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2.2 Wandlungstendenzen in Familienbildungsprozessen und die Veränderungen in den familialen Rollenzusammensetzungen

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Während der letzten Jahrzehnte haben in der Bundesrepublik Deutschland de facto die verschiedenen Familienformen statistisch zugenommen, die nicht dem „Normalitätsmuster“ im Hinblick auf den Familienbildungsprozess und auf die Rollenzusammensetzung entsprechen, d.h. es ist ein stetiger Anstieg von Nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern, der Ein-Eltern-Familien und von Wiederverheiratungen (Stiefelternschaften) gegeben. Im Folgenden soll nacheinander auf die quantitative Verbreitung und auf die verursachenden Bedingungen für den Anstieg dieser drei Familienformen eingegangen werden.

Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den meisten westlichen Ländern haben in den letzten 40 Jahren die Nichtehelichen Lebensgemeinschaften stark zugenommen: bei uns seit 1996 um eine Millionen Paare von Männern und Frauen und damit auf insgesamt 2,8 Millionen (Stat. Bundesamt vom 13.6.2017). In dieser Lebensform wachsen aber kaum Kinder auf, sie bilden also nur selten eine Familie: in Westdeutschland 8 %. Anders stellt sich die Situation in den neuen Bundesländern dar. Hier leben häufiger als im westlichen Bundesgebiet Kinder in den Haushalten von unverheiratet zusammenlebenden Partnern (= 28 %; vgl. Abb. 1 im Anhang). Allerdings deutet der seit der deutschen Einheit zu beobachtende stärkere Anstieg der nichtehelichen Partnerschaften ohne Kinder auch hier auf längerfristig mit dem früheren Bundesgebiet vergleichbare Entwicklungstendenzen hin. Fux deutet die höheren Anteile in den neuen Bundesländern als „Erbe der DDR-Gesellschaft“ (Fux 2011). Vor allem für West-Deutschland sind die Nichtehelichen Lebensgemeinschaften (im Gegensatz z.B. zu Skandinavien) eher als eine neue Lebensform im Jugendalter bzw. während der Postadoleszenz zu definieren (vgl. ausführlicher: Huinink et al. 2007: 90; Nave-Herz 2013a: 104ff.),wenn auch ihr – insgesamt auch geringer – Anteil unter den Älteren in den letzten Jahren zugenommen hat (Lengerer und Klein 2007: 446).

Die Nichtehelichen Lebensgemeinschaften haben keineswegs – wie häufig vermutet wird – die Ehe und Familie obsolet werden lassen, sondern diese Partnerschaftsform hat bewirkt, dass sich der Phasenablauf bis zur Ehegründung und die Sinnzuschreibung an die Ehe verändert haben. In der Bundesrepublik Deutschland wird heutzutage – wie mehrere empirische Untersuchungen belegen (Nave-Herz 1984a; Matthias-Bleck 1997; Huinink et al. 2007: 91ff.; Feldhaus und Schlegel 2011: 95; Schneider und Dobritz 2011) – die Eheschließung überwiegend aus drei Gründen vollzogen oder geplant: wegen einer Schwangerschaft, eines Kinderwunsches oder wegen des Vorhandenseins von Kindern (u.U. aus früheren Partnerschaften). Wir sprachen deshalb aufgrund unserer Daten von einer „kindorientierten Ehegründung“ heute (Nave-Herz 1984a und 1988). Die Koppelung von Ehe und Kindern ist also in Deutschland weiterhin – wenn auch in den neuen Bundesländern weniger stark – gegeben (vgl. hierzu auch Schneider und Dorbritz 2011; Hubert 2011: 220; Kreyenfeld, Konietzka und Walke 2011: 71; Feldhaus und Schlegel 2011: 95).

Beide – die Ehe und die Nichteheliche Lebensgemeinschaft – unterscheiden sich also in der Bundesrepublik überwiegend durch den Gründungsanlass: Eine partnerbezogene Emotionalität ist immer stärker Anlass für die Gründung einer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die emotionale kindorientierte Partnerbeziehung zur Eheschließung. Damit scheint der Prozess – der Trend – der funktionalen Spezialisierung von Ehe und Familie und der strukturelle Differenzierungsprozess infolge institutioneller Verselbstständigung von zwei qualitativ unterschiedlichen Systemtypen weiter fortgeschritten zu sein. Ehe und Familie werden in der Bundesrepublik Deutschland immer stärker zur bewussten und erklärten Sozialisationsinstanz für Kinder (vgl. hierzu Nave-Herz 2014a: 3ff.).

Diese zeitgeschichtliche Entwicklung ist verständlich; denn die Entstehung des neuen Systemtyps „Nichteheliche Lebensgemeinschaft“ ist auf gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse zurückzuführen. Bis ca. Mitte/Ende der 1970er-Jahre wurde die Motivation zur Eheschließung zwar auch durch eine emotionale Partnerbeziehung ausgelöst, aber häufig unterstützten systemexterne Bedingungen (ökonomische, rechtliche, die Nicht-Akzeptanz vorehelicher sexueller Beziehungen – erst 1973 wurde der „Kuppelei-Paragraph“ abgeschafft –, wohnungsmäßige u.a.m.) den Ehe-Entschluss. Heute dagegen hat eine Heirat an zwingender Notwendigkeit zur Erfüllung bestimmter elementarer Bedürfnisse oder als materielle Versorgungsinstitution (vor allem für die Frauen) an Bedeutung verloren.

Diese Situation sah in der DDR im Übrigen etwas anders aus. Hier galt bis 1986 umgekehrt, dass man die Eheschließung bei der Geburt des Kindes zunächst vermied und man die Nichteheliche Lebensgemeinschaft wählte, vielfach um die Vergünstigungen, die die sozialpolitischen Maßnahmen allein stehenden Müttern in der DDR boten, in Anspruch nehmen zu können (Gysi 1989: 267, Höhn et al. 1990: 151). Die sehr viel höheren Nichtehelichen-Quoten mit Kindern seit Mitte der 1970er-Jahre bis Mitte der 1980er-Jahre in der DDR im Vergleich zur (alten) Bundesrepublik Deutschland sind zunächst vor allem auf diesen Sachverhalt zurückzuführen (Huinink 1999: 127). Doch nach 1986 fielen diese „Anreize“ fort, aber die Quote der Nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern nahm nicht ab. Aufgrund der Erhebung von Gysi, sind aber hier – damals wie heute – die Nichtehelichen Lebensgemeinschaften als „Durchgangsphasen“ zu charakterisieren: entweder spätere Auflösung oder spätere Eheschließung (Gysi 1989: 267; ebenso Lauterbach 1999: 291ff.).

Die veränderte Rechts- und Wirtschaftssituation in Ostdeutschland hat zwar gewisse Angleichungstendenzen auch im Hinblick auf die Familienbildungsprozesse bewirkt, aber die familienstatistischen Daten unterscheiden sich z.T. noch stark, wie im Weiteren gezeigt wird.

Warum aber wird in den (alten) Bundesländern im Hinblick auf das Kind eine Lebensform bewusst mit der Absicht auf Dauer und gegenseitigem Verpflichtungscharakter, also die Ehe, gewählt? Aus der Systemforschung ist bekannt, dass soziale Systeme, wenn sie nicht auf Zwang beruhen, nur dann sich bilden und bestehen bleiben, wenn sie in der Lage sind, eine bestimmte bedürfnisbefriedigende Leistung zu erfüllen, die kein anderes Sozialsystem verspricht. Steht hinter der kindorientierten Eheschließung also der Wunsch nach Befriedigung des Bedürfnisses nach Sicherheit, nach Konformität? Resultiert der Eheentschluss daraus, dass mit der Geburt von Kindern und der damit entstehenden neuen „Sorgeproblematik“ die Ehe mit ihrem höheren Institutionalisierungsgrad für die Rolle der Elternschaft als beste Lösung erscheint? Sind es vielleicht nur materielle oder rechtliche Gründe? Zunächst sei wiederum betont, dass zwischen West- und Ost-Deutschland zu unterscheiden ist.

Zur Beantwortung dieser Fragen führten wir selbst mehrere empirische Untersuchungen durch (Matthias-Bleck 1997; Sander 1997; Nave-Herz 1997), die sich auf die „alte“ Bundesrepublik bezogen; ihre Ergebnisse wurden – wie bereits erwähnt – durch neuere Untersuchungen auch für die Gegenwart bestätigt (vgl. hierzu auch zusammenfassend Lange 2014: 61ff.). Unsere Daten zeigten, dass – im Zuge der neuen sicheren Planbarkeit von Kindern – Frauen und Männer sich für eine Geburt von Kindern nur dann entscheiden, wenn sie dieser neuen Verantwortung auch tatsächlich gerecht werden können. Unter „Verantwortung“ wird hierbei sowohl die Übernahme und Sicherstellung der ökonomischen Belastung durch Kinder als auch die psychische Zuwendung zum Kind – einschließlich der zu erwartenden nötigen Zeitressourcen – verstanden. So betonen 86 %, dass die finanzielle Unsicherheit oder die Sorge um den Arbeitsplatz die Entscheidung für Kinder erschweren. 79 % sind der Ansicht, dass der Alltag ohne Kinder schon anstrengend genug ist, zudem sei es schwierig, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren (= 77 %/Mehrfach-Nennungen waren möglich). Jede Dritte denkt, dass zu hohe Ansprüche an die Eltern gestellt werden und sie alles doch perfekt machen möchten (BIB Aktuell 2; 2011: 16). Kaufmann (1995: 42ff.) hatte diese heutige familiale Situation auf theoretischer Ebene bereits zuvor abgeleitet und mit dem Begriff der „verantworteten Elternschaft“ umschrieben, während man in früheren Zeiten geneigt war, Kinder als „Schicksal“ zu definieren. Die „kindorientierte Ehegründung“ heute ist also zumeist gekoppelt mit dem Prinzip der „verantworteten Elternschaft“. Dieser normative Anspruch wird aber ferner mit dem traditionellen Ehekonzept argumentativ verbunden, obwohl man dem Ideal der romantischen Liebe und dem Verweisungszusammenhang – „nur wenn Kinder, dann Ehe“ – oberste Priorität einräumt. Vor allem der Anspruch an den Ehemann und Vater ist bei der weit überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in allen europäischen Staaten geblieben, für den ökonomischen Unterhalt seiner Familie hauptverantwortlich zu sein (Thorton, Axinn und Yu Xie 2011: 118f. Nave-Herz 2013b: 31; BIB 2014: 18).

Der Versorgungsanspruch der Frau als Grund der Eheschließung hat bei der Geburt von Kindern an Aktualität bei vielen Müttern und Vätern noch nicht verloren (vgl. Kap. 4.1).

Interessanterweise wird die Erwartung an Männer, der ‚klassischen Ernährer Rolle‘ gerecht zu werden, vor allem von den Männern selbst erhoben. Rund ein Drittel der Männer, aber nur knapp ein Viertel der Frauen stimmen der Aussage zu. Die Verantwortung für die materielle Absicherung der Familie wollen einige Männer lieber allein tragen, obwohl viele junge Frauen diese Aufgabe teilen möchten“ (Bundesinstitut für Bevölkerungswissenschaft 2013a: 19). Deshalb nehmen zwar viele Väter das ElterngeldPlus bzw. den Elternschaftsbonus in Anspruch (Familienreport 2017: 65), da hierdurch ihre „Ernährer-Rolle“ nicht infrage gestellt, aber durch die Inanspruchnahme der kurzen Zeitspanne noch betont wird.

Verändert aber hat sich der Anspruch an die Ehefrauen: zwar nicht in der Kleinstkindphase, aber später sollten sie ebenso einen Beitrag zum Familieneinkommen leisten. Dennoch sollte die Mutter nachmittags Zeit haben, um ihren Kindern beim Lernen zu helfen. Dieses Statement lehnten von den 5000 Befragten nur 4 % ab. Die Autorengruppe schreibt: „Eine große Mehrheit der Befragten stimmt dieser Aussage ‚eher‘ oder sogar ‚voll und ganz‘ zu. Demnach gehört die regelmäßige Hausaufgabenbetreuung im Mutterbild der Deutschen zu den selbstverständlichen mütterlichen Pflichten. Da dies allenfalls mit einer Teilzeitbeschäftigung vereinbar ist, entspricht der Befund dem Bild der Mutter als Hausfrau und ‚Hinzuverdienende‘ und der Sorge, eine ganztägige Erwerbstätigkeit der Mutter sei schädlich für die kindliche Entwicklung“ (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2013a: 16).

Dieses etwas veränderte Mutterbild hebt nicht die noch immer in unserer Gesellschaft gegebene strukturelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, vor allem für Mütter, auf. Schließlich ist es allgemein bekannt, dass ganz besonders dann, wenn die Frau ihre Erwerbstätigkeit vollständig aufgibt oder sie diese stark einschränkt, sich ihre Chancen in Bezug auf den beruflichen Aufstieg verringern und sich ihre eigenen Rentenbezüge schmälern, dass sie das Risiko der beruflichen Nicht-Wiedereingliederung oder der beruflichen Herabstufung eingeht u.v.m. Hält sie an ihrer Erwerbstätigkeit fest, wählt sie damit – die viel betonte, aber bisher nicht veränderte – „Doppelbelastung“.

Der Anstieg nichtehelicher Lebensgemeinschaften trug – wenn auch nicht allein – in der Bundesrepublik Deutschland ebenso zur Abnahme der Eheschließungsziffer2 und zum Anstieg des Heiratsalters der Ledigen bei (vgl. Abbildung 3 und 4 im Anhang). Das durchschnittliche Heiratsalter ist seit Mitte der 1970er-Jahre sowohl in der DDR als auch in den alten Bundesländern gestiegen. Zur Zeit beträgt es bei den ledigen Männern fast 34 Jahre und bei den Frauen 31 Jahre (vgl. Abb. 4). Es ist im Vergleich zu anderen europäischen Staaten bei uns relativ hoch.

Dieser Trend zur späteren und abnehmenden Eheschließungsneigung wurde auch gefördert durch die Möglichkeit einer zuverlässigeren Geburtenplanung, ferner durch den allgemein gestiegenen Trend zur Verlängerung der Ausbildungszeiten und der Abnahme unbefristeter Arbeitsverträge. Vor allem qualifiziert ausgebildete Frauen warten heutzutage länger bis zu einer Heirat, nämlich bis sie eine ihrer Ausbildung adäquate berufliche Position innehaben. So wurden in der jüngsten Forsa-Umfrage vornehmlich ebenso berufliche und finanzielle Gründe genannt (BIB Aktuell 02; 2011: 15, ebenfalls in der 16. Shell-Studie 2010: 43; vgl hierzu auch Nave-Herz 2014: 730ff.).

Die Zahl der Ein-Eltern-Familien hat in den letzten 40 Jahren ebenso wie die der Nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern in der Bundesrepublik Deutschland stetig zugenommen. Ihr Anteil beträgt nunmehr ca. 20 % an allen Familien mit minderjährigen Kindern (Stat. Bundesamt/Destatis 2018; vgl. auch Tab. 1 Anhang). Sie bilden insgesamt eine Minorität, vor allem der Anteil der Vater-Familien ist – wenn auch steigend – weiterhin sehr gering (vgl. Kap.7.1).

So ist ein Anstieg der Zahl von alleinerziehenden Müttern, und zwar vor allem von geschiedenen bzw. getrennt lebenden, aber auch von ledigen Müttern gegeben, während der Anteil verwitweter stark zurückging. In den neuen Bundesländern ist der Anteil der Alleinerziehenden sowohl schon zur Zeit der DDR als auch jetzt höher; es dominieren hier ebenso die Ein-Eltern-Familien aufgrund von Scheidung und lediger Mutterschaft. Letztere Familienform hat – statistisch gesehen – besonders stark in den letzten Jahren zugenommen. Mehr als jedes 3. Kind (35 %) wurde 2014 nichtehelich geboren (BiB 2016).

Diese Zahlenreihen stellen jedoch nur Zeitpunkterhebungen dar, und das bedeutet, dass erfahrungsgemäß ⅓ der nichtehelich geborenen Kinder durch spätere Heirat der Eltern noch legitimiert wird.

Der Anteil von Adoptions- und Pflege-Familien ist dagegen gesunken und bei uns – vor allem im Vergleich zu den USA – nicht hoch. Das Stat. Bundesamt weist für das Jahr 2016 insgesamt 3.976 Adoptionen aus, davon sind 1.388 Kinder von Nicht-Verwandten adoptiert worden. 2016 waren 826 Kinder und Jugendliche zur Adoption vorgemerkt. Demgegenüber standen 5.266 Adoptionsbewerbungen (Stat. Bundesamt 2017). In Stieffamilien wachsen bei uns nur um ca. 11 % aller Kinder in dieser Lebensform auf (Monitor Familienforschung 2013: 9; vgl. hierzu auch Kap. 7.2).

Im Übrigen sind alle bisher erwähnten Familienformen keine neuartigen Lebensformen, obwohl mit der Pluralitätsthese (vgl. Kap. 2.1) immer gleichzeitig direkt, zuweilen auch nur indirekt, die Behauptung verknüpft wird, dass es sich hierbei um neue moderne Lebensformen handelte. So gab es schon immer Mutter- und auch Vater-Familien; die Adoptions-, Pflege- und Stieffamilien waren sogar in den vorigen Jahrhunderten verbreiteter als heute. Doch abgesehen von den Pflege- und Adoptions-Familien stellten die anderen – vor allem in der vorindustriellen Zeit – keine eigenständigen Systeme dar, sondern waren eingebettet in andere Lebensformen (z.B. in einer großen Haushaltsfamilie), waren fast nur in den unteren Schichten zu finden, und ihre Gründungsanlässe waren überwiegend andere als heute: Verwitwung und Nicht-Ehelichkeit statt – wie heutzutage – überwiegend Trennung und Scheidung. Ihre soziale Bewertung war zwar regional unterschiedlich, aber überwiegend auch von ihrer Entstehungsursache abhängig: Mitleid bei Verwitwung, Diskriminierung bei Nicht-Ehelichkeit. Die Eltern-Familie ohne formale Eheschließung, also die Nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern, hat es in der vorindustriellen Zeit in manchen Gegenden sogar häufiger gegeben als heute, aber nur in den Armutsschichten.

Der quantitative Anteil aller dieser genannten Familienformen ging erst seit Ende des vorigen Jahrhunderts stetig zurück (ein erneuter Anstieg war während und nach den beiden Weltkriegen gegeben); die „traditionelle“ Eltern-Familie hatte nur Ende der 1950er und Anfang der 1970er-Jahre in diesem Jahrhundert ihre stärkste Verbreitung (Nave-Herz 2013b: 18ff.) (insofern ist das Adjektiv „traditionelle“ unangemessen). Erst dann stiegen wieder langsam andere Familienformen quantitativ an. Vor allem aber nahm die öffentliche Akzeptanz anderer Familienformen zu. Sie wurden ferner auch unter ökonomischen Gesichtspunkten lebbare Daseinsformen, was sie früher kaum waren. Das gilt selbst für die in der Gegenwart häufig finanziell sehr schlecht gestellten Mutter-Familien.

Wenn bisher gezeigt wurde, dass in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten die Nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern und die Ein-Eltern-Familien quantitativ zugenommen haben, bleibt nunmehr zu prüfen, wie stark die traditionelle Eltern-Familie in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu diesen noch verbreitet ist.

Bezogen auf alle Familienformen mit Kindern unter 18 Jahren sind in den alten Bundesländern 73 % und in den neuen 51 % Eltern-Familien mit formaler Eheschließung, d.h. diese Familienform ist weiterhin quantitativ die weit überwiegend dominante geblieben (Feldhaus und Huinink 2011: 101; vgl. auch Tab. 1 im Anhang). Fragt man ferner, wie hoch der Anteil der Kinder an der Gesamtzahl ist, die heutzutage in der herkömmlichen Kernfamilie (= Zwei-Eltern-Familie/rechtlich-formale Eheschließung) aufwachsen, so zeigen die Daten, dass die große Mehrheit der Kinder (= 73 %) zumindest bis zum 18. Lebensjahr mit ihren verheirateten Eltern zusammenlebt (Familienreport 2017: 16). Auch in dieser Hinsicht ist ein Unterschied zwischen West- und Ost-Deutschland gegeben.

Wie ist dieser Befund des hohen Anteils von Kindern, die mit ihren leiblichen Eltern in der Bundesrepublik Deutschland zusammenleben, zu erklären, da heutzutage bereits jede dritte Ehe geschieden wird? Jedoch: Die Ehescheidungsquoten der kinderlosen Ehen sind am höchsten und die der kinderreichen am geringsten; ferner werden relativ viele Ehen in der nachelterlichen Phase, also wenn die Kinder über 18 Jahre alt sind, geschieden.

Verlassen wir die familienstatistische Ebene und fragen nach der heutigen subjektiven Wertschätzung von Ehe und Familie, so belegen sowohl demoskopische Umfragen als auch empirische Untersuchungen, dass die traditionelle Eltern-Familie an subjektiver Wertschätzung keineswegs verloren hat (vgl. die Forsa-Umfrage 2016). Die Kernfamilie ist weiterhin das Leitbild geblieben trotz aller Pluralität von Lebensformen (Hill und Kopp 2015: 116) und von den Eltern mit minderjährigen Kindern ist für 93 % die Familie der wichtigste Lebensbereich (Familienreport 2017: 11). Ebenso ist für Jugendliche das Familienleben wichtig (zu 72 %; 17. Shell-Studie 2015: 17). Selbst diejenigen, die in anderen Daseinsformen leben, würden überwiegend das Leben in einer Eltern-Familie bevorzugen, und die Mehrzahl von ihnen hat ihre jetzige Lebensform nicht als bewusste alternative Lebensform zur traditionellen Eltern-Familie gewählt (Schneider et al. 2001; BMFSFJ 2009a: 41). Ebenso unternehmen und versuchen viele Adoptions-Familien alles, um als traditionelle Eltern-Familie zu gelten, und möchten keine „Alternativform“ sein (vgl. hierzu auch Bien et al. 2002: 106).

Auch in der DDR spielte in der subjektiven Wertschätzung die Familie eine große Rolle. Sie war der Ort, wo man sich zurückziehen konnte, wo Meinungen offen, ohne Furcht vor Zurechtweisung und Folgen diskutiert werden konnten, wo Eltern und Kinder „zusammenhalten“ mussten. Rückblickend bezeichnet man deshalb die DDR häufig als „Nischengesellschaft“ (Krause 1991: 89). Dass viele Personen hier einem Irrtum unterlagen, weil der politische Staatsapparat selbst engste Familien- und Verwandtschaftsangehörige sich seinem Dienst gefügig gemacht hatte, wurde vielfach erst nach der „Wende“ erkannt.

Selbst die gestiegenen und derzeit hohen Scheidungszahlen weisen nicht auf einen Bedeutungsverlust, auf ein In-Frage-Stellen oder auf eine Abneigung gegen Ehe und Familie hin. Statistische Datenreihen stellen nämlich keine Motivanalysen dar, und so zeigen die Ergebnisse einer empirischen Erhebung über die verursachenden Bedingungen für Ehescheidungen, dass die Instabilität der Ehe gerade wegen ihrer hohen subjektiven Bedeutung für den Einzelnen zugenommen und dadurch die Belastbarkeit für unharmonische Partnerbeziehungen abgenommen hat (hierüber wird in Kap. 8 ausführlicher berichtet).

Gleichzeitig verstärkt die abnehmende Notwendigkeit, Ehen – mehr oder weniger allein – aufgrund zwanghafter Kohäsion zu erhalten, z.B. infolge der ökonomischen Lage, des sozialen Ansehens, vor allem für die Ehefrauen, u.a.m., diesen Prozess (Nave-Herz et al. 1990; Esser 2014: 195). Auch der Kinder wegen eine Partnerschaft aufrecht zu erhalten, ist für die Mehrheit unserer Bevölkerung kein Grund mehr (vgl. Das Vermächtnis 2016).

Zusammenfassend ergibt sich als Antwort auf die Frage nach der gestiegenen Pluralität von Familienformen, dass weiterhin die Eltern-Familie (mit formaler Eheschließung) statistisch die dominante Familienform, bezogen auf die in der Typologie (vgl. Abbildung 1, S. 17) aufgelisteten Familienformen, geblieben ist, dass die Mehrheit aller Kinder unter 18 Jahren in dieser herkömmlichen Kernfamilie aufwachsen – wenn auch Unterschiede in West und Ost-Deutschland bestehen – und dass weiterhin auch auf normativer Ebene ihr eine hohe subjektive Bedeutung zugeschrieben wird.

In Bezug auf alle Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland haben die Familienhaushalte jedoch abgenommen, was vor allem durch die zeitlichen Veränderungen der Zyklen im Lebensverlauf des Einzelnen bedingt ist. Auf diese wird deshalb im Folgenden eingegangen.

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