Читать книгу Sieben Berge - Rosmarie Bernasconi und Peter Maibach - Страница 6
ОглавлениеKapitel 4
Eines Abends, wir waren auf dem Weg zum Pub, stellte sich Max mir in den Weg und betrachtete mich mit seinem lüsternen Blick.
Rolf registrierte dies und stellte sich vor Max und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Ich war überrascht und sprachlos. Max blutete aus der Nase, und plötzlich lag er am Boden. Fritz kicherte vor sich hin. «Wir müssen einen Krankenwagen rufen», schrie ich. «Ach was, der steht von alleine wieder auf», meinten Fritz und Rolf gleichzeitig.
So ganz wohl fühlte ich mich nicht. Ich begriff die Welt nicht mehr. Max war gar nicht so beliebt, wie er uns immer einreden wollte. Rolf und Fritz gingen aber auch nicht gerade zimperlich mit ihm um. Er tat mir schon fast leid.
Einen Moment später schlug Max die Augen wieder auf und schaute mich mit einem elenden Hundeblick an. Wir drei lümmelten um ihn herum und grinsten. Er stand auf, lächelte mich schief an, und bereits war mein Körper wieder in Wallung. Nun würde das ganze Theater wieder von vorne beginnen. Wir würden uns lieben und heisse Liebesnächte verbringen. Ich würde warten und hoffen. Nein, Jakob, genau das wollte ich nicht mehr. Rolf und Fritz beschützten mich gut.
Wir drehten ab und zogen davon, liessen Max wortlos stehen. Uns war’s einfach nur noch egal, wie es ihm ging. Max rief mir noch nach: «Sophie, ich brauche dich, bleibe bei mir. Du bist die Einzige.» Das war schon fast bühnenreif, aber ich fiel nicht auf sein Flehen rein.
Eines Abends, nachdem wir bereits einige Male im Pub aufgetreten waren, recht erfolgreich übrigens, tauchte Max mit einem blutjungen Mädchen am Arm im Lokal auf. Nein, sie war nicht blond. Aber mit ihren langen Beinen und in verführerischen High Heels war sie ein Blickfang für viele Männer. Max und seine Neue schmusten vor meinen Augen. Wären nicht andere Leute da gewesen, hätte er sie wohl ausgezogen und auf der Stelle auf den Tisch gelegt. Max sah triumphierend zu mir auf die Bühne.
Du glaubst nicht, Jakob, obwohl ich eigentlich froh war, ihn loszuhaben, brannten mir alle Sicherungen durch, und ich schrie ins Mikrophon: «Verschwinde, du Schwein, ich will dich nicht mehr sehen. Vögle die Schlampe nicht vor meinen Augen.» Ich schrie und schrie. Zwei Sicherheitsleute stürmten auf die kleine Bühne und begleiteten mich in die Garderobe. Entsetzlich beschämend war das. Max und seine Tusse liessen voneinander ab und sahen etwas konsterniert in die Runde. Er tat nichts zur Aufklärung bei. Rolf und Fritz stürzten sich auf Max und droschen auf ihn ein, wie damals vor der Wohnung. Die Gäste mischten sich in die Schlägerei ein, und innert kürzester Zeit stand der ganze Pub in Aufruhr. Die einen verliessen fluchtartig das Lokal, andere standen einfach da und schauten zu.
Es schien mir wie ein böser Traum, und ich befand mich mittendrin. Es war mir so peinlich. Die Sicherheitsleute beruhigten mich, währenddessen verliess Max mit seiner Begleitung das Lokal. Der Abend war gelaufen und meine Karriere als Sängerin in diesem Augenblick zu Ende.
Die andern Bandmitglieder redeten auf mich ein und baten mich, weiterzumachen. Ich ärgerte mich so über mein dämliches Benehmen und lehnte energisch ab. Die Grizzlyboys haben die Band bald einmal aufgelöst. Ich bin ziemlich schnell aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Das Kapitel Band war für mich endgültig zu Ende. Ich blieb dann noch drei Monate in London und nahm eine Stelle als Serviererin in einer gemütlichen Cafeteria an der Abbey Road an.
Rolf besuchte mich ab und zu in der Cafeteria. Wo Max mit seiner Schlampe gelandet ist, weiss ich bis heute nicht, und es interessiert mich auch nicht mehr. Als ich London verliess, suchte ich wieder Kontakt zu Martina, mein Londonabenteuer und meine Sängerinnenkarriere waren abgeschlossen und vorbei. Fertig aus.
Schweigend sassen wir vor der Hütte. Ich suchte Sophies Hand, wir rückten eng zusammen. Nach einem langen Schweigen fasste sich Sophie wieder.
Sie schälte sich aus der Decke, stand auf. «Magst du noch was?» Ich verneinte, und Sophie begann zusammenzuräumen, faltete die Decken zusammen. Sie schenkte mir den letzten Becher heissen Tee aus der Thermosflasche ein.
«Den teilen wir uns noch», bot ich an. Der Becher wanderte hin und her.
«Es ist schon seltsam, im Dorf», wechselte ich das Thema, «jedes Mal, wenn ich nach Toss komme, sind ein paar weggezogen. Die Hanghäuser ob dem Dorf wirken schon richtig verlottert.»
«Ja, es ist überall das Gleiche. Immer mehr Leute ziehen ins Tal. Zu wenig gute Arbeit, harte Winter und die Strasse ewig geschlossen. Da ist es in der Stadt schon angenehmer.»
«Mutter hat erzählt, dass man darüber redet, dass die Schule geschlossen werden soll, es habe kaum noch Kinder in Toss.»
«Richtig, und Gian hat mir berichtet, das Postauto fahre ab nächstem Jahr unter der Woche nur noch zweimal am Tag.»
«Ich könnte mir gut vorstellen, im Dorf zu leben. Mir gefallen die Abgeschiedenheit und die Ruhe gut. Das Geschäft in Bern läuft wie von selbst, und ich habe mir überlegt, es zu verkaufen, wenn die Eltern einmal nicht mehr da sind. Ich möchte etwas ganz anderes machen und weg von der Stadt.»
«Komm, du machst Witze», lachte Sophie, «was willst du in diesem Nest?»
«Ich habe dich immer bewundert, wie du deinen eigenen Weg gegangen bist, ohne zurückzuschauen. Für mich läuft’s einfach umgekehrt, raus aus der Geschäftswelt, rein in die kleine Dorfwelt.»
Sophie schüttelte den Kopf. «Dummes Zeug!»
Energischer als notwendig gab sie das Zeichen zum Aufbruch. Sorgfältig verschlossen wir die Hütte, hängten die Schneeschaufel wieder an ihren Platz. Sophie zog sich die Skibrille über die Augen. «Wetten, ich bin zuerst auf der Pläni?» Und schon rauschte sie durch den Tiefschnee talwärts. Ich verspürte keine Lust, ein Rennen zu fahren, und schaute den eleganten Schwüngen nach, die Sophie anmutig für mich in den Schnee zeichnete. Nachdenklich stiess ich mit den Stöcken ab, langsam nahmen meine Skis Fahrt auf.
Noch lange hafteten mir die Bilder vom verschneiten Wald im flachen Sonnenlicht im Gedächtnis. Es würden für etliche Jahre die letzten sein, die mir als Erinnerung dienen würden. Bereits früh am nächsten Morgen, nach einem stillen Frühstück und einem kurzen Abschied, hatte es Sophie wieder in die Welt hinausgewirbelt. Ich schien einfach zu träge, um mit Sophie gleichziehen zu können. Und so war ich wieder alleine mit meinen Gedanken an das Berglermädchen, das als junge Frau die Welt eroberte. Bei jeder meiner Bergtouren, wenn mich der Weg über die Pläni führte, richtete ich es ein, dass ich bei unserem Felsbrocken eine kurze Rast einlegen konnte.