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„NICHT MEHR KÖNNEN“

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Es gab einen Zeitpunkt, einen Tag, an dem ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr konnte. „Nicht mehr können“ - das wird so oft so einfach daher gesagt. Wann aber kann man denn nicht mehr? Und vor allem: Was kann man nicht mehr? Laufen? Sitzen? Sprechen? Fehlt in einem Satz eine solch nähere Bestimmung dieses Zustands, wirkt es noch einmal mehr erschlagend und hilflos. Wenn ich nicht mehr sitzen kann, stehe ich auf. Was aber, wenn ich nicht mehr kann? Gar nichts mehr? Ich musste nicht 70 Stunden in der Woche arbeiten, keine 30 Vorträge auf Tagungen halten. Aber ich habe Tag für Tag, zwei Monate lang, auf der Intensivstation am Bett meiner Tochter verbracht, der ich - „verkabelt“, medikamentös höchst penibel eingestellt und überwacht, beatmet - von meiner Liebe und Zuneigung gar nicht genug geben konnte. Es ist anstrengend, früh aufzustehen, seinen Essenszettel in der Cafeteria der Klinik abzugeben, schnell zu frühstücken, auch ohne Hunger, oder mal viel, den Vormittag bei Leonie zu sein, später vom dritten Stock ins Erdgeschoss zu kommen, schnell Mittag zu essen, wieder in den dritten Stock zu gelangen, mit Ärzt*innen und Schwestern zu sprechen, dem eigenen Kind und sich Mut zu machen, später wieder nach unten zum Abendessen zu stürmen, um danach wieder gemeinsam der Dunkelheit zu trotzen, eine Melodie zu singen, Worte auszusprechen, sich auf den Plastikstühlen zurückzulehnen, um irgendwann in ein Bett zu fallen und einem neuen Tag ins Auge zu blicken. Routine wurde das nie. Meine eigenen Gefühle sind daran schuld gewesen. Am Tag, an dem ich nicht mehr konnte, ein Samstag - Leonie war immer noch von der Herz-Lungen-Maschine abhängig - sprach mich ein Oberarzt an, dass ich doch heute sicher einmal an der frischen Luft einen Spaziergang machen wolle, vielleicht in Richtung Westen der Stadt, um ein paar Störche zu beobachten. Ja, Ärzt*innen kennen sich auch geographisch in der Umgebung ihres Arbeitsplatzes aus und meinen es gut mit den Angehörigen. Es war wohl an der Zeit, kurz der Starre zu entkommen. Weiter als an den Eingang der Innenstadt habe ich es an diesem Tag nicht geschafft. Es sollte dann doch einfach das Zimmer auf Zeit im Ronald-McDonald-Haus sein, in dem ich eine Stunde auf dem Bett lag und mich vor einem Zusammenbruch schützte.

Dieses „(nicht mehr) Können“ impliziert immer auch einen Kampf. Wie oft wurde dieses Wort, in Abwandlungen, als Verb und Adjektiv, in meiner Gegenwart verwendet; von Ärzt*innen selbst, Angehörigen, anderen Patient*innen usw. Ja, die Kinder haben „gekämpft“, es ist eine scheinbar unmissverständliche Metapher um Strapazen zu beschreiben. Den innerlichen Kampf aber wird wohl kaum ein Mensch nachvollziehen können. Ist es dann gerecht zu sagen, dass ein Kind gekämpft hat, auch wenn es „den Kampf“ verloren hat? Ein „Kämpfer“ sein heißt auch, stark zu sein. Es bedeutet, dass es immer auch einen Gewinner (neben einem Verlierer) gibt. Stärke äußert sich aber nicht immer nur im Sieg, der hier mit dem Leben belohnt wird. Neben den Ärzt*innen, Schwestern und Eltern war es Leonie, die tatsächlich gekämpft hat. Ihr Kampf sah nur anders aus und er endete anders - zwar mit der Überwindung der Krankheit, aber ohne ihr Leben damit fortsetzen zu müssen.

Vom Leben verletzt

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