Читать книгу NADIA - Roman Spritzendorfer - Страница 5

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Kapitel 2

Er suchte sich ein Nachtquartier. Dieses fand er weit entfernt vom Bahnhof in einem ruhigen Viertel. Er war mit dem angebotenen Essen zufrieden und ging, angekleidet wie er war, zu Bett. Oftmals hatte er auf diesen gefährlichen Streckenabschnitt hingewiesen, der vor der Ausfahrt in die Prärie unter einem nicht gesprengten Überhang durchführte. Dies war aber nie in der Generaldirektion angekommen.

Als er schon im Bett lag, hatte man ihn in allen Beherbergungen und Hotels dieser kleinen Stadt intensiv gesucht. Davon wusste er aber nichts. Man war seitens der Bahngesellschaft hinter dem kleinen Päckchen her, welches er aus dem Postwaggon entnommen hatte. Seine Zimmervermieterin wusste von dem Unglück. Sie dachte sich von Joseph, ein armer Teufel, der ohne Hab und Gut, mit dem Leben davongekommen war. Am anderen Morgen beim Frühstück schlug sie ihm vor, sein Hemd zu waschen.

»Dagegen hätte ich nichts, aber außer diesem Hemd habe ich kein anderes und alle anderen Kleidungsstücke befinden sich noch in dem Waggon, aus dem ich nur mit Mühe entkommen bin.«

»Ich könnte ihnen aus den Sachen meines verstorbenen Mannes aushelfen.«

»Wenn sie das tatsächlich vorhaben, dann würde ich auch darum bitten, das Blut aus meiner Hose zu waschen. Wieviel soll ich ihnen dafür bezahlen?«

»Das Bezahlen hat Zeit, sie scheinen mir ein ehrlicher Mann zu sein. Sie werden mir sicherlich nicht davonlaufen. Was möchten sie zum Mitttagessen? Bis zum Nachmittag werden ihre Sachen wieder trocken sein.«

»Ihren Vorschlag werde ich annehmen, dennoch bekommen sie einen Vorschuss.«

Er holte aus einem kleinen Bündel einige Dollarnoten und reichte sie der Dame.

»Nein, das ist zu viel. Diese Geldsumme habe ich schon lange nicht gesehen. Ich lebe von einer kleinen Rente. Fallweise kann ich ein Zimmer für eine Nacht vermieten.

Die Menschen werden aber immer anspruchsvoller und ziehen lieber in ein Hotel.«

»Behalten sie es, ich habe ein sehr schmackhaftes Abendessen bekommen. Auch gegen das reichliche Frühstück habe ich keinen Einwand. Es ist ein Vorschuss.«

»Darf ich sie nach ihrer Beschäftigung fragen?«

Joseph überlegte ein wenig. Vielleicht hatte er durch Zufall eine Vertraute gefunden. Eines dieser Weiber, die nur darauf bedacht waren, jegliche Neuigkeit überall hin weiter zu erzählen, schien sie nicht zu sein.

»Bevor ich ihnen etwas anvertraue, möchte ich sie darauf hinweisen, es könnte auch für sie gefährlich werden.«

Ohne Erregung blickte sie ihn an.

»Ich arbeitete bei der Eisenbahn. Gestern wurde der Zug plötzlich durch einen Felsbrocken gestoppt. Es ist jene Stelle, wo die Ebene beginnt. Der Lokführer und der Heizer waren sofort tot. Es gab viele Verletzte. Darunter gab es Passagiere, die wesentlich schwerer verletzt worden waren. Ich selbst befand mich im ersten Waggon, in dem Post und Gepäcksstücke neben verschiedenen Waren transportiert werden. Wie durch ein Wunder habe ich nur Abschürfungen davongetragen. Vielen Passagieren war ich behilflich, aus den Trümmern zu entkommen. Ein Lob habe ich von der Bahngesellschaft nicht erhalten. Die Umgebung des Unglücks wurde zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Ein Hilfszug war im Laufe des Tages eingetroffen. Dieser beförderte sicherlich auch Personen von der Versicherungsgesellschaft. Sie haben gestern noch das gesamte Terrain abgesucht. Vom Ergebnis dieser Untersuchung ist mir nichts bekannt.«

»Können sie mir folgen?«

Interessiert hatte sie ihm ohne Unterbrechung zugehört. Er ließ ihr Zeit ihre Gedanken zu ordnen. Ihre rechte Hand führte sie zu ihrem Mund und bedeckte die Lippen. In ihren Augen erkannte er die Angst.

»Sie ahnen nun, was ich erwähnt aber nicht deutlich ausgesprochen habe.«

»Haben sie keine Angst?«

»Angst hat jeder Mensch. Man soll sich aber nicht von dieser Angst beherrschen lassen, sonst ist man verloren. Das habe ich als Cowboy gelernt. Das war ein hartes Leben. Darum suchte ich etwas, von dem ich gehofft hatte, es wäre friedvoller. Das war vor langer Zeit. Mittlerweile habe ich mehr erfahren. Alles ist nur Schein. Wer Näheres kennenlernt, vergisst den Frieden.«

»Ich werde nun gehen und für sie passende Kleidungsstücke auswählen. «

Joseph begann in seinem Bündel zu wühlen und holte jene Unterlagen heraus, die in einer Blechschatulle im Postwaggon transportiert worden waren.

Nach kurzer Zeit wurde ihm bewusst, der Zug hätte nicht in Betrieb genommen werden dürfen. Die Bremsanlagen sowie der gesamte Unterbau waren in einem sehr schlechten Zustand. Das entnahm er neben anderen kritischen Bemerkungen dem Prüfbericht, der nach der Revision verfasst worden war.

Dieser Bericht war für die Versicherungsgesellschaft bestimmt. Weshalb diese detailgenauen Aufzeichnungen neben all der anderen Post, gerade ihm anvertraut worden waren, verstand er nicht. Eines hatte Joseph begriffen, der Zug war absichtlich zerstört worden. Man hatte gehofft, der Prüfbericht wird nie sein Ziel erreichen. Vermutlich war auch sein Tod ins Kalkül gezogen worden. Joseph versuchte diese Erkenntnis zu überdenken. Er verstaute die Papiere wieder im Bündel. Noch während viele Verletzte provisorisch im Gras lagen, kam das Militär und sperrte die Unglücksstelle. Ohne dem zu Hilfe gerufenen Leutnant hätte auch er keinen Zutritt zum Zug gehabt. Es war ihm nun gelungen, diesen Prüfbericht aus der zertrümmerten Blechbüchse zu entnehmen und zu lesen. Auch dem Wunsch der Indianerin war er nachgekommen. Ob die eingetroffenen Versicherungsagenten auch den Platz untersucht haben, von dem der Felsbrocken abgestürzt war, daran konnte er sich nicht erinnern.

Die Zimmervermieterin kam, brachte Hemden, Hosen und einen Überzieher.

»Hoffentlich finden sie für sich passende Kleidungsstücke. Ich werde nun einkaufen gehen. Vielleicht bekomme ich auch eine Zeitung. Bleiben sie ruhig in ihrem Zimmer. Die Eingangstüre werde ich versperren. Mir ist bewusst geworden, nicht nur sie sind in Gefahr. Ich bin es auch. Bei mir haben sie Unterschlupf gefunden.«

Sie nahm seine Sachen und verschwand. Joseph blieb mit den gebrachten Kleidungsstücken allein. Der Reihe nach probierte er die Hemden und Hosen. Die Ärmel der Hemden waren zu lang. Das war kein Unglück. Er konnte sie umschlagen. Die Hosen passten in der Länge, wie auch im Bund.

Ich muss zu dieser Versicherungsgesellschaft, fiel ihm ein. Bis dorthin sind es mindestens drei Tagesritte. Gänzlich allein und ohne Ausrüstung ist das ein nicht ungefährliches Unterfangen. Dieses Unglück war sicherlich geplant.

Seine Vermieterin kam zurück. Mit seinem Aussehen war sie zufrieden. Sie überreichte ihm auch einige Zeitungen und teilte ihm mit, in den Straßen war es ruhig gewesen.

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