Читать книгу Familie heute - Rosemarie Nave-Herz - Страница 13

3.1 Der Wandel der Familiengröße durch die Geburtenreduktion und seine Auswirkungen auf den Familienalltag

Оглавление

Wenn man als differenzierende Variable für die Bildung von Familientypen nicht die Familienbildungsprozesse (wie im vorigen Kap.), sondern die Kinderzahl pro Familie nimmt, dann zeigt sich ein gegenläufiger Trend im Hinblick auf die Pluralitätsthese, nämlich ein Entdifferenzierungsprozess zwischen verschiedenen Familienformen; hier hat nämlich die Vielfalt abgenommen oder m. a.W.: die Familienformen sind unter diesem Aspekt nicht pluraler, sondern homogener geworden; denn die Mehrzahl der Kinder wächst heutzutage mit einem Geschwister auf (= 64 %). Die Zahl der Kinder mit drei und mehr Geschwistern ist sehr stark gesunken und beträgt zurzeit 10 % (Familienreport 2017:17; vgl. auch Abbild 2 im Anhang).

Die niedrige Geburtenquote in Deutschland3 wird in der Öffentlichkeit vor allem nur im Hinblick auf die in Zukunft zu erwartenden Probleme mit der Rentenversicherung, der Altenpflege und mit den verschiedensten gesellschaftlichen Infrastruktureinrichtungen diskutiert (vgl. hierzu Nave-Herz 2011: 281f.). Es erscheint aber ebenso wichtig, die Konsequenzen, die der Geburtenrückgang für die Kinder selbst und für den Familienalltag hat, zu bedenken. Der – auf den ersten Blick betrachtet – rein quantitative Vorgang der Veränderung der Familiengröße durch Reduktion der Geburtenzahl hat nämlich ebenfalls qualitative Auswirkungen auf die innerfamilialen Interaktionsbeziehungen, da gruppendynamische Prozesse auch durch die Gruppengröße bestimmt werden. So sind mit dem zahlenmäßigen Anstieg insbesondere der Ein- und Zwei-Kinder-Familien gleichzeitig die Zunahme spezifischer Interaktionsstile und -formen zwischen Eltern und Kindern verbunden, ebenso bestimmte Erwartungshaltungen und Leistungsanforderungen der Eltern an sich selbst; und schließlich haben sich für immer mehr Kinder die Sozialisationsbedingungen durch fehlende Geschwistergemeinschaften und nachbarschaftliche Spielgruppen gewandelt. Diese Veränderungen sollen im folgenden Abschnitt beschrieben werden. Einleitend ist es zunächst notwendig, die verursachenden Bedingungen des Geburtenrückganges darzustellen, um den Funktions- und Bedeutungswandel von Kindern für die Frauen (und auch für die Männer) im Laufe unserer Geschichte kurz aufzuzeigen. Diese Kenntnis ist gerade auch für das Verständnis der strukturellen Veränderungen des kindlichen Alltags durch die Reduktion der Familiengröße wichtig.

Aus dem statistischen Rückgang der Geburtenquote schließen viele Autoren, dass Kinderhaben durch die heutige Vielfältigkeit konkurrierender Sinngehalte des Lebens und von alternativen Lebensentwürfen relativ an Bedeutung eingebüßt hat. Andere weisen darauf hin, dass die Erwerbsbeteiligung der Frauen – insbesondere seit Ende des Zweiten Weltkrieges – gestiegen sei und dass hieraus auf eine vermehrte Konsumorientierung der Eltern geschlossen werden könne, wodurch Kinder als zu starke ökonomische Belastung empfunden würden. Vielfach werden das gestiegene Bildungsniveau und die damit verbundene Karriereorientierung als verursachende Bedingung vor allem für den hohen Anstieg kinderloser Akademikerinnen benannt. Gegen diese einfachen und monokausalen Thesen sprechen jedoch eine Reihe von empirischen Forschungsergebnissen, auf die hier nicht im Einzelnen, sondern nur zusammenfassend eingegangen werden kann (vgl. hierzu Nave-Herz 2014b: S. 730–733):

Die Erhebungen im Rahmen der „Value-of-Children-Studies“ (dies sind interkulturell vergleichende bevölkerungswissenschaftliche Forschungen in Amerika, Asien und Europa) und familienökonomische Untersuchungen (vgl. hierzu Nauck 2007: 615f.; 2011: 329f.) haben als Erste aufgezeigt, dass die sinkende Kinderzahl in der Familie nicht primär auf ökonomische Gründe oder gar auf eine mangelnde Kinderzuneigung zurückzuführen ist, sondern auf einen Funktionswandel von Kindern in der Familie.

Da diese Untersuchungen von austauschtheoretischen Prämissen ausgehen, wirkt ihre Begrifflichkeit für Nicht-Soziologen und Nicht-Ökonomen befremdend. So sprechen sie von „Nutzenerwartungen“ an Kinder seitens der Eltern, von Stimulationskosten von Elternschaft (Nauck 2011: 346) oder von Kosten in den Eltern-Kind-Beziehungen usw. Dass wir ihre Begrifflichkeit als unpassend im Zusammenhang mit familialen Interaktions- und Entscheidungsprozessen empfinden, liegt aber nur daran, dass wir heute ganz bestimmte normative Ansprüche an die Elternrolle, vor allem an die Mutterrolle, stellen, die gerade frei sein sollten von Kosten-/Nutzen-Kalkulationen. Die negative Reaktion gegenüber der Begrifflichkeit zeigt also bereits die gewandelte Stellung des Kindes in der Familie an.

Nun zu den Ergebnissen: Alle diesbezüglichen Untersuchungen kamen zu dem gleichen Ergebnis, nämlich, dass insgesamt drei verschiedene Dimensionen im Hinblick auf die elterlichen Nutzenerwartungen an die Kinder feststellbar sind: Eltern verbinden mit ihren Kindern entweder materiellen und/oder psychologischen und/oder sozial-normativen Nutzen. Mit der letztgenannten Nutzenerwartung ist z.B. das Erhoffen eines Statusgewinnes durch das Kinderhaben oder bei Männern der Wunsch nach Vererbung des Familiennamens gemeint. Je niedriger nun der technische Industrialisierungsgrad eines Landes ist, umso eher werden materielle und sozial-normative Werte mit Kindern verknüpft; ihr konkreter Inhalt ist, je nach sozialer Schicht, unterschiedlich. Kinder werden als eine Art Alters- und Krankenversicherung betrachtet; die Mithilfe im Haushalt wird geschätzt; sie werden zur Betreuung von Geschwistern eingesetzt; die Weitergabe des Familienvermögens und öffentlicher Positionen spielt eine wichtige Rolle u.a.m. Umgekehrt gilt ebenso: Je höher der technische Industrialisierungsgrad eines Landes ist und ein kollektiver staatlicher Versicherungsschutz existiert, desto stärker werden mit Kindern allein immaterielle Werte verbunden, wie die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse, z.B. die von Kleinkindern ausgehende expressive Stimulation; die Freude, sie aufwachsen zu sehen; das Zärtlichsein mit ihnen wird geschätzt u.a.m., und dazu reichen weniger Kinder aus.

Diese interkulturellen Befunde zeichnen zweifellos auch die historische Entwicklung des Funktionswandels von Kindern in unserem eigenen Kulturbereich nach: Kinder waren vor allem Träger materieller Güter und wurden – nicht wie heute – ausschließlich um ihrer selbst willen und/oder zur eigenen psychischen Bereicherung gewünscht und geplant. Die seit Mitte der 1970er-Jahre stark angestiegene familienhistorische Forschung hat inzwischen die These über die Verschiebung von materiellen zu immateriellen Werten von Kindern für unsere eigene Kultur bestätigt (Ariès 1975; Mitterauer 1989; Shorter 1977).

Der Funktionswandel von Kindern kann zwar die großen Unterschiede in der Geburtenzahl zwischen den Ländern der Dritten Welt und den Industriestaaten erklären, nicht aber die Differenzen innerhalb der europäischen bzw. Industrie-Staaten.

Die Theorie der „new home economics“ will dieser Frage nachgehen. Sie begründet den graduell unterschiedlichen Verlauf der Abnahme der Geburtenquote in Europa mit den unterschiedlichen „opportunity costs“ von Kindern. Hier wird der zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit insofern eine bestimmende Größe zugewiesen, als die Vertreter dieses theoretischen Ansatzes behaupten, dass ein Ansteigen der Frauenlöhne – relativ zu den Löhnen der Männer – die relativen Kosten einer durch die Geburt von Kindern bedingten Aufgabe der Erwerbstätigkeit vergrößern würde und dass dieser ökonomische Effekt Geburtenbeschränkungen zur Folge hätte (erstmalig Becker 1974). Tatsächlich haben sich bei uns im Zeitablauf die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede und die Geburtenziffern gleichzeitig verringert. Auch die Korrelation zwischen der geringen Kinderzahl und der Höhe der Berufsposition von Frauen scheint in die gleiche Richtung zu weisen. Dennoch: Dieser statistische Beweis reicht insofern nicht aus, weil mit derartigen Zeitreihenanalysen u.U. Drittfaktoren nicht mit erfasst werden; m. a.W.: Beide Trendverläufe brauchen in keinem ursächlichen Verhältnis miteinander zu stehen, können aber auf die gleichen verursachenden Bedingungen zurückzuführen sein.

Ferner belegen andere Untersuchungen, dass der ökonomische Faktor nur einer unter anderen ist, die die Geburtenzahl in den Industrieländern beeinflussen. So haben sich als weitere und sich gegenseitig beeinflussende Bedingungen der Bestimmung der Familiengröße das Alter der Ehepartner, die Art der Partnerbeziehung, die Erfahrung mit Kindern sowie die Berufsorientierung der Frau erwiesen; nach Schröder käme „der langfristigen Karriereorientierung … durchaus eine wichtige Rolle zu“ (Schröder 2010: 221). Nauck betont zudem: „Bezogen auf den Stimulationsnutzen von Elternschaft, der wegen seines kurzfristigen Erwartungshorizontes von besonderer Bedeutung ist, gilt sicher, dass Elternschaft eines der ‚letzten Abenteuer‘ ist: Die Entscheidung hierzu ist außerordentlich konsequenzenreich für den weiteren Lebensverlauf und der Ausgang birgt große Ungewissheiten. Damit dieses Abenteuer gemeistert werden kann, bedarf es besonderer, spezifischer Kompetenzen und eines entwickelten Selbstvertrauens“ (2011: 346).

Kaufmann führt die gegenwärtig geringe Geburtenzahl auf die Wirksamkeit des von ihm benannten – wie bereits erwähnt – Normenkomplexes „verantworteter Elternschaft“ zurück. Dieser beinhaltet nach Kaufmann einerseits die Erziehungsverantwortung der leiblichen Eltern, jedoch andererseits die Norm, Kinder nur dann zur Welt zu bringen, wenn man glaubt, dieser Verantwortung tatsächlich gerecht werden zu können (1988: 395), und zwar auch in ökonomischer Hinsicht. Aus der Dialektik zwischen z.Zt. gültigen hohen Ansprüchen an die Kindererziehung bei gleichzeitiger ökonomischer Benachteiligung kinderreicher Familien resultiere die geringere Kinderzahl pro Familie. Hierauf würden auch die Entscheidungen zu Abtreibungen seitens der Frauen beruhen: „Es liegt in der Konsequenz einer sozialen Wirksamkeit dieser Norm, wenn heute die Aufforderung an Frauen, ein ‚unerwünschtes‘ Kind auszutragen und es dann zur Adoption freizugeben, auf so geringe Resonanz stößt“ (Kaufmann 1988: 395).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Bevölkerungswissenschaftler heute darüber einig sind, dass der Geburtenrückgang von einem Funktionswandel von Kindern und durch eine Veränderung des Selbstverständnisses von Eltern ausgelöst wurde; hierauf wird im nächsten Abschnitt nochmals eingegangen. Sie betonen ferner übereinstimmend, dass es sich bei der Beschränkung der Kinderzahl in der Familie um ein multifaktorielles Bedingungsgeflecht handelt und dass demzufolge monokausale Erklärungen – wie die eingangs zitierten – den vielfältigen Entscheidungsprozess nicht ausreichend erklären, der – wie z.B. Urdze und Rerrich bereits 1981 gezeigt haben – so rational nicht immer abläuft (vgl. auch Cornelissen 2016).

Der Geburtenrückgang in der Bundesrepublik Deutschland ist also nur zum geringen Teil auf eine grundsätzliche Ablehnung von Familie und damit von Kindern zurückzuführen. Gegen diese Behauptung könnte jedoch der Anstieg der Quote an kinderlosen Ehen sprechen. So wurden die Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung im Auftrag des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, Wiesbaden, unterstützt von der Robert-Bosch-Stiftung, in vielen Presseberichten dahingehend präsentiert, dass „jeder vierte Mann und jede siebte Frau sich grundsätzlich für ein kinderloses Leben entscheiden“ (z.B. Weert; in: Die Welt vom 30.6.06; ähnlich NWZ Nr. 149: 3). Die Untersuchung zeigt zwar, dass die gewünschte Kinderzahl in Deutschland niedrig ist (Männer = 1,59, Frauen = 1,75 Kinder), aber nicht, dass die Befragten selbst überhaupt keine Kinder, d.h. kinderlos bleiben, wollen. Die diesbezügliche Frage, gestellt an alle 18- bis 79-Jährigen, nämlich ob sie dem Statement zustimmen würden („Ich glaube, dass man auch ohne Kinder glücklich sein kann“), misst lediglich die heutige Akzeptanz von Kinderlosigkeit in der Bevölkerung – und nicht ihre eigene Priorität in Bezug auf die gewünschte Lebensform. Gleiches gilt für die jüngste repräsentative Erhebung, durchgeführt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, die 2000 Bürgern ab 14 Jahren der Bundesrepublik Deutschland die Frage stellte: „Warum viele Deutsche keine Familie gründen wollen“. Die Ergebnisse wurden wie folgt zusammengefasst: „Zum einen haben viele Deutsche schlichtweg Angst. Sie haben Angst ihre Freiheit aufgeben zu müssen, die Karriere zu vernachlässigen oder den eigenen Lebensstandard einschränken zu müssen“ (www.stiftungfuerzukunftsfragen.de). Auch hier wurde unzulässig die Fremdeinschätzung als selbst genannte Gründe von Betroffenen interpretiert. Wird dagegen die Frage nach der eigenen Familiengründungsbereitschaft gestellt, ist keine Ablehnung oder Angst vor Kindern aus den Antworten zu entnehmen, wie viele empirische Survey-Erhebungen und theoretisch-empirische Untersuchungen zeigen. Z. B. gaben in einer repräsentativen Erhebung vom BIB über 80 % der 20- bis 39-Jährigen an, dass Kinder zu haben sehr wichtig bzw. wichtig wäre (zit. im Familienreport 2017:11).

Gefragt, wie wichtig für sie selbst Kinder sind, bejahten in einer repräsentativen Erhebung von Personen im Alter von 20 bis 39 Jahren, durchgeführt vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2013a: 11) diese Frage zu 85 %, mehr Frauen (= 88 %) als Männer (= 81 %). In einer repräsentativen Forsa-Umfrage wurde die Frage nach dem Kinderwunsch den 18 bis 35 Jährigen direkt gestellt (8.9.2014 – Forsa-Umfrage.de). Von ihnen möchten 88 % eine Familie gründen, mehr sogar als im Jahr 2005 (= 70 %; vgl. auch Familienreport 2017: 25). Aber warum ist dann die Quote der kinderlosen Bevölkerung in Deutschland so hoch?

Wie wir in unserer eigenen Untersuchung bereits 1988 feststellen konnten – ist bei kinderlosen Ehepaaren überwiegend der Wunsch nach Kindern gegeben. Die Daten dieser und auch weiterer, späterer Erhebungen (Nave-Herz 1988; Onnen-Isemann 2000) zeigen nämlich, dass die medizinisch bedingten Gründe für die Kinderlosigkeit am Anfang der Ehe selten sind. Die bewusst gewählte Kinderlosigkeit herrscht zwar vor, aber nicht die bewusst gewollte lebenslange kinderlose Ehe wird angestrebt, sondern die befristete geplante Kinderlosigkeit, m.a.W.: Sehr viele Ehepaare schieben die Realisierung ihres Kinderwunsches nach ihrer Eheschließung zunächst auf. Das kann aber dann – wie der Vergleich zwischen den Gründen am Anfang der Ehe und zum Befragungszeitpunkt zeigt – zu einer unfreiwilligen Kinderlosigkeit führen. Zwischenzeitliche Veränderungen, wie Unfall, Krankheit oder das Alter, lassen die Einlösung des Kinderwunsches dann nicht mehr zu, oder aber – sehr viel seltener – wird die Kinderlosigkeit aufgrund eines Gewöhnungseffektes nunmehr bewusst gewollt. Hinzu kommt, dass einige Ehepaare erst bei Änderung ihrer Einstellung zum Kinderwunsch feststellten, dass schon immer bei ihnen eine medizinisch bedingte Kinderlosigkeit vorlag. In der Literatur wird zwar immer von der Planbarkeit von Kindern durch die Antikonzeptiva gesprochen, aber nicht davon, dass gleichzeitig die organisch bedingte Kinderlosigkeit für die Betroffenen „unsichtbar“ wird; d.h. einige unserer befragten Ehefrauen hätten genauso gut jahrelang auf alle Chemikalien verzichten können.

Doch zurück zum Thema: Wandel des Familienalltags aufgrund der geringeren Kinderzahl in den Familien!

Für die wenigen Kinder pro Familie werden heute – wie sozial-historische Forschungsergebnisse zeigen – wesentlich mehr Leistungen seitens der Mütter und Väter mobilisiert als früher, sowohl was die Intensität der Beziehungen als auch die ökonomischen Aufwendungen und den zeitlichen Umfang für die Betreuung der Kinder anbetrifft.

Noch vor 50 Jahren wuchsen Kinder „so nebenbei“ auf, die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, evtl. zusammen mit einer Erwerbstätigkeit, bestimmten den Alltag der Mütter. Haushaltsmaschinen gab es nicht; sie setzten sich erst langsam seit den 1960er/1970er Jahren durch. So bedeutete das Wäschewaschen, das Flicken, das Putzen von Fußböden, das Geschirrspülen, das Kochen, das Heizen mit Holz und Kohle u.a.m. einen hohen Arbeitsaufwand.

Eichler gelangte bereits 1982 aufgrund einer historischen Analyse zu dem Ergebnis, dass sich die familiale Erziehungsaufgabe und die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten in den letzten Jahrzehnten in gegensätzliche Richtungen verändert haben: Während die Technisierung des Haushalts Zeitersparnis gebracht habe (trotz aller gestiegenen Qualitätsanforderungen), wäre die Erziehungsaufgabe zeitintensiver geworden, eine Folge der heute höheren Erwartungen an die Elternrolle und des Angewiesenseins der Kinder auf die Eltern wegen fehlender Geschwister.

Wegen der geringen Geschwisterzahl ist es heutzutage für Kinder eine typische Erfahrung, in den ersten Lebensjahren nur in enger Beziehung mit Erwachsenen – vornehmlich allein mit den Eltern – und nicht mit anderen Kindern aufzuwachsen.

Die Kindzentrierung der Eltern fällt nun zeitgeschichtlich zusammen mit der Abnahme der Kinderzahl pro Familie, was als Ursache, aber auch als Folge deutbar ist; jedenfalls ist ein derart hohes Leistungspotenzial seitens der Eltern – vornehmlich der Mutter – an die Kinder nur für wenige zu erbringen möglich.

Das Fehlen von Geschwistern hat weiterhin für die zweite Generation zur Folge, dass immer mehr Kinder keine Seitenverwandten besitzen (Tante und Onkel, Vettern und Cousinen). Sie haben dafür heute die Chance – wie bereits betont – wegen der gestiegenen Lebenserwartung eher ihre Großeltern, und vor allem auch ihre Großmutter (früher hatte der Großvater bessere Überlebenschancen und erlebte deswegen eher seine Enkel als die Großmutter), und ihre Urgroßeltern zu erleben. Frauen hatten wegen des hohen Geburtenrisikos eine geringe Lebenserwartung. Die Abnahme der horizontalen und die Zunahme der vertikalen Verwandtschaftslinien ist – wie bereits in Kap. 2.3 betont – im Übrigen eine historisch völlig neue Erscheinung und wird in nächster Zukunft – verbunden mit der geringen Geschwisterzahl – u.U. Auswirkungen auf die Vermögensbildung durch Vererbung bringen (vgl. Nave-Herz 2008).

Tabelle 1: Besitz von Haushaltsmaschinen zwischen 1953 und 2017 in % der Haushalte


Der Geburtenrückgang hat ferner bewirkt, dass es häufig an einer nachbarschaftlichen Spielgruppe für die Kinder mangelt, und dadurch ist das Einzelkind heute nicht nur in der Familie, sondern auch in der nächsten Umgebung allein.

Dagegen könnte eingewandt werden, dass aus einer Reihe von empirischen Untersuchungen hervorgeht, dass Paare, die Kinder erwarten, und junge Familien aus den Innenstadtbezirken an den Stadtrand oder in die nächsten kleineren Ortschaften von Großstädten ziehen, weil sie sich dort bessere Lebens- und Wohnungsbedingungen für ihre Kinder erhoffen. Damit sind die Innenstadtbezirke fast „kinderleer“ (Stat. Bundesamt vom 3.8.2011: 14). Dennoch bleibt festzuhalten – trotz regionaler Unterschiede und mit Ausnahme einiger weniger Neubaugebiete –, dass es für viele Kinder keine Nachbarschaftskinder in der unmittelbaren Umgebung heutzutage gibt.

Dadurch wird es nunmehr notwendig, Kinder überhaupt miteinander in Kontakt zu bringen. Spielgruppen müssen organisiert werden, weil sich das Spielen nicht mehr spontan in geschwisterlichen und/oder nachbarschaftlichen Spielgruppen vollziehen kann. So werden sie bereits schon in frühen Jahren in Krabbel- und Kinderkreise gebracht und mit steigendem Alter in zweckrationale Gruppen: in Schwimm-, Mutter-Kind-Gymnastik- und Turn- sowie Musik-, Tanz-, Mal- und sonstige Kurse, wodurch sie frühzeitig lernen müssen, sich in unterschiedlichen Rollenkontexten kompetent und autonom zu verhalten.

Der Partizipationsgrad an derartigen Kursen korreliert mit der sozialen Schicht – vor allem auch mit dem Bildungsniveau der Mutter –(Alt 2009:34).

Durch die zunehmende Pädagogisierung und die damit verbundene Institutionalisierung von Kindheit wurden die Mütter auch immer stärker zu Transporteurinnen ihrer Kinder, die sie von einer „Insel“ zur anderen bringen und ferner die Probleme der Zeitorganisation für ihre Kinder lösen müssen.

Rabe-Kleberg und Zeiher haben in ihrem Aufsatz „Kindheit und Zeit“ belegt, wie seit Ende der 1960er-Jahre das Eindringen moderner Zeitorganisation (Regelhaftigkeit, Vorplanung, Zeitökonomie) in die Lebensbedingungen von Kindern erfolgte. Sie schreiben wörtlich: „Ein Symptom dafür ist, daß die Verbreitung von Uhren unter Kindern und das Erlernen des Umgangs mit Uhren seit einigen Jahren bedeutend früher stattfindet – zumeist schon im Kindergarten und in den Vorklassen – und mit Beginn der Schulzeit für alle Kinder selbstverständlich ist. Die Kinder erlangen mit dem Besitz der Uhr oder zumindest mit der Fähigkeit, dieses Instrument als Zeitkontrolle für sich zu nutzen, auch ein Stück Autonomie. Waren sie bis dahin den Eingriffen der Erwachsenen in ihr Handeln unmittelbar und für sie unvorhersehbar ausgesetzt, so werden jetzt zumindest die organisatorisch begründeten Unterbrechungen absehbar und planbar. In Besitz und Kenntnis der Uhr können Kinder versuchen, für sich akzeptable Bedingungen auszuhandeln und ihr Handeln darauf einzurichten“ (1984: 35). Für die etwas älteren Kinder hat das Handy diese Funktion übernommen (Feldhaus 2004, Feldhaus/Logemann 2014: 71ff.).

Auf die Gefahren der zunehmenden Pädagogisierung von Kindheit – vor allem während der Kleinkindphase – haben Erziehungswissenschaftler immer wieder hingewiesen. So bedeutet die Pädagogisierung, die Institutionalisierung und die „Verinselung von Kindheit“, dass Kinder in relativ frühem Alter – je nach Aufgabenstellung – mit sehr unterschiedlichen Personengruppen zu tun haben, die keineswegs immer untereinander in Verbindung stehen. Die traditionelle ganzheitliche Erfahrung der Kinder wird ersetzt durch die Erfahrung mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Personen.

Aber Kinder brauchen ganzheitliche Erfahrung und machen ihre Erfahrungen ganzheitlich. Die Geschwister- und Nachbarschaftsgruppe bot ihnen diese Möglichkeit, indem sie hier nicht als „Rollenträger“ – wie in zweckrationalen Gruppen – fungierten.

Familie heute

Подняться наверх