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Ich hätte mich ohrfeigen können. Freiwillig war ich in die Klinik eingetreten, auf Anraten meines Psychiaters Dr. K. Zuvor hatten wir es drei Monate lang mit ambulanter Gesprächstherapie und Psychopharmaka versucht. Vergeblich.

Am Donnerstag hatte sich mein Zustand massiv verschlechtert: Die Angst und das zwanghafte Grübeln waren kaum mehr zu ertragen. Ich tigerte in der Wohnung herum, schlug zwischendurch immer wieder verzweifelt den Kopf an einen Türrahmen, um das wahnsinnige Rotieren der wirren, unkontrollierten Gedanken zu stoppen. Ich machte das täglich, schon seit Wochen. Ein Wunder, daß mein Schädel noch keinen Schaden genommen hatte. Mir graute vor den bevorstehenden Pfingstfeiertagen: leere Tage, Alleinseinstage.

In einem Anflug von Klarheit beschloß ich, mich selbst einzuliefern, in die Klinik, die ich zwei Wochen vorher schon einmal vorsorglich begutachtet hatte. Wenn schon Klinik, dann wollte ich zuerst sehen, was mich erwarten würde. Die wohlgemeinten Ratschläge meiner Freunde hatten mich zusätzlich verunsichert. Die einen plädierten für einen sofortigen Klinikaufenthalt, andere sprachen sich mit Vehemenz dagegen aus. Einmal der Klinikpsychiatrie ausgeliefert, würde ich für immer stigmatisiert sein, sagten die einen. Und die anderen gaben mir zu bedenken, daß nur geschultes Fachpersonal mir helfen konnte. Ich fühlte mich nach wie vor nicht krank. Ich hatte ein Arbeitsproblem, aber ich war nicht krank. Oder doch? Seit beinahe drei Monaten quälte ich mich durch die Tage. Ich konnte die Klinikfrage nicht länger hinausschieben und ich wußte, niemand würde mir einen Entscheid abnehmen, auch wenn ich mir das noch so wünschte. Ich fühlte mich wie das Kind in Brechts Kaukasischem Kreidekreis, das von den zwei Müttern beinahe auseinandergerissen wird. Was mir aber, so absurd es klingen mag, am meisten zu schaffen machte, waren tonnenschwere Schuldgefühle gegenüber meinen Freunden. Mich für oder gegen einen Klinikaufenthalt zu entscheiden, empfand ich den einen oder den anderen gegenüber als unloyal. Dies alleine zeigte schon, wie sich mein Gefühlshaushalt völlig jenseits eines normalen Empfindens bewegte. Aber wie immer ich mich entscheiden würde, ohne mir selber ein Bild von der Situation in der Klinik gemacht zu haben, glaubte ich nicht fähig zu sein, überhaupt zu einem Schluß zu kommen. Und so hatte mich Oberarzt Dr. B., von Dr. K. über meinen Zustand informiert, durch die Station geführt, mir die Zimmer und Aufenthaltsräume gezeigt und mit ernster Miene zu verstehen gegeben, daß ich unter einer sehr schweren Depression litt. Er empfehle mir, so rasch als möglich in die Klinik einzutreten. Ich wunderte mich. Wie konnte er wissen, daß ich eine schwere Depression hatte? Ich wußte, daß ihn mein Arzt über meinen Zustand aufgeklärt hatte, aber er hatte doch kaum mit mir gesprochen. Sah man mir das an? Sah er in mich hinein? War er wirklich der kompetente Seelenarzt, den man mir empfohlen hatte? Vielleicht würde er mir helfen können. Seinem Mienenspiel war deutlich anzusehen, wie ungern er mich wieder gehen ließ. Doch prompt machten sich erneut Widerstände in mir bemerkbar. Was würde er mit mir alles anstellen? Ich war ja schon lange nicht mehr in der Lage zu argumentieren. Ich wußte, ich konnte seinem Willen und seiner Erfahrung nichts entgegensetzen. Ich würde ihm ausgeliefert sein, und meine Widerstände verwandelten sich in Angst. Ich verabschiedete mich von Dr. B. und versprach ihm, daß ich mit Dr. K. über einen möglichen Klinikaufenthalt nochmals reden würde. In meinem Innern aber dachte ich, daß es unter keinen Umständen in Frage kam. Jetzt nicht und auch später nicht. Nie. Nicht für mich.

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