Читать книгу 1945 - Rolf-Dieter Müller - Страница 11

Frauendienstpflicht und Frauenarbeit für den „totalen Krieg“

Оглавление

Selbst noch nach der Katastrophe von Stalingrad zögerte die NS-Führung vor der Einführung einer allgemeinen Frauendienstpflicht. Zwar versuchte sie, zumindest auf die Gruppe der berufslosen Frauen, die keine oder keine Kleinkinder zu betreuen hatten, Druck auszuüben. Dabei hatten aber die „Damen der Gesellschaft“ die größten Chancen, der Erfassung zu entgehen. Bezeichnend war ein Resümee des im März 1942 eingesetzten Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, NSDAP-Gauleiter Fritz Sauckel, von Ende 1943: Seit Beginn des Jahres seien 3,6 Millionen Frauen untersucht worden, davon seien 1,6 Millionen einsatzfähig. „Von diesen wurden nur halbtags beschäftigt 0,7 Millionen. Im Laufe des Jahres mußten von den zu Beginn eingestellten Frauen auf Grund ärztlichen Attests wieder 0,5 Millionen entlassen werden.“7

Die Inkonsequenz bei der Durchführung der Frauendienstpflicht beeinträchtigte verständlicherweise die Arbeitsmoral derjenigen Frauen, die entweder ihr Leben lang in den Fabriken gearbeitet hatten oder gedrängt worden waren, vom Büro in die Produktion überzuwechseln. Der starke Anstieg der Krankmeldungen und Zusammenbrüche von Frauen war jedenfalls nicht nur auf unzureichende Ernährung oder auf körperliche und seelische Belastungen sowohl im Betrieb als auch in der Familie zurückzuführen. Soziale Unterschiede wurden deshalb im Zeichen des „totalen Krieges“ und der prahlerischen Propaganda mit besonderer Verbitterung registriert. Der Groll richtete sich oft auch gegen die wachsende Zahl von Studentinnen. Obwohl das Studium schon längst jeden Anklang an alte „Studentenherrlichkeit“ verloren hatte – überfüllte Hörsäle, Raumnot, verkürzte Lernzeiten, politische Schulungen, Pflichteinsätze in Lazaretten und bei der Ernte bestimmten den Studentenalltag –, unterstellte man gerade den Studentinnen gern, dass sie sich hauptsächlich vor der Dienstpflicht in den Rüstungsfabriken drücken wollten.

Die Nationalsozialisten schwankten in dieser Frage zwischen unumgänglichen Zugeständnissen und grundsätzlicher Ablehnung „bildungsversessener“ Frauen. Ohne einen gewissen Bestand an wissenschaftlichen Fachkräften konnte man auch in der Kriegswirtschaft nicht auskommen, und die zum Kriegsdienst einberufenen männlichen Akademiker mussten momentan und auch in nächster Zeit ersetzt werden. Wenn man z. B. auf die Entwicklung neuer „Wunderwaffen“ hoffte, dann brauchte man dafür eine große Zahl von Spezialisten und Forschern. Die Wehrmacht war deshalb im Herbst 1944 bereit, einige von ihnen wieder aus dem Kriegsdienst zu entlassen. Als eine „letzte Reserve für Berufe mit höherer Schulbildung“ waren Frauen unentbehrlich geworden, wie Reichserziehungsminister Bernhard Rust erkannte.8

Den Gegenpol vertrat der Münchner NSDAP-Gauleiter Paul Giesler, der die Studentinnen aufforderte, anstelle des Studiums lieber dem „Führer ein Kind zu schenken“. Sie sollten in jedem Universitätsjahr ein „Zeugnis“ in Form eines Sohnes vorlegen und „wenn einige Mädels nicht hübsch genug sind, einen Freund zu finden, würde ich gern jeder einen von meinen Adjutanten zuweisen, und ich kann ihr ein erfreuliches Ergebnis versprechen“.9 Einig war man sich letztlich darin, dass die Ausdehnung des Frauenstudiums nur vorübergehend sein sollte, bis „männlicher Nachwuchs wieder in ausreichendem Maße vorhanden“ wäre.10

Immer wieder scheiterten Vorstöße Sauckels, die deutschen Frauen stärker für die Kriegswirtschaft heranzuziehen. Selbst noch Anfang 1944 lehnte Hitler es „brüsk und scharf“ ab, dem Gauleiter Vollmachten „à la Stalin“ zu geben und so eine Million Frauen zu rekrutieren. Er erklärte vielmehr, „daß unsere deutschen hochbeinigen, schmalen Frauen mit den ‚kurzstampfeten‘ primitiven und gesunden Russinnen nicht zu vergleichen seien“. Mehr als „sanften moralischen Druck“ durfte Sauckel nicht ausüben, um deutsche Frauen zur Arbeit heranzuziehen.11

Deshalb war die Kritik von Reichspropagandaminister Goebbels an Sauckel unberechtigt, dem er vorwarf, bei der Mobilisierung von Frauen zu „lax“ vorzugehen. Goebbels meinte: „Hier fehlt uns ein Stalin. Es müßte mit eiserner Hand durchgegriffen werden, damit die faulenzenden Frauenzimmer endlich einer wichtigen Kriegsarbeit zugeführt würden.“12 Hitler war eben nicht Stalin, auch wenn er den russischen Diktator in anderen Bereichen an Radikalität und Entschlossenheit übertraf. Die Frauenfrage blieb für den deutschen Diktator hochgradig ideologisch befrachtet, und hier konnte er, trotz dringlichster Kriegsbedürfnisse, nicht über seinen Schatten springen.

Insgesamt erhöhte sich die Zahl der weiblichen Arbeitskräfte während des ganzen Krieges im Vergleich zum Jahre 1939 nur geringfügig, auch wenn die Goebbelssche Propaganda eifrig das Bild der Briefträgerin, Straßenbahnschaffnerin, LKW-Fahrerin usw. verbreitete. Weitere Maßnahmen, Männer durch Frauen zu ersetzen, brachten in der letzten Kriegsphase zwar einige Verschärfungen der Dienstpflichtbestimmungen, aber keine grundsätzliche Änderung. Noch im September 1944 gab es 1,3 Millionen Hausgehilfinnen. Die Propagandaformel von der „Volksgemeinschaft“ wurde dadurch gerade in der Zeit des „totalen Krieges“ ab 1942/43 unglaubwürdiger denn je.

Krasse Unterschiede in der persönlichen Betroffenheit durch den Krieg kennzeichneten somit die Situation der Frauen und ihrer Familien. Unterschiede, die Göring als Gegner der allgemeinen Frauendienstpflicht zynisch rechtfertigte, als er im März 1942 gegenüber Sauckel erklärte, Frauen aus den unteren Schichten seien nun einmal zur Arbeit bestimmt, weil Arbeit für sie stets lebenswichtig gewesen sei. Frauen, die es nicht nötig hätten zu arbeiten, sollten vorrangig Kinder bekommen, denn „in der Pferdezucht unterscheide man auch zwischen Arbeits- und Rassepferden. Wenn aber das eine zur Zucht bestimmte Rassepferd am Pflug eingespannt würde, verbrauche es sich schneller als ein Arbeitspferd.“13

Am schwersten hatten es die Bäuerinnen in Klein- und Mittelbetrieben, die ihren Hof zumeist allein bewirtschaften mussten, allenfalls unterstützt von Arbeitsmaiden des Reichsarbeitsdienstes und Pflichtjahrmädeln oder Kriegsgefangenen. Arbeits- und Mutterschutzbestimmungen waren für sie ohne Bedeutung. Im Gegensatz zu den verbalen Verrenkungen der NS-Ideologie vom angeblichen „Blutsquell“ der Nation war die Geburtenrate auf dem Lande am niedrigsten; das war eine Folge der extrem langen und schweren Arbeitsbelastung. Auch der Aufruf zur letzten „Erzeugungsschlacht“ im Frühjahr 1945 richtete sich in erster Linie an die allein stehende Bäuerin. Von ihr wurde erwartet, dass sie trotz der näher rückenden Kriegsfurie und mit völlig unzulänglichen Mitteln die Felder bestellte.

Für die Frauen in den Rüstungsfabriken und in den vom Bombenkrieg heimgesuchten Großstädten war die Last der Entbehrungen nicht viel geringer. In den letzten Kriegsmonaten verschlechterte sich dann auch zunehmend die Situation der erwerbstätigen Frau in den Klein- und Mittelstädten sowie im Dienstleistungsbereich. Sie alle empfanden – will man den geheimen Stimmungsberichten des Sicherheitsdienstes glauben14 – die ungleiche Belastung im Vergleich zu den besser gestellten Kreisen, auch wenn diese vom Krieg keineswegs unberührt blieben. Im Juni 1944 hatte man zur Sicherstellung des weiblichen Kräftebedarfs in der Kriegswirtschaft den Geburtsjahrgang 1927 für den Reichsarbeitsdienst der weiblichen Jugend gemustert. Ausgenommen wurden lediglich solche Mädchen, die bereits eine Ausbildung als technische Zeichnerin, chemisch-technische Assistentin, Chemotechnikerin oder Metallographin aufgenommen hatten. Da das Aufbringungssoll gegenüber dem Vorjahr erheblich vergrößert worden war, musste man für den Arbeitsdienst auch auf Dienstpflichtige aus der gewerblichen Kriegswirtschaft zurückgreifen, was wiederum Einbrüche in wichtigsten Fertigungen hervorrief.

Bei den herrschenden bürokratischen Wirrnissen und ideologischen Widersprüchen waren solche widersinnigen Maßnahmen keine Seltenheit. Die ungleiche Arbeitsbelastung der Frauen verminderte sich trotz großsprecherischer Parolen der Partei nur geringfügig. Während z. B. für Arbeiterinnen, deren Betriebe Aufträge des Jägerprogramms übernommen hatten, eine 54bis 56-Stunden-Woche zur Pflicht gemacht wurde, hatten die Arbeitsämter größte Schwierigkeiten, bisher zurückgestellte Frauen zu erfassen.

Angesichts der zusammenbrechenden Fronten verschärfte sich allerdings ab Jahresende 1944 der Druck gegen solche Vorbehalte und Rücksichten. Selbst die Schüler wurden nun partiell in die Kriegsproduktion eingespannt. Mitte Januar 1945 zog eine Referentin beim Frauenamt der Deutschen Arbeitsfront vor Pressevertretern folgende Bilanz des Fraueneinsatzes in der Rüstung: Millionen Frauen seien aufgrund der verschärften Meldepflicht in die Betriebe gekommen, wo sich die Betriebsfrauenwalterinnen ihrer annähmen, um ihnen zur Seite zu stehen und „die Angst vor dem Betriebe zu bekämpfen“; Halbtagseinsatz werde kaum noch zugestanden; von den „Halbtagsfrauen“ werde eine Mindestarbeitszeit von 30 Stunden pro Woche verlangt, außerdem die Beteiligung am Luftschutzdienst sowie an der Nachtarbeit, mit der die durch Fliegeralarm ausgefallenen Arbeitsstunden nachgeholt würden; die durch Familienpflichten stark gebundenen Frauen würden gedrängt, „Kriegsheimarbeit“ mit einer Verpflichtung von täglich drei bis vier Stunden zu übernehmen und leichte, schnell erlernbare Einfachstfertigungen durchzuführen; neben der zahlenmäßigen Steigerung des Fraueneinsatzes werde man in den nächsten Monaten auch eine wertmäßige Steigerung anstreben, und zwar durch systematische Anlernung, Erziehung zur Selbstständigkeit am Arbeitsplatz, durch Ausbildung zur vollwertigen Facharbeiterin und Unterführerin.15

1945

Подняться наверх