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2.2 Kirschen 1910

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Die Erzählung aus dem Jahre 1910 stammt von C. F. Otto Meyer, der 1901 in Plauen im Vogtland geboren wurde und 1977 in Düsseldorf verstarb. Verfasst wurde sie von ihm am 1. August 1972.

Wenn die Kirschen auf dem Markt erschienen, ging das Jahr seinem Höhepunkt entgegen. Der Sommer wendete es in den Herbst. Kirschenalleen gab es überall, soweit an Landstraßen Kirschbäume standen. Die Elsterberger Landstraße hinter der „Schöpsdreh“ in Syrau trug Kirschen. War Erntezeit, stand die „Kirschbude“ des Pächters am Straßenrand unter den großen Bäumen. Der Pächter schlief dort in der Reifezeit, um seine Pachtbäume zu bewachen. Immer, wenn die Ernte da war, hatte er dort seinen Verkaufsstand. Die Menschen, die zu seinem Stand kamen, kauften die Kirschen pfundweise. Aus einem Zeitungsbogen, um die Hand geschlungen, war flugs eine Tüte gedreht und schon hatte man 2 bis drei Pfund herrlicher Früchte im Arm. Das war der köstliche Lohn eines Spazierganges: eine Tüte Kirschen. Und sie kosteten wenig. Das war vor dem ersten Weltkrieg, als der Verkehr auf den staubigen Landstraßen gering war und die Ansprüche des Volkes viel bescheidener waren als heute. Man aß das, was das Land hervorbrachte. Vom Assistenten Schmidt kamen die Kirschen in Körben. Der „Herr Assistent“ war ein kleiner, rundlicher Mann. Er war Beamter auf dem Güterbahnhof in Plauen und wohnte neben uns in Haselbrunn in meines Vaters Haus Nr. 108. Seine Frau war größer und dicker als er. Seine Tochter Hella war ein Mädchen mit schwarzem Haar und auch sehr dick. Der „Herr Assistent“ war ein Freund der Kinder auf unserer Haselbrunner Straße. Wo er erschien, mittags vom Dienst kommend und danach gemächlich wieder zum Dienst schreitend, liefen die Jungen und Mädchen auf ihn zu, grüßten und knicksten mit einem „guten Tag, Herr Assistent“ und gaben ihm die Hand. Wer das tat, bekam mit dem Händedruck eine Süßigkeit, einen Zuckerstein oder eine Pfeffernuss in die Hand. Wenn der „Herr Assistent“ eine Hand aus der Tasche zog, war sie gefüllt. Er muss unerschöpfliche Taschen gehabt haben. „Herr Assistent“ Schmidt stand in hohem Ansehen auch bei den Frauen und Müttern unserer Straße. Er vermittelte Esswaren, besonders Obst, das aus beanstandeten Frachtsendungen nicht abgenommen und der Verderblichkeit wegen von der Eisenbahn auf dem Güterbahnhof zu einem sehr günstigen Preis versteigert wurde. Stand da etwas Preiswertes in Aussicht, nahm er in unserer Straße Bestellungen entgegen. So kam es, dass in Weidenkörben Kirschen, abgedeckt mit welkem Laub, angefahren wurden, aber auch Pflaumen, Heidelbeeren, Äpfel und Birnen. Die ganze Straße aß dann Kirschen oder anders Obst, denn keine Hausfrau konnte sich den günstigen Erwerb entgehen lassen. Auch die Kinder konnten essen, bis sie nicht mehr konnten. Und Kirschkuchen gab es auch!

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