „Nein, verdammt. Sonst wüsstest du es längst. Gesetzt den Fall, er gehörte so einer Art Geheimarmee an, dann war er vermutlich nur ein kleiner Soldat. Einer, der nicht wirklich wusste, worum es geht. Nur bemüht, brav seine Befehle auszuführen und die Klappe zu halten.“

„Hm. Ja, kann sein. Aber auch kleine Soldaten wissen manchmal überraschend viele Dinge. Zu viele Dinge. Und dann müssen sie plötzlich sterben.“

„Nicht Dietmar. Sein Tod muss andere Gründe haben.“

„Wenn du das sagst ...“

Neudeck traute ihm nicht. Nach wie vor. Erik nahm es ihm nicht übel. Dieser Argwohn beruhte auf Gegenseitigkeit. Wahrscheinlich gab es in Verbindungen, wie sie beide sie pflegten, so etwas nicht – Vertrauen. Man war aufeinander angewiesen, ja. Vielleicht sogar voneinander abhängig. Aber Vertrauen? Besser nicht.

„Na schön“, fuhr Neudeck nach kurzem Zögern fort, „dann sieh zu, dass du über die anderen zwei endlich an brauchbares Material gelangst. Und das möglichst schnell.“

„Mann, ich muss vorsichtig sein, das weißt du. Es ist kompliziert. Ich brauche Zeit.“

„Zeit, die wir nicht haben“, entgegnete Neudeck fordernd. „Wir müssen herauskriegen, wer noch zu der Truppe gehört und was sie planen. Also, riskier was. Mach dich interessant für den Verein. Vielleicht nehmen sie noch Leute bei sich auf.“

„Ausgerechnet du sagst mir, ich soll auf Risiko gehen? War nicht genau das Gegenteil bisher deine Maxime?“

„Ist es immer noch. Aber die Informationen unserer anderen Quellen deuten darauf hin, dass irgendwas im Busch ist. Wir wissen aber weder was, noch wo und wann. Dazu möchte ich von dir etwas hören.“

Erik stöhnte auf. „Verdammt, Frank, das geht nicht so hopp-hopp! Ich muss mich bedeckt halten, wenn ich nicht auffliegen will.“

„So, wie in diesem Edeka-Markt?“, ätzte Neudeck. „Was ist dir eigentlich in den Kopf gekommen, ausgerechnet da durch Knoches Laden zu latschen und einzukaufen? Hättest du nicht woanders hingehen können?“

Erik zuckte zusammen. „Du lässt mich überwachen?“, fauchte er. „Was soll das?“

Neudeck antwortete nicht auf die Frage. Stattdessen sagte er: „Wenn wir schon von Risikominimierung sprechen, dann sieh du erst einmal zu, dass du dich nicht selber unnötig in die Schusslinie bringst. Was glaubst du eigentlich, was die Damen und Herren von der Kripo nach dem Mord an Knoche als Erstes gemacht haben? Schon mal was von den Überwachungskameras gehört, die überall in dem Laden herumhängen und die garantiert auch jeden deiner Schritte verfolgt haben? Dazu deine Kurierdienstmontur. Das Firmenlogo ist bestimmt auf irgendeinem der Bilder zu sehen gewesen.“

„Ja und?“ Erik konnte kein Problem erkennen. „Ich war nur einer von vielen Kunden. Knoche wurde erst später ermordet. Nach Ladenschluss, soweit ich weiß.“

„Genau. Nach Ladenschluss. In seinem Büro. Was hätte also eine wichtigere Rolle bei der Recherche gespielt als die Videos? Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass sowohl Knoche als auch du als Aktivisten der rechten Szene vermutlich registriert seid? Ihr seid alle keine unbeschriebenen Blätter. Hätte man dich erkannt, wäre eine Verbindung schneller hergestellt worden, als du denkst. Du kannst dich freuen, dass die von der Kriminaltechnik keine verräterischen Spuren von dir in der ganzen Sauerei gefunden haben. Wäre ja durchaus möglich gewesen, so oft, wie du bei ihm ein und aus gegangen bist.“

„Ich hatte geschäftlich mit ihm zu tun. Als Kurierfahrer. Was heißt überhaupt Sauerei?“

Neudeck winkte ab. „Nicht so wichtig. Mein Kontakt bei der Kripo hat mir nur was von Folter gesagt. Mit viel mehr wollte er nicht rausrücken. Jetzt fragen die sich natürlich, wer ihn so zugerichtet hat. Und warum. Es muss jemand sein, der wusste, an welchem Tag im Monat Knoche nach Ladenschluss immer in seinem Büro bleibt und die Buchführung erledigt.“

„Da kommen einige zusammen. Seine Angestellten zum Beispiel. Du übrigens auch.“

Neudeck lachte auf. „Mich schließen wir doch wohl aus dem Kreis der Verdächtigen aus, oder? Und seine Angestellten kannst du auch vergessen. Wenn, dann gerät die rechte Szene sehr schnell in den Fokus, das kann ich dir garantieren. Sobald die Knoches Lebenslauf gecheckt haben, steht die Ermittlungsrichtung fest. Ich bin mir sicher, die gehen von einer internen Abrechnung aus.“

Erik schluckte nervös. „Dann wäre es wohl besser, ich gehe erst mal ganz auf Tauchstation.“

„Keine Bange, mein Lieber. Die Herrschaften sind auf einer anderen Spur. Vorerst. Bei Knoche zu Hause wurde, oh Wunder, einiges an Rauschgift gefunden. Weit über den Eigenbedarf hinausgehend. Dazu hat die Soko einen kleinen Hinweis bekommen, der sie eine Weile von deinen alten Kameraden ablenken wird. Und dich kriegen die so schnell auch nicht auf den Schirm. Ich werde auch weiterhin dafür sorgen, dass sie uns nicht in die Quere kommen und ins Handwerk pfuschen.“ Neudeck stand unvermittelt auf. „Für dich ändert sich also erst einmal nichts. Du bleibst an diesem komischen Geheimbund dran“, sagte er scharf. „Finde raus, was da gespielt wird.“ Er kramte sein Portemonnaie hervor, ließ es aber gleich wieder in der Tasche verschwinden. „Weißt du was? Heute zahlst du.“ Er deutete auf Eriks Vollbart. „Und kratz dir endlich diese elende Wolle aus dem Gesicht. Sonst kommt irgendwann einer auf die Idee, du könntest was mit unseren islamistischen Freunden zu tun haben. Obwohl ... so groß ist der Unterschied zwischen deinen rechten Frontkämpfern und denen ja auch wieder nicht. Trotzdem, schon komisch, dass deine Kameraden diesen IS-Look bei dir dulden.“ Er tippte sich kurz an die Schläfe. „Ich melde mich.“ Damit drehte er sich um und verschwand.

Erik hatte es nicht eilig zu zahlen. Er blieb noch eine Weile sitzen, starrte in seinen halb leeren Kaffeepott. Vor den Beamten der Mordkommission musste er sich also nicht fürchten, wenn er Neudeck richtig verstanden hatte. Aber wie war das mit den Kameraden aus den eigenen Reihen? Ganz offensichtlich vermutete Neudeck dort den Mörder. Was war nur geschehen, dass Knoche beseitigt werden musste? Hatte es irgendetwas mit ihm und mit seiner Verbindung zu dem Marktleiter zu tun? War jemand dahinter­gekommen, dass er für Neudeck arbeitete? Doch wenn, wäre dann nicht eher er, Erik, das Opfer gewesen anstelle von Knoche? Nein, so ging die Gleichung nicht auf. Dietmar musste auf andere Weise zur Bedrohung für die Kameraden geworden sein.

Eine Begebenheit drängte sich plötzlich wieder in seine Gedanken, der er bislang keine Bedeutung beigemessen hatte. Er hatte die Frau längst wieder vergessen gehabt, nachdem sie ihn mit ihrem Einkaufswagen im Markt über den Haufen gefahren hatte. In der Abteilung mit den Weinen. War sie eine von Franks Leuten gewesen? Eine alte Frau? Hatte sie ihn absichtlich angerempelt? Sie hatte ihn so merkwürdig angesehen, als er sich umständlich aufgerappelt hatte. Besonders sein fehlender Finger schien ihr Interesse geweckt zu haben. Ein seltsamer Blick, der in dem Moment etwas in ihm ausgelöst hatte, was er nicht hätte beschreiben können.

Später, auf dem Parkplatz hatte er die Frau noch einmal bemerkt, als sie am Eingang gestanden und ihm aufgeregt hinterhergewunken hatte. Er hatte nicht gewusst, was sie von ihm wollte, war einfach weitergefahren. Sie verwechselt dich mit jemandem, hatte er da noch gedacht. Jetzt, nach dem Gespräch mit Frank, war er sich nicht mehr so sicher.

Er fuhr sich mit den Fingern durch die drahtigen Haare, die ihm von seinem Kinn fast bis hinunter auf die Brust reichten. Seine Haarpracht war das Überbleibsel eines Anschlagplanes, den er und die Kameraden vor langer Zeit einmal ausgetüftelt hatten. Mit ihm, Erik, in der Hauptrolle. Den Plan hatten sie später wieder verworfen, die Haare waren geblieben. Neudeck hatte recht. Es wurde langsam Zeit, dass er sich den Bart abnahm und die Haare stutzte. Am besten heute noch.

Harzkinder

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