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Gabi holte wieder die Zigaretten hervor, hielt sie Glanzer fragend hin. Auf sein Kopfschütteln, „ich rauche nicht, danke“, zögerte auch sie, klopfte dann aber doch eine aus der Packung, steckte sie an.

„Man sagt immer Erfahrungen machen klug, ich hab aber nichts daraus gelernt. Für mich waren der Michael aus der Sandkiste und jener hübsche junge Mann, der dann mit seinen dreiundzwanzig Jahren braungebrannt aus der Karibik zurückkehrte, zwei verschieden Personen.“

Die Kellnerin kam schnellen Schrittes zum Tisch, legte den Kopf schief, lächelte. „Passt alles? Haben sie noch Wünsche?“ Ihre großen unschuldigen Augen streiften dabei Glanzers feinen Anzug. „Noch einen Tee bitte“, bestellte er und schaute Gabi fragend an. „Noch einen Wein…“ Ihre Stimme klang verhalten, fast abschätzig. „Gerne“, nickte die Kellnerin und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Michael wohnte unweit von uns und war, wie gesagt, Klassenkamerad meiner älteren Schwester. Mit sechzehn begann er eine Kochlehre. Nach der Abschlussprüfung ging er weg. Wollte die Welt sehen. Wurde Frühstückskoch auf einem Kreuzfahrtschiff in der Karibik.

Viel hörten wir nicht von ihm in dieser Zeit, eigentlich gar nichts – was ich darüber weiß, habe ich erst viel später von ihm selbst erfahren.

Er hatte damals zu viel Zeit. Als Frühstückskoch war er auch für die Einkäufe zuständig, aber sonst eben nur für das Frühstück an Bord. Er lieh sich öfter ein Mofa und fuhr damit kreuz und quer über so manche Insel, an der angelegt wurde. Eine dieser Inseln war San Thomas.

Mit einem geliehenen Mofa fuhr Michael zu entlegenen Orten und Winkeln. Knüpfte Kontakt zu Einheimischen. Lernte Englisch und einzelne Wörter der kreolischen Mischsprache. Irgendwann traf er zwielichtige Gestalten. Traf die Kinder alter Piratengeschichten und Seeräuberlegenden, die Ihren Lebensunterhalt mit Schmuggel bestritten. Er ließ sich in ihr Abseits ziehen, erlag dem Reiz dieser unkontrollierbaren Zwischenwelt.

Wenn Michael später mit leuchtenden Augen seine Geschichten von damals erzählte, versuchte ich immer ihn mir vorzustellen, wie er da saß, in dieser verdreckten Hafenkneipe… die Sonne tief über dem Meer, der Abend bricht langsam herein und zwischen dem letzten Cruzan Rum und dem Schiff befinden sich Lichtjahre an Einsamkeit.

In diesen Hafenvierteln, in diesen Kneipen, konnte ein bisschen Trinkgeld alles kaufen. Nicht nur die leichtbekleidete Thekenkraft, sondern auch Cannabis und harte Drogen.

Vielleicht war er tatsächlich so einsam, oder einfach nur neugierig. Irgendwann probierte er alles aus – die weichen und die harten Substanzen und landete gleich beim Heroin.

Er wollte dazugehören, fand es gut und schnupfte mit diesen neuen Freunden öfter. Zog sich damals wohl mehr Straßen rein, als er sich leisten konnte, obwohl er verhältnismäßig gut verdiente. Und so besorgte er immer wieder auch für seine Kameraden und Mitarbeiter Stoff und ließ sich das Risiko die Drogen an Bord zu bringen bezahlen. Was ich so weiß, gingen seine Geschäfte eine ganze Zeit lang gut.

Einige Monate später beschloss er die Heimreise anzutreten, heim nach Linz. Seine letzten paar Kröten hatte er in Heroin investiert und schmuggelte es bis in seine Mansardenwohnung. Er versteckt die Ware unter den Ziegeln neben dem Dachflächenfenster.

Michaels Freunde aber waren nicht annähernd so gut, wie er glaubte. Einer seiner enttäuschten Freunde, der offenbar das Heroin kostenlos, oder zumindest zum Selbstkostenpreis bekommen hatte wollen, verriet Michael. Die Folge davon war ein halbes Jahr Untersuchungshaft und eine bedingte Haftstrafe von zwei Jahren mit strengen Bewährungsauflagen, die zum Entzug führen sollten.

In der Zeit lernte ich dann Michael kennen – oder soll ich sagen wieder kennen…

Er sah aus wie ein Filmschauspieler aus Hollywood. Seine langen, dunklen Locken fielen über seine Schultern und umrahmten das braungebrannte Gesicht, aus dem abenteuerlustige Augen schauten. Michael war kein fader Kerl. Er spielte gut Gitarre, war umgänglich, freundlich und nett. Er fand immer den richtigen Ton, das war auffällig – egal, ob er mit Freunden, Fremden, Alten oder Jungen sprach. Er hatte Ausstrahlung.

Ich fühlte mich – naja – geschmeichelt irgendwie, dass dieser fesche, adrette Mann sich für mich interessierte. Und dumm wie man ist in dem Alter, war ich auch noch stolz darauf, wenn Freundinnen mich sozusagen beneideten.“

Der Medizinmann

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