Читать книгу Küsse am Meer - Rosita Hoppe - Страница 7

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3. Kapitel

Pauline wachte am frühen Morgen vom Gekreisch der Möwen auf. Erst halb sechs, stellte sie nach einem Blick auf ihren Wecker fest. Sie konnte also durchaus noch ein paar Minuten liegen bleiben. Jule hatte gesagt, dass sie beim Frühstück vorbereiten nicht helfen brauchte, da an diesem Morgen nur ein Ehepaar im Hause wäre. Allerdings würde sich das in den nächsten Tagen ändern, wenn die Pension für einige Wochen voll belegt war. Pauline lauschte dem Lärm der Möwen. Da kam ihr eine Idee. Eine supergute Idee. Sie stand auf und öffnete beide Fensterflügel ganz weit. Kühle Luft wehte ihr entgegen. Aber das machte nichts. Schnell putzte sie ihre Zähne, zog sich eine Sporthose und ein Sweatshirt an und schlüpfte in Socken und Sportschuhe. Eine Runde zu joggen vor dem Frühstück, das wäre doch mal ein sportlicher Start in den Tag, der außerdem ihrer Figur guttun würde. Bevor sie das Haus verließ, warf sie noch einen Blick in die Küche. Niemand zu sehen. Auch gut. Die Gäste standen vermutlich nicht so früh auf.

Erstaunt registrierte Pauline, dass sie nicht die Einzige war, die so früh schon ihre Runde drehte. Mit einem mürrischem „Moin“ grüßte ein älterer Mann, der ihr schweißüberströmt auf dem Dünenweg entgegenkam. Fröhlich erwiderte Pauline den Gruß. Sie konnte sich nicht erklären, weshalb sie um diese Uhrzeit, zu der sie sich sonst noch einmal umdrehte und eine Runde weiterschlief, so blendender Laune war. Ob es an der Luftveränderung lag?

Eine halbe Stunde später schleppte sich Pauline verschwitzt und nach Luft schnappend in die Küche und schreckte damit Jule auf, die gerade Kaffeepulver in die Maschine häufte.

„Huch, hast du mich erschreckt! Wer hat dich denn so früh aus dem Bett geschmissen?“ Jule musterte Pauline und zog mit erstauntem Blick eine Augenbraue empor.

„Du joggst?“

„Kann ich … was trinken?“ Pauline japste immer noch.

„Ein Wasser vielleicht?“

„Klar, nimm dir ein Glas aus dem Schrank über der Spüle. Das Mineralwasser steht neben dem Kühlschrank.“ Erst, nachdem sie zwei Gläser auf ex geleert hatte, konnte Pauline Jule Rede und Antwort stehen. „Es war das erste Mal seit Jahren, dass ich meine Sportschuhe ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt habe.“ Sie verzog das Gesicht und wischte sich mit einem Zipfel ihres Ärmels den Schweiß von der Stirn. „Weiß auch nicht, wie ich dieser wahnwitzigen Idee verfallen konnte. Ich hasse Sport.“

Jule lachte. „So kenne ich dich. Ich hab mir grad schon Sorgen gemacht.“

„Ich werde meinen inneren Schweinehund überwinden und regelmäßig joggen gehen. Hab ich mir fest vorgenommen.“

„Wart mal bis morgen. Wenn der Muskelkater kommt, überlegst du es dir bestimmt noch mal.“ Jules Gesicht drückte Zweifel aus.

Pauline stellte ihr Glas ins Spülbecken. „Ich tu es! Wirst schon sehen. Ich geh mal fix duschen.“

„Tu das. Hast du dir verdient.“

Jules Lachen klang noch in Paulines Ohren, als sie sich schon die Hälfte der Treppe empor geschleppt hatte. Schon jetzt taten die Beine so weh, als würden schwere Gewichte an ihnen hängen. Vielleicht hatte sie es ein bisschen übertrieben. Aber es hatte so viel Spaß gemacht über den Dünenweg zu traben, dass sie gar nicht über mögliche Konsequenzen nachgedacht hatte.

Bis zum Mittag hatte Pauline das einzige belegte Gästezimmer ausgiebig und mehr als gründlich geputzt und den Rest des Tages frei. Den wollte sie für ihre andere Arbeit nutzen. So weit die Theorie. Sie saß in ihrem Zimmer vor dem Laptop und hatte immerhin schon einen Ordner mit dem Namen „Neuer Roman“ angelegt und entschieden, dass Amrum der Haupthandlungsort sein sollte. Die Insel erschien ihr perfekt für einen Liebesroman. Damit endete ihre Kreativität auch schon. Pauline seufzte. Warum fiel es ihr dieses Mal so verdammt schwer, sich eine gute Geschichte auszudenken? Nach einigen Minuten, in denen sie den Bildschirm ihres Laptops angestarrt hatte, fuhr sie ihn herunter. Es hatte keinen Zweck, hier sitzen zu bleiben. Sie musste einen anderen Weg finden. Vielleicht sollte sie in den Ort gehen, sich irgendwo hinsetzen und die Leute beobachten. Ja, das war eine gute Idee. Pauline schnappte sich ihre Handtasche und die Jacke, die an einem Garderobenhaken neben der Tür hing, und verließ ihr Zimmer. Ganz behutsam schlich sie die Treppe hinunter. Der blöde Muskelkater machte sich jetzt schon bemerkbar.

Bloß gut, dass Jule nicht sehen konnte, wie sie die Strecke bis zur Ortsmitte entlang schlich. Sie hätte sich bestimmt darüber lustig gemacht. Unterwegs kam Pauline die Idee, sich einen Reiseführer von Amrum zu kaufen. Den konnte sie nutzen, wenn sie wieder in Hameln war und die Orte des Geschehens nicht mal eben persönlich aufsuchen konnte. Wenig später betrat Pauline die Norddorfer Buchhandlung und spürte sofort wieder dieses sonderbare Gefühl, das sie immer überkam, wenn sich unzählige Bücher um sie herum stapelten. Bücher zogen sie magisch an und sie liebte es, stundenlang in Bibliotheken und Buchhandlungen zu stöbern. Einen Inselführer hatte Pauline schnell gefunden. Bevor sie zur Kasse ging, schlenderte sie von einem Buchregal zum nächsten und sah sich um. Vor dem Regal mit Frauenunterhaltungsromanen blieb sie besonders lange stehen und studierte sämtliche Titel. Ob es hier auch Bücher von Lynn Berger gab? Tatsächlich, da standen sie. Paulines Herz flatterte plötzlich aufgeregt.

Sie bemerkte flüchtig eine Bewegung links neben sich.

„Entschuldigung. Darf ich Sie kurz stören?“, hörte sie im gleichen Augenblick eine männliche Stimme. Sie blickte sich um. Der Mann neben ihr machte einen ziemlich hilflosen Eindruck.

„Ja, bitte?“ Meine Güte, sah der gut aus. Groß, schlank, braun gebrannt, blonde Lockenmähne. Irgendwie verkörperte er das Image eines Surfers, fand Pauline.

„Ähm … ich suche einen Frauenroman. Nicht für mich …“, er zwinkerte Pauline zu, „… sondern für eine junge Dame, Mitte zwanzig.“

„Aha.“ Für seine Frau oder Freundin vermutlich. Wieso waren die süßesten Typen eigentlich entweder gebunden oder schwul? Na ja, egal. Sie hatte sowieso die Nase voll von Männern.

„Ich habe keine Ahnung, was ich nehmen soll“, sagte er entschuldigend.

„Liest die Dame eher moderne Romane oder historische? Vielleicht was Leidenschaftliches?“

Der Blondgelockte zuckte wieder hilflos mit den Schultern. „Wenn ich das wüsste.“

Na, vielleicht hätte er mal in das Bücherregal besagter Dame sehen sollen. Sollte sie ihm vielleicht … Nee, doch … Das wäre die Chance. Nach kurzem Zögern ergriff Pauline die Gelegenheit. „Nächte voller Leidenschaft und Chris und die Liebe von Lynn Berger kann ich Ihnen sehr empfehlen.“

„Kennen Sie die?“

„Ja. Ich kenne sie in- und auswendig.“ Pauline versuchte, ihre Aufregung zu verbergen. Was gar nicht so einfach war, denn das Herz hämmerte in ihrer Brust und ihre Wangen brannten. Sicherlich hatte sie wieder diese hektischen roten Flecke am Hals, wie immer, wenn sie aufgeregt war. Aber das konnte sie nicht ändern. Wann hatte man schon die Gelegenheit, die eigenen Bücher zu empfehlen, ohne dass die Person gegenüber ahnte, vor der Autorin höchstpersönlich zu stehen. Pauline zog beide Romane aus dem Regal und hielt sie ihrem Gegenüber hin.

Er griff sich die Bücher, warf einen Blick auf die Klappentexte und nickte Pauline zu. „Danke für Ihren Tipp. Ich nehme beide.“

„Gute Wahl.“ Na, wenn das kein erfolgreicher Tag war. Verwundert sah Pauline dem Mann nach, der mit ihren Büchern der Kasse zustrebte. Von dort aus winkte er ihr noch einmal mit einem strahlenden Lächeln zu. Pauline musste ein paar Mal tief durchatmen, bevor ihr Puls wieder in einem normalen Rhythmus pochte. Erst dann war sie in der Lage, sich auf das Bücherangebot vor ihr zu konzentrieren.

Eine halbe Stunde später verließ Pauline, bepackt mit drei Frauenromanen, dem Amrumführer und einem neuen Notizbuch, die Buchhandlung. In das Notizbuch würde sie hoffentlich bald neue Schreibideen eintragen können, denn genau dafür hatte sie es gekauft. Das konnte sie, im Gegensatz zum Laptop, immer und überall bequem bei sich tragen, damit sie ihre Einfälle sofort aufschreiben konnte. So, erst mal einen Cappuccino. Den hatte sie sich redlich verdient. Pauline betrat das nächstgelegene Café und suchte sich einen Platz am Fenster. Von hier aus konnte sie die vorbeiflanierenden Menschen, aber auch diejenigen, die drinnen an den Tischen saßen, hervorragend beobachten und vielleicht gleich das Notizbuch einweihen. Sie kramte in ihrer Tasche nach dem Kugelschreiber und legte ihn sorgsam neben den Bücherstapel auf den Tisch. Sie wartete. Auf eine Idee, darauf, dass ein interessanter Mensch in ihr Blickfeld geriet. Doch es schienen nur unscheinbare Menschen unterwegs zu sein. Die passten einfach nicht in so einen amüsanten Roman, wie ihre Lektorin ihn haben wollte. Oder doch? Wenn doch bloß nicht diese gähnende Leere in ihrem Kopf wäre. Es war zum Verzweifeln. Plötzlich stutzte Pauline. Das war doch … Ja richtig. Der Typ aus der Buchhandlung blieb draußen vor dem Café an einem der Tische stehen und begrüßte einen älteren Herrn. In der Papiertüte mit dem Schriftzug der Norddorfer Buchhandlung, die er in der Hand hielt, befanden sich sicherlich ihre Bücher. Er setzte sich dem anderen Herrn gegenüber, legte die Tüte – vorsichtig bitte! – auf den Stuhl neben sich und winkte der Bedienung zu, die zwei Tische weiter kassierte.

„Darf’s noch was sein?“

Pauline hatte gar nicht bemerkt, dass eine Kellnerin an ihren Tisch getreten war. „Noch ’n Cappu, bitte.“ Sie wandte ihren Blick wieder nach draußen. Inzwischen schienen die beiden Männer in ein intensives Gespräch versunken zu sein. Zu gern würde sie mithören. Nicht, dass sie neugierig war. Keinesfalls. Aber es interessierte sie brennend, was der Mann, der dem Surferimage alle Ehre machte, zu erzählen hatte. Ob sie sich nach draußen an den frei gewordenen Nachbartisch setzen sollte? Lieber nicht, das wäre vermutlich zu auffällig. Pauline nagte an ihrer Unterlippe. Konnte der ein Kandidat für ihr Manuskript sein? Pauline beobachtete ihn weiter und schlürfte ihren Cappuccino. Schade, dass sie nicht Lippenlesen konnte. Denn die meiste Zeit redete er. Der alte Herr warf nur ab und zu ein paar Worte ein. Warum hatte sie in der Buchhandlung nicht auf seine Augenfarbe geachtet? Zu dumm. Sicherlich waren sie blau – himmelblau! Voll das Surferklischeeblau. Pauline seufzte und zog das rote Notizbuch mit den weißen Punkten zu sich heran. Fast ehrfurchtsvoll öffnete sie es und schrieb in schwungvoller Schrift Amrumroman auf die erste Seite. Darunter Charaktere. Welchen Namen ihm seine Eltern wohl gegeben hatten? Ein ausgefallener, englischer Name würde gut zu seinem Aussehen passen. Sie stützte die Arme auf dem Tisch ab, ihr Kinn in die Hände und versank in ihren Betrachtungen. Auf einmal registrierte sie, dass der Blondschopf seinen Blick in ihre Richtung lenkte und einen Moment verharrte. Ob er bemerkt hatte, dass sie ihn seit geraumer Zeit anstarrte? Rasch beugte sie sich über ihr Notizbuch und tat so, als würde sie etwas aufschreiben. Als sie nach einiger Zeit ihren Kopf hob, war er verschwunden – der alte Herr ebenfalls. Enttäuscht klappte Pauline ihre Kladde zu und rief der Bedienung zu, dass sie zahlen wolle.

Als sie aus der Tür stürmte, um wenigstens noch einen letzten Zipfel von ihm zu erhaschen, prallte sie voller Wucht gegen die Brust eines Menschen, der eben im Begriff war, das Café zu betreten.

„Ups, sorry“, murmelte Pauline und rieb sich ihre Nase. Die hatte beim Aufprall am meisten gelitten. Sie blickte auf – in zwei surferklischeeblaue Augen. Hach … leider war ihr Gegenüber nicht der Mann, den sie am liebsten vor sich gehabt hätte. Dieser hier trug ein Kleinkind auf dem Arm, wie sie enttäuscht feststellte. Außerdem hatte er eine Glatze und sah bei Weitem nicht so gut aus.

„Haben Sie sich wehgetan?“

„Nö, geht schon.“ Pauline drückte sich an dem Mann vorbei und stürmte nach draußen. Sie sah rechts und links die Straße entlang. Nichts. Der Surfertyp war verschwunden. Wäre ja auch zu schön gewesen. Vermutlich würde sie ihm sowieso nie wieder begegnen. Außerdem gab es da diese Frau, für die er die Bücher gekauft hatte, rief sie sich ins Gedächtnis.

„Ist ja krass.“ Jule schien beeindruckt, als Pauline von ihrem Besuch in der Buchhandlung erzählte. Die beiden standen in der Küche, wo Jule gerade verschiedene Blumen in eine Vase arrangierte. Sie blickte auf. „Vielleicht sollten wir ein bisschen die Werbetrommel für deine Bücher rühren.“

„Es wundert mich, dass sie dort meine Romane anbieten.“

„Das hast du mir zu verdanken. Ich kenne den Inhaber ganz gut. Er war ein Freund von Jan-Erik.“ Jules verschmitztes Grinsen verschwand und machte einem traurigen Ausdruck Platz. Noch immer schien sie nicht über Jan-Eriks Tod hinweg zu sein. Pauline legte ihre Hand auf Jules Arm. „Tut mir leid, wenn ich gewusst hätte …“

„Papperlapapp.“ Jule wischte sich mit einer fahrigen Bewegung übers Gesicht und nahm eine rosafarbene Dahlie.

„Jedenfalls habe ich ihm vor einiger Zeit deine Bücher empfohlen und gebeten, er möge ein paar Exemplare ordern.“

„Jule, du bist ein Schatz. Du kurbelst auch noch meinen Buchumsatz an.“

„Da du’s gerade ansprichst. Wir könnten noch einiges mehr in die Wege leiten.“

„Was denn?“

„Willst du nicht mal eine Lesung veranstalten? In der Hochsaison sind bestimmt eine Menge interessierte Frauen auf der Insel.“

„So was habe ich noch nie gemacht. Ich weiß gar nicht, ob ich das kann.“ Bei dem Gedanken, vor Publikum aufzutreten, wurde Pauline ganz mulmig.

„Mit ein bisschen Übung geht das schon. Soll ich mal meine Kontakte spielen lassen?“

„Du Jule, sei mir nicht böse. Natürlich bin ich dir sehr dankbar, aber das geht mir viel zu schnell. Ich muss erst mal in Ruhe darüber nachdenken.“

„Denk dran, dass du nicht ewig hier sein wirst.“ Pauline nickte nur. „Wann kommen eigentlich neue Gäste?“ Sie versuchte, dem Gespräch eine neue Richtung zu geben.

„Übermorgen. Morgen hast du frei. Das Ehepaar musste heute überstürzt abreisen.“

„Oh, das ist aber schade. Wie regelst du das eigentlich, wenn so kurzfristige Buchungsänderungen vorkommen?“

„In dem Fall habe ich ein Auge zugedrückt. Die Herrschaften haben eine Todesnachricht aus der Verwandtschaft bekommen. Ansonsten stelle ich achtzig Prozent des Übernachtungspreises in Rechnung, wenn ich das Zimmer nicht anderweitig vermieten kann.“

„Kommt das häufiger vor?“

„Nein, zum Glück nicht. Einige Gäste fangen an zu feilschen und das kann ich überhaupt nicht leiden.“ Jule rollte mit den Augen. Sie stellte die Vase mit dem hübschen Strauß auf den Küchentisch. „Hast du Hunger?“

„Ein bisschen.“

„Wir könnten in den Ort gehen und uns mal verwöhnen lassen.“

Pauline stöhnte auf. „Nee. Ich geh keinen Schritt mehr.“ Jule lachte. „Oh, ich vergaß. Ich mach uns ein paar Schnittchen. In Ordnung?“

„Klar, ich helfe dir.“ Pauline humpelte zum Kühlschrank. Kurze Zeit später ließen es sich die beiden Frauen am Küchentisch schmecken und schmiedeten Pläne für den nächsten Tag.

„Hast du Lust auf eine Radtour?“, fragte Jule, während sie eine Scheibe Graubrot mit Butter bestrich. „Es soll morgen trocken bleiben, hab ich im Radio gehört.“

„Mmh“, machte Pauline mit vollem Mund und schluckte. „Das ist eine hervorragende Idee. Hast du ein Rad für mich, oder muss ich mir eins im Ort ausleihen?“

„Es stehen ein paar im Schuppen neben der Garage.

Die können meine Gäste benutzen.“

„Hervorragend. Ich probiere sie nachher gleich mal aus. Wohin willst du?“

„Wie wäre es mit einer Tour nach Nebel?“ Jule lächelte Pauline an. „Ich weiß doch, dass dir der Ort von allen am besten gefällt.“

„Stimmt. Ich liebe dieses Flair, und wenn du nicht hier wohnen würdest, würde ich garantiert nur dort Urlaub machen.“

„Allerdings hättest du es weiter zum Strand.“

„Ich hätte kein Problem damit, jeden Tag durch das Kiefernwäldchen zum Strand zu radeln. Täte meiner Figur ganz gut.“ Pauline lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und legte ihre Hände auf den Bauch. „Hab schon wieder viel zu viel gegessen. Du solltest mich nicht so verwöhnen.“

„Ich muss doch gut für meine Angestellte sorgen.“ Jule zwinkerte Pauline zu.

„Bisher hatte ich bei dir eher ein laues Arbeitsleben.“

„Warte ab, das ändert sich sehr bald.“

„So schlimm wird es schon nicht werden.“

Das Klingeln des Telefons unterbrach die Freundinnen. Jule erhob sich und eilte ins Büro. Währenddessen räumte Pauline den Tisch ab und spülte auch gleich das Geschirr.

„Wir kriegen Gäste. Heut Abend noch“, rief Jule vom Flur her. „Sie kommen mit der letzten Fähre an.“

„Wann ist das?“

„Um zweiundzwanzig Uhr.“ Jule kam in die Küche, nahm ein Geschirrtuch und trocknete die Teile ab, die Pauline eben abgewaschen hatte.

„So spät? Dann noch die Fahrt hierher. Das heißt für dich ja fast Nachtschicht.“

Jule zuckte mit den Schultern. „Das Los der Vermieter. Die meisten Urlauber kommen nachmittags an, allerdings sind die Fähren im Sommer schnell ausgebucht. Außerdem wechseln die Ankunftszeiten je nach Tide. Wer sich kurzfristig entscheidet, muss halt nehmen, was übrig bleibt.“

„Musst du noch was vorbereiten?“

Jule nickte. „Ich gebe ihnen Zimmer drei, das ist das größte. Es kommt ein Paar mit einem Kleinkind an. Wir müssen ein Kinderbett aufstellen und die Betten beziehen.“

Gemeinsam bauten sie das Kinderbett auf. Während Jule bunt gemusterte Bettwäsche auf die Bettdecke zog, kümmerte sich Pauline um die Elternbetten.

„Ich zieh immer erst auf, wenn ich weiß, dass ich Gäste bekomme“, erklärte Jule. „Sonst staubt alles voll, bevor die Betten benutzt werden.“

„Apropos vollstauben.“ Pauline malte ein Smiley auf die Platte des Nachtschranks, das deutlich sichtbar war. „Ich hol einen Lappen und wisch überall noch mal drüber.“

Nach getaner Arbeit machten sie es sich im Wintergarten gemütlich. Im Hintergrund lief leise Musik. Pauline ließ sich eine Weißweinschorle schmecken und Jule begnügte sich mit einem Mineralwasser. Zum ersten Mal hatte Pauline einen Hauch von Jules Alltag erlebt und erkannte, dass Jule in der Hochsaison wohl eher selten einen geregelten Achtstundenarbeitstag hatte.

Pauline hatte sich bald von Jule verabschiedet und war auf ihr Zimmer gegangen. Mit dem Notizbuch machte sie es sich auf ihrem Bett gemütlich. Sofort schob sich das Bild eines Mannes mit blonden Locken vor ihr inneres Auge. Alles, was Pauline an ihm auffiel, notierte sie. Anschließend führte sie in Gedanken ein Interview mit ihm. Sie staunte, was sie dabei alles über ihn herausbekam. Natürlich notierte sie jede noch so winzige Information. Als Pauline später ihre Aufzeichnungen beiseitelegte und sich unter ihre Bettdecke kuschelte, grübelte sie darüber nach, welche humorvolle Geschichte sie um ihn herum weben sollte. Bei der Überlegung, wie sie die weibliche Hauptrolle besetzen sollte, sah sie sich in Gedanken selbst.

Die neuen Urlauber lernte Pauline am nächsten Morgen kennen. Ein junges Paar, Mitte zwanzig, wie Pauline schätzte. Beide waren an den Augenbrauen und Lippen gepierct und sehr leger gekleidet. Sie wirkten ein bisschen ungepflegt. Irgendwie passten sie gar nicht in eine beschauliche Pension an der Nordsee, Pauline hätte sie eher in einer Jugendherberge oder auf einem Campingplatz vermutet. Aber so kann man sich täuschen. Ihre kleine Tochter saß in einem Hochstuhl, kaute mit Hingabe an einem Stück Brötchen und sah Pauline mit großen dunklen Kulleraugen an. Wirklich goldig, die Kleine.

Die junge Frau reichte Pauline die Hand. „Das ist unsere kleine Lilli und wir sind Andy und Sarah Busch.“

„Hallo und herzlich willkommen.“

„Sie sind kein Gast?“

„Ich bin eine Freundin des Hauses und helfe im Moment ein wenig aus.“ Pauline nickte den jungen Leuten noch einmal zu und machte sich auf den Weg in die Küche.

„Morgen Jule!“ Ihre Freundin kam ihr im Flur mit einer Karaffe Orangensaft entgegen.

„Hallo, Pauline. Alles klar? Was macht der Muskelkater?“

„Alles klar. Der Muskelkater fühlt sich in meinen Beinen recht wohl.“ Pauline zwinkerte Jule zu.

„Na dann.“ Jule verschwand kichernd im Frühstücksraum und Pauline betrat die Küche. Dort stand für sie schon alles für ein ausgiebiges Frühstück bereit. Jule war echt ein Schatz, aber es war unangenehm, so verwöhnt zu werden. Sie würden darüber reden müssen.

Jule kam erst in die Küche zurück, als Pauline fast fertig war mit frühstücken. „Echt süß, die Kleine. Ich könnte sie die ganze Zeit knuddeln.“ Sie schenkte sich Kaffee ein und setzte sich zu Pauline an den Tisch. „Ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll.“

„Nix mit Fahrradtour?“

„Leider nicht.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es kommen heute noch Gäste an. Sie haben kurzfristig über den Reservierungsdienst in Wittdün gebucht. Sorry Süße.“ Jule wirkte zerknirscht.

„Ist doch super. Die Einnahmen kannst du sicher gut gebrauchen.“ Pauline biss in ihr Marmeladenbrötchen.

„Verschieben wir unseren Ausflug“, murmelte sie mit vollem Mund.

„Fahr du ruhig. Du hast dich doch bestimmt schon darauf gefreut. Ich komme ein anderes Mal mit.“

„Okay, aber erst, wenn die Zimmer fertig sind.“ Pauline schob den letzten Happen vom Brötchen in den Mund und stand auf. „Ich fang schon mal an. Welches Zimmer soll ich herrichten?“

„Die Eins. Danke Pauline. Ich komme nach, wenn ich im Frühstücksraum abgeräumt habe.“

Küsse am Meer

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