Читать книгу Verbrechen zieht weite Kreise: Kommissarin Bramberger ermittelt - Roland Heller - Страница 11
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ОглавлениеLukas Hofinger trat auf die Bremse. Der Wagen kam zum Stehen. Er kurbelte das Fenster herab und betrachtete die Menschenansammlung vor Flehmigs Haus. Er zählte drei Polizeiwagen und eine Ambulanz. Gerade schoben die Träger eine Bahre in den Ambulanzwagen. Sie war mit einem weißen Laken bedeckt, unter dem sich die Konturen eines menschlichen Körpers abzeichneten.
Hofinger fuhr langsam weiter. Er fand eine Parklücke und hielt. Er stieg aus, ging zu Fuß zurück und mischte sich unter die neugierige Menge.
„Weitergehen, bitte“, sagte ein Verkehrspolizist. Der Ambulanzwagen fuhr los. Einige Reporter mit großen Pressekameras kamen aus dem Haupteingang. Sie eilten zu ihren Wagen und brausten ab.
Hofinger hörte sich an, worüber die Leute sprachen, und erfuhr dabei den Namen des Toten. Dann ging er zu seinem Wagen. Er hatte feuchte Hände, als er auf den Starter drückte und losfuhr. Das musste ausgerechnet heute passieren!
Lukas Hofinger hatte noch bis vor kurzem seine hauptsächlichen Einnahmen als Spieler verdient, er war nicht gerade einer der bekanntesten, aber auch kein kleiner Fisch. Dann hatte er Regina Rupp geheiratet, und auf einmal war es mit seinem Spielen vorbei gewesen. Er hatte sich umstellen müssen, aber im geregelten Arbeitsleben konnte er nicht Fuß fassen, und so war er bei Siegfried Reindl eingestiegen. Reindl hatte immer Verwendung für clevere, aufgeweckte Burschen wie ihn.
Es war Hofinger auch hier nicht ganz leicht gefallen, sich auf das disziplinierte, straffe Leben einzustellen, das die Zugehörigkeit zu einer straff geführten Organisation erforderte, doch allmählich hatte er auf seine Weise daran Geschmack gefunden.
Siegfried Reindl war ein mächtiger Mann. Er honorierte gute Arbeit sehr großzügig und gab jedem eine Chance, der genügend Grips und Energie hatte, um sich innerhalb der Organisation einen Platz an der Sonne zu erobern.
Ja, bei Siegfried Reindl war man gut aufgehoben. Niemand wagte es, sich mit einem von Reindls Leuten anzulegen. Das war eines der vielen Tabus, die die Mitglieder der bayerischen Unterwelt respektierten. Das war die eine Seite von Reindl. Er konnte allerdings auch ganz anders, wenn es sein musste.
Lukas Hofinger fuhr nach Bad Reichenhall hinaus. Seine Laune verschlechterte sich dabei zusehends. Hofinger war ein Mann mit Phantasie. Er konnte sich leicht errechnen, wie Reindl auf die Nachricht von Flehmigs Tod reagieren würde.
Reindls Haus lag in der Nähe von Großgmain. Es war ein großes Haus, vornehm und gediegen, eingebettet in einen riesigen Park, der gleichzeitig als Schutzwall gegen neugierige Blicke diente. Das Grundstück war umzäunt. Hofinger hielt vor dem Portal und stieg aus. Den Motor ließ er laufen. Er drückte auf den Klingelknopf und sagte das Kennwort in die Sprechanlage. Das Portal öffnete sich elektrisch. Hofinger fuhr über die schmale Zufahrtsstraße bis vor die Haustür.
Ein Diener ließ ihn ein. Lukas Hofinger grinste matt. Der Diener war typisch für Reindls Hang zu englischer Vornehmheit. Reindl saß im sogenannten grünen Salon. Er pokerte mit Dirk Trenk, seiner rechten Hand, sowie mit Michael Jäger und Fritz Wolff, zwei bulligen Burschen, die zu Reindls Leibgarde gehörten.
Hofingers Augen leuchteten auf. Für ein paar Sekunden vergaß er die schlechten Nachrichten, die er brachte. Die Aussicht auf ein Spielchen belebte und faszinierte ihn noch immer. Er trat an den Tisch und blieb stehen. Der Diener zog sich zurück. Reindl blickte kurz hoch. Die anderen Männer starrten auf ihre Karten. „Full House!“ sagte Siegfried Reindl triumphierend. Er legte die Karten auf den Tisch und lachte. Dann strich er das Geld ein, das in der Tischmitte lag. Es waren siebzig Euro. „Meine schönste Beschäftigung!“, fuhr er grinsend fort. „Kassieren! Es gibt auf dieser verdammten Welt nichts Schöneres, stimmt’s, Jungens?“
Er blickte Hofinger an. „Du bist pünktlich, Lukas“, lobte er. „Da wir gerade vom Kassieren sprechen... wo hast du die Lappen?“
Hofinger zuckte die Schultern. „Ich dachte, ihr wüsstet es schon. Jemand hat Flehmig erschossen. Er ist tot.“
Wie auf Kommando starrten alle vier Männer Hofinger an. Sie saßen unter der grünen Schirmlampe, die nur das Rund des Spieltisches ausleuchtete. Der übrige Raum lag im Dunkel. Lukas Hofinger merkte, dass er zu schwitzen begann.
„Eine ganz verrückte Geschichte!“, sagte er und spürte, dass er viel zu schnell sprach. „Ich habe Flehmig angerufen und ihm mein Kommen angekündigt. Er sagte, ich solle in zwei Stunden kommen. Seine Stimme klang komisch, irgendwie fremd und verändert. Jetzt weiß ich, warum. Ein Bulle war am Apparat. Jedenfalls kam mir das ganze gleich ein wenig seltsam vor. Ich fuhr also los, um den Grund herauszufinden... und da sah ich die Cops vor dem Haus, die Neugierigen, die Reporter und die Bullenfahrzeuge...“
Siegfried Reindl stand auf. Er ging zum Wandschalter und knipste die Zimmerbeleuchtung an. Reindl war ein großer muskulöser Mann. In seinen besten Jahren hatte er sich mit jedem Preisboxer messen können, aber jetzt, mit achtundfünfzig, neigte er etwas zur Fülle. Er war stiernackig und hässlich. Trotzdem konnten seine Züge mühelos einen rustikalen Charme ausstrahlen, der seine Geschäftspartner oft genug bezauberte. Im Moment war von diesem Charme nichts zu spüren. Er starrte Hofinger aus kleinen dunklen Augen prüfend an. „Das ist interessant“, sagte er. „Jemand hat also Flehmig erschossen. Wann?“
„Ich habe keine Ahnung. Ich war doch nicht dabei!“
„Du weißt, dass er tot ist.“
„Aus dem Haus ist eine Leiche getragen worden.“
„Hast du sie dir angesehen?“
„Nein.“
„Dann kannst du also gar nicht sicher sein.“
„Ich sah, wie sie die Leiche aus dem Hause brachten! Ich mischte mich unter die Menge und hörte, was passiert war. Ich konnte nicht gut nach Details fragen. Das wäre aufgefallen!“
Reindl setzte sich. Er holte aus seinem grauen Anzug ein Etui aus Alligatorenleder und entnahm ihm eine sehr dunkle Zigarre. Dirk Trenk beugte sich beflissen nach vorn und gab seinem Boss Feuer. Reindl nickte träge und wandte sich wieder Hofinger zu.
„Du hast dich gut eingeführt, Lukas“, sagte er mit dunkler, etwas schleppender Stimme. „In zwei Monaten hast du gezeigt, was in dir steckt. Jetzt solltest du das erste Mal beweisen, dass man sich auf dich verlassen kann.“
„Ich weiß“, sagte Hofinger nervös. „Deshalb bin ich doch so wütend über mein Pech!“
„Dein Pech?“, echote Reindl lauernd.
„Du denkst vielleicht, ich hätte versagt. Aber es war doch ausgemacht, dass ich nicht vor Mitternacht bei ihm anrufe, nicht wahr?“
„Das war ausgemacht“, bestätigte Reindl wütend.
Hofinger schwitzte. Es ärgerte ihn, dass er nicht zum Sitzen aufgefordert wurde. Die misstrauischen, höhnischen und auch feindseligen Blicke der Männer machten ihn nervös: War es denn seine Schuld, dass Flehmig ermordet worden war?
„Was weiß man von dem Täter?“, fragte Reindl.
„Nichts. Er ist entkommen.“
„So ein Pech für die Polizei!“, spottete Reindl.
Hofinger runzelte die Augenbrauen. Er hatte es gelernt, niemals Furcht zu zeigen, auch wenn er sie empfand. Er glaubte an eine gewisse Vorwärtsstrategie, an die Flucht nach vorn.
„Was soll das heißen? Ihr glaubt doch nicht etwa, dass ich ihn hoppgenommen habe?“
Reindl betrachtete tiefsinnig das glühende Ende seiner Zigarre.
„Überlegen wir doch einmal, ob das für dich ein lohnender Coup gewesen wäre, Lukas. Du erschießt Flehmig und reißt dir das Geld unter den Nagel, immerhin runde dreißigtausend Euro...“
„Blüten!“, unterbrach Hofinger aufgebracht. „Was hätte ich damit beginnen sollen?“
„Sie ausgeben. Unter die Leute bringen. Eintauschen. Fünfundzwanzigtausend Euro von dem Packen sind so perfekt gefälscht, dass es kein Problem sein dürfte, die Scheine an den Mann zu bringen.“
„Das ist doch verrückt!“, verteidigte sich Hofinger. „Ihr kennt mich doch! Ich habe es nicht nötig, wegen eines Haufens wertloser Blüten einen Mord zu begehen!“
„Du wusstest, dass Flehmig das Geld im Hause liegen hat“, stellte Reindl nüchtern fest.
„Das wussten auch noch andere!“
„Zum Beispiel?“
Hofinger schluckte. „Na, ihr alle!“
„Jetzt wird er kess«, murmelte der bullige Michael Jäger drohend. Er hatte eine niedrige Stirn und zusammengewachsene Augenbrauen. Man sah es ihm an, dass Kampf und Schlägereien sein Element waren. Er hungerte förmlich danach, sich auf diesem Gebiet mal wieder hervortun zu können.
„Es ist ja noch nicht mal ’raus, dass er wegen des Geldes ermordet wurde!“, meinte Hofinger rau.
„Wegen der dämlichen Artikel ja wohl kaum“, sagte Dirk Trenk, Reindls rechte Hand, mit einem Blick zu seinem Boss.
„Also los, Lukas“, sagte Reindl friedlich. „Du hast es versucht. Ich kann das verstehen. Dreißigtausend Euro sind kein Dreck. Da kann man schon mal schwach werden.“
„Mensch, Boss... ich habe mit der Sache nichts zu tun! Ich wollte das Geld abholen, mein Wort darauf! Ich würde es mir nicht mal im Traum einfallen lassen, Ihnen in den Rücken zu fallen. Ich bin doch kein Selbstmörder!“, schrie Lukas Hofinger verzweifelt.
Reindl grinste und zeigte dabei seine festen, aber ziemlich tabakgelben Zähne. „Sieh mal einer an. Du kennst genau das Risiko. Aber du warst ein Spieler, nicht wahr? Spielernaturen bleiben sich immer gleich. Sie können ohne Nervenkitzel nicht leben.“
Hofinger holte das Taschentuch aus dem Anzug und wischte sich damit das Gesicht ab, obwohl er wusste, dass alles, was er tat und sagte, als Eingeständnis seiner Schuld gewertet werden konnte. Trenk meinte prompt: „Angstschweiß ist eine hässliche Sache, was?“
„Ich möchte euch mal in meiner Lage sehen!“, meinte Hofinger und steckte das Taschentuch wieder ein.
„Setz dich, Lukas“, sagte Reindl mit sanfter Stimme. Hofinger gehorchte. Er nahm auf einem Stuhl Platz, ohne deshalb ein Gefühl der Erleichterung zu empfinden. Er war lange genug Mitglied in der Organisation, um zu wissen, dass Reindls milde Welle Unheil bedeuten konnte. Immer, wenn die Stimme des Bosses besonders sanft und weich wurde, drohte Gefahr.
„Natürlich hättest du mit den Piepen türmen können“, meinte Reindl ruhig. „Aber das war dir zu gefährlich. Du kennst meinen Einfluss. Du wusstest, dass ich dich gekriegt hätte, irgendwann, irgendwo. Also musstest du dir etwas einfallen lassen, um das Geld auf eine scheinbar sichere Weise an dich zu bringen. Du schaltetest Flehmig aus, weil du glaubtest, wir würden nicht so weit gehen, dir einen Mord wegen der Blüten zu unterstellen!“
Lukas Hofinger sprang auf. „Ich habe es nicht getan! Es ist lächerlich, mir das in die Schuhe zu schieben. Ich habe das einfach nicht verdient!“
„Was du verdienst, bestimmen wir!“, sagte Reindl. Er blickte Trenk an. „Was hältst du davon, Dirk?“
Trenks Gesicht blieb leer und ausdruckslos. Er hatte eine etwas näselnde unangenehme Stimme. „Es war schon immer meine Devise, einem Spieler nicht über den Weg zu trauen“, erklärte er. „Diese Burschen ändern sich nicht. Sie spielen immer falsch. Es liegt in ihrer Natur.“
„Das ist eine Lüge!“, schrie Hofinger wütend.
Reindl lächelte. „Immer mit der Ruhe, mein Junge. Du kennst doch Flehmig, nicht wahr? Wer sollte wohl ein Interesse daran gehabt haben, ihn umzubringen?“
„Das weiß ich nicht. Aber er hatte bestimmt eine Menge Feinde. Er hat täglich ein paar Filme verrissen und einige Darsteller durch den Kakao gezogen!“
„Deshalb bringt man keinen um.“
„Er wäre nicht der erste Schreiberling, dem das zustößt.“
„Jaja, natürlich. Das klingt ganz plausibel. Aber dummerweise hatte Flehmig, als das Unglück geschah, gerade dreißigtausend Euro im Hause.“
„Ein Zufall“, erwiderte Lukas schwach.
„Vielleicht, aber ich glaube nicht an derlei Zufälligkeiten. Du etwa, Lukas?“
„Nein“, gab Hofinger nach kurzem Überlegen zu. „Es wird schon wegen des Geldes gewesen sein. Aber ich habe nichts damit zu- tun, das schwöre ich!“
„Du sitzt hier nicht vor der Grand Jury“, sagte Reindl spöttisch. „Wir sind ganz unter uns. Wir wollen nur die Wahrheit herausfinden... und das werden wir, Lukas, mein Wort darauf!“
„Ihr kennt die Wahrheit bereits“, sagte Hofinger matt. Er setzte sich wieder.
Dirk Trenk zog eine Nagelfeile aus der Brusttasche seines Jacketts. Er begann am Daumennagel seiner linken Hand herum zu schaben. „Wir denken in einigen Punkten sehr altmodisch“, sagte er langsam. „Siegfried und ich halten nicht viel von diesen langatmigen Befragungen. Wir haben herausgefunden, dass ein bisschen Härte den Prozess erheblich beschleunigt und verkürzt.“ Er streckte die Hand aus und betrachtete prüfend den manikürten Nagel. „Ich denke, dass du mich verstehst.“
Natürlich verstand Hofinger. Sein Atem ging rascher. Er hatte nicht den Mut, die beiden Gorillas anzusehen. Die warteten nur darauf, mit ihm Ball spielen zu können. Hofinger war nicht feige, aber er fürchtete die Folter. Er hatte eine panische Angst vor Reindls brutalen Leibwächtern. „Das ist nicht euer Ernst!“, stieß er keuchend hervor. „Ihr könnt doch nicht einen von euch wie einen Lumpen behandeln!“
„Michael und Fritz“, sagte Trenk nach einem Seitenblick auf seinen Boss und schob die Nagelfeile in die Tasche zurück. „Er gehört euch!“
Die beiden Leibwächter erhoben sich. Sie waren nicht sehr groß, aber die knapp sitzenden Anzüge verrieten deutlich, welche Muskelpakete unter dem Stoff saßen.
Hofinger fürchtete das kalte grausame Glitzern in den Augen dieser Männer fast noch mehr als ihre körperlichen Kräfte. Die beiden Männer kamen um den Tisch herum auf ihn zu.
Hofinger sprang auf. Sein Stuhl fiel um. „Rührt mich ja nicht an!“, schrie er und wich einige Schritte zurück. Die Männer folgten ihm. Michael Jäger schlug zuerst zu. Seine Faust landete genau in Hofinger Magengrube.
Hofinger krümmte sich. Er bekam einen zweiten Schlag auf die Schläfe. Vor seinen Augen drehten sich feurige Kreise. Es dauerte einige Sekunden, ehe das wilde Farbenspiel verblasste und mit dem Schmerz verebbte.
„Du hast noch eine Chance, Lukas“, sagte Reindl mit provozierender Sanftheit. „Dir dürfte inzwischen klargeworden sein, dass wir dich durchschauen. Ich rate dir gut, Lukas. Verzichte auf die alberne Komödie und sage uns die Wahrheit. Du ersparst dir damit eine Menge Ärger.“
„Ich habe ihn nicht umgebracht! Ich habe das Geld nicht gestohlen! Ich bin doch nicht verrückt, Boss! Warum wartet ihr nicht ab, was die Zeitungen schreiben? Vielleicht haben sie den Mörder schon geschnappt!“, schrie Hofinger. Er zitterte am ganzen Leibe.
„Bringt ihn in den Keller, Boys“, entschied Trenk, ohne die Stimme zu heben. „Der Boss und ich geben euch zwanzig Minuten Zeit.“
Michael Jäger grinste. „Die brauchen wir nicht, was, Fritz? Ich wette, unser Freund Hofinger singt schon nach fünf Minuten ganze Arien!“