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Einführung

Die Strategische Hospitality Scorecard: Ein Rundumblick auf die Hotellerie

Ronny Baierl, Professor für Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Tourismus am Campus Dresden der SRH Hochschule Berlin

Carolin Steinhauser, Professorin für Internationales Hotelmanagement am Campus Dresden der SRH Hochschule Berlin

Die gegenwärtige Situation der Hotelbranche ist gekennzeichnet durch vielerlei Veränderungen. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien, Globalisierungsbewegungen, veränderte Rahmenbedingungen auf den Arbeitsmärkten sowie ein „neuer“ Gästetypus sind nur einige der aktuellen Herausforderungen für die Hotellerie. Neben durchaus bemerkenswerten Möglichkeiten, die sich durch die Umschwünge der letzten Jahrzehnte ergeben haben, stoßen touristische Märkte bereits seit geraumer Zeit an spürbare Grenzen des eigenen Wachstums. Die Konsequenzen der Globalisierung wurden für die überwiegend klein- und mittelbetrieblich organisierte europäische Tourismuswirtschaft zu einer zentralen Überlebensfrage, zumal weite Teile der Hotelangebote nur mäßig integriert sind und traditionelle sowie mentale Barrieren die Bildung von flexiblen Netzwerken erschweren.

Diese Veränderungen sind unter anderem dafür verantwortlich, dass sich die Wettbewerbsintensität fortwährend verstärkt, die durchschnittliche Anzahl der Übernachtungen und somit die Gewinne der touristischen Unternehmen rückläufig sind und das Angebot an Urlaubserlebnissen in Zukunft noch innovativer inszeniert werden muss. Neue Technologien und Geschäftsmodelle, das wirtschaftliche Handling von Kosten und der nachhaltige Umgang mit den Mitarbeitern können die dazu nötige Flexibilität liefern, um auf dem hart umkämpften Markt zu bestehen. Der heutige Gast diktiert die Richtung und Geschwindigkeit, in welche sich die Hotellerie zukünftig entwickeln wird. Aber der Gast hat sich verändert: Bis vor dreißig, vierzig Jahren waren die Märkte vor allem von den Parametern des Mangels geprägt. Der „Nutzen des Produkts“ stand im Vordergrund. Mit den 1980er-Jahren begann – beispielsweise aufgrund des steigenden Wohlstands – die Komplexitätsspirale des Konsums. Der Wandel von Verkäufer- zu Käufermärkten beschert dem Gast eine neue Machtposition. Durch die steigende Angebotsvielfalt ist der Gast informierter, erfahrener und unberechenbarer geworden. Er ist anspruchsvoller, multioptionaler und wesentlich schwieriger zufriedenzustellen.

Mit dieser kurzen und durchaus nicht abschließenden Übersicht wollen wir keine Angst oder Panik verbreiten. Man sieht aber sehr schön, wie ganz verschiedene Bereiche und unterschiedlichste Entwicklungen den Erfolg eines Hotels beeinflussen. Um diesen verschiedenen Dimensionen gerecht zu werden und dennoch nicht den Überblick zu verlieren, empfehlen wir die Verwendung eines innovativen Bezugssystems – eines Frameworks, den wir als „Strategische Hospitality Scorecard“ bezeichnen und der zugleich die Gliederungslogik dieses Buchbandes widerspiegelt.

Grundlage hierfür ist das international bekannte und weit verbreitete Konzept der Balanced Scorecard. Die Balanced Scorecard zielt auf die Realisierung der jeweiligen Unternehmensstrategie mit finanz- und vor allem weiteren marktbezogene Kennzahlen (Kaplan & Norton, 1996). Kern dieses Kennzahlensystems ist die Vision und Mission des jeweiligen Unternehmens, womit der Grundstein für alle weiteren Schritte gelegt wird. Traditionelles, rein auf finanzielle Kennzahlen fokussiertes Management kann den heutigen Anforderungen des Markts schlichtweg nicht mehr gerecht werden. Daher ist es für die langfristigen Überlebenschancen eines jeden Unternehmens elementar, auch andere Dimensionen des unternehmerischen Erfolgs nicht außen vor zu lassen (Kaplan & Norton, 2000). Grundsätzlich unterscheidet die Balanced Scorecard hierbei folgende vier Dimensionen:

1 Finanzen: Hier werden insbesondere die klassischen Kennzahlen finanzorientierter Unternehmensführung betrachtet.

2 Kunden: Diese Dimensionen erweitert die kapitalmarktorientierte Sichtweise durch die eingangs dargestellten zunehmenden Einflüsse der Kunden.

3 Prozesse: Zudem werden interne Ablaufprozesse beleuchtet, um möglichen Fehlentwicklungen frühzeitig entgegenzuwirken.

4 Innovationen: Die vierte Dimension zielt insbesondere auf die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und betont daher die Wichtigkeit von Innovationen.

Offensichtlich werden somit in der Balanced Scorecard als ausgewogenes strategieorientiertes Kennzahlensystem auch „weiche“ Faktoren betrachtet. Kerngedanke hierbei ist, dass nur ein ganzheitlicher Ansatz und die Berücksichtigung der verschiedenen Dimensionen zum langfristigen Unternehmenserfolg führen können.

Die Balanced Scorecard hat in den letzten Jahrzehnten erstaunliche Erfolge gefeiert. Möglicherweise werden Sie uns aber recht geben, dass diese doch sehr konzeptionelle Sicht für die konkreten Problemstellungen der Hotellerie wenig greifbar ist. Daher haben wir die traditionellen Dimensionen durch aktuelle Themenfelder der Hotellerie konkretisiert und deren Reihenfolge angepasst – schließlich steht der Gast unweigerlich im Zentrum allen Handelns:

1 Kunden – Online-Reputation: Kunden – beziehungsweise branchenspezifischer formuliert Gäste – interagieren aktuell insbesondere auf Online-Plattformen.

2 Finanzen – Kosten: Unzweifelhaft ist nach wie vor die Frage eines ausgewogenen Kostenmanagements für Hoteliers eine entscheidende Grundlage wirtschaftlichen Handelns.

3 Prozesse – Mitarbeiter: Aus interner Sicht nehmen Mitarbeiter, deren Qualifikation und Rekrutierungsstrategien die Top-Plätze auf der Rangliste aktueller Managementprobleme ein.

4 Innovationen – Geschäftsmodelle: Die Hotellerie sieht sich aktuell mit einer Vielzahl neuer Geschäftsmodelle konfrontiert und muss sich daher mit dem zielorientierten Umgang hiermit tiefgründig auseinandersetzen.

Diese hotelspezifischen Dimensionen bilden unseren ersten 360°-Blick und zugleich die Hauptgliederung dieses Buches. Die folgende Abbildung zeigt diese vier konkretisierten Dimensionen der Strategischen Hospitality Scorecard im rechten Teil. Für eine bessere Navigation durch das Buch finden Sie stilisierte Abbildungen auf den vier Registerreitern am rechten Buchrand. Zudem werden wir statt des wenig greifbaren Ausdrucks „Vision und Mission“ zukünftig „langfristige strategische Vision“ verwenden.


Konkretisierung der Dimensionen für die Strategische Hospitality Scorecard

Da die Hotellerie eine ausgesprochene Netzwerkbranche ist, in der unterschiedlichste Stakeholder zusammenarbeiten (müssen), sind neben diesen vier Dimensionen die unterschiedlichen Sichtweisen aus verschiedenen Kontexten heraus entscheidend. Daher wollen wir mit dem vorliegenden Herausgeberband nicht den Anspruch auf Vollständigkeit oder gar auf die „optimale“ Lösung der aufgezeigten Problemfelder erheben. Allerdings möchten wir hierfür sensibilisieren und jede der vier Dimensionen aus folgenden Perspektiven beleuchten:

Managerperspektive: Hotelmanager wie beispielsweise renommierte General Manager.
Partnerperspektive: Praxispartner wie beispielsweise Unternehmensberater oder Betreiber von Hotelbuchungsportalen.
Gästeperspektive: Individualgäste mit ihrer ganz besonderen Sicht auf Leistungen eines Hotels.
Hochschulperspektive: Hochschulexperten aus der praxisorientierten Forschung.

Hierdurch ergibt sich ein zweiter 360°-Blick, der schematisch in der nachfolgenden Abbildung enthalten ist und der den Titel dieses Buchs erklärt. Aus der notwendigen Kombination der Dimensionen mit den Perspektiven ergibt sich somit in Summe die Gesamtgliederungslogik der Strategischen Hospitality Scorecard und dieses Buchs. Während Sie zu den Dimensionen über das Seitenregister navigieren können, finden Sie in jedem Buchteil farblich kodierte Autorenbeiträge zu den vier Perspektiven. Die langfristige strategische Vision bildet das Fundament aller Beiträge, da alle Themen nur durch eine bewusste Konzentration auf die eigene Kompetenz und die damit verbundenen langfristigen Ziele bearbeitet werden können. Insofern haben wir diese sehr individuellen und weitreichenden Entscheidungen strategischer Natur bewusst außen vor gelassen und konzentrieren uns lieber auf die konkrete Umsetzung im Unternehmensalltag.


Integration der Perspektiven zum doppelten 360°-Blick der Strategischen Hospitality Scorecard

Zu allen Dimensionen gibt es jeweils vier Beiträge aus den vorgestellten Perspektiven. Zudem finden Sie am Ende eines jeden Kapitels durch die Zusammenarbeit mit renommierten Hotels jeweils drei „Steckbriefe“. Hierdurch werden weitere themenbezogene Fragestellungen direkt „aus der Praxis heraus“ beantwortet. Nach einem kurzen Porträt über das jeweilige Haus lesen Sie auf den Punkt gebrachte Statements der verantwortlichen Manager oder Inhaber zu jeweils drei praxisrelevanten Fragestellungen. Die folgende Abbildung fasst den Inhalt der insgesamt 16 Hauptbeiträge überblicksartig zusammen und erleichtert Ihnen somit die Navigation durch die Kapitel. Zudem können Sie im anschließenden Kapitel eine kurze Zusammenfassung zu den vier Schwerpunkten dieses Herausgeberbands nachlesen.


Überblick zu den Beiträgen dieses Herausgeberbands auf Basis der Strategischen Hospitality Scorecard

Die Basis für eine erfolgreiche Umsetzung der Strategischen Hospitality Scorecard bildet – wie eingangs dargestellt – eine langfristige strategische Vision, die sich an der bestehenden Kompetenz des jeweiligen Hotels orientieren sollte. Insofern liefert dieses Konzept keine standardisierte „Arznei gegen alle Krankheiten“. Jedes Hotel ist einzigartig und hat seine ganz spezifischen Stärken und Schwächen. Allerdings ermöglicht die Struktur der Strategischen Balanced Scorecard im Zusammenspiel mit der Inspiration durch die Hauptbeiträge unserer Autoren ein tief gehendes Bewusstsein für die aktuellen Herausforderungen der Hotellerie zu entwickeln. Hierdurch können Sie eigene Problemfelder identifizieren und gegebenenfalls selbstständig Lösungsansätze herausarbeiten. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Umsetzung der Strategischen Hospitality Scorecard in Ihrem Hotelalltag!

Weiterführende Literaturhinweise

 Baierl, R. & Steinhauser, C. (2014): The Strategic Hospitality Scorecard: Developing an Innovative Framework for the Hospitality Industry. In: Journal of Tourism Research, Volume 8.

 Kaplan, R. & Norton, D. (1996): The Balanced Scorecard: Translating Strategy Into Action, Boston: Harvard Business School Press.

 Kaplan, R. & Norton, D. (2000): The Strategy-Focused Organization: How Balanced Scorecard Companies Thrive in the New Business Environment, Boston: Harvard Business School Press.

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