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III

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Inhaltsverzeichnis

So waren die Christen im 1. und 2. Jahrhundert leidenschaftliche Bekenner des Kommunismus. Aber dieser Kommunismus des Verbrauches fertiger Produkte, der nicht auf den Kommunismus der Arbeit gegründet war, konnte keineswegs die Lage der damaligen Gesellschaft verbessern, konnte nicht die Ungleichheit unter den Menschen und die Kluft zwischen den Reichen und dem armen Volk beseitigen. Da die Produktionsmittel, hauptsächlich der Boden, Privateigentum blieben, da die Arbeit für die Gesellschaft weiterhin auf Sklaverei beruhte, flössen also die durch die Arbeit erworbenen Reichtümer weiterhin wenigen Eigentümern zu, das Volk aber blieb der Mittel zum Leben beraubt, die es als Bettelvolk auch nur aus Gnade der Reichen erhielt.

Wenn die einen, und zwar eine verhältnismäßig kleine Handvoll, als ausschließlich privates Eigentum alles Land, Wälder, Weiden, alle Herden und Wirtschaftsgebäude, alle Werkstätten, Werkzeuge und Materialien zur Produktion besitzen, die anderen aber – die riesige Mehrheit des Volkes – überhaupt nichts besitzen, womit sie für sich arbeiten könnten, so kann bei solchen Verhältnissen unmöglich Gleichheit unter den Menschen entstehen, dann muß es Reiche und Arme, Überfluß und Not geben. Nehmen wir zum Beispiel an, daß heute diese reichen Eigentümer, zerknirscht durch die christlichen Lehren, all ihr Geld und alle beweglichen Reichtümer, die sie an Getreide, Obst, Kleidung, Schlachtvieh usw. besitzen, zum gemeinsamen Verbrauch des Volkes und zur Verteilung unter alle Bedürftigen hingeben. Was folgt daraus? Nur, daß für einige Zeit die Not verschwindet und das Volk sich recht und schlecht ernährt und kleidet. Aber jene Mittel werden schnell verbraucht. Nach sehr kurzer Zeit wird das besitzlose Volk die verteilten Reichtümer aufgebraucht haben und wieder mit leeren Händen dastehen, die Besitzer des Landes und der Arbeitswerkzeuge aber werden mit Hilfe der Arbeiter – damals der Sklaven – weiter produzieren können so viel sie wollen; demnach bleibt alles beim alten. Darum eben sehen sich die Sozialdemokraten heute anders als die christlichen Kommunisten und sagen: wir wollen keine Gnade und keine Almosen, denn das beseitigt nicht die Ungleichheit unter den Menschen. Wir wollen nicht, daß die Reichen mit den Armen teilen, sondern daß es überhaupt keine Reichen und Armen gibt. Aber das wird erst dann möglich, wenn die Quelle jeglichen Reichtums: Land und alle anderen Arbeitsmittel dem ganzen arbeitenden Volk gemeinsam gehören werden, das für sich selbst die notwendigen Güter nach den Bedürfhissen aller erzeugen wird. Die ersten Christen jedoch wollten den Mangel des riesenhaften, nicht arbeitenden Proletariats durch ständiges Teilen der Reichtümer, die von den Reichen gegeben wurden, decken; aber das bedeutete so viel wie Wasser mit einem Sieb zu schöpfen. Doch damit nicht genug. Der christliche Kommunismus konnte nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht ändern und verbessern, er konnte sogar sich selbst nicht lange halten. Solange es am Anfang noch wenige Bekenner des neuen Evangeliums gab, solange sie nur eine kleine Sekte von Begeisterten in der römischen Gesellschaft bildeten, solange war es möglich, den Besitz zur gemeinsamen Verteilung zusammenzutragen, die Mahlzeiten gemeinsam einzunehmen und oft auch unter gemeinsamem Dach zu wohnen.

Aber in dem Maße, in dem immer mehr Menschen dem Christentum beitraten, in dem die Gemeinden sich schon über das ganze Reich verbreiteten, wurde das gemeinsame Zusammenleben der Bekenner immer schwieriger. Die Sitte der gemeinsamen täglichen Mahlzeiten verschwand bald vollständig, und gleichzeitig nahm auch die Hingabe des eigenen Besitzes zum gemeinsamen Verbrauch einen anderen Charakter an. Da die Christen jetzt schon nicht mehr in einer gemeinsamen Familie lebten, sondern jeder sich um seine eigene selbst kümmern mußte, wurde auch schon nicht mehr die ganze Habe zum gemeinsamen Verbrauch der christlichen Brüder abgegeben, sondern das was übrigblieb, nachdem die Bedürfnisse der eigenen Familie gedeckt waren. Was jetzt die Wohlhabenden dem christlichen Gemeinwesen abgaben, war schon nicht mehr Anteil am kommunistischen Zusammenleben, sondern Opfer für andere, nicht wohlhabende Brüder, war schon Wohltätigkeit, Almosen. Aber als die reichen Christen aufhörten, selbst den gemeinsamen Besitz in Anspruch zu nehmen, und nur einen Teil für andere abgaben, da fiel auch dieser Teil, der für die armen Brüder geopfert wurde, verschieden aus, größer oder kleiner, je nach Willen und Natur der einzelnen Bekenner. So entstand allmählich im Schöße der christlichen Gemeinde derselbe Unterschied zwischen Arm und Reich wie ringsum in der römischen Gesellschaft, gegen den die ersten Christen den Kampf aufgenommen hatten. Nur die armen Christen, die Proletarier, erhielten noch gemeinsame Mahlzeiten von ihrer Gemeinde, die Reichen hielten sich jedoch fern von diesen Mahlzeiten und opferten einen Teil ihres Überflusses dafür. So wiederholten sich also eigentlich bei den Christen dieselben Verhältnisse, die in der römischen Gesellschaft herrschten: das Volk lebte von Almosen, und eine Minderheit von Reichen gab Almosen. Gegen dieses Einreißen sozialer Ungleichheit innerhalb der christlichen Gemeinde kämpften die Kirchenväter noch lange mit flammenden Worten, indem sie die Reichen geißelten und ständig zur Rückkehr zum Kommunismus der ersten Apostel aufriefen.

Der heilige Basilius drohte den Reichen im 4. Jahrhundert nach Christus zum Beispiel folgendermaßen:

„O ihr Elenden, wie wollt ihr euch vor dem himmlischen Richter rechtfertigen? Ihr antwortet mir: Welche Schuld trifft uns, wenn wir nur das für uns behalten, was uns gehört? Ich aber frage euch: Was nennt ihr euer Eigentum? Von wem habt ihr es erhalten? ... Wodurch bereichern sich die Reichen, wenn nicht dadurch, daß sie an sich raffen, was allen gehört? Wenn jeder nicht mehr für sich hätte, als er zum Unterhalt benötigt, den Rest aber anderen überließe, so gäbe es keine Armen und keine Reichen.“

Am eindringlichsten bekehrte der heilige Johannes Chrysostomos die Christen zum ursprünglichen Kommunismus der Apostel, der Patriarch von Konstantinopel, 347 in Antiochien geboren und 407 in der Verbannung in Armenien gestorben. In seiner elften Predigt über die Apostelgeschichte sagte dieser berühmte Prediger:

„Große Gnade war bei ihnen allen (den Aposteln), und es gab niemanden unter ihnen, der Not gelitten hätte. Das aber kam daher, daß niemand von seinem Eigentum sagte, es gehöre ihm, sondern alles bei ihnen allen gemeinsam gehörte. Gnade war deshalb bei ihnen, weil niemand Not litt, das heißt deshalb, weil sie so eifrig gaben, daß niemand arm blieb. Denn sie gaben nicht nur einen Teil und behielten den anderen für sich, auch betrachteten sie das, was sie gaben, nicht als ihr Eigentum. Sie hoben die Ungleichheit auf und lebten in großem Wohlstand und taten das auf die rühmenswerteste Weise. Sie unterstanden sich nicht, das Opfer in die Hände der Bedürftigen zu legen, schenkten es auch nicht aus hochmütiger Gefälligkeit, sondern legten es den Aposteln zu Füßen und machten sie zu Herren und Verteilern ihrer Gaben. Was man brauchte, das wurde von den Vorräten der Gemeinschaft und vom privaten Eigentum der einzelnen genommen. Dadurch wurde erreicht, daß die Spender nicht in Hochmut verfielen.“ „Wenn wir heute so handeln würden, würden wir weit glücklicher leben, die Reichen wie die Armen, und die Armen würden dadurch nicht mehr Glück gewinnen als die Reichen, da die Opfernden nicht nur selbst nicht arm würden, sondern auch die Armen reich machen würden.“

„Stellen wir uns Folgendes vor: Alle geben das, was sie besitzen, zum gemeinsamen Eigentum hin. Mag sich niemand dabei beunruhigen, weder Arm noch Reich. Was glaubt ihr, wieviel Geld sich auf diese Weise ansammeln würde? Ich glaube, denn mit Sicherheit kann man das nicht feststellen, daß, wenn jeder einzelne sein ganzes Geld, alles Land, alles Vieh, seine Häuser abgäbe (von den Sklaven werde ich nicht reden, denn die ersten Christen besaßen sicherlich keine, da sie sie wahrscheinlich frei ließen), so sammelt sich sicher insgesamt eine Million Pfund Gold an, ach, sicherlich auch zwei oder dreimal so viel. Denn sagt mir, wie viele Menschen leben in unserer Stadt (Konstantinopel)? Wie viele Christen? Werden es nicht hunderttausend sein? Und wie viele sind Heiden und Juden! Wieviel tausend Pfund Gold müssen sich ansammeln! Und wie viele Arme haben wir? Ich glaube nicht, daß es mehr als fünfzigtausend sind. Wieviel würde es erfordern, sie täglich zu verpflegen? Wenn sie die Speise am gemeinsamen Tisch einnehmen, so werden die Kosten nicht groß sein. Was fangen wir also mit unserem riesigen Schatz an? Glaubst du, daß er sich irgendwann einmal erschöpfen könnte? Und ergießt sich der göttliche Segen nicht tausendmal reicher über uns? Werden wir nicht aus der Erde ein Paradies machen? Wenn sich das so wunderbar bei den drei oder fünftausend (ersten Christen) bewahrheitete und keiner von ihnen Not litt, um wieviel mehr muß es bei einer so großen Zahl von Menschen gelingen? Wird nicht jeder neu Eintretende etwas dazu geben?“

„Die Zerstreuung der Reichtümer bewirkt größere Ausgaben und daher Armut. Nehmen wir ein Haus mit Mann und Frau und zehn Kindern. Sie beschäftigt sich mit Weben, er sucht seinen Unterhalt auf dem Markt. Werden sie mehr brauchen, wenn sie zusammen in einem Haus wohnen oder wenn jeder für sich lebt? Natürlich wenn sie getrennt leben; wenn die zehn Söhne in verschiedene Richtungen auseinandergehen, brauchen sie zehn Häuser, zehn Tische, zehn Diener und alles andere im selben Verhältnis vermehrt. Aber wie verhält es sich mit der Zahl der Sklaven? Speist man sie nicht alle an einem Tisch, um Kosten zu sparen? Zersplitterung führt gewöhnlich zu Verschwendung, Gemeinsamkeit zu Ersparnis von Hab und Gut. So lebt man heute in den Klöstern und so lebten jene Gläubigen. Wer starb damals an Hunger? Wer wurde nicht reichlich gesättigt? Und doch fürchten die Menschen diese Ordnung mehr als den Sprung in die offene See. Machen wir doch einen Versuch und gehen wir kühn ans Werk! Wie groß wäre dann der Segen! Denn wenn damals, als die Zahl der Gläubigen so klein war, kaum drei bis fünftausend, wenn damals, als die ganze Welt uns feindlich war, als es nirgends Trost gab, unsere Vorfahren sich so standhaft daran hielten, wieviel mehr Sicherheit müßten wir jetzt haben, da es durch Gottes Gnade überall Gläubige gibt! Wer hätte damals noch Heide bleiben wollen? Niemand, denke ich. Alle hätten wir angezogen und für uns gewonnen.“

Das so eindringliche Zureden und die flammenden Predigten des Johannes Chrysostomos blieben erfolglos. Es wurde kein Versuch unternommen, den Kommunismus in Konstantinopel oder anderswo einzuführen. Mit der Ausbreitung des Christentums, das schon seit Anfang des 4. Jahrhunderts in Rom die herrschende Religion war, kehrten die Gläubigen nicht zum Beispiel der ersten Apostel, zum gemeinsamen Eigentum zurück, sondern entfernten sich immer weiter von ihm. Die Ungleichheit zwischen Reichen und Armen innerhalb der Gemeinde der Gläubigen vergrößerte sich immer mehr. Noch im 6. Jahrhundert, d. h. es vergingen 500 Jahre nach Christi Geburt, hören wir den Aufruf Gregors des Großen:

„Es genügt nicht, anderen ihr Eigentum nicht wegzunehmen, ihr seid nicht ohne Schuld, wenn ihr Güter für euch behaltet, die Gott für alle geschaffen hat. Wer anderen nicht das gibt, was er selbst besitzt, ist ein Räuber und Mörder, denn wenn er für sich behält, was zum Unterhalt der Armen dienen würde, kann man sagen, daß er Tag für Tag so viele ermordet, wie von seinem Überfluß leben könnten. Wenn wir mit denen teilen, die in Not sind, so geben wir ihnen nicht, was uns gehört, sondern was ihnen gehört. Das ist keine Tat des Mitleids, sondern das Bezahlen einer Schuld.“

Aber diese Aufrufe waren vergeblich. Infolge der Hartherzigkeit der damaligen Christen, die sicher noch empfänglicher waren für die Predigten der Kirchenväter als die heutigen. Aber nicht zum erstenmal in der Geschichte der Menschen zeigte sich, daß die wirtschaftlichen Bedingungen stärker sind als die schönsten Predigten. Dieser Kommunismus, diese Verbrauchsgemeinschaft die die ersten Christen verkündet hatten, konnte sich unmöglich ohne gemeinsame Arbeit der ganzen Bevölkerung auf gemeinsamem Land und in gemeinsamen Werkstätten halten, aber solch gemeinsame Arbeit mit gemeinsamen Produktionsmitteln einzuführen, war damals nicht möglich, da die Arbeit, wie gesagt, Sache der Sklaven war, die außerhalb der Gesellschaft standen, nicht aber Sache der freien Menschen. Das Christentum unternahm von Anfang an nichts und konnte es auch nicht, die Ungleichheit in der Arbeit und im Besitz der Arbeitsmittel aufzuheben; dadurch waren seine Bemühungen hoffnungslos, die ungleiche Verteilung der Reichtümer zu beseitigen. Deshalb mußten die Stimmen der Kirchenväter, die zum Kommunismus bekehrten, die eines Rufers in der Wüste bleiben. Aber nicht lange, und auch diese Stimmen wurden immer seltener, bis sie völlig verstummten. Schon die Kirchenväter selbst hörten auf, zur Gemeinschaft und zur Verteilung der Reichtümer aufzurufen, denn mit dem Anwachsen der Gemeinde der Gläubigen änderte sich auch die Kirche selbst von Grund auf.

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