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ОглавлениеIm Halbkreis ihrer halbhohen Korbsessel vor dem Kamin sitzend, streckt die Gruppe gemeinschaftlich ihre Füße zur Wärme. Wohlig satt, kommt nur knapp ein Gespräch in Gang.
Abends um acht Uhr knattert Margaritas Moped draußen auf.
„Dein Happen steht im Ofen, Salat am Tisch“, meint Leo, als Margarita unterm leisen Hauch eines „Hallo“ eintritt. „Du Arme, siehst ja ganz und gar ruhebedürftig aus.“
Maik deutet für sie ans Klemmbrett nahe dem Fenster.
„Es kam ein Brief für dich an. Einmal kein elektronischer.“
Erwartung schwebt durch den Raum, Margarita reagiert nicht, füllt zügig ihren Teller, setzt sich an den Tisch.
Ihre Abkehr irritiert Usa, sie windet sich im Sessel.
Der knarzt und wohl auch sie selber, rügt es Anton bei sich und bemerkt, zeitgleich dem Geräusch, noch nicht von Usa gehört zu haben, was Vera zu Hotelgast Carel wisse. Komme Vera vom Nachtdienst, schläft Usa und auch er, erwägt er. Und, den Kerl der Schublade ‚Liegenlassen erledigt’ aufzudrücken. Schon spürt er darin deren Zettel zittern wie ein Nest junger Ratten; ein werdendes Grausen in seiner miesen Tageslaune, die erfuhr keine Besserung durch seinen gütlich gefüllten Magen. Er lugt unter seinen Wimpern zu Usa, und wähnt den Moment einer Frage höchst unpassend: Von ihrem Kopf ausgehend, tastet ein lichtes Bündel Farbfäden in etwa zu ihm hin. Ein Rausch, unabwendbar, erfasst ihn weich im Bauch, obschon das silbrige Bündel nun gänzlich unsichtbar wird. Es entschwindet, war nur ein Schemen. Befangen in Erregung, sagt Anton innerlich dennoch lautlos: „Oh, schade! Aber wahrnehmen kann ich derlei Schönes also doch noch!“
In Gänze gestört wird Antons winzige Freude, verbraucht und abgelenkt. Usa steht auf, trägt herbei ein meterbreit mit Stoff bedecktes Bambusrohr, hängt es an einer Schlaufe an einen Ecke am Geschirrschrank. Sie lässt ihre Hand daran und erhält sofort jegliche stille Achtung im Raum.
„Ihr Lieben, anfangs nannte Leo die Leichtigkeit im Flirt. Was ich euch zeige, passt hervorragend. Schon lange vor diesem Abend begann ich in ebenso langen Nächten dies.“ Einen erregten Moment wartet Usa ab, entrollt ihr Werk auf erdfarbenem Leinen, öffnet anbietend ihre Hand. „Schaut das Patchwork an, den einen Schwarm farbenfroher Schmetterlinge. Unzählige Flügel flattern in den verschiedensten Neigungen.“
Sprachlose Überraschung antwortet ihr aus allen vier weiten Augenpaaren, als sie kurz in die Runde am Kamin lugt.
„Du hast es drauf, großartig geworden!“, kommt es zärtlich von Maik. „Eine zweite Kreative wurde uns geboren!“
„Bedeuten dir Schmetterlinge etwas Besonderes?“, will vom Tisch Margarita wissen. Das Gespräch über ihrem Gärtnermeister erinnernd, winkt sie Leo mit ihrer Gabel.
Nachdenklich nickt Usa. Ihr Lächeln streift Anton.
„Robusten Wesen mit Gebrauchsspuren, wie uns, verkünden sie ihre gewisse Magie im wimpernzarten Zickzackkurs. Einem Wahren auf der Spur, der Nahrung der Zukunft, von unbekannter Paarung. Wie ihr seht, haben einige Schmetterlinge zerzauste Flügel, sie wurden von gierigen Eidechsen angefressen.“
„Verwandle die Schmetterlinge in Faltenfalter, analog uns“, schlägt Leo vor, reckt sich, tippt vor ihren Hals. „In meinem Bauch regten sich vor Jahren Schmetterlinge! Hingegen drapiert sich faltige Haut zusehends an. Trotzdem fliegen wir von Blüte zu Blüte und wünschen uns, auch mit der Alterung noch als schön anerkannt zu werden, was Maik?“
Ihr zwinkernd, gibt Maik seiner Stimme einen rüden Klang.
„Den Sex junger verliebter Paare will ich nicht nachmachen, der war damals auch nicht wert, mich darauf zu reduzieren.“
„Maik! Diese Flamme geht nicht aus! Zwar war ich noch nie auf der jährlichen Berliner Erotikmesse, aber hörte von Fotos auf Kalendern für jene mit Sehnsucht nach der Erotik kommender Jahre. Nach der Freude der Berührung, die vielleicht sogar die Seele der Partnerin berührt, um in den noch neuen körperlichen Bedingungen die Liebe neu kennen zu lernen. Die alte Identität, die einer nur potenten Kraft, ersetzt die aufs Allerfeinste.“
Leben flirrt über die Runde. Die Korbsessel erknarren. Mit einem Einwand schafft Usa sich Gehör.
„Leo, vor Jahren begegnete mir die Hawaiianische Heilkunst, und vieles im Yoga. Kundalini steigt doch immer auf, wenn auch im Alter langsamer zu den Schwachstellen, um Daniederliegendes anzuheben, wenn der Input an Lebenserfahrung zu bindend war.“
Usa hält Leos Blick fest, und senkt ihre Tonlage.
„Das funktioniert wie ein Zugriff neuzeitlicher Schwingung und leitet aus alten Zellen Ballast aus. Mir bestätigt es sich derzeit, meinen Stil entwickelt zu haben, und darin erfährt das Wissen um uralte Heilkünste keine Entwertung. Ich wünsche mir für die vor mir liegenden Jahre, mir sollte an jeder Wegesecke etwas erotisch aufgeladene Kreativität in Reinkultur winken.“
Anton reckt sich, sein Hals knittert vor Druck.
„Leo, unerwünschte Auslöser, Impulse gegen Stagnation, gib anderswo!“
„Na!“, faucht Leo, fletscht weiß die Zähne, Riffumschiffung vergessend. Schon wippt eine ihrer roten Stiefelspitzen, will Anton stechen. „Ich Kröte tappte in eines deiner Fettnäpfchen!“
Usa stemmt die Hände an die Pluderhose, und reckt ihr Kinn.
„Anton, schau, wage den Blick in deine Zukunft, in der gar nichts Unerwünschtes steckt.“ Sie schraubt ihre Stimme tiefer. „Du wirst anfangs überrascht sein, was dir aufleuchtet, darauf kommt es an. Die Phase der Falten abverlangt eine Strategie zum Glücklichsein, von alten Sicherheiten abzulassen, von falscher Orientierung. Weil die letzten Körner in der Sanduhr rieseln!“
Um Anton eine Denkpause zu verschaffen, reckt sich Lian und ruft, beinahe außer sich:
„Frei falscher Sicherheit? Du meinst wohl nur den Klang der Luft, den Schmetterlingsschwingen hören lassen!, was Härchen am Arm bei einer leichten Brise antworten! Ich weiß um die Magie der Liebe. Es gibt sie neben allem, was Evolutionsforscher uns versuchen zu beweisen.“
„Lian, du kommentierst vom kreativem Winkel aus“, knurrt in die Stille hinein am Esstisch Margarita. „Ich eile mit Weile, vormals hieß es, Zeit ist Geld. Deshalb hatte ich es eilig mit der Liebe in der Ehe, an deren Niedergang ich älter wurde. Der Kurs ändert sich, aber wissen will ich, wo er hinführt.“
„Ja!“, bestätigt Anton, obschon er Margaritas Brummen kaum verstand. „Du und ich bezahlen für emotionale Erpressung nicht mehr mit Herzblut.“
Anton zornig anfunkelnd, blafft Usa: „Suchst du danach, wie es nicht zu sein hat, hältst du dich an den alten Vorstellungen fest. Anderssein impliziert, Eigenliebe erschafft Glücksräume!“
„Ja ja!“, funkt Anton zurück. „Du weißt, wie das geht.“
„Jetzt reicht es!“, wirft Maik ein, „du wirst verletzlich, mach Schluss damit, nimm das Gift raus, Anton, auch du, Usa!“
Maik rappelt sich hoch, stochert die Kaminglut mit ruppigen Armbewegungen auf, legt ein Scheit vom Stapel daneben hinein. Noch dahin sehend, stößt er aus:
„Entgegen Streiten wäre vorteilhafter, ihr würdet euch mal wieder liebevoll necken, und euch aushalten!“
Usa kraust die Brauen. Anderes beschwörend wispert Lian:
„Liebe Usa, du weißt um den Zauber des Erfolges aus deiner Quelle. Lass Anton gegen den Strom seiner Integration schwimmen und danach fällt ihm seine Vernetzung leichter, und wohlmöglich wird er gestärkt und in sich verständnisvoller.“
Das Knistern der Kaminflammen übertönend, ruft Leo streng:
„Wo ich herkomme und hin zurückkehre, da ertrage ich andere Gemeinheiten wie ihr. Anton wird irgendwann klar werden, warum er bockt. Mich ödet das vor mir liegende genauso an, wie Anton oder Margarita das ihrige. Ich halte mich ab jetzt hier still!“
Anton gelingt es, seine ihm durch Leos Kritik klargewordene Stagnation zu überwinden. Aber nicht allen Missmut, vorgelagert in dunkelster Tiefe. Der drängt zu Leo.
„Ich höre Dominanzanspruch! Dir gebe ich kein ABO zum Tanz nach deiner Pfeife.“
Sprungbereit fortzulaufen, rutscht Leo an ihre Sesselkante, nah geht ihr der Vorwurf. Nur piepsen kann sie.
„Anton, du hast ein mieses bipolares Beziehungsmodel! Nicht zum ersten Mal rührst du herum in dem Topf!“
„Leo, sei wieder gut!“, unterbricht Lian, da sie ahnt, was sie anhören soll. „Du siehst das und bist ganz richtig, und so lieben wir dich. Sicher willst du nur anregen. Anton begreift das völlig falsch als Autoritätsanspruch, weil ihm sein Packen Vorkommnisse im Leben das seine im Jetzt erschwert.“
Nun setzt Anton zu Widerspruch an, umfasst die Armlehnen am Sessels hart. Doch, schon im Wenden zum Schrank, knurrt Usa:
„Hör auf, zügle dich, Anton!“
Bemüht, betrachtet sie ihr Werk. Weich wird ihr Blick von den nächtlichen Durchgängen in zukunftsweisende Ideen, seit sie die Schmetterlinge fand und mit ihnen flog wie ein zufriedenes, fröhliches Kind. Tief ausatmend, wendet Usa sich in der Runde hingefletzter Grauhaariger einfühlsam an Antons dunkle Augen.
„Dein Missverständnis beende. Absorbiere nicht deine faden Kaugummis irgendwelcher Bewertungen unter der Schuhsohle.“
Leo prustet los, absolvierte längst einen ähnlichen Abgang.
„Mit diesem bunten Berliner Stempel lebe ich so gut wie ein Paradiesvogel nur könnte.“
„Kannst du dir auch vorstellen, Anton eine PC-Nachhilfe zu geben? Vermutlich profitiert er mental von deiner Routine, und findet danach hinaus zur Katastrophe im Garten.“
„Ups!“, ruft Anton. „Usa, ich neige mein Haupt in den Staub vor deinen Schuhen, du gebietest über hohen Starrsinn und doch schaukelt dein Pferdchen.“ Für Leo fügt er an, ebenso zynisch:
„Arm wäre ich ohne dich. Flirten wir also am PC. Fein!“
„Und freundlich, längs eurer Rollen.“ Usa lächelt gelassen.
„Murkse Leo nicht ab für ihren kreativen Reichtum, oder ihre uralten Fangarme. Sie wählt das Richtige für ihre Sicherheit.“
„Bei Sicherheit fällt mir das im Sportstudio mit Gewichten trainierende junge Gemüse ein, das weiß nichts von Arthrose im Ellbogen.“ Leo hört am Gestöhne in der Runde am Kamin, was sie angerichtet hat. Sie schwenkt auf ein anderes Gebiet um. „Diese Pannen an uns, besiegt demnächst die Stammzellenzüchtung!“
„Ein Ansatz von allgemeinem Interesse, doch der verpufft!“, blafft Maik Leo an. „Jeder schiebt das Altern in Würde von sich ab, keiner freut sich auf den Rollator. Zuversicht, prima Laune und Weitermachen sind die besten Pillen, meine ich, und frage mich schon, wie Schmetterlinge enden! Kurzlebigkeit und Falten nur, sind die uns gemein? Trockene Runzeln kommen sowieso, die sind das selige Ende an der Sprossenleiter zum Himmel.“
„Du und deine Endgedanken zur alten Fassade“, rügt ihn Lian ernsthaft, bedenklich an der Nase reibend. „Lass ab vom Kummer. Ich verstehe, zum Zweck ihrer Nachkommen tickt auch die Uhr der Schmetterlinge und läuft ab im Paarungsflug, nachdem sie ihren Nektar tranken. Wir trinken unser Lebenselixier noch eine ganze Weile! In mir existiert keine Zeit in meiner Seele Funken. Wie ewig frisch, altern die nicht, werden niemals alt sein.“
Lian hebt ihre Hand von der Nase, dreht den Kopf zum Tisch. Zu Margarita, deren krasse Miene sie ignoriert und ihr winkt.
„Dir töpfere ich, analog Usas Schmetterlinge, einen Stempel für deine Duftseifen. Findest du Zeit, dein Hobby zu pflegen?“
„Zeigt sich ein Luftloch, gehe ich mit dir einig.“
„Ups! Das war knapp.“
Antons Augenbrauen zucken theatralisch hoch auf die Stirn. Seine Stimme färbt er gelassen ein und bedeutungsschwer, weil Maiks Haar zwar wirr steht, doch nicht vom Raufen. Es passierte akut auch nichts mehr. Doch das zuvor Geschehene schmort noch.
„Im Sonnenschein schwärmen Falter, und ähneln uns, auch wir mögen für die vorerst letzte Etappe Wärme. Angenehm wäre dabei auch nachbarschaftliche Gegenliebe - die fehlt im Paradies. Die
hiesigen Bananenfalter imitieren zur Abschreckung ihrer Feinde Raubtieraugen an den Flügeln. Ansonsten fällt mir nur ein, euch um Ideen zu bitten, wegen der Rotzlümmel in der Nachbarschaft!“
Der Versuch war es wert, wegen dem Nest scharrender Ratten. Ungenügend antwortet das Schweigen unbewegter Körper. Die Bitte erwürgt das schöne Weiche ihrer gealterten Gesichter. In Anton springt ein Getriebe an in Richtung der Nachfrage, so brauchbar wie ein leiser Motor. Abfahren vermag er nicht, soeben passiert mehr. Leo atmet tiefer, deutet heftig zum Wandbild.
„Dies Flattern hält uns unsere zwickenden Sechziger präsent und das zelebrieren wir am Beginn des neuen gemeinsamen Jahres. Usas Patchwork stellt es als ein Spiel auf: Siege für Wünsche.“
Vor ihrem Bildwerk wedeln Usas Arme nun auf- und abwärts in raschen Zickzacklinien vor den Schmetterlingen, zeichnen, malen Symbole davor. Andächtig wird ihr Treiben beobachtet.
Lian deutet Usas Wippschwünge als Sternbild, dem sie einen Auftrag zuteilt, es bündelt in einer Grafik. Und erinnert, sie sah solch ein Siegel schon auf uralten Amuletten.
Eine Interpretation zum salomonischen Siegel erinnert Lian. Ein sphärischer Geist küsse symbolisch wach, wecke Kraft. Weise knüpfen zudem ein Mantra hinein, das in das Feld eines Wunsches ziele, die Last vor der Erfüllung abwerfe. Im Detail genau wird ein Herzenswunsch dem Alltag überantwortet, der harre nicht aus in der Leere, sondern in Dankbarkeit, es erreicht zu wissen.
Schon ribbelt Lian geistig am vorigen Jahr, an ihrer Kette aus Tonkügelchen, die sie zur WG spannte, nach einem Besuch der im Umbau befindlichen Quinta. Viele Ideen regte die Idylle der subtropischen Gartenlandschaft an. Inspirationen für Monumente keimten endlich wieder, erneuerten den Glaube an ihre Berufung.
„Ihr Lieben!“, nimmt Lian das Gespräch wieder auf, als Usas Arme hängen. „Unsere temporär flexible Interessengemeinschaft gab mir ein Versteck vor den kalten Sphären am Festland, eine Zuflucht für meine Künste, und das Synonym meines Namens. Mit geschärften Sinnen kann ich mich auf- und abwärts schlängeln, wie meine Hände an Tonklumpen. Das wird mir, stets beglückend, auch möglich sein, lehnt der Gehstock daneben. Und treiben die Rotzlümmel mit uns noch mehr Schabernack.“
Lians blauer Blick streift über Maik, der mit Leos Stiefeln zärtlich barfüßiges Streicheln tauscht, und hin zu Anton, noch magnetisiert von Usa. Über Antons Schoß greift sie hinweg auf Usas Sessel, rückt daran, und fragt, warmherzig klingend:
„Hast du Wohlbefinden gewedelt und mutig weitergesponnen?“
Usa setzt sich, ihr Sessel knarrt unter ihrem Gewicht.
„Gesundheit, und langen Atem mit den Nachbarn und für einen neuen Job, um darin zu siegen. Mein Werk gefällt dir also?“
Leos wache Miene bemerkt Lian, und hebt an, in Empathie mit Usa, um ihren vorherigen Schlusspunkt auszuführen: „Mein Humor war weg, als ich mit dem Gesicht voran im Dreck der Schulden meiner Galerie lag, in der Scheingeborgenheit der Geldwelt.“
Kurz huscht ihr Blick auf Anton, ihn lernte sie damals als Reisepartner über eine Kontaktbörse kennen.
„Ich fand Freunde, das war mein Sieg und deshalb verstehe ich jeden Wunsch nach guten Job- und, ja, anderen Aussichten.“ Ihre Stimme senkt sie. „Bitte, wechseln wir das Thema. Anton, erzähle etwas Neues vom Glück deiner rollenden Räder.“
Anton lächelt, beginnt bedächtig.
„Mit dem neuen Reifen fährt der Jeep wieder prima. Mir war nach der Nägelattacke wichtig, Fernando zu treffen. Er glaubt nicht, nur Böses wäre uns bestimmt. Ich traf ihn beim Stall im Berg. Sein Schwager schlachtete ein Schwein, Fernando mag gerne Kotelett.“ Zu Maik grinst er, der höchst interessiert lauscht.
„Schnaps gab es, der gehöre dazu wie heißes Wasser, meinte der Schwager, und sang mir vor, was er in der Lehre lernte: Bis das Schwein hat den Haken rein, muss getrunken sein. Und Fernando
kannte den Wursterspruch deutscher Hausschlachter. Kommt raus, was reinkommt, komme er da rein, wo er nie wieder raus komme.“
Maiks Sessel knarrt auf, und er in dem Part alten Lebens.
„Hm, leckere Grützwurst mit Graupen, und Mettwurst.“
Anton nickt bestätigend, räuspert sich dann.
„Eine blutige Angelegenheit waren die besudelten Sägen des heldenhaften Schwagers. Einen Schinken sagte uns Fernando zu.“
„Da du gut Bescheid weißt, könnte ich darüber einen Artikel fürs Inselmagazin verfassen, ein paar Euros verdienen.“
Usa hebt zaghaft ihr Kinn, doch fängt von Leo ein Aufzucken einer Braue ein, sie unterdrückt Ekel. Nicht so Anton.
„Ist möglich, Usa. Aber der Wurstgenuss sagt mir mehr zu.“ Er schnalzt mit der Zunge vor der Aufmerksamen. „Wie ich weiß“, beginnt er, „wird Wursten erlaubt, hängt das Schwein über Nacht ab, das er Veterinär dann stempelt. Danach wird die rohe Leber durchgedreht und im Glas eingekocht, um deren Keime abzutöten.“
„So hast du dich damals verköstigt, hier nicht mehr!“ Lian schüttelt ihre Schultern. „Wurst schmeckt abscheulich, versetzt den Geschmacksnerven Kontrapunkte! Anton, schweige, sonst ...“
Das markante Dingding Klingeln der Glocke am Hauseck nahe der Palisade, unterbricht Lian. Sämtliche Mienen zucken, teils in Neugier, teils als Linderung von der Wursterei.
„Erwartet ihr jemanden? Ich nicht.“
Maik geht hinaus. Er trägt einen Brief in der Hand zurück.
„Es war Jörg, der Nachbar von oberhalb. Er erwähnte, ein Polizist suche bei der ihre Enkel misshandelnden Oma den seit Wochen vermissten Kindsvater. Er weiß definitiv, wegen dessen Sauferei lebe deren Mutter längst in Funchal.“
Unter buschigen Brauen kaschiert Maik seine Entdeckung der Untat, seinen Aufruhr. Doch keiner soll darauf anspringen. Maik springt in die aufrechte Pose, mit klimpernden hellen Wimpern, die etwas ankündigen, und redet mit voll tönender Stimme.
„Im Grunde bat Jörg - er plant ein größeres Fest, zu dem er auch Residentes einlädt – bei uns im Gästezimmer seine beiden Söhne unterzubringen. Ich sagte ihm das Wochenende zu.“
„Was hast du zugesagt?“
Margarita nähert sich, nimmt den Brief, zieht vor dem Kamin eine Karte hervor. Konfetti rieselt. Verdutzt sieht sie auf den bunten Segen an den Fliesen, kurz dann ans Datum, fettgedruckt in der Kartenmitte. Bitter lächelt sie Maik an.
„Uh! Dann schläft Leo probeweise oben bei mir. Andere Leute kennen lernen mag ich, habe kaum je anderswo Gelegenheit.“
Margarita überläuft ein Schauder, der Allen Aufschluss über die dunklen Ränder unter ihren arbeitsmüden Augen gibt. Rundum geht ein Wissen von ihrer Belastung, einig mit Maiks Erlaubnis der Einquartierung. Sie halten es ebenso, nichts kollidiert.
Mit unbesorgter Miene geht Maik zu Leo, berührt eine Wange.
„Schatz, dir fallen ja schon die Augen zu. Mach nicht mehr so lange, freu dich aufs frischgebackene Frühstücksbrot.“
„Ja, habe eine gute Nacht, bis zum nächsten Übungsflirt.“
Während er in steifem Gang zur Tür geht, lauscht Leo seinen Tritten, sieht dann Lian an.
„Kommst du mit ins Atelier?“
Die Korbsessel knarren ihr leises Quietschen, während Anton und Usa auch aufstehen. Sie löschen noch die Kerzenleuchter.
Verlassen steht Margarita am Kamin. Rasch klemmt sie Jörgs Einladung ans Notizbrett, nimmt ihren Brief. Dann zittern ihre Finger. Eine eng beschriebene Trauerkarte mit schwarzem Rand verschwimmt wie das Glimmen im Kamin vor ihren Tränen.