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Gabi nahm ihr Glas, zittrig führte sie es zum Mund. Beim Trinken schluckte sie umständlich, wie bei starken Halsschmerzen. All die Jahre hatten nichts leichter gemacht. Tränen zeichneten Spuren über das dezent geschminkte Gesicht.

„Gut, dass es Anna gab“, erzählte sie dann leise weiter, „Ein Mädchen aus der Ortschaft, ungefähr in meinem Alter. Sie arbeitete in Innsbruck in einer Textilfabrik, Firma Steinbock Trachtenmoden. Nach der Arbeit kam sie gelegentlich noch auf ein Getränk in die Hotelbar. Wir verstanden uns ganz gut. Anna merkte, wie verstört ich in dem Moment war.

Ich machte aber nur einige Andeutungen. Sagte ihr, dass ich wegwollte, schnellstens, auf der Stelle, am besten keinen Tag länger bleiben. Von Franz’ Übergriff erzählte ich ihr nichts.

Anna wusste, dass bei Steinbock in Neu Rum immer wieder Näherinnen gebraucht würden. Es gäbe dort sogar Betriebsunterkünfte – die ‚Steinbockheimat‘ mit zwar kleinen, aber feinen Zimmern für Bedienstete. Sie versprach nachzufragen. Die Zusage folgte prompt, folgte viel schneller, als ich erhofft hatte. Schon wenige Tage später bezog ich so ein Zimmer und begann meine neue Arbeit in der Textilfabrik in Innsbruck.

Vom Gastgewerbe zum Fließband war eine ziemliche Umstellung. Ich arbeitete die nächsten Wochen zwischen brummenden und ratternden Maschinen anstatt mit gutgelaunten Touristen. Kollegen grüßten, aber der Lärm ließ keine echte Unterhaltung aufkommen. Irgendwie vereinsamte ich mehr und mehr. Sowohl am Arbeitsplatz als auch in dem kleinen Zimmer. Die Vergewaltigung tat ein Übriges, ich fühlte mich wie eine Aussätzige. Manchmal dachte ich andere Menschen würden mir ansehen, was passiert war. Mehr und mehr zog ich mich zurück und wurde in meiner Einsamkeit aber nur noch trauriger. Zum Wochenende war es besonders schlimm. Vom Fenster aus sah ich zu, wie fröhliche Menschen die Skier auf das Auto packten und loszogen. Ich aber saß deprimiert auf der Fensterbank und starrte durch das Glas.

Anna kannte meine Zimmernachbarin Marion und machte uns bekannt. Marion war aus Kärnten. Auch sie war allein hier und kannte kaum jemanden. Zu zweit war dann einsam sein nur mehr halb so schlimm.

Eines Tages erzählte sie mir freudestrahlend, dass ihr Bruder Martin als Montagearbeiter in Innsbruck auf einer Baustelle anfangen würde. Gleich in der Nähe. Plötzlich hatte ich Angst, dass sie für mich dann keine Zeit mehr haben würde. Es kam anders.


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