Читать книгу Janowitz - Rolf Schneider - Страница 18

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Sie tastete nach dem silbernen Etui auf ihrem Nachttisch, öffnete es und entnahm eine Zigarette, die sie anzündete. Es war das nach einer vollzogenen Kohabitation bei ihr übliche Verhalten. Karl Kraus missfiel dies, doch mochte sie davon nicht lassen. Die Streiterei deswegen gehörte zu den kleinen Kontroversen, die es zwischen ihnen gab.

Sie sah, wie sich die ausgeatmeten Rauchwölkchen im Licht der Nachttischlampe verloren. Neben ihr griff Kraus nach seiner Brille und setzte sie auf. Mit beiden Armen umschlang er seinen nackten Oberkörper, seine rechte Schulter stand erkennbar höher als die linke.

Sidi, sagte er, hör mir zu. Ich will mich endlich nicht mehr mit dir verstecken müssen. Ich will nachts nicht mehr heimlich in dein Zimmer schleichen.

Ach, Karl. Du weißt, dass ich Rücksichten nehmen muss. Wie sehr sie mich auch quälen. Wir sind nicht allein hier, auf dieser Etage.

Du redest von Rilke?

Auch.

Wie lang will er noch bleiben?

Ich weiß es nicht. Er hat es mir nicht gesagt. Rilke kommt und geht, wie er mag, so war er schon immer. Außerdem hat er gerade eine Zahnbehandlung, in Beneschau.

Der Kerl stört mich.

Bist du eifersüchtig?

Muss ich das sein?

Manchmal kommt es mir so vor.

Ich mag ihn nicht sonderlich. Als Person. Er ist wehleidig, affektiert und verlogen.

Du bist ungerecht.

Ich sage dir meinen Eindruck.

Dann sage ich dir den meinen. Rilke ist ein bedeutender Dichter. Seine Gedichte sind voller Empfindsamkeit und Wohlklang. Sie sind schön.

Sollte dies das Einzige sein, worin wir bei Rilke unterschiedlicher Meinung sind, wäre ich es zufrieden.

Er hat ein bedeutendes Publikum.

Das habe ich auch.

Beneidest du ihn um das seine?

Nein. Das seine besteht aus verwöhnten Adelsdamen mit viel Geld. Er feiert sie samt ihren Schlössern, zum Lohn dürfen sie ihn aushalten.

Du redest auch von mir?

Ich rede von seinen anderen Blaublüterinnen. Manche sind etwas welk. Die von Thurn und Taxis zum Beispiel, ihre Sippe wurde vor dreihundert Jahren geadelt. Du bist bloß Freifrau und bist es erst anderthalb Jahrzehnte. Ich erwähne das, damit du weißt, welchen Rang du bei Rilke einnimmst.

Mich interessiert nicht, welchen Rang ich bei ihm einnehme.

Dann ist alles gut.

Er erhob sich und zog seinen dunkelblauen Nachtmantel über. Die Bekleidung machte, dass der Stand seiner rechten Schulter weniger auffiel. Auf nackten Sohlen ging er zum Fenster und starrte hinaus. Im oberen Fensterrand, sah Sidonie, stand ein blanker Dreiviertelmond.

Vor einem Jahr, sagte sie, ist mein Bruder Johannes gestorben. Du hast ihn nicht gekannt, Rilke kannte ihn. Er hat von dem Tod erfahren und hat mir umgehend geschrieben. Ich kann seinen Brief auswendig: Niemand, der weiß, was Unfassliches Ihnen widerfahren ist, kann versuchen, in Worten etwas von dem zu versichern, was er empfindet, mag ihm das Herz noch so deutlich und innig zureden.

Das klingt verschroben. Findest du nicht?

Nein.

Begreif doch, dass dieser Mensch in Wahrheit immerfort bloß von sich selber redet.

Sein Brief hat mich damals sehr getröstet.

Rilke kennt immer nur sich.

Darin unterscheidet er sich nicht besonders von Karl Kraus.

Ich liebe dich, Sidi. Die Aufmerksamkeit, die du Rilke gibst, nimmst du mir fort.

Komm endlich schlafen.

Er drehte sich vom Fenster fort und sah sie an. Auf seinen Brillengläsern lag der Widerschein des Lichts ihrer Nachttischlampe. Er sagte:

Lass uns heiraten, Sidi.

Sie zuckte zusammen. Es war, als habe man ihr einen kleinen Stoß versetzt. Sie zerdrückte den Rest ihrer Zigarette in der Schale einer Jakobsmuschel. Einst waren solche Schalen das Erkennungszeichen von Pilgern gewesen, die ins galicische Santiago di Compostela zogen, zum Grab des heiligen Jakobus. Bedeutete ihre Profanierung der Muschel zum Aschenbecher ein willkürliches Sakrileg?

Ich habe darüber nachgedacht, sagte Kraus. Ziemlich lange, und das ist das Ergebnis: Ich möchte dich heiraten, Sidi.

Das ist dein Ernst?

Mein völliger Ernst.

Da das Halten wilder Tiere gesetzlich verboten ist und Haustiere dir kein Vergnügen machen, wolltest du lieber unverheiratet bleiben. So hast du geschrieben.

Ich habe vieles geschrieben. Ich habe auch geschrieben, die Ehe sei eine Mesalliance.

Ich erinnere mich.

Man kann seine Meinung ändern. Ich habe die meine geändert. Weil ich dich kenne und seit ich dich kenne. Ich liebe dich, Sidi. Warum wollen wir nicht heiraten?

Ich denke, mein Bruder Charlie wäre damit nicht einverstanden.

Wir brauchen seine Einwilligung nicht.

Das Gesetz schreibt es vor.

Wir werden das Gesetz missachten.

Das hätte üble Folgen. Charlie würde mir alle materielle Zuwendung sperren. Augenblicklich.

Wir brauchen seine Zuwendung nicht. Außerdem dürfte er längst wissen, wie ich zu dir stehe.

Ich fürchte, er weiß es nicht. Wir haben nie darüber geredet. Eine Ehe mit dir wäre in seinen Augen ein Missgriff. Er möchte mich standesgemäß verheiraten. Er ist stolz auf unseren Adelsrang.

Der ist keine hundert Jahre alt.

Trotzdem. Oder gerade deshalb.

Er löste sich vom Fenster und kehrte zurück zu ihrem Bett. Er hockte sich neben sie und fasste ihre Hände.

Du bist mir, sagte er, immer noch eine Antwort schuldig. Sidi.

Ich weiß. Lass mich darüber nachdenken.

Janowitz

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