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HILFE UND AUSZEITEN

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Ich habe in der Klinik begonnen, so etwas wie ein Tagebuch zu schreiben. Auch das gehörte zu den kleinen „Auszeiten“ am Krankenbett meiner Tochter. Manchmal hatte ich jedoch nicht die Kraft (Was heißt Kraft eigentlich?) den Stift in die Hand zu nehmen. Wollte der Gedanke wiederkommen, tat er das. In einem anderen Moment. Nach Leonies Tod habe ich die Seiten des kleinen Büchleins herausgetrennt, um sie in ein neues blanko Buch zu kleben und wiederum darauf zu antworten; ich habe Erfahrungen ergänzt, mit kleinen Zeichnungen und später auch Bildern gefüllt. Dabei sind ganz unterschiedliche Formate entstanden. Ich erzähle von Tagen, die ich als kleine Glücksmomente erlebt habe, zwei Monate nach dem Tod; von Symbolen, die mir unendlich Halt gaben; den Menschen, wie sie mit uns umgingen. Manchmal erscheinen selbst meine eigenen Worte und die früher gefühlten Gefühle paradox. Das ganze Leben. Ja, ich verstehe mich manchmal im Nachhinein selbst nicht. Aber das Schreiben war und ist mir immer noch eine große Hilfe.

Es gab Momente, in denen ich auch gar nicht mehr Hilfe gebrauchen und annehmen konnte. Angehörige und Freunde „meinten es gut“, wenn sie auf einen Besuch im Krankenhaus vorbeikommen wollten. Viel mehr, so ehrlich muss ich sein, haben sie oft auch nicht tun können. Aber irgendetwas stimmte daran nicht. Ich freute mich wirklich selten, wenn sich Besuch ankündigte. Wieso? Ich lebte in einem Krankenhaus. Aber nicht als Patientin, sondern Mutter meiner schwer herzkranken Tochter. Und dort lebte ich in einer sehr eigenen, einer ganz anderen Welt. Dass Freunde und Bekannte zu Besuch kamen, um Hallo zu sagen und Leonie zu sehen, das kam mir absurd vor, konnte es aber damals noch nicht angemessen einordnen. Auch wenn ich diese Metapher etwas hart finde, aber einem Besuch in einem Zoo kam die Situation manchmal gleich: ein Hallo sagen, ein Staunen, Mitleid und banale Gespräche, Fragen nach meinem und Leonies Befinden… Ich fühlte mich dabei einfach nicht wohl, sondern missverstanden. Das hatte nichts mit den Menschen zu tun. Aber schon da fand eine Abgrenzung zur „Außenwelt“ statt, da ich das Gefühl entwickelte, nicht verstanden zu sein. Die Besucher*innen konnten sich nicht in den Alltag der Klinik hineinversetzen. Mir fällt es heute noch schwer zu beschreiben, wie ich mich gefühlt habe. Ich habe noch einzelne Szenen sehr präsent - oft die sehr angenehmen als auch die sehr unangenehmen. Im Zusammensein mit meinen Eltern fühlte ich mich stets geborgen. Ich fühlte eine Last abfallen, wenn ich Leonie einmal in ihre Hände geben konnte und meine Aufmerksamkeit für einen Moment woanders sein durfte. Ich hatte das Gefühl, mich nicht doppelt sorgen zu müssen, wenn ich Leonie aus meinen in andere Hände gab. Sich verstanden zu fühlen, auch wenn einem die Worte fehlen oder gar nicht nötig sind, ist ein so seliges Gefühl, eine Wohltat sondergleichen. Wahrscheinlich haben nicht alle Menschen das schon einmal behaupten können. Verstehen findet auch auf der Handlungsebene statt. Das Gegenteil tut entsprechend richtig weh. Ab und an kam mir der Vorwurf zu Ohren, ich würde in bestimmten Situationen absichtlich „fliehen“, wenn sich Besuch angekündigt hatte. Dann war mein Mann bei Leonie und dem Besuch und ich konnte das Umfeld der Klinik einmal kurz verlassen. Aber noch einmal: Wenn ein Besuch als Hilfe angeboten und gedacht war, dann doch auch, um mich damit unterstützen zu wollen. Für mich war es eine Hilfe, dann einfach mal Pflichten in andere Hände zu übergeben und Zeit für mich zu finden. Wie auch immer das aussah. Und wenn ich mit dem Auto kurz nach Hause fuhr, mir etwas Gutes tat, indem ich einkaufen ging… Missverständnis. Aber ich konnte und wollte mich in der Lage einfach nicht rechtfertigen. Dafür hatte ich keine Kraft. Das konnte ich nicht.

Vom Leben verletzt

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