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4. Arbeits-Single und Steinzeitpsyche

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Zwei Mitmenschen, auf die die Aussagen „permanenter Druck und dauernder Konkurrenzkampf“ zutreffen, sind der 45 jährige Andreas Hüther und seine 40 jährige Ehefrau Christina Piepenstein-Hüther. Eine erfolgreiche Fortpflanzung und damit eine direkte Fitness sind bislang ausgeblieben. Dafür leisten sie gelegentlich (soweit es ihre berufliche Tätigkeit und die durchorganisierte Freizeit zulassen) eine indirekte Fitness, indem sie als „Helfer am Nest“ ihre Verwandten durch zeitlich begrenzte Betreuung des verwandtschaftlichen Nachwuchses unterstützen. Dass sie selbst keine Kinder haben, ist einfach zu erklären: Eine Investition von Energie in ihre berufliche Arbeit ist ihnen wichtiger als eine elternliche (parentale) Investition in eigene Kinder. Beide Partner sind nicht nur Workaholics sondern auch Arbeits-Singles, da sie aus beruflichen Gründen zwei Wohnsitze haben müssen. Das kommt ihnen aber als taktische Singles entgegen, da sie ihre jeweils eigene Wohnung als „Rückzugsstätte“ nutzen können. Nach dem Abschluss seines BWL-Hochschulstudiums hat Andreas Hüther noch für ein Jahr an der Ostküste der USA ein einjähriges Studium an der Yale University absolviert und sich an der Harvard Business School den letzten Schliff geben lassen. Seine Lebensmaxime lautet: „Strive for excellence“ („Strebe nach hervorragender Leistung“). Für ihn manifestiert sich Leistung und Erfolg in Zahlen. Sein Blick ist stets auf einen Gewinnzuwachs ausgerichtet. Nun ist der enorm ehrgeizige und extrem erfolgsorientierte Mittvierziger in verantwortungsvoller Position als Manager in einem internationalen Wirtschaftsunternehmen tätig. Er muss enorm viel leisten, um den Ansprüchen der globalen Wirtschaftsklientel zu genügen und sich dadurch seine Erfolgsprämien zu sichern. An seinem hohen sozialen Status in Verbindung mit seinem Lebensstandard kann er nur festhalten, wenn er eine hohe Erfolgsquote bei der Jagd nach der Beute Geld erreicht. Um seine Macht und damit seinen Einfluss aufrecht halten zu können, baut Andreas Hüther Hierarchien auf. Die Erfahrung zeigt: Mit Imponierverhalten, dem Aufbau und der Pflege von Konkurrenzbeziehungen werden Machtstrukturen durch Männer aufrechterhalten. Das bedeutet, dass Männer in Führungspositionen sehr in Machtkämpfe, Parteilichkeit, Profilierung und Statusdenken verstrickt sind. Männer verhalten sich vorrangig aufgaben- und zielorientiert, wobei sie ihr eigenes Führungsverhalten sehr oft als „kooperativ“ bezeichnen. Männer entwickeln häufiger Durchsetzungsstrategien. Die Erfahrung zeigt auch, dass männliche Unternehmer „transaktional“ führen: Sie sehen ihre Arbeit als eine Serie von Transaktionen mit untergeordneten Mitarbeitern an. Sie belohnen und bestrafen und nutzen ihre Macht, um persönliche Ziele zu erreichen.

In der modernen Gesellschaft, in der Andreas Hüther lebt, ist ihm sein archaisches (ursprüngliches) Verhalten „abgewöhnt“ worden. Aber sein Steinzeitkörper kann sich an die Herausforderungen der modernen „Zivilisation“ nur geringfügig anpassen. Er denkt, fühlt und handelt noch immer mit einer „Steinzeitpsyche“. Es ist, nebenbei bemerkt, eine Folge der „Missevolution“: Die biologische Evolution kann mit der kulturellen Evolution nicht mehr Schritt halten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass er immer wieder an seine Grenzen der Belastbarkeit stößt und das Gefühl hat, „ausgebrannt“ zu sein. In solchen Situationen fragt sich der hyperaktive Manager Andreas Hüther verzweifelt: „Was ist eigentlich mit mir geschehen?“. Einmal in die Zivilisationsjacke eingezwängt hat er auch im Hinblick auf seine Grundbedürfnisse die Orientierung verloren. Da auch über die Werbung Bedürfnisse geweckt werden, will dieser Jetztzeitmensch immer mehr Konsumgüter und Annehmlichkeiten haben, um sich zu befriedigen.

Seine Frau, die Hosenanzugträgerin Christina Piepenstein-Hüther, arbeitet in verantwortungsvoller Position im oberen Management einer Großbank. Sie ist ebenfalls sehr erfolgsorientiert ausgerichtet. Auf eine interessante Frage soll in dem Zusammenhang kurz eingegangen werden: „Warum streben Frauen Führungspositionen an?“. Macht spielt angeblich für die meisten Frauen keine große Rolle. Das Gegenteil soll der Fall sein. Es geht ihnen nur darum, sich zu verwirklichen. Eine Ausnahme bilden aber die „maskulinisierten Frauen“, die sich männliche Attitüden angeeignet haben. In der Kulturgeschichte der Menschheit sind sie immer wieder in den Vordergrund getreten.

Auf ihre Karriere fokussiert gingen und gehen heute Frauen mit der Macht nicht anders um als Männer. Interessant ist, dass, je höher Frauen in der Hierarchie aufsteigen, ihr Umgang mit der Macht dem der Männer immer ähnlicher wird. Haben Frauen Spaß an der Macht? Dies lässt sich mit „ja“ beantworten. Die Erfolgsstrategie einer Frau ist die Fürsorglichkeit. Es ist ihre Waffe. „Frauen stellen Verpflichtungen her und Bindungen“, so der Organisationspsychologe Lutz von Rosenstil. „Zum Beispiel sorgen sie im Konfliktfall für Harmonie, heben niedergeschlagene Mitarbeiter wieder hoch – alles sehr erfolgreiche Formen der Machtausübung. Frauen leben Macht anders als Männer. Aber einen Machtanspruch haben sie genauso.“

Wenn aber Frauen Machtkämpfe nicht gewinnen, dann verkraften sie die Niederlagen nicht so gut wie Männer. Das größte Hindernis für Frauen, die beruflich aufsteigen wollen, ist die Tatsache, dass die Arbeitswelt von Männern dominiert wird. Daher ist es auch für Frauen im Beruf sehr wichtig, ein gut funktionierendes soziales Netzwerk aufzubauen.

Da beide Arbeits-Singles evangelischen Glaubens sind, verstehen sie sich als geistige Erben des Reformators Johann Calvin und des Volkswirtschaftlers und Soziologen Max Weber. Sie setzen die protestantische Ethik pragmatisch um, indem sie ein asketisches Leben in bestimmten Teilbereichen ihrer Lebensgestaltung führen. Sie beherrscht der Elitegedanke, denn sie wollen die Welt mit bestimmen können. Der Aktienmarkt gibt ihnen dazu Gelegenheit. Regelmäßig besuchen sie Fortbildungsveranstaltungen gehobenen Stils, wie etwa das „World Economic Forum“ in dem Schweizer Ort Davos. Sie wollen ein Teil sein in den Netzwerken der Oberschicht. Andreas Hüther ist Mitglied in einem Rotary Club und Christina Piepenstein-Hüther ist in den Service-Club Zonta International aufgenommen worden. Beide sind außerdem Mitglieder in einem Golfclub und in einem Fitness-Club. Zusätzlich joggen sie regelmäßig, wobei sie auch während des Laufens Informationen aus ihren iPhones abrufen. Sie verbringen nur Kurzurlaube in Wellness-Hotels, in New York City und St. Moritz oder auf einer Segeltour im Mittelmeer. Alles dient in dieser Informationsüberflussgesellschaft ausschließlich dem eigenen Fortkommen. Das Wirksamkeitsdenken beherrscht sie Tag und Nacht.

Generation der gewonnenen Jahre

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