Читать книгу Bombennacht - Roman Rausch - Страница 7

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Lagemeldung

März 1945. Der Krieg ist im sechsten Jahr. Im Westen ist die Ardennenoffensive gescheitert, die den Einfall alliierter Truppen auf den Kontinent hätte stoppen sollen. Im Osten schreitet die Rote Armee unaufhaltsam voran. Einen Zweifrontenkrieg kann Hitlers Nazi-Deutschland nicht länger führen, der Krieg ist verloren. Dennoch gehen die Kämpfe weiter – auch und gerade wegen der Sturheit Hitlers und seiner Helfer.

Amerikanische und britische Bomberverbände beherrschen den deutschen Luftraum. Gegenwehr gibt es kaum noch. Die deutschen Abfangjäger bleiben am Boden, hauptsächlich wegen Spritmangels, aber auch weil die erfahrenen Piloten längst tot sind. Wer jetzt noch aufsteigt, ist jung und unerfahren, er wird eine leichte Beute der Jabos – der feindlichen Jagdbomber.

Wer die Lufthoheit über sein Land verliert, ist der Gnade des Stärkeren ausgeliefert. Von Gnade für das kriegsmüde Deutschland kann aber nicht die Rede sein, die flächendeckende Bombardierung deutscher Großstädte geht unvermindert weiter – am 13. Februar hat es Dresden getroffen, genauer: Die Stadt wurde völlig zerstört.

Es geht längst nicht mehr darum, kriegswichtige Einrichtungen zu zerstören – die sind es schon längst. Die neue Strategie der britischen Regierung heißt moral bombing. Ihr liegt die Annahme aus dem Ersten Weltkrieg zugrunde, dass das Bombardieren von Wohngebieten die Durchhaltemoral und den Kampfwillen der Bevölkerung schwächt, ein Ende des Krieges würde somit schneller erreicht.

Für die deutsche Propaganda sind diese Bombardements Terror-Angriffe gegen die schutzlose Bevölkerung, obwohl die deutsche Luftwaffe nach dem gleichen Prinzip schon Jahre zuvor London bombardiert und andere englische Städte (unter anderem Coventry) ausradiert hat.

Bis ins Frühjahr 1945 greifen hauptsächlich britische Bomberverbände kriegswichtige deutsche Städte mit einer Einwohnerzahl über 100 000 an. Im Bombenhagel werden sie dem Erdboden gleichgemacht. Als die Liste der 100 000er abgearbeitet ist, könnte man damit aufhören, denn der gewünschte Erfolg der Demoralisierung zeigt nicht die erhoffte Wirkung.

Ein anderer Begriff geistert durch die Köpfe der Strategen – Zerstörungseffizienz. Er beschreibt das Verhältnis des eingesetzten Kriegsmaterials zum Grad der Zerstörung. Spricht das Verhältnis zugunsten einer großen Zerstörung bei nur wenig Materialeinsatz, ist das Schicksal der betreffenden Stadt und ihrer Zivilbevölkerung besiegelt, ganz gleich, ob die Stadt von kriegswichtiger Bedeutung ist oder sich besonders viele Krankenhäuser oder Flüchtlinge darin befinden.

Würzburg befindet sich erstmals am 23. Januar 1945 auf einer Liste möglicher Ziele für flächendeckende Angriffe. Am 10. Februar 1945 steht die Stadt dann erstmals auf Platz zehn der demnächst zu zerstörenden Städte. Diese Liste arbeiten RAF (Royal Air Force) und USAAF (United States Army Air Forces) in den kommenden Wochen systematisch ab.

Würzburg hat am 16. März 1945 zirka 110 000 gemeldete Einwohner und ist bislang vor einer großflächigen Zerstörung verschont geblieben, obwohl es davor schon kleinere Angriffe gegeben hat, denen rund 400 Menschen zum Opfer fielen.

Die Würzburger glauben fest an die Verschonung ihrer Stadt. Der Bahnhof – einst Verkehrsknotenpunkt – ist bereits zerstört, kriegswichtiges Material wird nur noch in kleinem Umfang hergestellt, Munition wird in ein paar städtischen Betrieben abgefüllt, doch im Großen und Ganzen ist Würzburg eine Stadt des Barock und eines Bischofs. Es gibt eine weithin berühmte Universität mit einer noch berühmteren Residenz und dem Fresko von Tiepolo. Man versteht sich als Kulturmetropole mit bestem Wein und hübsch anzusehenden Fachwerkhäusern. Eine in den Norden verirrte italienische Stadt sei Würzburg. Nicht zuletzt habe der britische Premier Winston Churchill hier studiert, so sagt man, er werde seine alte Alma Mater nicht zerstören, schließlich sei er trotz allem ein Gentleman.

Doch die Realität jenseits dieser beruhigenden Gedanken sieht anders aus. Würzburg ist in den letzten Monaten und Jahren Zufluchtsort einer unbekannt großen Zahl Ausgebombter und Flüchtlinge aus den eroberten Reichsgebieten geworden. Zehntausend Verwundete finden in den rund vierzig Krankenhäusern und Lazaretten ärztliche Hilfe, rückflutende Soldaten verschärfen die Lage.

In der Stadt wird es unerträglich eng, die Stimmung zwischen Einheimischen und Flüchtlingen ist schlecht, die Versorgung mit Nahrung, Wasser und Energie knapp. Die Müdigkeit von den vielen Fliegeralarmen und dem Gerangel in den Luftschutzkellern ist allenthalben zu spüren. Lange kann es nicht mehr so weitergehen. Selbst jene, die die Wirtschaftskrise und den Aufstieg Hitlers miterlebt haben, seinen Versprechen glaubten, ihm bedingungslose Treue schworen, den Abtransport von zweitausend jüdischen Mitbürgern in die Vernichtungslager protestlos hinnahmen, ihn mitunter unterstützt haben, meinen jetzt, dass es genug sei. Friede müsse her.

Der 16. März ist ein Freitag, es wird ein überraschend warmer, sonnenreicher Frühlingstag. Das Wochenende steht bevor, auch wenn viele am Samstag noch arbeiten müssen. Zeit für Entspannung und Ablenkung. In den Kinos laufen Filme wie Eine Nacht in Venedig und Viel Lärm um Nixi. Wer es sich noch leisten kann, geht danach auf einen Schoppen an den Main. In den Gartenhäuschen an den drei Hügeln über der Stadt kann man ein paar Kartoffeln ins Feuer werfen, dem Trubel der Stadt entkommen, endlich wieder befreit durchatmen und mit Freunden die erste wahre Frühlingsnacht unter einem sternenreichen Himmel verbringen.

Der Krieg ist bald vorbei, so glaubt man, und Würzburg hat ihn überlebt.

Bombennacht

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