Читать книгу Erinnerungen - Rolf W. Meyer - Страница 11

2.3 Erinnerungen an Elsterberg im Vogtland 1921

Оглавление

Die 1914 in Bautzen geborene Eva Mathilde Traulsen geb. Baumann schrieb 1998 auf Wunsch ihrer Kinder die Erinnerungen an die 1920er Jahre auf, in denen sie als junges Mädchen ihre Ferien bei Verwandten im Vogtland verbrachte. Sie starb 2008 in Rendsburg.

Jedes Jahr, wenn die Sommerferien näherkamen, wartete ich aufgeregt auf die Einladung von Tante Anna Heyer aus Elsterberg. Wie oft ich die Sommerzeit dort verbracht hatte, weiß ich nicht mehr. Es war jedenfalls eine unvergessliche Zeit. Anfangs fuhr ich mit meinen Brüdern Fritz und Konrad, später auch allein. Das Kofferpacken war ein Ereignis. Jedes Stück wurde auf einer Liste vermerkt. Der Koffer war aus Stroh, zwei Schalen ineinandergesteckt mit Lederriemen und einem Griff versehen. In Leipzig wurde umgestiegen. Oft trafen wir dort jemanden von den Reichardts, die uns eine Süßigkeit zusteckten. Dann ging es weiter nach Süden. In Reichenbach musste ich wieder umsteigen. Aber hier wartete Onkel Robert Heyer, mit dem ich dann in ein Abteil der 1. Klasse mit roten Samtpolstern umsteigen durfte. Onkel Robert hatte einen Spitzbart. Meistens zauberte er irgendetwas Süßes aus seiner Jackentasche. Vom Bahnhof in Elsterberg ging es dann an der Fabrik des Verwandten Paul Anlauft vorbei über die Elsterbrücke, von wo man die Elsterberger Ruine sehen konnte, auf die Lange Straße hinunter am Café Schenderlein vorbei, zu dem Eisenwarengeschäft C.L. Oschatz am Markt von Elsterberg. Ich klopfte an das Fenster, wo hinter grüner Gaze an einem Stehpult Onkel Otto Baumann stand. Er war der Bruder meines Vaters Christian Friedrich Baumann. Onkel Otto kam heraus und begrüßte mich. Im Laden der Eisenhandlung mit all den Schubkästen, die auf grünem Filz die Muster des Inhalts befestigt hatten, bin ich oft gewesen. Quer über den Markt lief man auf das Wohnhaus der Familie Baumann zu. Es war das Geburtshaus meines Vaters. Jetzt stand Tante Anna Baumann dort zur Begrüßung. Sie hatte eine kleine schwarzhaarige Tochter geboren, die aber bald nach der Geburt gestorben ist. Es wurde in der Verwandtschaft kaum darüber gesprochen. Und nun endlich ging es zu Heyers, die auf der Gartenstraße in Elsterberg wohnten. Tante Anna hatte ein Kissen auf der Fensterbank und guckte uns entgegen. Manchmal hat dort auch die Heyersche Mama an der Fensterbank gestanden. Bis zu ihrem Tod hat sie mit im Haus gewohnt. Sie saß meistens in einem Sessel in der Küchenecke und drehte ihren Stock zwischen den Händen. Einmal hatte ich die Beine voller Hitzebuckeln, die fürchterlich juckten. Da nahm die Heyersche Mama meine Beine auf ihren Schoß und streichelte sie mit ihren kalten Händen. Das vergaß ich nie. Mit Tante Anna und Onkel Robert tauschten wir nie irgendwelche Zärtlichkeiten aus. Aber wir haben uns trotzdem sehr geliebt. Und wenn ich wieder abfuhr, gab es bei Tante Anna Tränen. Sie hatten selbst keine Kinder, genauso wie Onkel Otto Baumann und Tante Anna. Mit Onkel Robert spielte ich „Dame“ und „Mühle“, im Schrank am Ende des Flurs lag Schokolade. Das roch sogar im Schrank danach. Tante Anna kochte mir immer mein Lieblingsessen, nämlich Nudeln mit Rindfleisch. Die Nudeln wurden selbst gemacht. Dazu wurde der Teig dünn ausgerollt, eine kurze Zeit zum Trocknen aufgehängt, in Streifen geschnitten, aufgerollt, fein geschnitten und gelockert getrocknet. Sonntags gab es grüne Klöße und Sauerbraten. Zum Frühstück aßen wir „Dreierbrodeln“. Nie haben mir Brötchen besser geschmeckt. Im Hinterhaus war die Waschküche. Die gewaschene und gekochte Wäsche wurde auf einen einrädrigen Schubkarren geladen und über die Elsterbrücke zu der Elsterwiese gefahren, ausgebreitet und wenn sie trocken war mit dem damals so sauberen Elsterwasser gesprenkelt. In der Zwischenzeit plantschten wir barfuß im Fluss herum. Im Tremnitzgrund lag die Badeanstalt. Es war bestimmt ein Weg von einer halben Stunde durch Wiesen mit blühenden Blumen und summenden Insekten. Ich war oft dort und hatte auch immer ein Butterbrötchen mit. Am Sonntagabend ging Tante Anna mit mir zum Friedhof. Aus dem kleinen Garten nahmen wir Sträuße mit. Ich erinnere mich an Levkojen, Reseda und Astern. Das Grab von Onkel Robert, der 1925 gestorben war, lag links, das Baumannsche Familiengrab gerade aus an der Mauer. Vor dem Friedhof lief aus einer Quelle Wasser in ein Becken.

Das Klo in der Gartenstraße war auf der halben Treppe, ich meine sogar ohne Wasserspülung. Dann waren am Haus zwei Austritte (Balkone) mit Geranien rund herum. Als die Schwalben im Haus nisteten, musste die Tür dorthin offenbleiben. In regelmäßigen Abständen bekam Tante Anna ein sechs Kilogramm schweres Butterpaket aus Marne. Ich trug die Butter zu den Kränzelschwestern in einer schwarzen Ledertasche.

Der Marsch auf den Kriebelstein und der Besuch der Burgruine gehörte jedes Jahr mit zu meinem Besuchsprogramm. Zum Kriebelstein stieg man ziemlich steil auf Zick-Zack-Wegen empor, dann ging es gerade aus durch den Wald bis zum Aussichtsplatz. Von dort aus konnte ich Elsterberg überblicken. Tante Anna stand auf ihrem Austritt und winkte mit einem großen Tuch. Die Burgruine mit mittelalterlichen Türmen und Fensterbögen weckte immer wieder sagenhafte Erinnerungen an längst vergangene Ritterzeiten.

Bei Baumanns am Markt wurde ich zu Beginn meines Aufenthaltes in Elsterberg auf der großen Dezimalwaage gewogen, die dort in der Durchfahrt stand und für die Wägung langer Eisenträger gebraucht wurde. Zum Essen wurden wir von der Verwandtschaft reihum eingeladen. Von meinen Brüdern Fritz und Konrad wird erzählt, dass sie dreimal die berühmten vogtländischen Klöße an einem Sonntag verspeisten. Tante Anna Baumann hat mir einige Handarbeiten beigebracht. Konrad wohnte bei Otto und Anna Baumann, Fritz bei Paul und Clara Anlauft. Die Anlaufts wohnten damals noch in der Piehlerstraße, von wo man auf einer steilen Treppe in das Fabrikgelände hinunterlaufen konnte. Onkel Paul nahm mich mit in einen Raum, wo die gewebten Stoffe auf Fehler untersucht und ausgemustert wurden. Ich durfte wir dann oft einen Stoff aussuchen, der von Frau Lindner zu einem Kleid meines Geschmacks genäht wurde. Frau Lindner, eine Kusine meines Vaters, war Witwe und hatte fünf Töchter. Mit Anni war ich befreundet. Als ich nach 65 Jahren das ehemalige Wohnhaus auf dem Schlossberg wiederfand, traf ich dort sogar noch die jüngste Tochter Trudel.

Onkel Paul hatte sich vom Schlosser zum Webereibesitzer und Millionär emporgearbeitet. Als er 1939 starb, soll das eine riesengroße Beerdigung gewesen sein. Er war sehr beliebt und verschenkte gern etwas, wenn er Armut sah. Im Zeppelin ist er einmal über Elsterberg hinweggeflogen. Tante Clara hat ihm damals aus dem Werksgelände zugewunken. Onkel Paul ließ sich von seinem Schofför Gölisch, der eine Uniform trug, in seinem Mercedes fahren. Eine Glaswand im Auto trennte den Fahrer ab, dafür hatte Onkel Paul ein Sprechgerät. Im hinteren Teil des Wagens konnten zu zwei Polstersitzen noch zwei bequeme Sitze aus der Vorderwand herausgeklappt werden. Einmal gingen wir in Plauen in eine Gaststätte zum Essen. Ich hatte keine Ahnung und keine Erfahrung, was ich bestellen sollte. Johanna („Hannel“), die Tochter von Paul und Clara Anlauft, sagte zu mir: „Nimm doch ein Omlett!“ So etwas Vornehmes hatte ich noch nie gegessen, aber es schmeckte mir überhaupt nicht.

Meistens besuchte ich in Plauen – Haselbrunn auch die Verwandten der Familie Meyer. Es ging dort immer sehr fröhlich und laut zu. Onkel Friedrich Otto und Tante Emma waren sehr nett. Ihre sechs Kinder waren sehr musikalisch, spielten Klavier und sangen.

Erwähnen will ich noch den Elsterberger Pastor Däberitz, den ich jedes Mal gern in seinem Studierzimmer am Marktplatz besuchte. Als meine Mutter Alice Rosa im November 1920 in Oschatz starb, nahmen mich Onkel Robert und Tante Anna zu sich. Ich bin in Elsterberg Ostern 1921 eingeschult worden und erst im Herbst 1921 wieder nach Oschatz zurückgekommen.

Erinnerungen

Подняться наверх