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2.1 Vorfahren väterlicherseits

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Johann Friedrich Fischer war mein Ururgroßvater. Er kam 1806 in Löbnitz zur Welt. Diese Ortschaft liegt an der Mulde, einem linken Nebenfluss der Elbe, zwischen der Leipziger Tieflandsbucht und der Dübener Heide. Als Siebenjähriger hatte er in Stöhna den Durchmarsch preußischer Truppen erlebt, die im Herbstfeldzug 1813 im Rahmen der Freiheitskriege gegen die Vorherrschaft Frankreichs unter Napoleon Bonaparte in der Völkerschlacht bei Leipzig eingesetzt wurden. Diese militärische Schlacht, die vom 16. Bis 19. Oktober 1813 geführt wurde, war die Entscheidungsschlacht der Freiheitskriege, auch Befreiungskriege genannt. Napoleon Bonaparte musste damals seine Truppen über den Rhein zurückziehen.

Mein Ururgroßvater Johann Fischer hatte den Beruf eines Huf- und Waffenschmiedes gelernt und viele Jahre in Stöhna ausgeübt. Auf Wanderschaften war er weit herumgekommen. Von dem ersparten Kapital lebte er später bei seiner Tochter Friederike Liberta in den vogtländischen Ortschaften Herlasgrün und Haselbrunn. Erwähnenswert ist, dass der Bau der Bahnstrecke Leipzig – Plauen – Hof von 1846 bis 1851 die Ortschaft Herlasgrün und das Leben seiner Einwohner gravierend verändert hatte. 1846 begann nämlich die Sächsisch-Bayerische Eisenbahn-Compagnie mit dem Bau von zwei Brücken, die die geplante Bahnstrecke Leipzig – Hof ermöglichen sollten: die Göltzschtalbrücke (sie ist die bisher größte Ziegelsteinbrücke der Welt) und die Elstertalbrücke. 1847 übernahm die Sächsisch-Bayerische Staatseisenbahn den Weiterbau und stellte am 15. Juli 1851 beide Brücken gleichzeitig fertig. An diesem historischen Bau der Göltzschtalbrücke hatten mein Ururgroßvater und seine Tochter Friederike Liberta mit gut verdient. Denn in der Nähe der Baustelle hatten Vater und Tochter die Bauarbeiter verköstigt und so den Grundstein für ein Vermögen gelegt.

Von Herlasgrün aus lief Johann Fischer nach Art eines Schmieds in Lederpantoffeln bis nach Reimersgrün. Von Haselbrunn aus fuhr er noch in den 1880er Jahren mit der Eisenbahn in der 4. Klasse (wobei er einen Feldstuhl benutzte, da es dort keine Sitzplätze gab) nach Lucka im Altenburger Land. Von dort aus wanderte er nach Leipzig zur Messe, um seinen Tabakbedarf (einen ganzen Sack voll) einzukaufen. Am 2. März 1888 verstarb mein Ururgroßvater in Haselbrunn.


Urgroßeltern Friedrich Otto Meyer und Friederike Liberta Meyer geb. Fischer

Friedrich Otto Meyer, der 1830 in Markkleeberg bei Leipzig zur Welt kam, war mein Urgroßvater. Er erlernte den Beruf eines Landwirtes („Ökonom“). Die Lehrzeit erfolgte von 1845 bis 1849 in Probstdeuben, die er 1849 bis 1854 auf einem Gut bei Bautzen fortsetzte. 1855 kehrte er nach Probstdeuben zurück, wo sein Vater Johann Gottlob Meyer ein Rittergut zur Pacht übernommen hatte. 1863 heiratete er die 24jährige Tochter Friederike Liberta des Huf- und Waffenschmiedes Johann Friedrich Fischer in Stöhna bei Leipzig. 1864 kaufte mein Urgroßvater einen Landgasthof, den „Sächsisch-Bayerischen Hof“, im vogtländischen Herlasgrün. Dieser Landgasthof befand sich unmittelbar am Bahnhof Herlasgrün an der Bahnstrecke Leipzig-Hof, etwa 10 km südlich von Reichenbach. Da der Bahnhof Umsteigeort für die Bahn-Nebenstrecke Herlasgrün – Treuen – Auerbach war, hatte er größeren Fremdenverkehr.

1883 erwarb mein Urgroßvater das Vorwerk Haselbrunn bei Plauen im Zusammenhang mit einer Zwangsversteigerung für 62.500 Mark und zog mit der Familie dorthin. Zu dem Vorwerk, einem landwirtschaftlichen Gutshof, gehörten nicht nur ein umfangreicher Besitz an Weiden und Feldern, sondern auch eine Ziegelei im Heidenreich, nördlich der Bahnlinie Plauen – Leipzig. Vor dem Verkauf der „Hut“ hielt man auf dem Gut 30 Stück Vieh. In einer ungewöhnlich schnellen Entwicklung ihrer Industrie dehnte sich die Stadt Plauen immer mehr nach Norden aus. Dies führte zu einer unerwarteten Wertsteigerung der Grundstücke in Haselbrunn als Baugrund. So verkaufte mein Urgroßvater um 1890 70.000 qm Weideland an der „Rußhütte“ für 145.000 Mark und baute davon die Ziegelei aus. Ihre Erzeugnisse konnten nicht nur in Plauen, sondern auch in der ländlichen Umgebung abgesetzt werden. Am 1. Januar 1899 wurde Haselbrunn nach Plauen eingemeindet. Friedrich Otto Meyer, der in seinen letzten Lebensjahren einen Backenbart nach Kaiser Wilhelm I. trug, war im Gemeinderat des Dorfes Haselbrunn gewesen und hatte den Eingemeindungsvertrag mitunterzeichnet. Er starb 1901 an einem Herzschlag.

Friederike Liberta Meyer geborene Fischer, die einzige Tochter des Huf- und Waffenschmieds Johann Friedrich Fischer, war meine Urgroßmutter. Sie kam im März 1839 in Stöhna zur Welt. Sie war die treibende Kraft eines mehrmaligen Ortswechsels mit ihrer Familie, der mit einem sichtbaren Vermögenszuwachs verbunden war. Auch im Haselbrunner Unternehmen „Meyers Gut“ war sie der Mittelpunkt der Familie. Nach dem Tod ihres Mannes führte sie das Unternehmen mit Tatkraft weiter. Die umfangreichen Grundstücke um das „Meyers Gut“ herum (schon 1910 wird es in der Garnisonumgebungskarte so genannt) werden beschleust, die Haselbrunner Straße (in Gemeinschaft mit dem Nachbarn Roßbach) und die Hans-Sachs-Straße ausgebaut. In der Haselbrunner- und in der Morgenbergstraße werden in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts im Verlauf der „Blütezeit“ von Plauen einige Wohnhäuser als Spekulationsbauten finanziert. 1905 schloss meine Urgroßmutter des gesamten Grundstücks- und Ziegeleibesitz, der damals mit 1.300.000 Mark bewertet wurde, in den „Meyer’s Ziegelwerken GmbH“ zusammen. Zu den Gesellschaftern machte sie ihre vier Kinder. Ihre Söhne Friedrich Otto (mein Großvater) und Friedrich Albert wurden Geschäftsführer. Den Erwerbspreis der Grundstücke durch die GmbH stundete sie zinslos gegen die Eintragung von unkündbaren Hypotheken in der Höhe des Erwerbspreises. Auf diese Weise band sie ihre Kinder zusammen und diese an die Gesellschaft. Meine Urgroßmutter hatte die Ansicht vertreten: „Wer nicht mitmacht, wird enterbt!“ Ihre Geschäftsgewandtheit wurde nicht dadurch behindert, dass sie nur schlecht und nicht orthographisch richtig schreiben konnte. Auf der anderen Seite war sie tatkräftig, rührig, geschäftstüchtig, auf der anderen Seite konnte sie herrschsüchtig und oft auch rechthaberisch auftreten. Menschen, die mit ihr zu tun hatten, sahen überwiegend ihre positiven Charaktereigenschaften. So äußerte sich beispielsweise ein Notar, der mit ihr beruflich zu tun gehabt hatte: „Eine tüchtige Frau, die wusste, was sie wollte. In ihren Geschäften war sie weitblickend und großzügig.“ Von einem alten Schweizer, der auf ihrem Gut gearbeitet hatte, kamen die anerkennenden Worte: „Früh die Erste und abends die Letzte, … aber anständig zum Gesinde.“ Meine Urgroßmutter hielt sich Kutsche und Pferd und fuhr in ihren letzten Lebensjahren mit der Gummikutsche in die Stadt Plauen. 1906 verstarb sie in Haselbrunn.


Großeltern Friedrich Otto Meyer und Emma Elise Meyer geb. Baumann

Friedrich Otto Meyer, der 1872 in Herlasgrün im Vogtland im „Sächsisch-Bayerischen Bahn-Gasthof“ seiner Eltern zur Welt kam, war mein Großvater. Er besuchte die Schule in Limbach und kam 1883 nach Haselbrunn, als seine Eltern das Gut in Haselbrunn erwarben. Nach dem Besuch der Realschule in Plauen lernte er das Maurerhandwerk bei dem Maurerobermeister Friedrich Gustav Richter in Plauen und legte 1890 vor der Innung der Baugewerksmeister in Plauen die Gesellenprüfung ab. Als Maurergeselle arbeitete er in Elberfeld, Braunschweig und in Auerbach. In Großenhain und in Elsterberg (bei der Firma Piehler) arbeitete er als Bautechniker. 1899 legte er in Plauen die Maurermeisterprüfung und danach die staatliche Baumeisterprüfung ab. Von 1900 an war er als selbständiger Baumeister tätig. So erbaute er 1901 das Garnisonlazarett der Infanterie-Kaserne 134 und in der Folgezeit mehrere Wohnhäuser und Fabrikgebäude in Haselbrunn, das inzwischen nach Plauen eingemeindet worden war: Haselbrunner Straße 108, 110, 112; das Stickereigebäude Körner; die Maschinenfabrik Endesfelder & Weiß; die Eisengießerei Iwan & Winkel. 1903/1904 war er an dem Bau der Radrennbahn in Plauen-Kauschwitz beteiligt. Mein Großvater war Mitgründer der Kirchengemeinde St. Markus in Haselbrunn und Mitglied des Kirchenvorstandes von Anfang an. Während des Kirchenbaues 1912/13 war er Vorsitzender des Bauausschusses. Meine Großeltern stifteten für die Markuskirche den Altar, den Taufstein und ein Kirchenfenster.

Mein Großvater hing am Hergebrachten und war in der Lebensauffassung sowie in der Politik konservativ, zuweilen bis zur Einseitigkeit und in vorgefasster Meinung schwer belehrbar („Das bäuerliche Erbe wirkte nach.“). Sein Wesen war voll Gemüt. Er war sehr musikalisch und seine Lieblingslieder waren: „Traute Heimat meiner Lieben …“, „Nach der Heimat möchte ich wieder …“, „Ein getreues Herze wissen …“. Er war von tiefer und überzeugter Gottgläubigkeit, die ihn in vielem eine Stütze war. 1933 starb er laut betend nach einem Leben voller Sorgen, Mühen und Entsagungen, in dem seine Fürsorge für die Familie stets im Vordergrund stand.

Emma Elise Meyer geborene Baumann wurde 1879 in Elsterberg als 5. Kind meiner Urgroßeltern Christian Friedrich und Mathilde Therese (eine geborene Lenk) Baumann in Elsterberg geboren. Im Familienkreis wurde sie „de Kleene“ genannt. Im kleinbürgerlichen Elsterberg im Vogtland wuchs sie auf, besuchte dort die Schule und erlernte auch das Klavierspiel. Nach der Schulzeit war sie für einige Monate bei einem Geschäftsfreund ihres Vaters in Düsseldorf und in einem „Marthaheim“ in Leipzig, um Hauswirtschaft zu lernen. In Elsterberg lernte sie das Kochen in der Gaststätte „Goldenes Lamm“ am Marktplatz. Mein Großvater verkehrte in dieser Zeit dort. 1901 heirateten meine Großeltern.

Die Zahl der Kinder (zwei Söhne, vier Töchter) kennzeichnete ihren Lebensweg. Sie führte das Leben der Frauen des Bürgertums am Anfang des 20. Jahrhunderts, die, für Familie und Haushalt erzogen, in diesem Pflichtenkreis aufgingen. Meine Großmutter war fleißig, sparsam, wirtschaftlich und offenherzig. Sie hat keine Arbeit in den schweren Hungerjahren des Ersten Weltkrieges gescheut. Sie lebte nur für die Familie. Aus dem kleinstädtischen Haushalt ihrer Eltern in Elsterberg kannte sie Arbeiten des „Ackerbürgers“ aus eigener Erfahrung und führte danach ihren Haushalt. Sie war unermüdlich. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte sie das zeit- und standesgemäße „Dienstmädchen“, dann schaffte sie es mit den heranwachsenden Kindern allein. Als ihre Familie in der Not des Ersten Weltkrieges Viehzeug halten musste, wie etwa Hühner, Gänse, Ziegen, Schweine und viele Karnickel, hatte sie auch das bewältigt. Sie konnte schlachten, Wild und Geflügel ausnehmen, backen und verrichtete jede Gartenarbeit. Sie strickte und häkelte, nur das Nähen lag ihr nicht. Sie konnte melken und wusch, als es nicht mehr anders ging, auch die Wäsche für die ganze Familie.

Meine Großmutter bewahrte das Brauchtum und die Lebensgewohnheiten ihrer Eltern. Das war die sparsame und bescheidene Lebensart der erzgebirgischen Ahnen. Ihre ständige Mahnung war: „zusammennehmen“ und „bescheiden sein“. Nichts, was noch verwendbar war, durfte „umkommen“. Sie schnitt kein Brot an, ohne mit dem Messer drei Kreuze darüber zu machen. Den Anschnitt legte sie nie nach der Tür, damit „das Brot im Hause bleibe“. So bewahrte sie manchen kleinen Aberglauben ihrer kleinstädtischen Jugend. Die hohen Feste und besondere Ereignisse, wie zum Beispiel das Stollenbacken, wurden nach überkommenen Regeln und alten Rezepten begangen. So gab es Heringssalat am Heiligen Abend und Hirsesuppe am Silvestertag. Die Karpfenschuppe kam in die Geldbörse, damit das Geld nie ausging und selbst am Sonntag wurden Strümpfe mit dem Kartoffelwasser der grünen Klöße gewaschen, „damit nichts umkommt“. Die „große Welt“ kannte meine Großmutter nicht. Abgesehen von ihrem „Kaffeekränzchen“, einem lebenslangen Freundschaftskreis, lebte sie zurückgezogen in Haselbrunn. Doch sie war gastfrei und recht freigebig. Die Tageszeitung „Vogtländer“ und darin vor allem die „Geschichte“ der Fortsetzungsromane, auch einmal ein Buch, das war ihr bescheidenes Feld. Als ihre Kinder älter wurden, nannten sie ihre Mutter nur „unsere Emm“. Denn sie waren über den häuslichen Rahmen hinausgewachsen.

Auf das Urteil anderer Leute gab meine Großmutter viel. Ihr regelmäßiger Kirchgang in die benachbarte Markuskirche geschah zum wesentlichen Teil „der Leute wegen“ oder „weil jemand aus dem Haus [Haselbrunner Straße 112] in der Kirche sein muss“. Eines ihrer Hauptargumente war: „Was soll denn der Herr Pastor Weidenkaff denken.“ Bei aller Liebe für ihren Mann und ihre Kinder war Zärtlichkeit nicht die Baumannsche Art. Selbst bei herzlichen Anlässen wurden Küsse nicht ausgetauscht. Anders verhielt sie sich ihren Enkelkindern gegenüber. Meine Großmutter starb in der Nacht vom 28. Februar zum 1. März 1947. Noch in den letzten Stunden ihres Lebens bewegte sie der Gedanke, dass ihre Familie und besonders die beiden kleinen Enkelkinder genug zu essen haben werden („Hoffentlich müsst Ihr nie mehr hungern.“).

Über den Tod meiner Großmutter steht in einem Brief ihrer Tochter Magdalene Emma Meyer vom 20. April 1947 geschrieben: „Aufregungen, Entbehrungen und Bombenangriffe [auf Plauen im Jahr 1945] hatten ihr Herzleiden verschlimmert. Der furchtbarste aller Winter [im Jahr 1947] hat ihr das letzte bissel Kraft genommen. Trotzdem hat sie immer wieder gearbeitet, gekocht und geschafft, bis dann Mitte Februar ein schlimmer Herzanfall Mutter zum Liegen zwang.“ Und über das Begräbnis berichtet dieser Brief: „Ich selber musste am Sonntag von Elsterberg nach Plauen laufen, weil keine Züge fuhren. Dieser Weg bleibt mir unvergessen. Über die Dörfer war ungewöhnlich viel Schnee heruntergekommen und die Landstraße war völlig vereist gewesen. Ich bin immer hin und her gerutscht. In Jößnitz kam mir mein Bruder Eitel entgegen. … Das Begräbnis war ein Opfer für alle Teilnehmer in dieser Kälte und bei den schaurigen Zugverbindungen. … Zum Glück war Strom da und die Glocken konnten läuten. … Alle Elsterberger Verwandte und Onkel Fritz Baumann aus Oschatz waren emotional ergriffen, wie wunderbar Pfarrer Kurt Weidenkaff gesprochen hat. Seiner Ansprache lag der Bibelvers zugrunde: „Haltet mich nicht auf, denn der Herr hat Gnade zu meiner Reise gegeben. Lasst mich, dass ich zu meinem Herrn ziehe.“ [1. Mose (Genesis), Kapitel 24, Vers 56] … Särge waren nicht zu bekommen. Der Herr Pfarrer hatte in der Woche vorher 8 Leichen ohne Särge beerdigt. Bei Tischler Haase bekam ich mit Eitel zwar noch einen Sarg, wir mussten ihm aber Kleiderstoffe, die uns die Verwandten aus der Anlauftschen Weberei gegeben haben, als Gegenleistung liefern. Die Leichenhalle ist zum größten Teil zerstört. Feuerbestattungen gibt es nicht. Wir durften Mutter ausnahmsweise bis zum 6. März in der Wohnung aufgebahrt behalten. Jeden Tag die vielen Toten. Sie kamen mit dem Gräberschaufeln nicht nach. Die meisten Toten konnten nur in einem Papiersack der Erde übergeben werden.“

Erinnerungen

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