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Das Geschwafel über New Work
Оглавление»Weißt du, was das Komische ist?«, fragte ich Mya beim Mexikaner.
»Was denn?«, wollte sie wissen.
Ich erzählte ihr von meiner Beobachtung, dass viele Unternehmen versuchten, befristete Verträge attraktiver darzustellen, als sie es eigentlich waren. »Über unsere Generation sagt man ständig, dass wir ja selbst auch flexibler und ungebundener sein wollen. Es wird so formuliert, als wären befristete Verträge ein Geschenk, weil wir dadurch angeblich unabhängiger wären«, erklärte ich.
Mya nickte und führte meinen Gedanken fort: »Dabei haben wir ja gar keine andere Wahl. Befristete Verträge geben uns keine Unabhängigkeit. Sie machen uns abhängig, halten uns hin. Unser Privatleben wird on hold gesetzt. Aber das ganze Schöngerede ist Teil dieses New-Work-Gelabers.«
Unbefristete Jobs sind in vielen Branchen eine Rarität. Stattdessen werden junge Menschen mit vermeintlich attraktiven New-Work-Methoden geködert, also einer neuen Art des Arbeitens, die die Vereinbarung von Berufsleben und Privatleben vereinfachen soll. Gleichzeitig dringt der Job immer mehr in die Freizeit ein. An dieser Stelle muss außerdem einmal deutlich gemacht werden, dass die meisten New-Work-Methoden auf ohnehin schon privilegierte Branchen abzielen und daher von vornherein viele Berufsgruppen ausschließen. Mobiles Arbeiten ist für etliche Arbeitnehmer*innen gar nicht möglich. Viele davon sind im Niedriglohnsektor beschäftigt und profitieren überhaupt nicht von New Work. Das sind dann eher diejenigen, die es ausbaden und zum Beispiel länger an der Supermarktkasse sitzen müssen, weil sich der Feierabend der Besserverdienenden immer weiter nach hinten verschiebt. Die Anzugträger*innen kommen dann kurz vor Mitternacht in den Laden gehetzt, um sich noch schnell eine Tiefkühlpizza zu schnappen. »Schönen Feierabend«, trällern manche noch nach dem Bezahlen, aber gucken die Person hinter der Kasse dabei nicht mal an. Sie muss nach Ladenschluss noch die Abrechnung machen und die Regale auffüllen. Bis sie Feierabend machen kann, dauert es noch eine Weile. Sie hat durch New Work keinerlei Vorteile. Genauso ist Homeoffice für sie ein Fremdwort.
»Na ja, dazu muss man auch sagen, dass Homeoffice und flexibles Arbeiten vor der Pandemie auch in den meisten Unternehmen Fremdwörter waren. Wirklich gelebt wurde es nicht«, grätschte Mya in meine Überlegung, und ich musste lachen.
»Stimmt, Homeoffice ging vor Corona nur, wenn ein Handwerker kommen musste!« Das ist nicht nur ein Zeichen von Kontrollzwang und mangelndem Vertrauen in der Führungsetage, sondern es zeigt auch, dass körperliche Anwesenheit oft wichtiger ist als geistige. Durch die Coronapandemie war die Wirtschaft plötzlich dazu gezwungen, Teams im Homeoffice arbeiten zu lassen. Während dieser Zeit wurde deutlich, dass viele Unternehmen ihre Fürsorgepflicht zuvor nicht wirklich wahrgenommen und ihre Mitarbeitenden nie darin geschult hatten, im Homeoffice zu arbeiten. Es gab bis zu diesem Punkt keine klaren Regeln dafür. Die Leidtragenden waren in der Pandemie letztlich die Teams selbst. Laut einer Studie der Forschungsinstitute IGES und forsa vermisst fast jede*r Zweite die klare Trennung zwischen Job und Privatleben, wenn der einzige große Tisch in der Wohnung zugleich Ess- und Schreibtisch ist. Bei den 18- bis 29-Jährigen bemängelt das sogar eine Mehrheit von 52 Prozent.9 Im Endeffekt werden im Homeoffice oft mehr Stunden Erwerbsarbeit geleistet als im Büro. Mittagspausen werden häufiger ausgelassen, oder es wird schnell vor dem Computer gegessen. Das führt auch zu deutlich weniger Bewegung und Zeit an der frischen Luft, wie Expert*innen warnen.
Der verstärkte Bewegungsmangel im Homeoffice – etwa infolge des langen Sitzens – beeinflusst die Muskelaktivität, belastet die Bandscheiben und beeinträchtigt den Blutkreislauf sowie die Sauerstoffversorgung der Organe. Letztlich kann das Homeoffice zu einer weniger produktiven Arbeitsweise führen, wenn es nicht richtig praktiziert wird und die nötigen Mittel, wie zum Beispiel ein geeigneter Arbeitstisch und Arbeitsstuhl, nicht zur Verfügung gestellt werden. Während privilegierte Menschen mit einem entsprechenden Einkommen und großzügigen Räumlichkeiten oft nicht zögern, sich diese Dinge privat anzuschaffen, war das insbesondere für studentische Aushilfen, die 2020 im Zuge der Pandemie ins Homeoffice geschickt wurden, in vielen Fällen schwieriger. Wer denkt: Ach, die sind doch noch jung und halten das aus, am Küchentisch zu arbeiten!, irrt sich gewaltig, denn Rückenprobleme sind längst kein Alte-Leute-Leiden mehr. Im Gegenteil: Wenn Kinder schon in jungen Jahren zu viel und falsch sitzen und es ihnen an Bewegung mangelt, dann werden sie auch sehr wahrscheinlich im Erwachsenenalter von Rückenproblemen geplagt werden. In Befragungen der europaweit größten Kinderstudie KiGGS des Robert Koch-Instituts gaben bereits mehr als die Hälfte der 11- bis 17-Jährigen an, unter Rückenschmerzen zu leiden.10 Ihre Schmerzen werden jedoch häufig relativiert. Wenn ein älterer Kollege einen höhenverstellbaren Schreibtisch in seinem Unternehmen anfragt, wird das meist verständnisvoller abgenickt als bei einer Praktikantin. Dann heißt es nämlich eher: »Lohnt sich das? Für eine Praktikantin? Die ist doch nur noch drei Monate hier, oder?«
»Glaubst du, es wird sich nach Corona verändern?«, fragte mich Mya optimistisch.
Ich schüttelte kräftig den Kopf. Wer nicht von Anfang an viel für sich einfordert, wird es bei den Nachverhandlungen schwerer haben. »Nope, die meisten Teams haben es verpennt, während der Krise gute Grundbedingungen einzufordern, wenn es zum Beispiel ums Homeoffice geht. Jetzt denken sich die Unternehmen: Geil, funktioniert ja auch so alles. Als Nächstes werden die Firmen feststellen, dass sie keine so großen Büroflächen mehr brauchen. Sie werden das Office verkleinern wollen, um dadurch die Miete und die Nebenkosten zu reduzieren. Sie werden Shared-Desk-Systeme entwickeln. Im Prinzip ist das alles sinnvoll, denn Homeoffice bietet ohne Frage auch zahlreiche tolle Chancen, aber: Die Unternehmen sind dann auch für eine gute Arbeitsausstattung in Form von Tisch, Stuhl und schnellem Internet zu Hause verantwortlich«, erläuterte ich meine Meinung. Sie können nicht auf der einen Seite Kosten einsparen wollen und sich gleichzeitig auch noch ihrer Verantwortung entziehen.
Mya nickte. Sie teilte meine Skepsis gegenüber der vermeintlichen Agilität in Unternehmen. »Ich finde, New Work ist eh Schwachsinn. Einfach nur ein hübsches Wort, um hässliche Sparmaßnahmen schönzureden. Teamcoaching ist auch noch so eine Sache, die dazugehört. Plötzlich muss man wieder die Übungen machen, die man schon früher auf Klassenfahrt nervig fand«, sagte sie und verdrehte die Augen. Ich grinste über den Vergleich und fragte mich gleichzeitig, warum teambildende Maßnahmen so häufig ihren Zweck verfehlten.
Viele in meinem Umfeld betrachten die Coachingtermine fürs Team eher als Zeitfresser und weniger als Chance. Zu selten folgten Verbesserungen, heißt es häufig. Zu der Teilnahme fühlen sich viele Arbeitnehmer*innen oft verpflichtet. Schließlich hat jede*r von ihnen im Bewerbungsanschreiben betont, ein absoluter Teamplayer zu sein. In Wahrheit denken aber viele von ihnen, dass sie eigentlich keine Zeit für so was haben. Auf ihren Schreibtischen stapelt sich die Arbeit, und sie müssen außerdem noch die Aufgaben von ehemaligen Kolleg*innen übernehmen, deren Stellen nicht wieder neu besetzt wurden. Im Zuge von New Work werden nämlich oft auch die Teamgrößen reduziert, die Aufgabenbereiche umstrukturiert und die Prozesse »optimiert«, sodass sie insgesamt schlanker und agiler sind. Das alles nicht zuletzt, um Kosten einzusparen. Die verkleinerten Teams müssen sich nun extra ins Zeug legen, um die gleich gebliebene Menge an Arbeit zu stemmen. Und zu allem Überfluss ploppen bei Outlook ständig irgendwelche Coachingtermine auf, die das Wirgefühl stärken sollen. Dabei hat sich das Teamgefühl insgeheim schon längst verabschiedet. Es nimmt in dem Moment ab, in dem einzelne Menschen vor lauter Arbeit den Schreibtisch nicht mehr sehen und das Gefühl haben, als einzige*r im Team wirklich produktiv zu arbeiten. Jedes andere Teammitglied wird dann misstrauisch beäugt, und es finden böse Gespräche in der Kaffeeküche oder via Chat statt: »Was macht der Marc eigentlich den ganzen Tag? Bestimmt nicht arbeiten!« Oder auch: »Jetzt hat die Sandra sich schon wieder krankgemeldet. Wegen Unterleibsschmerzen oder etwas Halsweh? Ganz ehrlich, die kann man doch vergessen. Am Ende bleibt eh alles an mir hängen.« Entweder genannte Sandra bekommt von den Gesprächen gar nichts mit (gut für sie), oder ihr gelingt es, sie zu ignorieren (auch gut für sie). Es kann aber auch sein, dass sie sich zur Arbeit schleppt, obwohl sie sich körperlich nicht gut fühlt, weil sie nicht »die Mimose im Team sein will«. Oder sie liegt krank zu Hause im Bett, und anstatt sich zu erholen, plagt sie das schlechte Gewissen darüber, ihre Kolleg*innen im Stich gelassen zu haben. Wenn ein Team an diesem Punkt angekommen ist, dann hat das Unternehmen an entscheidender Stelle versagt und am falschen Ende gespart. Auch New-Work-Methoden werden es dann nicht mehr retten können.
Mya starrte ihr leeres Glas an. »Willst du noch einen Wein?«, fragte sie mich. Bevor ich antworten konnte, hatte sie schon die Kellnerin an unseren Tisch gewunken und eine neue Flasche bestellt.
»Gottchen, jetzt noch eine ganze Flasche?«, gab ich zu bedenken. Es war Dienstag.
»Ja, bitte lass uns noch mal auf die Wut anstoßen. Das Gefühl muss sich schließlich in mir festigen!«, zwinkerte Mya, und ich musste lachen. »Nein, ganz ehrlich. Es sagt sich so leicht, keine Angst zu haben. Ich merke aber, dass ich sie trotzdem habe«, erklärte sie plötzlich ziemlich ernst. Manchmal könne sie gar nicht einschlafen, weil sie nicht wisse, wie es weitergehen soll: »Diese ganzen Fragen … Finde ich in der Krise einen neuen Job? Wie lange werde ich suchen müssen? Ist der dann wieder nur befristet? Ich drehe durch, wenn ich allein zu Hause sitze und keine Antworten darauf habe. Ganz zu schweigen von dem Gefühl, wenn ich die Nachrichten sehe und diese gigantischen Schuldensummen höre, die wir in der Pandemie aufgenommen haben!« Sie riss die Augen weit auf. Ihre Sorgen kamen nicht von ungefähr.