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Flächenbombardements als Terrorangriffe gegen die deutsche Zivilbevölkerung
ОглавлениеDie deutsche Luftwaffe hatte danach in den Januar- und Februar-Wochen den Großangriffen der Angloamerikaner nichts mehr entgegenzusetzen. Am 13. und 14. Februar 1945 legten deren Luftstreitkräfte durch drei schwere Luftangriffe unmittelbar nacheinander Dresden, die Kunstmetropole an der Elbe, in Schutt und Asche.12 Nach dem Einbruch der Roten Armee in die östlichen Provinzen Deutschlands hatten sich in der Stadt Tausende von Flüchtlingen versammelt, die auf ihrem Weg nach Westen hier Zwischenstation machten. Rund 950 000 Menschen lebten zu dieser Zeit in der Stadt. Es stellt sich die Frage, ob vielleicht gerade diese flüchtenden Menschen das direkte Ziel der Alliierten waren?
Zur Unterstützung ihrer Landoperationen an der Ostfront hatte die Sowjetführung die Westalliierten wiederholt um Bombardierung deutscher Verkehrsknotenpunkte im Raum Berlin oder Leipzig gebeten. Kurz vor der Jalta-Konferenz wollte der britische Premierminister Churchill diesem Wunsch ausdrücklich entsprechen, um dem östlichen Verbündeten die britische Militärmacht und Schlagkraft zu demonstrieren. Er bestimmte dafür Dresden als Ziel eines demonstrativen Panikangriffes, ohne dass die Moskauer Führung ausdrücklich um die Bombardierung dieser Stadt ersucht hatte.
Die Dresdner Luftabwehr- und Luftschutzmaßnahmen waren für einen solchen Doppelschlag der RAF und US-Air Force nicht gerüstet. Das RAF-Bomber-Kommando unter der Leitung von Luftmarschall Harris warf in der Nacht vom 13./14. Februar in zwei Angriffswellen mit 772 schweren Lancaster-Bombern rund 2650 Tonnen Bomben, darunter 650 000 Brandbomben, auf die Wohngebiete der Dresdner Innenstadt. Innerhalb weniger Minuten glich der größte Teil des Stadtzentrums einer tosenden, brennenden Hölle; ein Feuersturm wütete mit orkanartiger Gewalt. Als am nächsten Tag der dritte Angriff durch die 8. US-Luftflotte in der Mittagszeit erfolgte, stand über Dresden bereits eine dichte Staub- und Rauchwolke. Die 316 US-Bomber warfen nochmals 781 Tonnen Spreng- und Brandbomben.
Über die Zahl der Toten gab es immer wieder heftige Debatten. Sie ist nicht exakt feststellbar, da sich viele Flüchtlinge unregistriert in der Stadt aufhielten. Nach neueren Forschungsergebnissen schätzt man 35 000 bis 70 000 Tote. Fast 7000 Leichen mussten auf Stahlrosten mitten in der Stadt auf dem Altmarkt möglichst rasch und zum Teil nicht identifiziert verbrannt werden, um den Ausbruch von Epidemien und Seuchen zu vermeiden.
Mehr als Dreiviertel des Zentrums von Dresden wurde völlig vernichtet; 15 bis 20 Quadratkilometer des Stadtgebietes waren nach dem Tag- und Nachtangriff nur noch ein großes Schutt- und Trümmergebiet. Viele Kunst- und Kulturdenkmäler – wie Oper, Hofkirche, Zwinger, Frauenkirche und Schloss – wurden zerstört oder schwer beschädigt.
Der britische Rundfunk BBC in London berichtete bereits in seiner Abendmeldung am 14. Februar 1945, dass im Zentrum von Dresden aufgrund des erfolgreichen konzentrischen alliierten Angriffes „Brände von vernichtender Konzentration“ wüteten.
Die NS-Führung zögerte anfangs, das ganze Ausmaß des Infernos für die eigene Propaganda zu nutzen und es somit auch der eigenen Bevölkerung bekannt zu geben. Der deutsche Wehrmachtsbericht meldete am 14. Februar nur kurz: „Die Briten richteten in der vergangenen Nacht Terrorangriffe gegen das Stadtgebiet von Dresden.“13 Am nächsten Tag wurde ergänzt, dass in den Wohnvierteln durch weitere Tagesangriffe „umfangreiche Schäden“ entstanden und „unersetzliche Bau- und Kunstdenkmäler vernichtet“ worden seien.
Anfang März ließ Goebbels dann doch in der NS-Wochenzeitung „Das Reich“ einen schonungslosen Bericht abdrucken, der nunmehr allein die Alliierten für den Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung verantwortlich machte: Die Angriffe auf Dresden hätten die „radikalste Vernichtung eines großen, zusammenhängenden Stadtgebietes und im Verhältnis zur Zahl der Einwohner und der Angriffe die weitaus schwersten Verluste an Menschenleben hervorgerufen. Eine Stadtsilhouette von vollendeter Harmonie ist vom europäischen Himmel gelöscht. Zehntausende, die unter ihren Türmen werkten und wohnten, sind in Massengräbern beigesetzt, ohne daß der Versuch einer Identifizierung möglich gewesen wäre.“ Das Stadtgebiet sei nun „menschenleer“, es gebe darin nur Tote und „Lebende nur, um Tote zu bergen und Vermißte zu suchen“. Mit der Zerstörung Dresdens sei die Absicht der Alliierten offenkundig geworden, die deutsche Bevölkerung „durch Massenmord zur Kapitulation zu zwingen“.14
Als kurz darauf die Presse in den neutralen Staaten Europas das Ausmaß der Vernichtung sowie die vermutlichen hohen Totenzahlen meldete und dabei auch nach dem militärischen Sinn dieser Aktion fragte, schien die Goebbelssche Propaganda international Erfolg zu erzielen. Die Diskussion irritierte auch die Öffentlichkeit in England. Am 6. März kam der strategische Bomberkrieg der Westalliierten im britischen Parlament zur Sprache; die Regierungsvertreter hatten Mühe, angesichts der Zerstörung Dresdens die Praxis des westalliierten Luftkrieges zu verteidigen. Churchill erkannte sogleich die Gefahr eines Stimmungsumschwunges zuungunsten der Westmächte. Mit Hilfe eines ungewöhnlichen persönlichen Memorandums an den Stabschef der britischen Luftstreitkräfte versuchte er am 28. März 1945, die eigene Regierung aus der Schusslinie der öffentlichen und internationalen Kritik zu nehmen und einen politischen Kurswechsel einzuleiten. Er schrieb deshalb an RAF-Luftmarschall Sir Charles Portal: „Mir scheint der Zeitpunkt gekommen zu sein, daß man das Problem der Bombardierung deutscher Städte um des wachsenden Terrors willen – denn darum geht es doch, auch wenn andere Motive vorgeschoben werden – neu überdenken sollte. Sonst werden wir in den Besitz eines völlig zerstörten Landes kommen.“ Ergänzend bemerkte der Premierminister, „die Zerstörung von Dresden hinterläßt einen ernsten Zweifel an der Art und Weise des alliierten Bombenkrieges. Ich bin der Meinung, daß in Zukunft militärisch wichtige Ziele verstärkt in Erwägung gezogen werden müssen, weit mehr in unserem eigenen Interesse als in dem des Gegners.“ Er halte „eine genauere Konzentration der Angriffe auf militärisch relevante Ziele, wie Ölanlagen und Verkehrswege unmittelbar hinter der Front, für notwendiger als weitere Terrorakte und zügellose Zerstörung, so eindrucksvoll diese auch sein mögen“.15
Dies war eine bemerkenswerte Stellungnahme und Anweisung Churchills, nachdem die britische Regierung all die Jahre seit 1942 konsequent den Flächen-Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung verlangt und die Terrorangriffe auf deren Städte ausdrücklich unterstützt hatte. Die Forderung Churchills führte allerdings noch nicht zur Beendigung des totalen Luftkrieges: Noch kurz zuvor war Würzburg am 16. März 1945 durch einen schweren Nachtangriff der 5. RAF-Bomber-Gruppe zu 85 Prozent zerstört worden. 5000 Menschen kamen in dem Feuersturm um. Dresden, das Symbol für den totalen Luftkrieg, wurde am 17. April noch einmal von der 8. US-Luftflotte mit Bomben belegt. Am 22. März fiel das Zentrum von Hildesheim, am 27. März große Teile von Paderborn und am 14. April der historische Stadtkern von Potsdam weiteren schweren Luftangriffen zum Opfer. Ganz offensichtlich sollte durch die Zerstörung Potsdams die preußische Militärmacht symbolisch vernichtet werden. Bremen und Kiel waren die letzten großen deutschen Städte, die noch am 22. April und am 3. Mai 1945 bombardiert wurden.
Nach Churchills Memorandum protestierten die britischen Luftmarschälle einhellig gegen die einseitige Schuldzuweisung an die Militärs durch den Premierminister. Churchill musste sein Telegramm vom 28. März 1945 korrigieren; danach schrieb er am 1. April 1945 – seine Formulierungen vom 28. März abschwächend – „mir scheint, daß der Zeitpunkt gekommen ist, da man die Frage des sogenannten Flächenbombardements im Hinblick auf unsere eigenen Interessen überprüfen sollte. Wenn ein gänzlich ruiniertes Land unter unsere Kontrolle gelangt, wird es dort einen großen Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten für uns und unsere Alliierten geben, und wir werden nicht in der Lage sein, Baumaterial für unseren eigenen Bedarf aus Deutschland bekommen zu können, weil eine zeitweilige Versorgung für die Deutschen selbst gewährleistet werden müßte. Wir müssen darauf achten, daß unsere Angriffe auf lange Sicht uns selbst nicht mehr schaden als den unmittelbaren Kriegsanstrengungen des Feindes. Bitte lassen Sie mich Ihre Ansichten wissen.“16
Erst danach wurde die strategische Luftoffensive am 16. April von den Vereinigten Stabschefs für abgeschlossen erklärt. Leider kam die veränderte Bombenpolitik für viele deutsche Städte zu spät. Wie Dresden sahen bei Kriegsende fast alle größeren Städte des Reiches aus.17 Das Gesamtergebnis des modernen, hoch technisierten Luftkrieges gegen die Zivilbevölkerung war erschütternd: Rund 3,6 Millionen Häuser wurden in Deutschland durch Luftangriffe zerstört, über 7,5 Millionen Obdachlose hinterließ der Krieg. In Deutschland starben etwa 600 00018, in Großbritannien ca. 60 000 Menschen im Bombenhagel; noch in den letzten drei Kriegsmonaten fanden 120 000 Deutsche den Tod.
Aber nicht die Flächenbombardements von Luftmarschall Harris führten zur deutschen Kapitulation, sondern erst die strategische Bombardierung der deutschen Kriegs- und Treibstoffindustrie sowie die raschen Landoperationen und Erfolge der britischen, US-amerikanischen und sowjetischen Armeen ab Sommer 1944. Nach wie vor ist die Bewertung des Erfolges der angloamerikanischen Nachtangriffe auf die deutsche Zivilbevölkerung und insbesondere die Notwendigkeit der weiteren konsequenten Durchführung in den letzten Kriegswochen, als die Niederlage des Dritten Reiches bereits erkennbar war, auch in Großbritannien und in den USA umstritten. Die von beiden Seiten durchgeführten Bombenangriffe auf Frauen, Kinder und Greise gehören gleichwohl zu den schrecklichsten Ereignissen der totalen Kriegführung im Zweiten Weltkrieg.